Dsan1: ¿Bevor wir über fux sprechen, erzählt ein wenig über Euren linken Werdegang.?
Effi: Mit 18 hatte ich meine erste nähere Begegnung mit der bundesweit organisierten griechisch-kommunistischen Jugendpartei in Hamburg. Das Projekt mich als „Kichererbse“ zu akquirieren war ohne Erfolg: Kichererbsen nannten man damals in Griechenland den Nachwuchs, den man versuchte, zu „akquirieren“. Das war eine Subjektivierungsweise, die mir widerstrebte! Stundenlang verweilte ich bei den Treffen, meistens aber nur als stille Beobachterin. Die Art des parteiförmig strukturierten, ideologisierten Austausches, weit entfernt von alltäglichen Erfahrungen, lag mir fern. Erst nach 1989, als die Jugendpartei zerfiel, und niemand mehr eine Parteisoldatin verkörpern musste, wurde ich in den Freundeskreisen registriert, und die Möglichkeit einer Sozialität schien sich zu eröffnen. Danach bin ich über Kanak Attak in antirassistische Kontexte gekommen. Das waren für mich immer losere Zusammenhänge, wo man anhand eines konkreten Problems und auch subjektiven Erfahrungen versucht hat, Politik zu machen. Das war mir viel näher. Dieses Ansetzen am eigenen Alltag und eigenen Erfahrungen erschien mir sinnvoller als parteiförmige Strukturen. Das zieht sich seitdem als roter Faden durch die politischen Zusammenhänge, in denen ich aktiv war. Immer wieder auch gemeinsam mit Frank: zum Beispiel die Gesellschaft für Legalisierung, der Hamburger Euromayday, Lux und Konsorten und jetzt die Genossenschaft fux.
Frank: Meine politischen Organisierungsansätze waren bei mir immer an meine Alltagsgeschichten gebunden gewesen. Meine erste Gruppe war die WUSCH, die Wuppertaler Undogmatischen Schülergruppen. Da ging es um Schüler*innenselbstverwaltung, das war in manchen Schulzentren mit bis zu 2 000 Schülerinnen Nordrhein-Westfalens sehr erfolgreich. Wir hatten bei den Schülerratswahlen und im Schülerparlament teilweise 38 % der Stimmen. Das ist etwas Stilprägendes gewesen, was mich nie wieder losgelassen hat. Ich bin danach ja einen strengen militanten Weg gegangen, mit allen Schikanen: Hausbesetzungen, Organisierung im Knast, Organisierung draußen in autonomen Gruppen, enge Kontakte mit den bewaffneten Gruppen usw. und so fort. Das kulminierte alles mit der Besetzung der Hafenstraße und brach erst nach 88/92 ab, als es mit dem Ende der RAF und der anderen bewaffneten Strukturen mit der großen weiten Welt des Antiimperialismus zu Ende ging. Mit dem Aufstand in Chiapas einige Jahre später habe ich dann begonnen, die alten Organisierungsfragen wieder neu zu denken. Damals fingen wir endgültig an, uns in netzwerkförmigen Strukturen zu organisieren, die aber immer einen festen Infrastruktur- und Ressourcenkern hatten. Ab da kam ein Netzwerk zum anderen: Kein Mensch ist illegal, die von vornherein als transnationale, transkontinentale, diverse usw. Organisierung von Leuten gedachte Gesellschaft für Legalisierung, dann das Frassanito-Netzwerk und schließlich Euromayday. Ja und nun sind wir auf einmal in einer Genossenschaft und kaufen Land.
¿Was ist das für ein Projekt?
Effi: Wir haben die Genossenschaft fux gegründet und das Kasernengelände an der Max-Brauer Allee in Altona gekauft. Dort hat bisher der Verein Frappant gearbeitet, subventioniert von der Kulturbehörde. Da die Förderung aber auslief, musste eine Lösung her. Wir sind dann im Jahr 2013 in Verhandlungen mit der Stadt eingestiegen und haben es tatsächlich geschafft, die Kaserne zu kaufen.
¿Ist das nicht unbezahlbar in Hamburg im Jahre 2015?
Frank: Wir steigen ein mit der der Kampfmiete von fünf Euro Nettokaltmiete, das ist in Hamburg unschlagbar.
Effi : Und das in Altona!
Frank: … einem Ort, der gerade im Moment nur so durch die Decke schießt. Nebenan entsteht mit der Neuen Mitte Altona gerade eine ganze neue Stadt. Wir schaffen ein kleines Gegengewicht im innerstädtischen Immobilienmarkt.
¿Wer genau hat da was gekauft? Und wem gehört jetzt was? Welche Rechtsform hat das alles?
Frank: Es gab viel Diskussion, ob wir das Mietshäusersyndikat ansprechen, welches kollektives Hauseigentum z.B. in Form von GmbHs und Vereinen organisiert. Das haben wir zurückgewiesen. Wir haben uns ausdrücklich für die Genossenschaft als Rechtsform entschieden, weil das die demokratischste Form des Privateigentums darstellt. Hier gilt der Gedanke „Eine Person, eine Stimme“ – egal, wie viel Geld sie mitbringt. Wir verstehen die Genossenschaft als Versuch, zurück zu den alten Kooperativen zu gehen, zu den urmarxistischen Keimzellen des 19. Jahrhunderts, wenn du so willst. Die Ebene des „SichSelbstOrganisierens“, auch rund um die Fragen des Alltages – was man früher schlagwortartig „den Alltag politisieren“ genannt hat, das soll einen organisatorischen Rahmen bekommen. Einigen unserer Genoss*innen wird das manchmal ziemlich viel. Die Mitgliedschaft in der Genossenschaft, das ist für die fast wie die Mitgliedschaft in einer kommunistischen Partei.
¿Bei euch spielt der Begriff der Selbstverwaltung eine große Rolle. Warum?
Effi: Es geht um die „Kreierung“ und „Installierung“ dieser Selbstverwaltung. Das ist momentan tatsächlich die größte Herausforderung. Wenn wir jetzt nicht irgendein TopDownModell praktizieren wollen, müssen wir entsprechende Strukturen in diesem Prozess etablieren. Auf der Basis vorhandener Erfahrungshorizonte und praktiken soll eine Selbstverwaltung ermöglicht werden. Wir haben uns entschlossen, das Gebäude wie eine Stadt in verschiedene Quartiers aufzuteilen, in denen sich jeweils fünf bis dreißig Leute teilautonom organisieren. Durch gegenseitige Besuche können sich die füx*innen kennenlernen und sich in QuartiersVersammlungen sowohl über unterschiedliche Quartiersals auch über genossenschaftsspezifi sche Belange austauschen. Die Miete zahlen die Leute an ihre Quartiers, nicht einzeln an die Genossenschaft. Die Frage, „Was passiert, wenn jemand die Miete nicht zahlt, wer mahnt dann?“, war bei unseren Diskussionen ein großer Konfl ikt. Die Antwort lautete schließlich: „Die Quartiers untereinander.“ Dafür bedarf es einer Sozialität, die so etwas einerseits auffängt und andererseits auch ausfindig macht, wo Versäumnisse vorliegen. Allerdings nicht in Form eines zentralen Kontrollapparates, sondern durch persönlich ausgehandelte oder strukturelle Näheverhältnisse. Es wird also eine andere Instanz imaginiert, die nicht vereinheitlichend wirkt und ohne Figuren eines „mirSagenden“ oder „Mahnenden“ auskommt. Beim Euromayday ging es anfangs zunächst ja vor allem um prekäre Arbeitsverhältnisse, und zwar nicht zuletzt auch um die eigenen. Wie erklärt Ihr den Blickwechsel auf das Thema Stadt und schließlich den Schritt zur Gründung von Lux und Konsorten und fux? Welche politischen Ziele verfolgt Ihr mit alledem?
Frank: Im Hamburger Euromayday haben wir bereits seit 2007 von der „Verräumlichung“ der sozialen Frage gesprochen. Schon damals war klar, dass wir eine Position im Kontext von Recht auf Stadt brauchen, wenn wir uns nicht selbst alle an den Stadträndern wiederfinden wollen, weil wir innerstädtische Mieten nicht mehr zahlen können. Ebenso benötigen wir Auswege, die weiter führen als linke Wohnprojekte aus akademischen Subkulturen mit irgendeiner Vermögensanteile-Rechtsform. Als Selbständige hängt unsere Lebensqualität schließlich nicht nur maßgeblich von unseren Wohnraumkosten, sondern mindestens ebenso sehr auch von den Kosten unserer Gewerberäume ab.
Effi: Wir wollen eine Art Gewerkschaft der Selbständigen vor Ort sein. Unsere Herausforderung besteht darin, aus diesen Räumen mehr zu machen als bloßen Gewerberaum. Die Hauptforderung ist klar: Billige Mieten, die unsere Reproduktionskosten niedrig halten. Wir verdienen keine Millionen, wir wollen mit unserer Arbeit mehr als nur unser Überleben sichern. Wir wollen einfach gut leben. Das ist ein Slogan, den wir auch im Hamburger Euromayday kundgetan haben. Im Gewerbehof wird der allerdings sehr konkret lokalisiert. Wir sind auf den ersten Blick vielleicht nur ein Zusammenschluss von Kultur- und Gewerbetreibenden, die für den eigenen Benefit sorgen. Auf den zweiten Blick verkörpern wir aber nachhaltig eine politische „Haltung“, die aus diversen individuellen oder partikularen Interessen wieder Gesellschaftsfähigkeit produzieren will. Diese Sozialität soll sowohl bei anderen Polit-Generationen als auch bei denjenigen anderen fuxGenoss* innen ankommen, die einfach günstige Arbeitsräume brauchen.
Provokant könnte man Euch ja vorwerfen, mit der Genossenschaftsgründung nur Euren eigenen Arsch ins Trockene gebracht zu haben.
Frank: Das ist unser gutes Recht. Deswegen tun wir das. „Entrechtet und geknechtet“ bin ich selbst genug. Wenn ich nicht in der Lage bin, meine eigene Lage zu verbessern, wie kann ich dann für irgendjemand anders etwas tun? Außerdem ist das doch eine riesige Diskursintervention. Wir schaffen, hier und heute, in dieser Stadt, eine Basis. Wir beweisen, dass es möglich ist, Dinge anders zu machen, als es die herrschende Ordnung die ganze Zeit predigt und durchexerziert. Wir beweisen, dass es auch im Jahre 2015 möglich ist, in der Hamburger Innenstadt zusammenzuleben und dabei nur fünf Euro pro Quadratmeter auszugeben. Uns beschäftigt immer noch die Frage, wie sich das modern prekäre und arbeitende Subjekt, das kein Normalarbeitsverhältnis mit integriertem Betriebskindergarten mehr kennt, politisch organisieren kann. Wie du mit einer zerklüfteten Erwerbsbiographie trotz aller Verpfl ichtungen für Angehörige, Freunde, Kinder, diversen Jobs, Hobbies und Leidenschaften, die Zeit finden kannst, dich mit anderen zusammenzuschließen, um gemeinsam kämpfen zu können. Darum geht es. Ich kann die Reproduktionsnicht von der Organisierungsfrage trennen. Reproduktion bedeutet: meine Fähigkeiten erhalten. Was ist die Reproduktion eines militanten Linken? Sich die Fähigkeit zu erhalten, militant zu sein. Dafür brauche ich Leute, brauche ich Ressourcen, brauche ich Infrastrukturen. George Jackson hatte früher gesagt: „Was sind die wichtigsten drei Dinge für einen Revolutionär? – Connections, Connections, Connections.“ Die klassischen linken Organisierungsprojekte in meinem politischen Umfeld helfen mir dabei nur wenig. Deren Organisationsansatz ist in randstädtischen Milieus und der Provinz vielleicht ein guter Schutz gegen Nazis und ein Projekt gegen kapitalistische Hegemonie. Dafür werden in solchen Gruppen aber vielfache Ausschlüsse produziert, die dann wieder mühsam überwunden werden müssen. Ich überlege auch heute: „Warum sollte ich zu einer linken Organisation gehen?“ Das betrifft nicht nur mich persönlich. Mit welchen Ressourcen, Möglichkeiten und Infrastrukturen kann sie mich versorgen? Sagen wir, ich bin jemand, der aus Kamerun kommt. Ich brauche Papiere, einen Transit, einen Job, eine Bankverbindung, ein Bett. Kann mir eine linke Organisation das geben? Nein. Wofür brauche ich sie dann? Weil die gegen Rassismus sind? Das ist gut. Aber wie helfen die mir konkret? Beschützen die mich? Im besten Fall schicken die mir ein Solidaritätspaket in den Abschiebeknast und machen draußen eine Demo. Ich aber würde doch lieber vermeiden, in den Knast zu kommen. Können die mir dabei helfen? Nee.
Effi: Lass mich noch eine andere Facette reinbringen: Im Organizing-Projekt in der Hamburger SecurityBranche im Jahre 2005 war es ein Riesenproblem, dass die verschiedenen Niedriglohnfirmen sich gegenseitig auch noch unterbieten. Daher haben wir uns bei der Vorbereitung auf das Projekt auf das Ziel eingeschworen, in Gesprächen mit den Wachleuten wenigstens eine Minimalforderung zu formulieren. Damals waren das sieben Euro Stundenlohn, glaube ich. Ausgehend von dieser unteren Schranke konnten wir dann weitergehende Forderungen entwickeln. Diese Logik kann man auf unsere heutige Hauptforderung nach fünf Euro Miete übersetzen. Als wir die Hamburger Bezirkspolitik mit dieser Forderung konfrontiert haben, sind die sofort sehr nervös geworden. Ein FDP-Politiker ist einmal völlig aus der Fassung geraten, als er die Zahl gehört hat. Als würden wir seine heilige Kuh schlachten, wenn wir diese ganze Ökonomie, diese neoliberalen Standards und Verdrängungsmieten in Frage stellen. Wenn wir unser Fünf-Euro-Ziel erreichen, dann zeigen wir, dass das geht. Wir zeigen, dass man nicht zehn Euro Miete bezahlen muss, damit die Wirtschaft hier in dieser Stadt funktioniert. Dass Gewerberaummieten möglich sind, die prekäre Selbstständige auch dann noch bezahlen können, wenn das Arbeitsamt keine Existenzgründungszuschüsse mehr zahlt. Wenn uns das gelingt, werden das andere auch versuchen.
Frank: In diesen städtischen Kämpfen geht es eben nicht nur um abstrakte Rechte. Das Recht auf Stadt ist nicht einfach nur das Recht auf „freie Luft“ im mittelalterlichen Sinne. Es ist der Zugang zu bestimmten, lebensnotwendigen Gütern, die du einfach haben musst. Du brauchst nicht nur ein Dach über dem Kopf, du musst die S-Bahn benutzen dürfen und bezahlen können und so weiter. Wenn das nicht geklärt ist, brauchen die anderen Fragen gar nicht gestellt werden.