Im Gespräch
Birgit (49): «Ich lebe seit 2012 poly* wasauchimmerdasmeint. Es gibt verschiedene Aspekte, die ich mit verschiedenen Menschen teile: Wie will ich wohnen, wie arbeiten, Alltägliches teilen, sich wechselseitig inspirieren, sich aufeinander verlassen können, Politisches teilen, Sexualität leben? Sexualität ist nicht der Maßstab für Bedeutung. Es gibt Verschiedenheiten in Bedeutung und Nähe zu verschiedenen Zeiten – und das darf sich ändern. Insofern lebe ich nicht per se hierarchiefrei noch per se gleichberechtigt, ich nenne es konzeptionsfrei.»
Lena (33): «Ich habe mit 24 Jahren beschlossen, nur noch emotional und sexuell offene Beziehungen zu führen und es dann auch so gehalten. Ich habe bereits zweimal mit einem Beziehungspartner zusammen gewohnt und bin letztes Jahr mit meiner siebenjährigen Beziehung ohne Trennung wieder auseinander gezogen. Aktuell bin ich mit den meisten mir am nächsten stehenden Menschen nicht erotisch oder romantisch verbandelt. Mir ist zunehmend unklar, ob ich eine Unterscheidung in Freundschaften und Beziehungen überhaupt noch sinnvoll finde. Ich würde mich am ehesten dem Beziehungsanarchie-Lager zuordnen.»
Philipp (38), «Ich lebe seit circa vier Jahren, nach einer fast zehnjährigen monogamen Beziehung, nicht-monogame Beziehungen. Dabei handelt es sich bisher meist um Primär- und Sekundärbeziehungen, also um hierarchische Modelle. Hierarchiefreie Beziehungen finde ich interessant, allerdings decken sie sich weder mit meinem Erleben noch halte ich sie für mich momentan für praktikabel. Insgesamt handelt es sich eher um eine Suchbewegung danach, ob offene Konstellationen ein dauerhaft tragfähiges Modell für mich sein könnten. Vieles spricht mittlerweile dafür.»
arranca!: ¿Was hat bei euch dazu geführt, offene Beziehungsformen zu leben?
Lena: Für mich war es anfangs der Wunsch, mich sexuell auszuprobieren. Später habe ich von Polyamorie im Internet gelesen und dachte, das klingt für mich passender. Es war motivierend für mich, nicht mehr aufpassen zu müssen, mich nicht zu verlieben oder zu viel zu fühlen. Diese Grenzziehung fand ich immer schwierig, und das hat dann schrittweise zu mehr Offenheit geführt. Außerdem wollte ich nicht das Gefühl haben, für ein Bedürfnis meines Partners, beispielsweise nach einer bestimmten Form von Sex oder Emotionalität, alleine verantwortlich zu sein. Ich wollte Nein sagen können, ohne damit jemand anderem seine Erfüllung wegzunehmen, aber auch ohne mich trennen zu müssen.
Birgit: Ich wollte Sexualität und Beziehung nicht mehr in ein und demselben Paket haben. Ich hatte eine kennengelernt, die Lust auf Sex hatte, aber in einer Partner*innenschaft lebte. Ich kann mich auch leichter einlassen, wenn die Überschrift nicht lautet: Teile demnächst alles Wesentliche miteinander.
Philipp: Bei mir hat sich die Frage nach offenen Beziehungen gemeinsam mit meiner damaligen Partnerin am Ende einer zehnjährigen monogamen Beziehung gestellt. Zwar haben wir uns getrennt, bevor eine Praxis draus wurde, aber trotzdem war das eine Art Dammbruch: Vieles was ich mir, nicht zuletzt aufgrund der mich umgebenden Normen, nicht eingestehen konnte, wurde auf einmal sagbar und damit möglich. Auch wenn es mir zunächst primär um Sexualität ging, hat es sich aber dann in Richtung paralleler, wenn auch hierarchischer, intimer Beziehungen entwickelt.
¿Ist euch der Anfang leicht gefallen? Oder wo lagen die Schwierigkeiten und wie seid ihr ihnen begegnet?
Lena: Für mich stand anfangs erst einmal ein sehr großes Gefühl von Stimmigkeit. Das lag sicher auch daran, dass ich nicht eine monogame Beziehung geöffnet habe, sondern nur noch emotional und sexuell offene Beziehungen mit Menschen begonnen habe, die von diesem Konzept ebenfalls überzeugt waren. Für mich kamen die wirklichen Schwierigkeiten erst, als die Beziehungen tiefer wurden und sich mit der Zeit auch Erwartungshaltungen gebildet hatten. Am Anfang in einer Beziehung steht für mich noch nicht so viel auf dem Spiel, da kann ich mit vielen Themen lockerer umgehen. Wenn mir dann jemand sehr ans Herz gewachsen ist – und umgekehrt – dann wird es für mich schwieriger.
Philipp: Bei mir war es auch so, dass ich die Beziehungen von Anfang an offen geführt habe. Monogame Beziehungen zu öffnen, klappt ja, wenn ich mich umschaue, meist nicht so gut, zumal der Wunsch nach Öffnung selten von beiden Partner*innen gleichermaßen kommt. Trotzdem habe ich ein paar klassische Anfänger*innenfehler gemacht, vor allem wenn es darum ging, vermeintlich allen Bedürfnissen gerecht zu werden. So wollte ich meiner Partnerin zuliebe die Kernbeziehung temporär schließen, was die anderen Beziehungen zum Spielball einer Dynamik gemacht hat, auf die sie keinen Einfluss hatten. Damals war ich im Sprechen weniger geübt, sonst wäre das vielleicht nicht passiert. Ich habe so gelernt, dass der Weg eigentlich über mehr Sprechen und Aushandlung hätte gehen müssen. Das würde ich heute sicher nicht mehr so machen. Überhaupt: Die Bedeutung des miteinander Sprechens, und sich immer wieder herauszufordern, Scham und normative Sozialisation zu überwinden, scheint mit die wichtigste Erkenntnis zu sein.
Birgit: Ich fand den Anfang auch leicht – aus ganz anderen Gründen: ich war Single und kam in eine offene Poly-Geschichte dazu. Ich habe einfach erst mal akzeptiert, wie die Ihrs gemacht haben und welchen Platz ich darin hatte. Ich fühlte mich weder besonders verantwortlich, noch hatte ich den Anspruch, darin viel zu verändern. Ich war zweimal «die Dritte», was ich nicht unkomfortabel fand. Als dann jemand dazu kam, mir gegenüber sozusagen die*der Dritte war, kam ich aber erst mal ganz schön ins Schleudern, wusste weder, was ich will, noch was ich ethisch ok finde.
Ich habe aber superfrüh – durch meine erste «Partnerin» – eine Community gefunden. Dadurch fühle ich mich sehr getragen und wenig allein. Es gibt dort so ein Gefühl von: «Ich habe mit diesem ganzen Haufen oder jedenfalls mit vielen darin eine Beziehung». Echt reden und echt zuhören und verstehen wollen, sind unfassbar kostbare Dinge. Gilt natürlich auch in Wirklichkeit für alle Beziehungen, aber ich habe immer wieder den Eindruck, Poly-Leben-Wollen bringt Herausforderungen auf den Punkt, macht sie genauer.
«Die Möglichkeit offen mit anderen Menschen, die das auch leben, darüber zu reden, fand ich immer hilfreich. Über Mono-Beziehungen kann man mit fast allen Leuten sprechen, Poly hat sich da für mich immer viel mehr nach im Dunkeln tappen angefühlt.»
Philipp: Mit der Community sprichst du einen wichtigen Punkt an! Die Möglichkeit, darüber offen mit anderen Menschen, die das auch leben, zu reden, fand ich immer hilfreich. Über Mono-Beziehungen kann man mit fast allen Leuten sprechen, Poly hat sich da für mich immer viel mehr nach im Dunkeln tappen angefühlt.
Lena: Noch ein «Anfänger*innenfehler», auch wenn der bei mir erst nach ein paar Jahren Poly passiert ist: «im Dreieck kommunizieren». Das hatten wir ein paar Jahre lang vorher gelegentlich gemacht, und ich hatte auch schon Personenkonstellationen, mit denen das gut funktioniert hat. Also wo X dem Y auch mal erzählt, was mit Z ist und dann im Kreis herum. Ich bin damit inzwischen viel vorsichtiger geworden, weil mir das einmal massiv um die Ohren geflogen ist.
Birgit: Jo, kann ich mir vorstellen. Was ich auch ganz schön finde, ist, die andere Person, die die mir nahestehende Person toll findet, auch kennenzulernen, mich auch mal mit der alleine zu treffen. Ich finde es schön, weil es die andere Person so menschlich macht und Projektionen minimiert, insbesondere wenn man merkt, dass sich alle Beteiligten wohlwollend gegenüber stehen. Beide finden dieselbe Person toll, das ist schon mal eine Gemeinsamkeit.
¿Hat sich die Art und Weise der Beziehungen, insbesondere im Hinblick auf eure Einstellung zu Hierarchien und Transparenz, im Laufe der Zeit verändert?
Lena: Seit dem Ende meiner ersten Beziehung, die mehr Probieren als klarer Wunsch nach Polyamorie war, waren meine Beziehungsideale, oder Wünsche, eigentlich recht konstant. Die habe ich direkt am Anfang kommuniziert und mich im Zweifel auch nicht auf eine Beziehung eingelassen, wenn die Vorstellungen zu weit auseinandergingen. Aber natürlich gab es immer wieder auch Experimente, die davon abgewichen sind. Manchmal ist es nicht besonders hilfreich, Ideale einfach durchzuexerzieren.
Birgit: Schwierige Frage. Klar hat sich was verändert, aber ich bin mir nicht sicher, ob ich mich allgemein weiterentwickle, oder ob sich «nur» diese oder jene Beziehung verändert. Ich bin auf jeden Fall eine Vertreterin großer Transparenz. Wir – in meinem Haufen – sprechen zuweilen darüber, ab wann es wichtig ist, einer nahen Person zu erzählen, wenn es eine neue wichtige Person gibt. Ich würde von dem tollen Film, der neuen Politgruppe, dem Musikmachen mit Xy erzählen, aber wenn ich jemand interessant finde, nicht? Umgekehrt: wenn ich es tue, heißt das, wirklich was zu teilen, umeinander zu wissen. Diese Offenheit macht mir am wenigsten Angst, da nichts plötzlich passiert.
Lena: Das geht mir genauso. Wenn die Begeisterung da ist, will ich auch lieber so richtig begeisterte Erzählungen von den neuen Flammen meiner Liebsten hören als zurückhaltende, vorsichtige Bemerkungen. Ich habe oft das Gefühl, dass meine emotionale Reaktion stark davon abhängt, in welchem Tonfall, mit welcher Färbung eine Botschaft rübergebracht wird: Wenn mit Zurückhaltung und ängstlich erzählt wird, werde ich misstrauisch, ob da nicht vielleicht noch viel mehr ist, was nicht ausgesprochen wird.
Philipp: Für mich funktioniert es auch nur mit Transparenz, und momentan geht es bei mir eher darum, da ein Maximum auszuloten. Nicht zuletzt berührt das auch die eigenen Ängste und Probleme, und für mich scheint Transparenz der beste Weg zu sein, mit diesen umzugehen. Gleichzeitig ist das eine zentrale Erfahrung, die ich in offenen Beziehungen gemacht habe: So oft auf mich selbst verwiesen zu sein, derart viel über mich und meine Ängste zu lernen, und mich so auch längerfristig zu entwickeln – mehr bei mir selbst zu sein. Das ist nicht mein Grund für offene Beziehungen, aber einer der großartigsten «Nebeneffekte».
Lena: Transparenz hat aber auch die Gegenspielerin Privatsphäre. Ich hatte zum Beispiel mal eine Partnerin, die nicht wollte, dass ich irgendwas über unsere Sexualität an andere Beziehungspartner*innen weitererzähle. Das finde ich schon auch wichtig zu respektieren.
¿Eine der ersten Fragen, die mensch als Teil Offener Beziehungen hört, ist die nach der Zeit. Wie schafft ihr es, allen Partner*innen gerecht zu werden? Welche Rolle spielen dabei Lohnarbeit und Self-Care?
Lena: (lacht) Ich hatte ganz am Anfang meiner Polykarriere gehofft, dass ich jetzt «nie wieder zu jemandem ‹Nein› sagen muss, wenn ich ein inneres ‹Ja› empfinde». Das war eine zünftige Illusion. Nur die Gründe haben sich geändert: Die Grenzen kommen nicht mehr von außen, sondern daher, dass ich mein Leben anschaue und mir denke: Wow, ich habe gerade echt zu tun mit Arbeit und den bestehenden Freundschaften und Beziehungen, da ist gerade gar kein Platz, mich auf noch einen zusätzlichen Menschen einzulassen.
Birgit: Aus nicht so gelungenen Zeiten kenne ich ein zähes Ringen um Zeit. Ich arbeite tatsächlich auch sehr viel – das ist auch eine Art Liebesbeziehung, denn ich arbeite leidenschaftlich gern. Das hat auch damit zu tun, dass ich die erste Person in meinem Leben bin. Mir ist wichtig, mich im Setzen meiner Prioritäten und Wünsche frei fühlen zu können. Die mir nahestehende Person lebt 800 km weit weg, und ist nur ab und zu hier. Genau dann bin ich aber womöglich nicht am selben Ort oder will auch andere Menschen treffen. Dass das so «sein darf», ist für mich große Freiheit und macht Lust, sich zu begegnen.
Philipp: Ich habe das Glück, relativ flexibel mit meiner Zeit zu sein. Ich bin selbständig und merke zumindest an dieser Stelle, was das für ein Segen ist, denn meine Partnerin arbeitet 100 Prozent im Schichtdienst. Wäre ich nicht so zeitlich flexibel, wüsste ich nicht, wie diese Beziehung klappen sollte. Und da stimme ich dir zu, Birgit: Für sie sind Job, politisches Engagement und Sport dann auch eine Art weiterer Beziehungen.
Lena: Was mir auch entgegen kommt, ist, dass mir tendenziell die Qualität der Begegnung miteinander wichtiger ist als die Häufigkeit oder Dauer. Das macht es für mich recht passend, mehrere, zeitlich nicht so intensive, emotional aber sehr wohl sehr erfüllende Beziehungen zu führen. Das funktioniert vermutlich schlechter für Menschen, bei denen das Gefühl von Intensität eher daher kommt, dass der*die Partner*in «immer» da ist. Ich merke aber schon auch, dass ich während Studium und Selbständigkeit mehr Kapazitäten für Beziehungen hatte. Jetzt arbeite ich 30 Stunden pro Woche fest und wüsste nicht, wie ich neben meiner Partnerschaft und meinen wichtigen freundschaftlichen und familiären Beziehungen und loseren, aber geschätzten Kontakten noch eine weitere Beziehung oder intensive Affäre haben sollte.
Philipp: Du sprachst gerade von Qualität. Bei den unterschiedlichen Zeitkontingenten in meiner Kernbeziehung merke ich, wie wichtig es ist, sich immer wieder aktiv Zeit und Räume zu schaffen, in denen man sich gemeinsam entwickeln kann. Die Gefahr – egal ob bei Mono oder Poly – in solch einer Situation in Alltäglichkeit zu rutschen, ist immens.
¿Wie geht ihr mit möglichen Ungleichgewichten um? Wie mit potenziell unterschiedlichen Bedürfnissen?
Birgit: Da ich nicht die Regel habe, dass Ungleichgewichte nicht sein sollen, habe ich da kein prinzipielles Problem mit. Ehrlichkeit und Gucken, was man miteinander teilt, was sich wirklich gut anfühlt – das finde ich wichtig. Emotional unterschiedliche Bezogenheiten aufeinander finde ich auch okay. Man könnte auch umgekehrt fragen: Wer ist eigentlich je auf die Idee gekommen, dass da Gleichheit «normal» wäre?
Lena: Ich war lange in der Situation, dass mein Partner noch eine zweite feste Beziehung hatte, die zeitlich und emotional ähnlich intensiv war. Ich hatte in der Zeit aber meinen Fokus woanders, weil ich mich beruflich umorientiert habe und gut beschäftigt war. Ich hatte andere Bedürfnisse zu der Zeit – wäre ja doof, wenn er deswegen seinen nicht hätte nachgehen können. Schwierig ist es für mich nicht, wenn etwas «unausgewogen» ist, sondern wenn ich nicht haben kann, was ich mir wünsche.
Philipp: Die Frage kommt mir vor allem wegen der unterschiedlichen Zeitressourcen in meiner Beziehung bekannt vor. Da merke ich den krassen Stellenwert von Arbeit in dieser Gesellschaft – die ist immer erst mal gesetzt, Verhandlungsmasse ist die Freizeit. Klar, die ist auch einfacher verhandelbar, und ab da bleibt es eine Frage der Prioritätensetzung. Wenn die dann freiwillig auf anderes fokussiert, ist das okay. Wollen aber nicht können fühlt sich allerdings nicht so gut an.
¿Da liegt das Thema Eifersucht nah. Wie ist das bei euch? In welchen Momenten spürt ihr sie, und wie geht ihr damit um?
Birgit: Eifersucht kommt dann auf, wenn ich Angst kriege, etwas nicht zu wissen oder Angst um mein Geliebtwerden, meine Position habe. Was hilft ist reden. Dabei geht es nie darum, dass die andere Person etwas unterlassen soll, sondern darum, dass sie mich rückversichern kann. Ich kenne verschiedene Absprachen sich gegenseitig Bescheid zu sagen, wenn eine andere Person getroffen wird. Später dann weniger Absprachen – das darf sich entwickeln.
«Eifersucht kann aber auch ein Zeichen dafür sein, dass wirklich etwas schief hängt. Deswegen finde ich es nicht gut, sie grundsätzlich als ein unerwünschtes Gefühl, das beruhigt gehört, wegzufegen. Aber eben auch nicht unhinterfragt ernstnehmen.»
Lena: Ich hätte erst mal eine Anti-Strategie. Die Poly-Online-Foren und die Ratgeber sind so dermaßen voll mit Idealen und inspirierenden Geschichten, wie es gut klappen kann. Ich bin leider furchtbar anfällig dafür, eine von den «Guten», «Fortgeschrittenen» und «Reflektierten» sein zu wollen. Von diesen hohen Idealen habe ich mich manchmal verleiten lassen, meine eigene Eifersucht nicht wahrzunehmen, weil ich drüber stehen wollte. War keine gute Idee. Deswegen lautet die wichtigste Strategie vielleicht umgekehrt: Eifersucht erst mal annehmen. Nett zu mir selbst sein. Mir die Eifersucht erlauben. Und dann reden, genau wie Birgit sagt, ohne das Ziel, die Trigger der Eifersucht gleich wegregeln zu wollen. Eifersucht kann aber auch ein Zeichen dafür sein, dass wirklich etwas schief hängt. Deswegen finde ich es nicht gut, sie grundsätzlich als ein unerwünschtes Gefühl, das beruhigt gehört, wegzufegen. Aber eben auch nicht unhinterfragt ernstnehmen. Eben immer im Einzelfall anschauen.
Philipp: Reden – da bin ich dabei! Ich glaube auch nicht, dass Eifersucht irgendwann einfach weg ist. Es geht mehr darum, einen Umgang damit zu finden. Ich ärgere mich meist über mich selbst, wenn sie dazu führt, dass ich ungerecht werde. Zum Glück merke ich das meist rechtzeitig und dann ist reden angesagt. Was ich gefährlich finde ist, seine Eifersucht zu rationalisieren, sie also nicht in ihrer Blödheit anzunehmen, sondern vielmehr nach – am besten politisch potenten – Gründen zu suchen, weshalb die eigene Verletztheit gerechtfertigt ist. Im konkreten habe ich auch die Erfahrung gemacht, dass es sehr helfen kann, die Trigger, die ja meist in den eigenen irrationalen Ängsten liegen, zu ergründen und sich kleine Workarounds zu bauen. Es lief bei mir zum Beispiel mal auf die Vereinbarung hinaus, dass meine Partnerin mir eine Woche täglich eine Sms vorm Schlafengehen geschrieben hat. Das ist natürlich eine überhaupt nichts aussagende Pärchen-Routine, aber mir hat es in dem Moment geholfen, und für sie war es keine sonderliche Einschränkung. Beim nächsten Mal wars dann auch schon einfacher.
¿Meint ihr, das alles hat auch etwas mit Privilegien zu tun? Offene Beziehungen finden sich ja beispielsweise vermehrt in urbanen Mittelklassemilieus. Aber auch in Bezug auf beispielsweise Gender scheint diese Frage interessant zu sein.
Lena: Ich habe ’nen Haufen Privilegien, insofern bin ich halt eine von denen, bei denen da tendenziell weniger Konflikt ist. Und mit Privilegien meine ich einerseits so Sachen wie guter Job und deswegen Geld, Bildung, Staatsangehörigkeit, die mir einfach allgemein das Leben leichter machen und den Rücken freihalten. Aber eben auch die Tatsache, dass ich in einem stabilen und liebevollen Elternhaus großgeworden bin und deswegen erst mal viel Grundvertrauen in Beziehungen mitbringe. Oder dass ich sowieso zu einer hyperexpliziten Kommunikationsweise neige. Das spielt mir für unkonventionelle Beziehungsformen einfach in die Karten.
Birgit: Dass die Art, wie ich Beziehung lebe, mit meinem sonstigen Dasein in der Welt zu tun hat – einschließlich der Privilegien, Möglichkeiten, Geld, Zeit – finde ich durchaus naheliegend. Die Fragen rund um Grenzen, «Ja» und «Nein» sagen, zu sich stehen, Gewalt, Verantwortung, Handlungsfähigkeit und so weiter, beschäftigen mich politisch, persönlich und beruflich sowieso die ganze Zeit. Das ist ein Privileg, aber auch etwas erkämpftes. Zugleich bin ich als Lesbe beziehungsweise queere Femme nicht mit Cis-Männern zusammen. Diese spezifische Form von Auseinandersetzung habe ich in nahen sexuellen Beziehungen also nicht. Das klingt jetzt megaflapsig und ist irgendwie auch schräg. Innerhalb der queeren Community, in der ich mich ja nun mal auch bewege, ist es auch kompliziert, Gefühlslagen und Verhaltensweisen so schlicht zuzuordnen.
Lena: Es kommt vielleicht auf die Art des «Poly» an. Diese spezielle Variante, die so sehr auf Selbstverwirklichung, Individualität und Autonomie abstellt, ist sicher nicht aus jeder gesellschaftlichen Position gleichermaßen zugänglich. Eigentlich müsste man die Frage nach den Privilegien denjenigen stellen, die selbst weniger davon haben. Aber Poly kann ja auch ein erweitertes Unterstützungsnetzwerk sein, was eher dabei hilft, Widrigkeiten gemeinsam zu trotzen.
¿Meint ihr eigentlich, dass mit der zunehmenden Popularität und Akzeptanz Offener Beziehungen auch eine gewisse Poly-Normativität entsteht?
Lena: Ich denke, überall, wo sich Gruppen und Communities bilden, bilden sich auch Normen heraus. Ich finde das nicht per se schlimm. Ich glaube auch, der Versuch, es um jeden Preis zu vermeiden, führt eher zur Selbsttäuschung als zu Sinnvollem. Mir ist es lieber, sich dessen einfach bewusst zu sein und in diesen Communities auch die Fähigkeit zu kultivieren, Normen zu hinterfragen und neu zu verhandeln.
Philipp: Ich denke schon, ganz wie Lena, dass sich auch dort Normen herausbilden. Sexpositivität kann ja beispielsweise auch einen unguten Druck entfalten, sexuell aktiv, erfolgreich, und erfüllt zu sein. Und trotzdem ziehe ich das der verklemmten Sexualmoral meiner Kindheit auf jeden Fall vor. Ich glaube solche Ambivalenzen stecken da immer drin. An dieser Stelle finde ich es wichtig zu sagen, dass Monogamie ja auch nichts verkehrtes ist. Egal ob Mono oder Poly geht es ja in erster Linie um eine bewusste Entscheidung.
¿Und wie politisch ist eigentlich Poly?
Birgit: Nicht per se. Es hat ein politisches Potential, aber es kann auch strunzdoof gelebt werden, schmerzhaft und rücksichtslos. Das Potential liegt darin zu lernen, über uns hinaus zu wachsen, genauer zu werden und gleichzeitig großzügiger, mehr bei uns und dem*der anderen zu sein.
Lena: Dem «nicht per se, aber es hat Potential» stimme ich zu. Meine Beziehungen dürfen gern durch ihr So-Sein politisch wirksam sein. Aber mir ist wichtig, dass die Beziehungen im Vordergrund stehen und nicht eine politische Agenda.
Anders leben mit Kindern (arranca! #49)
Der Aspekt «Polybeziehungen zu Menschen mit Kindern» kommt in diesem Gespräch nicht zur Sprache, weshalb wir euch in dieser Frage das Interview «Anders leben (auch) mit Kind(ern)» aus arranca! #49 empfehlen!