Viele Fragen haben wir im Call for Papers für diese Ausgabe gestellt, viele Erwartungen an Bewegungsgeschichte steckten darin. Einiges davon schlägt sich in Artikeln dieser Nummer wieder. Wie versprochen ist es keine schulterklopfende Nabelschau geworden. Der in unserer Gruppe geschriebene einleitende Artikel hat uns gezeigt, dass es mit der von uns so hochgehaltenen Geschichtsweitergabe nicht so einfach ist: Während diejenigen von uns, die schon lange dabei sind, den Text wenig spektakulär fanden, sind Neuere in der Gruppe froh, endlich mal alles übersichtlich präsentiert zu bekommen.

...zum Editorial

Thema

None

Wird Abweichung zur Norm, Dissidenz zur Systemressource?

Dagegensein im flexiblen Kapitalismus

Silke van Dyk

Trotzen wir dem System durch Kreativität und Nonkonformität Freiräume ab? Unterlaufen wir durch subversive (Alltags-)Praktiken die Zurichtungen des spätmodernen Kapitalismus? Rütteln wir manchmal gar ein wenig an den tragenden Säulen der Gesellschaft? Zweifelnde Fragen dieser Art begleiten wohl jede dissidente Praxis, jeden Protest. Die größte Sorge ist unverkennbar und allgegenwärtig: unsichtbar, ungehört, ohne Wirkung zu bleiben.

None

Verschwommene Grenzen

Linke Praxen marktgerecht?

Iris Nowak

Die neoliberalen Umbrüche der letzten 20 Jahre haben neue Anforderungen an feministische Politik gestellt. Zwar haben sich gewisse emanzipative Spielräume hinsichtlich wirtschaftlicher und sexueller Unabhängigkeiten von Frauen gebildet, von einer wirklichen Gleichstellung der Geschlechter ist jedoch noch lange nicht zu sprechen. Eine genaue Analyse neoliberaler Vergesellschaftungsprozesse bleibt deshalb für eine wirkmächtige feministische Praxis unabdingbar.

None

Traditionen interessieren mich nicht so

Interview mit Peter Birke und Bernd Hüttner

Bernd Hüttner & Peter Birke

Vordergründiger Anlass dieses Interviews ist das 20-jährige Bestehen der Gruppe FelS. Dabei soll es allerdings nicht um einen Lobgesang auf die Tatsache gehen, dass eine linke Basisgruppe es zwei Dekaden lang geschafft hat, nicht auseinanderzubrechen und in internen Grabenkämpfen zu versacken.

None

Sammeln, sortieren, ablegen

Unabhängige Archive und Bewegungsgeschichtsschreibung

Redaktion

Mehr als 200 Archive in der Bundesrepublik archivieren soziale Bewegungsgeschichte. Wir haben einige selbstorganisierte Archive zu ihrer Arbeit befragt. Alle von ihnen verstehen sich als politische Akteur_innen. Der Großteil ihrer Arbeit läuft selbstorganisiert und ohne Bezahlung.

None

Ein neues Zeitalter der Kämpfe

Über versäumten Internationalismus und die Ereignisse im arabischen Raum

Hans-Peter Kartenberg & Mila Mossafer

Warum tut sich die hiesige Linke so schwer mit der internationalen Solidarität? Die Hilflosigkeit der radikalen Linken im Feld Internationalismus zeigt sich nicht zuletzt im (fehlenden) Umgang mit den Auseinandersetzungen im arabischen Raum. arranca!-Gespräch mit Hans-Peter Kartenberg, Aktivist bei der Initiative Libertad! und der Inverventionistischen Linken und Mila Mossafer vom Komitee zur Unterstützung der politischen Gefangenen im Iran über die Aufstände im arabischen Raum, das Schweigen der Linken und neue Handlungsmöglichkeiten.

None

Lebendige Milieus und unheimliche Fragen

Interview mit Gabi Bauer, Friederike Habermann und Vassilis Tsianos

Friederike Habermann & Gabi Bauer & Vassilis Tsianos

Die arranca! spricht mit den drei Aktivist_innen Gabi Bauer, Friederike Habermann und Vassilis Tsianos über deren Erfahrungen in unterschiedlichen politischen Gruppen und Bewegungen, neue Anforderungen an aktuelle linke Politik, Generationenkonflikte in aktivistischen Kontexten und gelungene Organisationsstrukturen.

None

Wer von Vereinnahmung redet darf von Erfolgen nicht schweigen

Erfahrungen aus 30 Jahren Besetzungsbewegung

ak

Hausbesetzungen sind eines der Zauberwörter linker Bewegungen: Sie sind unmittelbar radikal, sie brechen mit der Eigentumslogik, sie schaffen reale Freiräume, in denen es möglich scheint, kapitalistischen Herrschaftsverhältnissen zumindest teilweise zu entgehen. Hausbesetzungen haben eine glorreiche Geschichte. Mit ihnen verbinden sich Erinnerungen an kurze Sommer der Anarchie, wie es sie in vielen europäischen Städten gegeben hat.

None

Mahlzeit!

Postautonome in der Gewerkschaft

Guillermo Villas

Mahlzeit! Die Schlange in der Betriebskantine hinter mir wird länger. Bunt bebrillte Frauen und Männer im fortgeschrittenen Alter stellen sich an. Auch den wenigen Unter-40-Jährigen scheint das Hemd schon über dem Bauch zu spannen. Mittagspause in der ver.di-Bundesverwaltung. Eine halbe Stunde über die Arbeit, die Nachrichten oder den letzten Wochenendausflug sprechen. Mein Blick schweift durch den Raum. Hannelores und Hartmuts sind überrepräsentiert. Kaum Nichtdeutsche, kaum jüngere Leute, keine Infos oder Politflyer auf dem Tisch. Wer hier arbeitet, koordiniert Tarifrunden, verwaltet Mitglieder oder setzt sich für Mindestlöhne oder Gute-Arbeit-Indexe ein. Und das routiniert, in mehr oder weniger eingeübten Abläufen mit klaren Zuständigkeiten.

None

Magdeburg war eine wirklich unerfreuliche Stadt

Und daran konnte auch die arranca! nichts ändern

M.F.

Im Unterschied zu Leipzig, Dresden, Halle oder selbst dem kleineren Erfurt hatte sich in Magdeburg weder vor noch unmittelbar nach 1989 eine nennenswerte alternative Subkultur etablieren können. Das, was man dafür hätte halten können, verlor sich im Bermudadreieck zwischen Abwanderung, Drogenselbstversuch und SozialarbeiterInnenkarriere. Allein Punks – in ihrer apolitischsten und unsympathischsten Ausprägung – prägten das Bild nonkonformer Jugendbewegungen.

None

Give me a break!

Bruch und Kontinuität in linken Biographien

Charlotte Spielmann

Momentaufnahme dieser Tage in Europa: Frankreich, Stéphane Hessel, 94 Jahre alt, Autor der Broschüre «Empört Euch», Widerstandskämpfer der Résistance, ruft die Jugendlichen Europas auf zu widerstehen. «Wir, die Veteranen der Widerstandsbewegungen und der Kampfgruppen des freien Frankreich, rufen die Jungen auf, das geistige und moralische Erbe der Résistance, ihre Ideale mit neuem Leben zu erfüllen und weiterzugeben.» In Spanien nehmen Tausende von prekarisierten Jugendlichen seine Ideen auf und besetzen zentrale Plätze. In Griechenland unterstützen die Ikonen des antifaschistischen Widerstandes Mikis Theodorakis und Manolis Glezos den militanten Kampf der Bürger_innen des Ortes Keratea gegen eine Mülldeponie. In diesen alten Männern lebt die Flamme des antifaschistischen Widerstandes, offenbart sich dessen geschichtliche Bedeutung und eröffnet den Horizont, dass ein Leben in Opposition möglich ist. Und in Deutschland?

None

V de Vivienda und die anonyme Mail

Arndt Neumann

Die Entstehungsgeschichte der spanischen Bewegung V de Vivienda ist ein anschauliches Beispiel dafür, wie politökonomische Missstände in sozialen Medien skandalisiert und zum Anlass kreativer Protestformen werden können. Es bleibt zu hoffen, dass wir solche Phänomene in einer zunehmend digitalisierten Welt öfter sehen werden.

None

Kleine Atempause

Für eine linke Strömung

Warum spielt das Anknüpfen an Traditionen eine so geringe Rolle? Hat die Tatsache, dass der Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte wenig Raum gegeben wird, mit einem in der westdeutschen radikalen Linken vorhandenen Abgrenzungswahn zu tun? Die Linke der 1970er hat sich von den 68ern abgegrenzt, die 1980er von den 1970ern usw. Wie also einen Umgang mit Kritik an früheren Bewegungen finden, der trotzdem nicht die produktiven Anknüpfungspunkte vergisst?

None

Anti-Atom in Bewegung: Solidarisch, bündnisfähig, radikal!

Was Heinz Schenk noch nicht wusste und so vielleicht nicht zu hoffen gewagt hätte

Avanti-Klima-AG Hamburg

20 Jahre nach der Kritik von Heinz Schenk und anderen an autonomen Politikformen stellt sich die Frage nach dessen Aktualität. Ist die (post-)autonome Linke noch immer von militantem Gehabe, theoretischer Nachlässigkeit, Bündnisfeindlichkeit und pseudoradikalem Isolationismus geprägt? Jüngere Beispiele aus der Anti-Atom-Bewegung deuten auf Lernprozesse hin.

Artikel außerhalb des Schwerpunkts

None

Raus aus dem Reservat

Peter Bachstein & Vera Schwarz

Der Artikel «Was heißt Ableism? Überlegungen zu Behinderung und bürgerlicher Gesellschaft» in der arranca! Nr. 43 hat bei uns einen widersprüchlichen Eindruck hinterlassen. Die politische Intention des Artikels ist uns durchaus sympathisch. Auch der Ansatz einer sozialwissenschaftlichen Definition des Behindertseins in der bürgerlichen Gesellschaft trifft im Großen und Ganzen auf unsere Zustimmung. Doch uns fehlt der konkrete Blick in den Alltag behinderter Menschen, zu denen wir übrigens selber auch gehören.

None

Kurze Geschichte einer kurzen Geschichte

Die Klimagerechtigkeitsbewegung in der BRD

Mona Bricke & Tadzio Müller

Diese kurze Geschichte der Klima(ge-rechtigkeits)bewegung bewegt sich irgendwo zwischen linker (Gegen-)Geschichtsschreibung und der Analyse eines produktiven Scheiterns. Ever tried, ever failed? Ja und ja, und trotzdem war’s richtig und nützlich.

None

Klassenkörper

Andreas Kemper

«Wir müssen von Klassenkörpern sprechen» (Foucault), mehr denn je. Von den ‹normalen› ebenso wie von der Konstruktion der sichtbaren «Unterschichtskörper» in den Medien und von der angeblichen Vererbung der Klassenkörper: ihrer vermeintlichen Intelligenz und Fruchtbarkeit. Der Begriff ‹Klassenkörper› meint, dass Körper sowohl in der Art und Weise, in der sie wahrgenommen werden, vom Klassenstandpunkt abhängig sind, als auch materiell generationenübergreifend klassenspezifische Erfahrungen speichern, das heißt diese Erfahrungen werden ‹inkorporiert›, in die Körper einverleibt, eingeschrieben.

None

Handbuch für ein besseres Deutschland?

Gespräch zwischen Mark Terkessidis und der FelS-Intersol AG

Mark Terkessidis

In seinem Buch Interkultur seziert Mark Terkessidis zentrale Elemente des strukturell-rassistischen Alltags in Deutschland. Als ehemaliger Aktivist von Kanak Attak und Autor des Buches Fliehkraft zu Migration und Tourismus an den europäischen Außengrenzen fragt er, welche gesellschaftlichen Veränderungen notwendig sind und welche strategischen Vorzüge das Programm der Interkultur gegenüber dem der Integration hat.

None

Queer-feministische Politik und Inter*-Bewegung

Neuentdeckung eines unbekannten Kontinents?

Ulrike Klöppel

Trotz weltweit vehementer Proteste gibt es auch in Deutschland weiterhin viele Kliniken, die geschlechtsverändernde bzw. kosmetische Genitaloperationen und Sexualhormonbehandlungen an intergeschlechtlichen Kindern und Jugendlichen durchführen – ohne deren Zustimmung oder auf der Grundlage manipulativer Informationen (etwa, dass die Gonaden wegen eines Krebsrisikos beseitigt werden müssten). In den letzten Jahren bekunden immer mehr queer-feministische Zusammenhänge ihre Solidarität mit den Forderungen von Inter*-Organisationen – endlich, so ist zu hoffen, ist der Stein ins Rollen gekommen und die Proteste gegen die menschenrechtsverletzende Praxis der Medizin weiten sich aus.