Neoliberaler Staat und unternehmerische Stadt

Die Krise hat viele Gesichter. Die Krise der Stadt ist eines von ihnen. Auf dem Terrain der neoliberalen Wettbewerbsstadt verdichten sich unterschiedliche Krisenprozesse. Die Stadt wird damit zu einem Kampffeld um Hegemonie. Deshalb lohnt es sich, einen Blick auf die Zusammenhänge von Krise und Stadt zu werfen. Der Ausgangspunkt ist nicht neu, aber dennoch zu betonen: Die Stadtpolitik folgt seit Jahren einer neoliberalen Logik, die sich vor allem durch eine fortschreitende Privatisierung von Gütern der allgemeinen Daseinsvorsorge auszeichnet. Staatliche Institutionen wie kommunale Verwaltungen ziehen sich aus Bereichen zurück, die vormals durch die ‚öffentliche Hand‘ geregelt wurden. Verantwortung und Einflussnahme werden an private InvestorInnen und Unternehmen abgegeben und die öffentliche Infrastruktur profitorientiert umorganisiert. Die Folgen sind Preissteigerungen und eine Vernachlässigung nicht profitabler Bereiche der Stadt. Der Staat zieht sich aber nicht einfach zurück, er wird selbst nach den Kriterien der Wettbewerbsfähigkeit und Profitorientierung umgebaut.

Gleiches gilt auch für die Städte. Sie sollen sich am Leitbild der „unternehmerischen Stadt“ orientieren, Profit machen und sich in der Standortkonkurrenz durchsetzen. Dazu richtet sich die Stadtpolitik einseitig an den Interessen von InvestorInnen, großen Unternehmen und Besserverdienenden aus. Die Bedürfnisse des Großteils der städtischen Bevölkerung bleiben hingegen unberücksichtig. Es wird bei sozialen und kulturellen Projekten gekürzt, Stadtteile werden einseitig aufgewertet oder vernachlässigt, Mieten steigen, Leute mit wenig Geld oder ausländischem Namen bekommen keine Wohnung mehr, andere müssen umziehen, kleine Kiezläden machen zu, schicke Bars und teure Boutiquen machen auf. Kurzum: Die Städte verändern sich.

Diese Entwicklung geht einher mit verstärkter Überwachung und meist rassistischer Verdrängung ärmerer Bevölkerungsteile aus den attraktiven Gegenden. Neben offen repressiven Maßnahmen wird die soziale Kontrolle der BewohnerInnen durch „Aktivierungsprozesse“ verstärkt. Die so genannten „Quartiersmanagements“ sind zentraler Bestandteil dieser neuen Regierungsform der neoliberalen Stadt.

Die Krise findet Stadt

Als wäre das neoliberale „Unternehmen Stadt“ nicht schon genug, hat das „Krisenmanagement“ der letzten Jahre zusätzliche Löcher in die öffentlichen Haushalte gerissen. Die Rettungspakete für Banken, die Abwrackprämie und die Konjunkturpakete haben hunderte Milliarden gekostet und es wurde schnell klar, dass die Schulden auf die Allgemeinheit verteilt werden. Während die VerursacherInnen und ProfiteurInnen gestärkt aus der Krise hervorgehen, werden die entstandenen Verluste und die Kosten des Krisenmanagements auf die unteren Klassen abgewälzt. Was das konkret heißt, lässt sich zum Beispiel im „Wachstumsbeschleunigungsgesetz“ der schwarz-gelben Bundesregierung nachlesen: Die Schulden werden den Städten und Kommunen aufgebürdet und erzwingen dort weitere Sparmaßnahmen und folgenreiche Einschnitte in den Überresten der öffentlichen Infrastruktur. „Zielgerichtete Steuerentlastungen“ verschärfen die chronische Unterfinanzierung der Kommunen. Dadurch steigt der Druck, kapitalorientierte Politik zu verstärken, weitere Privatisierungen vorzunehmen, im öffentlichen Sektor Lohnkosten zu sparen und bei sozialen und kulturellen Projekten weiter zu kürzen. Die Städte werden sich durch die Folgen der Krise stark verändern.

... und Berlin?

Die Folgen neoliberaler Stadtpolitik sind in Berlin nicht zu übersehen. In der Hoffnung, eine zahlungskräftige Klientel zu gewinnen, werden Steuergeschenke an InvestorInnen verteilt, wie im Falle von Universal und der O2-World. Die Stadtpolitik konzentriert sich auf Imagekampagnen und Großprojekte; angefangen beim Potsdamer Platz, über den neuen Hauptbahnhof und Media-Spree bis hin zum Großflughafen BBI und der Stadtautobahn A100. Diese Projekte sind nicht nur Kostenfaktoren für den maroden Haushalt, sie sind zudem undemokratisch und werden gegen die Interessen der Bevölkerung durchgesetzt. Die Grundlagen dieser Politik reichen Jahre hinter die aktuelle rot-rote Regierung zurück. Bereits die mit dem Bankenskandal verbundene Plünderung der öffentlichen Kassen zur Umverteilung der Verluste der Landesbank führte zu einer Haushaltskrise, welche die Kürzungspolitik und die Orientierung an InvestorInnen als alternativlos erscheinen ließ. Die Politik der Haushaltskonsolidierung wurde zu einem zentralen Hebel neoliberaler Stadtumstrukturierung und unter dem rot-roten Senat als „Sachzwang“ exekutiert. Dieser Trend wird auch nicht gebrochen durch die kleinen Spielräume, welche die rot-rote Politik zu nutzen versucht. Die Folgen sind Kürzungen im sozialen und kulturellen Sektor, schlechte Bildungs- und Betreuungseinrichtungen und eine auch in den meisten anderen Bereichen miserable Infrastruktur, die durch den Privatisierungsdruck weiter verschlechtert wird. Die Folgen tragen vor allem diejenigen, die sowieso wenig haben und genau deshalb auf öffentliche Infrastruktur angewiesen sind. So wird es immer mehr vom eigenen Geldbeutel abhängen, wo und wie man wohnt, ob und in welchem Maß man am öffentlichen Leben der Stadt teilnimmt, welche Gesundheitsversorgung und Bildung man bekommt.

Die Situation wird sich weiter verschärfen; vor allem für diejenigen, die auf staatliche Transferleistungen angewiesen sind. So wurde das Land Berlin gerichtlich verpflichtet, die Hartz-IV-Verordnungen in Bezug auf Wohnraum konsequent umzusetzen. Der bislang recht lockere Umgang des rot-roten Senats mit dieser Frage wird dann ein Ende haben. Stattdessen wird Verdrängung zunehmen und die Anzahl derjenigen steigen, die aus innerstädtischen Wohngegenden ausgeschlossen sind. Was genau das heißt, zeigt sich zum Beispiel in Berlin-Kreuzberg. Hier leben viele von Hartz IV. Trotzdem ist die Gegend mittlerweile auf der map of coolness angelangt und wird mächtig aufgewertet. Es ist absehbar, dass es in dem traditionell durch Subkultur und Nachbarschaftsnetzwerke geprägten Bezirk zu massiver Vertreibung finanzschwacher Haushalte kommen wird, wenn sich die bisherige stadtpolitische Entwicklung, die Privatisierungen und Kürzungen samt der Dynamik ihrer Folgen fortsetzen. Von Zwangsumzügen aus Kreuzberg könnte rund ein Drittel aller BewohnerInnen betroffen sein, schätzen Vereine wie der Kotti e.V. Dann wird nicht nur die links-alternative, sondern auch die über Generationen entstandene deutsch-türkische Kiezkultur verschwinden.

Wem gehört die Stadt?

Es gibt Alternativen zu den aktuellen undemokratischen und unsozialen stadtpolitischen Entwicklungen. Wir setzen auf die Perspektive einer Stadtentwicklung ‚von unten‘ jenseits von Krise und kapitalistischem Sachzwang. Die Frage „Wem gehört die Stadt?“ zielt auf eine radikale Kritik herrschender Eigentumsverhältnisse ebenso wie auf eine radikale Demokratisierung der Stadtgestaltung. Ein „Recht auf Stadt für Alle!“ kann beides verbinden und ein Transformationsprojekt darstellen, das die Grenzen einzelner (Abwehr-)Kämpfe und Milieus überwindet und sie mit einer umfassenden Kritik kapitalistischer Eigentums- und Produktionsverhältnisse verknüpft. Unter der Losung „Right to the city“ formieren sich weltweit Protestbewegungen, welche die Stadt zum zentralen Ort gesellschaftlicher Auseinandersetzungen machen. Zwar geht es häufig um klassische Abwehrkämpfe. Die legitime Wiederaneignung der Stadt bietet aber die Chance, Kämpfe in verschiedenen Bereichen zu verbinden und Forderungen nach einer anderen Stadtpolitik zu grundsätzlicher Gesellschaftskritik zu verallgemeinern.

Unsere Stadt!

Das „Recht auf Stadt“ zielt auf einen Zugang zu einer guten öffentlichen Infrastruktur für alle. Es meint das Recht auf Nichtausschluss von den Qualitäten städtischen Lebens und die Partizipation an Entscheidungen über die Ausgestaltung der Stadt. Dazu müssen Formen entwickelt werden, in denen ausgehandelt und entschieden werden kann, wie das Leben in der Stadt aussehen soll. Umverteilung, Rassismus, Privatisierung und Gentrifizierung ebenso wie die Inwertsetzung nicht profitorientierter Bereiche sind Punkte, die der Kampf um das „Recht auf Stadt“ thematisieren muss. Um Alternativen und Widerstandsperspektiven zu entwickeln, muss die Linke die Konflikte in der eigenen Stadt kennen und in der Lage sein, breite Bündnisse zu schließen. So kann es gelingen, Kämpfe, die direkt auf die Stadt zielen, mit jenen zu verknüpfen, in denen es beispielsweise um bessere Arbeitsbedingungen, Ernährungssicherheit, ökologische Entwicklung oder kostenfreie Bildung und Gesundheitsversorgung geht. Dadurch können Alternativen entwickelt werden, die weit über den Status quo hinausweisen und beispielsweise Fragen nach der Organisierung von Gemeineigentum stellen.

Take back our streets and neighbourhoods

Die Perspektive auf grundsätzliche Veränderung sehen wir in der Zusammenführung von Kämpfen, in denen sich Stadtpolitik mit einer Kritik verbindet, die die bestehende Gesellschaftsordnung in Frage stellt. Im Sinne einer – wie Rosa Luxemburg es nannte – „revolutionären Realpolitik“ wollen wir konkrete Interessen und die Forderung nach kleinen Schritten zur Verbesserung von Lebensqualität in Beziehung zu grundlegenden Transformationen der Gesellschaft setzen. Dabei ist klar, dass es auch das „Recht auf Stadt“ nicht geschenkt gibt. Es muss sich genommen werden und fängt bei kleinen und konkreten Interventionen an. Das kann die Verweigerung eines Zwangsumzugs sein, die Verhinderung von Schließungen lokal verankerter Läden oder der Protest gegen Befriedungs- und Überwachungsmaßnahmen des Quartiersmanagement. Wichtig ist, diese Proteste in den Kontext gemeinsamer Mobilisierungen zu stellen. Am 12. Juni 2010 findet in Berlin eine bundesweite Demonstration im Rahmen der Krisenproteste statt. Das „Recht auf Stadt“ kann ein zentraler Schwerpunkt auf der Demo und in den inhaltlichen Auseinandersetzungen sein.

In Hamburg hat sich bereits in Ansätzen gezeigt, dass eine breite Mobilisierung und Thematisierung unter diesem Label möglich ist. In Berlin haben sich in den letzten Jahren vielseitige Kämpfe und Ansätze von Widerstand entwickelt, denen es gelungen ist, das Thema Stadtumstrukturierung zu einem medial wahrnehmbaren und zwischen den Parteien politisch umkämpften Feld zu machen. Aber es gelingt bisher kaum, die verschiedenen Ansätze und Kämpfe zu verbinden. Ein milieuübergreifender Diskussionsprozess um das „Recht auf Stadt“ ist noch nicht in Sicht. Die derzeitige Krise wird auch das Feld stadtpolitischer Kämpfe radikal verändern: Ihre Folgen werden zu einer Verschärfung der sozialen Gegensätze führen und können die Tendenz zu einer neoliberalen Stadtentwicklung verstärken. Ob es dazu kommt, hängt von den politischen Kräfteverhältnissen ab: Führen die Auseinandersetzungen um die unterschiedlichen Krisen der Stadt zur Stabilisierung neoliberaler Hegemonie oder gelingt es, die sich entwickelnden Kämpfe zu verbinden und gemeinsame Transformationsprojekte zu entwerfen? Die Perspektive eines „Rechts auf Stadt“ lädt ein, daran zu arbeiten und den Kampf um die Hegemonie in der Stadt zu führen.