Damit beabsichtigten wir nicht, durch die Gründung einer Partei die schlechten Erfahrungen der (aus der Studentenbewegung hervorgegangenen) K-Gruppen Anfang der 70er Jahre zu wiederholen. Uns war die Gefahr, daß eine neuentstehende Struktur vermeintliche Sicherheit ausstrahlen und dadurch notwendige Diskussionen blockieren könnte, durchaus bewußt.

Dennoch waren (und sind) wir davon überzeugt, daß eine linksradikalen Organisation notwendig ist. Die eigenen Bewegungserfahrungen hatten uns schließlich gezeigt, daß ein inhaltlicher Neubestimmungsprozeß nur in organisierten Strukturen stattfinden kann. Nur dort entwickelt sich die Diskussion an einem roten Faden entlang vorwärts, vor allem jedoch gewährleisten organisierte Strukturen, daß Diskussionsergebnisse auch in die Praxis umgesetzt werden. Wie oft hatten wir in der autonomen Szene das gleiche Thema (z.B. „raus aus dem Ghetto“) 10 Mal in immer wieder neuen Zusammensetzungen diskutiert, ohne daß dies Konsequenzen für die politische Arbeit gehabt hätte.

So begannen wir, mikroskopisch verkleinert, die Idee „Radikale Linke“ neu aufzugreifen. Einerseits konnten wir auf der Erfahrung aufbauen, daß die Versammlung von Prominenten, Splitterparteien und einzelnen einen Organisationsprozeß eher blockiert als voranbringt. Auch fanden wir die politische Ausrichtung der Radikalen Linken (alles beschränkte sich auf die „Nie-Wieder-Deutschland“-Parole) nicht überzeugend. Andererseits fanden wir jedoch an dem Versuch die Erkenntnis richtig, daß die Grenzen zwischen den unterschiedlichen Spektren fließender geworden waren. Ex-Grüne, KB-lerinnen, Autonome, Antiimperialistlnnen, Feministinnen usw., alle hatten in den letzten Jahren ihr Politikverständnis grundsätzlich in Frage stellen müssen. Grundlagen hatten sich für viele verschoben, was Verzweiflung stiftete, aber auch der Boden für einen Neuanfang sein konnte.

In dieser Absicht reisten wir im Frühjahr 1993 durch die Republik und trafen uns mit Gruppen, die sich für unsere Initiative interessierten. Pfingsten kamen zum ersten Mal 10 Gruppen, mit denen wir im Vorfeld gesprochen hatten, und einige Einzelpersonen zu einem Treffen in Berlin zusammen. Wir hatten kein Interesse an einer Großveranstaltung, uns ging es darum, Fundamente zu diskutieren und aufzubauen. So waren wir mit der Zahl der erschienenen Personen durchaus zufrieden, unser Projekt sollte bescheiden laufen lernen. Das Treffen selbst war jedoch für alle eine Enttäuschung. Die Gruppen, die aus verschiedenen Spektren stammten, hatten vor allem mit Kommunikationsschwierigkeiten zu kämpfen. Noch schwieriger als wir es erwartet hatten, gestaltete sich die Auseinandersetzung auf der Grundlage unterschiedlicher Erfahrungen. Fast zwei Tage gingen in Darstellungen eigener Politik verloren. Zwar hatten wir das Treffen zum Kennenlernen organisiert, aber es zeigte sich, daß dieser Anspruch zu niedrig war. Mehr politisches Konzept in der Planung und der Auswahl der Gruppen hätte einen dynamischeren Start bedeutet. Dazu kam der einfache, aber schwerwiegende Fehler, im Vorfeld keine Städteberichte verschickt zu haben. So mußten Informationen ausgetauscht werden, anstatt gemeinsam zu diskutieren.

Erst kurz vor Schluß des Treffens gelang es überhaupt noch, sich auf gemeinsame Punkte für das nächste Mal zu einigen. Wir formulierten 9 Fragen (diese sind gekürzt im Anhang hierzu gemeinsam mit den Antworten von FELS zu lesen). Dadurch sollte ein vager politischer Konsens (kein Parteiprogramm) hergestellt werden.

Die nächsten Monate bis zum nächsten Treffen im September 93 beschleunigten die Entwicklung nicht. Die meisten Gruppen antworteten knapp oder bezogen sich kaum auf die vereinbarten Fragen. Zudem geriet der Ansatz sofort ins Fadenkreuz der Repression. Bei der Festnahme der RAF-Militanten Birgit Hogefeld wurde ein Brief gefunden, in dem über das Treffen und die formulierten Fragen berichtet wurde. In verschiedenen Medien tauchten wir daraufhin als engeres RAF-Umfeld auf. Wir reagierten mit einer Pressekonferenz und einem längeren Interview in der taz, in dem wir klar stellten, welche Absichten unser Ansatz verfolgte. Öffentlichkeit war damit hergestellt, die politische Grundlage des Projekts blieb jedoch dünn.

Auf dem folgenden Arbeitstreffen wurden die 8 Fragen weitgehend undiskutiert bei Seite gelegt und stattdessen die Entwicklung einer Organisationsprogrammatik und einiger struktureller Richtlinien vereinbart.

Positiv war, daß die beteiligten Gruppen dabei blieben. Zumindest in dieser Hinsicht war die Verbindlichkeit erfreulich groß. Die Treffen wurden strukturierter, aber nicht einfacher. Allen war bewußt, daß nur die gleichzeitige Entwicklung gemeinsamer politischer Praxis und inhaltlicher Diskussionen den Organisationsansatz voranbringen könnte.

Vor allem die praktische Seite gestaltete sich extrem schwer. Die unterschiedlichen Praxisfelder (z.B Stadtteilarbeit, Antifa, Internationalismus) machten Berührungspunkte rar. Nach vier Treffen, d.h einem Jahr gab es noch immer keine einzige, wirklich gemeinsame Initiative. Vor lauter Verzweiflung machte man sich daran, ein gemeinsames Flugblatt zum Wahljahr 94 zu schreiben, das jedoch – angesichts der unterschiedlichen Situationen vor Ort – keine Konsequenz hatte. Ein solches Flugblatt mußte auf der Ebene des Appells bleiben.

Auf der inhaltlichen Ebene kristallisierten sich zudem so tiefschürfende Widersprüche heraus, daß gemeinsame Veröffentlichungen in weite Ferne rückten.

Damit blieb der Organisationsprozeß entgegen unseren ursprünglichen Forderungen absolut untransparent.

Das zurückhaltende Interesse, das der Organisationsansatz am Anfang geweckt hatte, hätte man wachhalten müssen. Nur so hätte ein breiterer Organisationsprozeß in Gang kommen können. Immer mehr nahm der Kreis aus 10 Gruppen einen abgeschotteten Charakter an. Wir blockierten uns gegenseitig. So verhakte sich unser Ansatz zunehmend in einem Gründungsvorgang, wie wir ihn nicht beabsichtigt hatten.

Schließlich standen wir als FELS im Frühjahr 94, nach zehn Monate unserer Initiative für eine linksradikale Organisation vor der Tatsache, daß wir inhaltlich mit den meisten Entwicklungen der Initiative nicht übereinstimmten, viel Kraft investiert hatten, sich jedoch politisch keine Perspektiven abzeichneten. Wir bemerkten auch, daß wir den hohen Anforderungen eines Organisationsprozesses nicht gerecht wurden. Es zeigte sich, daß wir nicht in der Lage waren gleichzeitig sowohl die eigene Initiative weiterzutreiben als auch in der Antifaschistischen Aktion - Bundesweite Organisation aktiv zu sein. Wir entschieden uns deshalb für den Ansatz, der uns dynamischer und politisch stärker verankert schien. Die vielgeschmähte AA-BO. Diese hat sich in zwei Jahren Existenz als relativ offenes (d.h entwicklungsfähiges) Projekt erwiesen, in der Verbindlichkeit herrscht, immer wieder Initiative ergriffen wird und in der vor allem eine Verankerung der Gruppen vor Ort Schwerpunkt des Organisationsprozesses ist. Die Entwicklung der AA-BO in ihren Strukturen und ihrem Programm erscheint uns „organischer“, d. h. es werden nur solche bundesweiten Strukturen geschaffen, die der realen Situation angemessen sind. Inhaltliche Diskussionen werden geführt, aber nicht im Sinne eines aus dem Boden gestampften „Kompromiß-Programmes“. Wir glauben durchaus, daß in der AA-BO Debatten möglich sind und sich in der Regel vor allem auch politisch umsetzen. Was nützt uns das beste Programm, wenn wir nicht in der Lage sind, zumindest Ansätze hiervon zu materialisieren?

Kritik, Selbstkritik, Schlußfolgerungen

Die bisherige Entwicklung unseres Ansatzes stellt die Organisationsdiskussion für uns nicht in Frage. Für uns steht weiterhin fest, daß Politik nur organisiert gemacht werden kann. Unser Abschied aus der von uns gestarteten Organisationsinitiative (die wir im folgenden „Initiative linke Organisation“ nennen) bedeutet deswegen kein allgemeines Verwerfen des Versuches. Wir haben festgestellt, daß wir uns als Gruppe kräftemäßig nicht an 2 Organisationsversuchen gleichzeitig aktiv beteiligen können. Gäbe es die AA-BO nicht, würden wir es in der anderen Initiative weiter versuchen. So ernst haben wir es 1992 dann doch mit unserer Kritik an Szenestrukturen gemeint. Wir haben jedoch festgestellt, daß die Eigendynamik, Wasserköpfe aufzubauen, also bundesweite Strukturen zu schaffen, die regional nicht verankert sind, sehr groß ist. Die Gefahr war uns im Prinzip von Anfang an klar, wir haben jedoch keine konsequenten Schlußfolgerungen daraus gezogen. Im Mittelpunkt der Organisationsdiskussion muß der Aufbau von verbindlichen, handlungsfähigen Gruppen vor Ort stehen. Dies muß durchaus gleichzeitig zum Aufbau einer bundesweiten Struktur geschehen, denn der Austausch und die Kritik mit gut funktionierenden Gruppen in anderen Städten intensiviert auch den Prozeß vor Ort. Der Schwerpunkt ist dennoch die offene, aber verbindliche Gruppe und ihre politische Verankerung in der Region.

Auch in unserer politischen Praxis spie¬gelt sich das wieder. Etwas überspitzt könnte man sagen, daß FELS in Westdeutschland vor allem aufgrund der Arranca! bekannter ist als in Berlin und in der Region. Dies hat auch damit zu tun, daß wir „gesamtgesellschaftlich“ handeln wollten, uns also nie auf einen praktischen Arbeitsschwerpunkt, einen „Teilbereich“ festgelegt haben. Das Ergebnis davon ist zumindest bei uns mangelndes politisches Profil. Unsere Entwürfe klingen nicht schlecht, aber wir haben erst Anfang 1994 begonnen, davon auch etwas politisch umzusetzen und Präsenz zu zeigen. Politik wird auf der Straße glaubwürdig, nicht auf dem Papier.

Bezeichnend für die Gruppe FELS war eine gewisse Unentschlossenheit. Angefangen damit, daß wir uns mit 2 Ansätzen verzettelt haben, über die fehlende Konzentration, auf eine kontinuierliche Praxis in einem Arbeitsfeld bis hin zu einer großen Zurückhaltung in der „Initiative linke Organisation“. Wir haben inhaltliche Widersprüche nicht benannt und damit eine Klärung zu lange herausgezögert. Das hat auch strukturelle Ursachen. Wer das Prinzip rotierender Delegierter verfolgt, die/der muß auch gewährleisten, daß Informationen weitergetragen werden und eine gute Vorbereitung der Delegierten auf Treffen stattfindet. Wir haben das nicht geschafft und daher ist die Entwicklung in der ILO nicht selten an uns vorbeigegangen.

Für linksradikale Organisationsansätze ziehen wir trotzdem die Schlußfolgerung: weitermachen. Sich auf realistische Ziele und Arbeitsfelder konzentrieren, Strukturdiskussionen anhand konkreter Probleme führen, eine inhaltliche Programmatik als Entwicklungsprozeß betrachten und sich den Verführungen einer Organisationsgründung verweigern. Ein Statut und eine Leitung bieten nur scheinbare Sicherheit. In der AA-BO wurde entlang einer politischen Praxis eine Struktur geschaffen, die Grundlage ist für die Zusammenarbeit der Gruppen. Gemeinsame Initiativen finden statt, aber man geht den mühsamen Weg der Ebene. Wachsen, Diskutieren und Aufbauen anstatt abstrakter Schachbrettentwürfe: mehr organisierte „Bewegung“ als Partei.



Hinein in die Verbindlichkeit weitermachen!