arranca!: ¿Könnt ihr kurz erzählen, seit wann ihr in politischen Gruppen und Bewegungen aktiv seid und welche das im Laufe der Jahre waren?

Gabi: Ich habe mich Anfang der 1970er Jahre im Kommunistischen Bund (KB) organisiert und war dort bis zu dessen Auflösung. Erst war ich in einer Stadtteilgruppe und dann in meiner Betriebsarbeitszeit in der Betriebsgruppe organisiert. Die Stadtteilarbeit hat neben dem Zeitungsverkauf auch Wohnungs- und Sozialpolitik beinhaltet und die Betriebsarbeit brachte die Gewerkschaftsarbeit mit sich. Nachdem ich aus dem Betrieb raus bin, habe ich im Verlag des KB gearbeitet. Die politische Arbeit war sehr an Kampagnenpolitik orientiert. Wir haben damals nicht nur große Demonstrationen (mit)organisiert, sondern auch große Soli-Veranstaltungen mit internationalen Bewegungen. Kaum vorstellbar für heute, die Hamburger Messehallen voll zu bekommen, wenn es um die Solidarität mit bewaffneten Befreiungsbewegungen geht. Mein politischer Zusammenhang war dann die Antirepressionsgruppe im KB. So etwas wie Anti-AKW, Antifa, § 218 oder Bunte Liste lief natürlich alles parallel. Heute arbeite ich immer noch in der Redaktionsgruppe von analyse+kritik mit.

Friederike: Meine erste Demonstration war 1980 mit Fahrrädern gegen Atomkraft durch unseren Landkreis. Doch das geplante Endlager sollte da bereits nach Gorleben – nicht mehr zu uns. Dem Gefühl von Bewegt-Sein tat das aber keinen Abbruch: Die Friedensbewegung stand vor der Tür, fast jedes Dorf hatte seine Initiative. Jahre später das letzte Treffen der unsrigen bekam ich nicht mehr mit, denn die Bundesschülervertretung tagte. Ich wurde BundesschülerInnensprecherin (das große I erkämpft) und holte mir in dieser Zeit eine tiefe Abscheu gegen Kungeln und Über-den-Tisch-ziehen (vor allem: gezogen werden), die ich mit einer Politpause behandeln musste. Als Heilmittel erwies sich das autonom geprägte Freie Radio St. Pauli. Von Gruppe zu Gruppe wurden meine autonomen Zusammenhänge kuscheliger, theoretischer und aktionsorientierter zugleich. Schön. Doch war die Welt wirklich hinter dem Wasserturm zu Ende? Nach einigen schaurigen Erfahrungen bei der Suche nach größeren Vernetzungen fand ich 1996 die ganz große: Ich fuhr in den mexikanischen Dschungel zum Intergalaktischen Treffen der Zapatistas. Daraus erwuchs Peoples Global Action, eine weltweite Vernetzung von Basisbewegungen. 1998 war ich Pressekoordinatorin der Proteste in Genf gegen die WTO, 1999 ging es nach Seattle – die Globalisierungsbewegung betrat die Bühne. Im letzten Jahrzehnt wurde in meinem eigenen Leben die ökonomische Bedeutung anderer Wirtschaftsweisen immer offensichtlicher. Seit sieben Jahren lebe ich in einem Projekt.

Vassilis: Während einer kleinen Affäre mit dem christlichen Rechtskonservatismus in meiner Gymnasialzeit musste ich anerkennen, dass meine linken Kontrahenten argumentativ kohärenter waren und subkulturell informierter, und irgendwie besser aussahen. Links sein bzw. links werden war für mich sehr intensiv mit der deutschen Besatzungszeit und ihren Folgen für meine Familiengeschichte verbunden. Ich musste ein unheimliches Schweigen entwirren, das Schweigen der verschämten Besiegten. Keiner hatte dafür eine Sprache. Also versuchte ich es direkt bei den Rechten, um meine Familie zu provozieren, was nur weh tat und nicht half. Ich wurde von der eurokommunistischen Jugendorganisation rekrutiert und machte schnell Parteikarriere. Der Antistalinismus hat mir geholfen das Schweigen zu verstehen, vor allem die skurrile Bürgerkriegszeit. Wir lebten in den Achtzigern irgendwie in den Diskursen der verratenen Revolution – angereichert mit einer Prise Internationalismus. Weil ein Teil der Antworten, die ich suchte, nach Deutschland mit meinen Eltern ausgewandert war, bin ich denen gefolgt. Am Anfang habe ich im Namen meiner Partei Exilpolitik gemacht, aber die Neonazis in Hamburg machten aus mir einen eifrigen Antifa. Es war die Zeit der Pogrome und der militanten migrantischen Selbstorganisierung, eine existenziell prägende Erfahrung. Cafe Morgenland war für mich in der Zeit einfach das richtige. Nach einigen Jahren entdeckte ich Kanak Attak, was für mich die Fortsetzung dessen war, was wir davor machten, allerdings mit popkulturellen Mitteln. Kanak Attak ist die wichtigste politische Erfahrung, die ich je gemacht habe. In der Zeit und im Zuge der europäischen Sozialforen entdeckte ich den Charme der transnationalen Dimension linksradikaler Europa-Politik und agierte mich für das Frassanito-Netzwerk, No Border und das Euromayday-Projekt. Politisch zuhause fühle ich mich in Hamburg und mein Herz schlägt für Lux & Konsorten und für das Netzwerk Welcome To Europe.

¿ Wie haben sich eurer Ansicht nach die Bedingungen, unter denen man heute Politik macht, verändert? Sowohl als prekäre_r Jobber_in, als Erwerbslose_r oder an der Uni sind die Freiräume, die es dort mal gab, massiv zusammengeschrumpft und auch in anderen Bereichen sickert die Arbeit zunehmend in den Rest des Lebens. Auf der anderen Seite gibt es aber zumindest technische Möglichkeiten, sich weniger zeitintensiv zu informieren und zu vernetzen.

Vassilis: Ich glaube nicht, dass die Bedingungen so anders geworden sind. Sie sind allerdings für mich anders geworden. Als Student hatte ich unendliche Zeit für sektenartige Scheinkämpfe, und jetzt als Dozent habe ich viel weniger Zeit, aber manchmal einflussreichere Netzwerke. Hatte weniger Reproduktionskosten, einen pragmatischen Umgang mit schlechtem Alkohol und viel Nikotin und war weniger eitel. Für politisch Militante (im operaistischen Sinn) gab es schon immer Stress zwischen Lohnarbeit und politischer Praxis. Ich habe immer zwischen dem Selbstvorwurf „ich mache zu wenig“ und dem Milieuvorwurf „ich mache in der Tat zu wenig“ gelebt und gelernt, diese Anstrengung als eine falsche Frage an mich und an das Milieu zurückzugeben. Lebendige politische Milieus sind in der Lage, den Stress der Reproduktion und Politik zärtlich zu absorbieren, nicht-lebendige kollektivieren diesen Stress moralistisch.

Gabi: Natürlich hat Vassilis Recht, wenn er sagt, dass die Bedingungen auf jeden Fall für einen selbst anders geworden sind. Die Lebens- und Arbeitssituation für die Einzelnen verändern sich. Ich glaube, dass sich auch die äußeren Bedingungen seit Anfang der 1970er Jahre verändert haben.

Ich habe 1972 angefangen im Betrieb zu arbeiten und bin dort hingegangen, um Politik zu machen, nicht um zu arbeiten. Das war notwendiges Übel und lief immer so grenzwertig, dass ich an Abmahnungen wegen zu wenig oder schlechter Arbeit immer noch gerade vorbeigeschrammt bin. Was die Aneignung von Arbeitszeit betraf, waren wir unheimlich kreativ. Stempeluhren für Pappzeitkarten waren eben nur tote Kästen und Papier. Freie Tage mit gelbem Schein haben Luft geschaffen für das Organisieren von Kampagnen oder Demos. Im Betrieb wurden die, wie hat Vassilis doch so nett formuliert, „sektenartigen Scheinkämpfe“ zwischen den verschiedenen linken Gruppen in der Kantine, auf Betriebsversammlungen und in den (gewerkschaftlichen) Betriebsgruppen genauso intensiv geführt wie an der Uni. Mit den Kolleg_innen wurde darüber diskutiert, ob es nun richtig ist, sich bei Demos mit Helm und Fahnenstange zu schützen oder nicht. Das kann ich mir bei den heutigen Arbeitsverhältnissen nicht mehr so recht vorstellen. Schon Ende der 1990er Jahre war das in den Betrieben, in denen ich dann gearbeitet habe, nicht mehr so. Auch die elektronischen Zeiterfassungskarten und Arbeitsnachweise haben die frei verfügbare Arbeitszeit stark eingeschränkt.

Als Stress habe ich diese Situationen nie empfunden, irgendwie war ich trotzdem nächtelang in der Kneipe oder auf Feten. Nicht selten ging es direkt von dort in den Betrieb. Die sanitären Anlagen im Betrieb waren ein beliebter Schlafplatz.

Friederike: „Lebendige politische Milieus sind in der Lage, den Stress der Reproduktion und Politik zärtlich zu absorbieren, nicht-lebendige kollektivieren diesen Stress moralistisch“ – diesen Spruch von Vassilis werde ich mir merken, wenn mir mal wieder jemand in meinem Projekt sagt, ich könnte doch zur Abwechslung auch mal kochen! Nein, im Ernst, mir ist schon bewusst, wie sehr meine prekäre, aber eben auch sehr erfüllte Existenzweise durch die solidarischen Strukturen ermöglicht wird, in denen ich lebe. So kann ich wirklich das tun, was für mich zählt im Leben, persönlich wie politisch. Das ist ein wahnsinniger Luxus. Womit sich für mich paradoxerweise im Umkehrschluss zu Vassilis und unserer Studienzeit ergibt: Die Bedingungen sind sehr anders geworden – allerdings nicht für mich. Ich habe mir aber auch nie träumen lassen, mal in einem Projekt und außerhalb der Stadt zu leben. Dass ich es doch tue, hat zum einen damit zu tun, dass es statt eines offenen Platzes früher wohl eher eine geschlossene Landkommune gegeben hätte. Zum anderen wäre damals die Isolation aber natürlich eine ganz andere gewesen – das Internet macht es möglich, dass es sich nicht so anders anfühlt, ob ich auf St. Pauli in einer WG hocke oder im Wald. Die meisten Menschen, mit denen ich persönlich und politisch eng verbunden bin, leben ohnehin nicht mehr in meinem unmittelbaren Umfeld.

¿Wie ich persönlich an einigen älteren Genoss_innen feststelle, kann langjähriger politischer Aktivismus dazu führen, dass man schnell „abgegessen“ ist, vieles nicht zum wiederholten Male diskutieren will und man weniger bereit zu einer experimentellen Praxis ist, was im Extremfall auch schon mal zu ziemlichem Zynismus führen kann. Wahrscheinlich alles Erfahrungen, die euch keineswegs fremd sind. Wie geht ihr damit um, dass die radikale Linke in Deutschland immer noch vor allem eine Jugendbewegung ist und man ab einer gewissen Altersklippe immer wieder Genoss_innen verliert?

Friederike: Ich weiß noch genau, wie wir in unserer WG Mitte der 1990er einen Bericht über einen 47-Jährigen in einem Berliner Hausprojekt gesehen haben, und wir alle waren so „Wow, das wäre schön, wenn wir dann auch noch …“. Jetzt bin ich von dem Alter nicht mehr weit weg und lebe nicht nur in einem Projekt, sondern auch mit einer Reihe von Leuten zusammen, die älter sind als ich. Das Gefühl, Bewegung ist nur was für Junge, habe ich nicht. Auch meine internationalen Erfahrungen spielen hier bestimmt mit hinein, denn international gesehen, vor allem im Globalen Süden, ist das wesentlich durchmischter. Stimmt schon, in Deutschland sind die meisten jung, vor allem, wenn es um politische Aktionen im engeren Sinne geht, aber da ich die „jüngeren“ Ansätze, Politik zu machen, in der Regel die besseren finde, genieße ich das auch. Überhaupt, bei einer Diskussion mit älteren Linken darüber, ob die Welt in den 1970ern oder heute düsterer bzw. hoffnungsvoller aussah, fiel mir auf, dass ich zwar beide Positionen verstehen konnte, für mich aber das Entscheidende war, dass ich die Linke von heute eindeutig vorziehe – vom Umgang untereinander ebenso wie von dem, was ins politische Bewusstsein gerückt ist seitdem: dass der Weg dem Ziel entsprechen muss und dass Herrschaft nicht platt als Unterdrückung durch Kapitalisten zu verstehen ist, sondern dass Machtverhältnisse komplex, miteinander verwoben und sogar uns selbst durchdringend sind. Und diese Impulse wurden immer besonders stark durch Jüngere aufgenommen und gelebt.

Vassilis: Ich stimme Friederike absolut zu. Ich bevorzuge eindeutig die gegenwärtige Ausgangssituation für die (Neu)Begründung einer radikal-transnationalen und zugleich gesellschaftlichen Linken. Es hat mich immer wieder die Frage beschäftigt, warum meine Lieblingszeitgenoss_innen die gemeinsamen Politzusammenhänge zuerst verließen. Es war eine erschreckend intensive Frage an mich, im Sinne von: was mache ich hier falsch. Der Zynismus der Aussteiger_innen hat mich wiederum niemals beeindruckt, weil er mich ästhetisch abstößt. Jammern und feuilletonistisch informiertes Kritisieren steht für mich eindeutig für einen kompensatorischen Neid auf die verlorene Freude, die die Praxis voraussetzt und zugleich erst im Gemeinsamen erfahrbar ist. Doch die Privatisierung linker Biografien steht andererseits symptomatisch für die Intoleranz einer linksradikalen Subkultur, der es nicht gelingt, mit unterschiedlichen Belastbarkeits- und Geschwindigkeitsvermögen ohne den Einsatz eines schlechten Gewissens zu umgehen. Und das gilt gleichsam für die Jungen, die Älteren und für mich.

Gabi: Ich kann mich Friederike auch nur anschließen. Es wäre ja auch absolut ignorant gegenüber der weltweiten gesellschaftlichen Entwicklung und dem Wissen darum, Herrschaft auf die Unterdrückung durch den Kapitalismus zu reduzieren. Obwohl ganz so platt war die Vorstellung von den Machtverhältnissen auch in den 1970er Jahren nicht bei allen linken Gruppen oder sozialen Bewegungen. Die Auseinandersetzungen um Haupt- und Nebenwiderspruch waren ein wesentlicher Bestandteil innerlinker Debatte. Die Frage, die Vassilis aufwirft, warum sind meine Genoss_innen nicht mehr (in den Zusammenhängen wo ich jetzt bin) aktiv und bin vielleicht ich es, die falsch liegt, kenne ich auch. Aber in meiner politischen Praxis merke ich dann, dass es mir Spaß macht, mich auf die neuen Bedingungen und den anderen Umgang der Linken einzulassen und gemeinsam an den anstehenden Problemen zu diskutieren und zu arbeiten. Und ja, manchmal nervt es mich unendlich, wenn ich merke, die Diskussion habe ich nun schon hundertmal geführt. Je nach persönlicher Befindlichkeit bin ich dann mal geduldig und denke, okay, das haben wir damals auch so gemacht, und mal genervt und ungeduldig und denke, es muss doch nicht sein, dass das Rad jedes Mal neu erfunden wird.

Der Umgang innerhalb der Linken hat sich sicherlich verändert. Trotzdem finde ich, dass bestimmte Verhaltensweisen nach wie vor bei den heute Jungen genauso auftreten wie damals bei den heute Alten: Der Machtkampf zwischen diskutierenden Männern fällt mir heute genauso unerträglich auf manchen Treffen auf, wie schon vor 35 Jahren.

¿ Spätestens seit den Protesten gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm scheint es in Deutschland eine neue Generation politischer Aktivist_innen zu geben. Die sich erstens verbindlich organisieren wollen und zweitens damit recht erfolgreich zu sein scheinen.

Gabi: Wir sind ja als ak-Redaktion in der IL. Die Idee zu einem überregionalen Beratungstreffen von Einzelpersonen, die in verschiedenen Zusammenhängen aktiv sind, ist um 2000 herum von uns initiiert worden. Anfänglich waren wir zwischen fünf und acht Menschen, mit der Vorstellung, wir müssen versuchen, da, wo es noch Zusammenhänge und Aktivist_innen gibt, die Strukturen aufrecht zu erhalten. Dafür brauchte es manchmal doch einiges an Frustrationstoleranz, aber im Laufe der Zeit hat sich der Kreis erweitert und ist dann zur jetzigen IL geworden. Trotz vieler schwieriger Diskussionen und sehr unterschiedlicher Vorstellungen über das Selbstverständnis, die Gewaltfrage, die Organisationsform, finde ich, dass die IL auf einem guten Weg ist und auch gute Chancen hat, die nächsten Jahre weiterzumachen. Ich würde mir wünschen, wenn die Streitkultur innerhalb der IL es ermöglicht, dass die oft sehr kontroversen Positionen mit dem Ziel, „wie weiter miteinander“, ausgetragen werden können und damit auch in den nächsten Jahren der Raum für weitere gemeinsame Mobilisierungen und politisches Eingreifen bleibt. Die Erfolge in der Mobilisierung gegen den G8-Gipfel und auch beim Castor Schottern! haben gezeigt, dass es nicht auf die Anzahl der in linksradikalen Zusammenhängen organisierten Aktivist_innen ankommt, sondern auf die Fähigkeit, Menschen für politische Aktionen und Ziele zu aktivieren.

Friederike: Im Zuge der Vorbereitung von Heiligendamm gab es auch sehr unschöne Vernetzungsprobleme, wo sich mal wieder zeigte, wie sinnlos es ist, sich auf eine gemeinsame Linie einschwören zu wollen, wenn´s nun mal so gar nicht zusammen passt: Während einige mit aus den Siebzigern stammenden Politikkonzepten die militante Einheit schmieden wollten, waren es tendenziell die Jüngsten, die nun aber auch noch jede dort versammelte Stimme unbedingt integrieren mussten. Das zeigte mir einmal mehr: Jedes krampfhafte Aufrechterhalten einer Struktur geht schnell in die falsche Richtung. Und: Ich selbst bringe mich nur dort ein, wo es sich richtig gut anfühlt. Bei Peoples Global Action war das der Fall. Dass heute niemand weiß, wie wichtig PGA für den Beginn der Globalisierungsbewegung war, liegt aber an eben dieser losen Organisierungsform. Allerdings funktionieren ja auch die aktuellen Bewegungen in Arabien oder Südeuropa so – eher als Raum für Aktionen, auf der Grundlage von Ideen, mit denen Menschen sich identifizieren.

Vassilis: Das ist eine sehr unheimliche Frage, weil sie uns mit einer fantasmatischen Dringlichkeit konfrontiert: Wir haben doch das Organisationsprojekt auf die Beine gestellt – wann kommt endlich das Ereignis? Ich habe übrigens schon immer Probleme mit Ausdrücken wie „politische Arbeit“ oder „-projekte“ gehabt. An beiden vermisse ich das plebejische Bekenntnis zur sozialen Militanz der Praxis, die ich von den italienischen Postoperaist_innen oder vom „Griechischen Dezember“ oder von der „Jasminrevolution“ gelernt habe. Es ist nicht so sehr die Organisation, sondern die Radikalisierung, die sie gewährleisten kann, die mich an der Organisationsfrage interessieren würde. Doch dieses Radikalisierungsvermögen ist per definitionem nicht organisierbar, oder besser gesagt die Organisation kann im besten Fall dieses Vermögen benennen und bejahen. Das ist auch das konkrete Kriterium für meine Bereitschaft, mich in und für eine Organisationsform zu engagieren. Es kommt darauf an, das Wissen, die List und die Beharrlichkeit der Subalternen in immer neue Kulturen und Lebensformen der Wunschproduktion zu kommunizieren und wieder sie verteidigen zu lernen.