1

Das Ende des Realsozialismus ist kein Ende der Kämpfe um Befreiung. Die Bemühungen, die bestehenden Verhältnisse radikal umzuwälzen wird es immer wieder geben. Aus diesem Grund wird die nicaraguanische Revolution mit Sicherheit nicht die letzte der Geschichte sein. Es gibt auch heute emanzipatorische Bewegungen auf der Welt, die das bestehende System (nicht unbedingt in diesem Jahrhundert) kippen können.

2

Es ist unübersehbar, daß sich die Bedingungen für revolu­tionäre Bewegungen in den letzten Jahren grundlegend verändert haben. Durch das Scheitern des Realsozialismus sind bisherige Spielräume wie Grenzen für revolutionäre Bewegungen verschwunden und durch neue ersetzt worden. So gibt es heute weder die positiven Auswirkungen eines Alternativmarkts RGW (als Spielraum für unabhängig gewordene Länder) noch die negativen einer Ordnungszentrale Moskau, die revolutionäre Bewegungen zurückpfeift und Prozesse blockiert, wenn es ihre Interessen verlangen. (Wie es z.B. 1945 in Italien und Griechenland der Fall war und von Moskau mit Jugoslawien versucht wurde).

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Die stattgefundenen Verän­derungen sind damit nur insofern epochal, als sich die Bedingungen für emanzipato­rische/revolutionäre Bewegungen verän­dert haben, nicht aber in dem Sinn, daß die Möglichkeiten und Notwendigkeiten radikaler Umwälzung verschwunden wären. Neukonstituierung ist in diesem Sinne notwendig, weil viele Positionen in der Linken sich letztendlich immer noch an nicht mehr bestehenden Verhältnissen orientieren: die Position zum Realsozialismus, die Einordnung in den Blockkonflikt, das Verhältnis zur RAF, die Rolle der Befreiungsbewegungen im Trikont.

Dazu kommen die inneren Verän­derungen in der BRD. Die Streitfragen Engagement in den Grünen- ja oder nein­, Bedeutung von Klassenkämpfen versus soziale Bewegungen haben ihre Brisanz verloren.

Auch die Autonomen, die sich lange aus den Mythen der Jugendrevolte der 80er ernährten und im alternativen Milieu überwintern konnten, verlieren zusehends ihre ehemaligen Bezugs­punkte. Diese Veränderungen in der globalen Situation, die Entwicklungen in der BRD, die sich neu stellende soziale Frage, die Annektion der DDR (die mit einem brutalen Identitätsverlust verbunden ist), die Veränderung von Klassenverhältnissen vor allem durch die Migration aus den osteuropäischen Ländern und die faschistische Offensive bedingen, Umbrüche und Neudefinierungen in der Linken. Neukonstituierung wäre also vor allem als ein Prozeß zu verstehen, die Um­wälzungen wahrzu­nehmen und beste­hende Identifikationsmuster umzuwerfen. Die Kategorisierung der Linken in Antiimps, Autonome, Revis, vielleicht noch Ökolinke und jenseits davon „VerräterInnen“ ist in dieser Form nicht mehr als eine Worthülse.

4

Für den angesprochenen notwendigen Neukonstutiuierungsprozeß ist die Auseinandersetzung mit dem ganzen Reichtum linker Geschichte unverzichtbar. Wenn emanzipatorische Bewegungen Fehler nicht wiederholen wollen, müssen sie den Entwick­lungsgang bisheriger Befreiungsversuche (von den Sklavenaufständen und Bauernkriegen über den Realsozialismus bishin zu den italienischen und iberischen Kämpfen der 60er und 70er oder den so unterschiedlichen antiimperialistischen Revolutionsversuchen wie der Agarsozialismus in Tanzania und Burkina Faso, den RGW-orientierten Angola, Vietnam usw. und den sogenannten „3. Wegen“ wie in Nicaragua) kennen und kritisch hinterfragen. Dabei wäre meiner Ansicht nach vor allem zu berück­sichtigen, welche materiellen Grundlagen zu was für Entwicklungen geführt haben, welche Probleme sich einer emanzi­patorischen Bewegung auch heute ganz ähnlich wieder stellen und welche alternativen Antworten auf diese äußeren Zwänge (z.B. der überall eingetretenen äußeren Einkreisung) denkbar sind. Ganz entscheidend ist in diesem Zusammenhang die Auseinandersetzung mit dem Realsozialismus. Nicht weil der in den meisten Ländern ein verteidigenswertes Gesellschaftsmodell darge­stellt hätte, sondern weil sein Ursprung - die russische Revolution 1917 - als der bisher größte Versuch von Befreiung zu betrachten ist. Mehr als an den kurz­weiligen und schnell besiegten revolu­tionären Strohfeuern, läßt sich an den realsozialistischen Gesellschaften Ruß­lands, Chinas, Cubas oder Jugoslawiens gerade aufgrund ihrer zahlreichen „Fehlentwicklungen“ (gemessen an den ursprünglichen Hoffnungen) lernen. In diesem Zusammenhang halte ich es im übrigen für relativ überflüssig (und falsch), die Entwicklungen in den realsozialistischen Staaten vor allem mit dem Stalinismus und/oder aus den „Machtam­bitionen“ der Führer der jeweiligen führenden Parteien erklären zu wollen.

5

Die Entwicklung in der SU (eine weitgehend terroristisch durchgesetzte Industrialisierung, Herausbildung einer neuen herrschenden Klasse, Entstehen eines Unterdrückungssystem neuen Typus) erklärt sich einerseits stark aus externen, von den Bolschewiki kaum zu beeinflussenden Faktoren: der äußere Angriff und die inneren Widersprüche zwischen Stadt und Land, zwischen Völkern und Zentrale förderten die Durchsetzung eines repressiven Modells. Dazu kam die Notwendigkeit, als isoliertes Land, wirtschaftliche Autarkie, d.h. Entwicklung einer eigenen Schwer­industrie um jeden Preis, zu erlangen. Neben den verschieden externen Faktoren aber spielt auch das Politik­verständnis der Bolschewiki eine wesentliche Rolle. Die italienische Kommunistin Rossana Rossanda attes­tierte den realsozialistischen Parteien 1971 in ihrem Aufsatz Probleme der Demokratie und der Macht in den Übergangsgesellschaften sehr passend „einen verengten Revolutionsbegriff“, der sich auf politische Machtübernahme und Verstaatlichung des Privateigentums beschränke. Meiner Ansicht nach hat der Revolutionsbegriff der KPdSU (und damit auch späterer kommunistischer Parteien, z.B. der PC Cubas) mit einer wirklichen gesellschaftlichen Umwälzung nur vordergründig zu tun. Die Regierungs­übernahme als solche stellt die Verhältnisse nicht in Frage. Revolution ist ein breiter, subjektiv erfahrbarer Prozeß der radikalen Veränderung aller Lebenssphären, nicht nur die Absetzung der Regierung und die Vergesellschaftung von Eigentum. Revolution ist ein langwieriger Prozeß ohne klaren Anfang und Ende. In diesem Sinne würde ich die These Rossana Rossandas unterstützen, daß „die Machtübernahme zwar notwendiger, aber nicht hinreichender“ Bestandteil von Revolution ist.

6

Auf der Grundlage dieser Definition war die russische Revolution genau wie beispiels weise die chinesische, nicaraguanische oder algerische (um vier sehr unterschiedliche zu nennen) nicht mehr als ein Regierungsumsturz, der es für eine Übergangsphase ermöglichte, zahlreiche gesellschaftliche Verhältnisse in Frage zu stellen und anzugreifen. Zu einer bleibenden tiefschürfenden Veränderung kam es (außer in Teilaspekten) jedoch nicht. Die Geschlechterherrschaft blieb bestehen, die Produktionsformen in der Industrie, die Gestaltung des städtischen Alltags, die Technikkonzepte blieben dem modernen Kapitalismus vergleichbar.

- Wenn man den Begriff Revolution dagegen nicht wertend definiert, also wie beim Begriff bürgerliche Revolution einfach nur einen Übergang von einer unterdrückerischen Gesellschaftsfor­mation zu einer anderen meint, waren die sozialistischen Revolutionen des 20.Jahrhunderts wie die französische Revolution 1789 die Festschreibung neuer, in Grundfragen jedoch mit den Prinzipien der vorhergehenden Gesell­schaftsformation in vielen Aspekten vergleichbarer Verhältnisse.

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Der Realsozialismus, aber auch Fälle wie Nicaragua haben gezeigt, daß Umstürze, die nicht von einer breiten Mehrheit ge­tragen werden, entweder repressiv werden oder wie in Nicaragua auf halbem Weg stecken bleiben. Damit ist nicht gemeint, daß in Rußland, Cuba, Nicaragua usw. die Bevölkerungsmehrheit nicht für einen Sturz der alten Regierung gewesen wäre. Auch die Bolschewiki hatten im Herbst 1917 ein Mehr­heitsvotum in den Räteversammlungen hinter sich. Das Problem war, daß diese Unterstützung keine Übereinstimmung über die aufzubauende Gesellschaft beinhaltete, sondern sich auf die gemeinsame Ablehnung des bestehenden beschränkte. Die für eine Umwälzung notwendige Hegemonie linker Ideen beinhaltet daher auch eine Einigung über anzustrebende Ziele. Nicht nur- Agrarreform und Friedensschluß (wie in Rußland), sondern auch (klar benannte) sozialistische Ziele müssen von Mehrheiten geteilt werden, wenn der Weg der Bolschewiki nicht wiederholt werden soll. Die revolutionäre Linke muß daher nicht nur um einen Konsens auf der niedrigsten Stufe (gegen Somoza und für Gerechtigkeit), sondern auch für einen gesellschaftlichen Konsens in den langfristigen Zielen kämpfen. D.h die politische Diskussion kann nicht zugunsten notwendiger Effizienz in der Tagespolitik zurückgestellt werden.

8

Für eine umfassende Umwälzung der Verhältnisse ist es in diesem Sinne auch notwendig, daß sehr viel mehr Menschen als in bisherigen revolutionären Prozessen selbst zu Handelnden werden. Diese notwendige aktive Beteiligung an gesellschaftlicher Befreiung beinhaltet, daß in der Gesellschaft vorhandene Widersprüche auch nach Umstürzen, bzw. vor allem dann, ausgetragen werden müssen. Sobald unterschiedliche Erfahrenswelten und Bedürfnisse nicht mehr durch administrative Verordnungen der führen­den Partei künstlich begradigt werden, stellt sich Unruhe ein: in der SU krachten Stadt und Land aufeinander, in der chinesischen Kulturrevolution begannen Jungarbeiterinnen und Facharbeiterinnen zusammenzustoßen, die heutigen Konfliktlinien würden wohl vor allem patriarchale und rassistische Unterdrückung oder die immer größere Diskrepanz zwischen Individuum und Gesamtgesellschaft zur Grundlage haben.

9

Befreiung bedeutet, daß diese Widersprüche nicht von oben zugunsten notwendiger Stabili­tät „für erledigt erklärt werden können“. Zwar muß sich eine nach­revolutionäre Gesellschaft schützen, d.h. wenn sie im inneren Chaos versinkt, geht sie unter, aber sie kann dies nicht repressiv tun. Die subjektive, von jedem Individuum erlebbare Seite der Befreiung ist zwar nicht der einzige Maßstab für gesellschaftliche Veränderung, aber eine in der Geschichte der realsozialistischen Staaten so gut wie gar nicht berück­sichtigte. Die Aufgabe einer nachrevo­lutionären Regierung (eine Revolution, bei der sich auf der Stelle alle Formen institutionalisierter Gesellschaft wie Staat und Regierung auflösen, ist heute nicht vorstellbar) bestünde gerade darin, die Phase gesellschaftlichen Aufbruchs zu verlängern. Die Erfahrung zeigt, daß in Nicaragua, Spanien und Portugal in den 70ern während der Umbruchsmomente ein massiver Räte- und Selbstverwal­tungsenthusiasmus ausbrach, der durch die Politik führender Parteien, aber auch durch ganz normale Ermüdung (Verant­wortung ist ganz einfach Scheiß an­strengend) innerhalb von 2 Jahren fast vollständig wegbrach. Wenn die Linke überhaupt eine Aufgabe hat, dann ist es die, diesen Zusammenbruch zu verhin­dern und dafür zu kämpfen, daß mehr Menschen über die unmittelbare Auf­bruchsstimmung hinaus Verantwortung tragen. Das macht sie nicht, indem sie eigene Kader an die Spitze entstehender Initiativen stellt, sondern nur indem sie das Entstehen organischer Intellektueller (wie es bei Gramsci heißt) fördert.

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Veränderung des Alltags, d.h. von Liebe, Sexualität, Arbeit, Kollektivverhalten usw. bedeutet langfristiger Lernprozeß. Ein Dualismus Schwein oder Mensch wie ihn der RAF-Militante Holger Meins vor bald 20 Jahren formuliert hat, gaukelt vor, man müsse sich nur entscheiden, auf welcher Seite man steht. Man springt sozusagen vom alten ins neue. Mit der Realität hat die Vorstellung allerdings so gut wie nichts zu tun.

Der unmittelbare Übergang zum „neuen, guten und kollektivistischen Menschen“ ist eine Illusion und führt als Anspruch geradewegs hinein in die Selbstüberforderung. Unter den be­stehenden Verhältnissen von Sozia­lisierung, gesellschaftlichem Druck, aber vor allem von real bestehenden Macht­verhältnissen in Form von Familie, Arbeitsverhältnissen, Staat, Medien und Repressionsinstrumenten können wir nicht,- nur weil wir es wollen-, ganz anders sein. Das ist auch der Grund, warum politische des Systems, unver­zichtbar bleibt.

Die radikale Umwälzung durch lang andauernden Protest und Selbstverän­derung allein ohne poli­tischen Umsturz gibt es nicht. Revolution ist auch weiterhin Angriff gegen die Regierenden. Zwar müssen wir mehr beden­ken als Lenin - allein die Taktik von Umsturz und Machtübernahme reicht nicht, sie führt zu dem im Realsozialismus vorge­führten Austausch von Eliten -, aber ohne Lenin geht es auch nicht. Ohne Umsturz würde die Geschichte ewig niedergeschlagener Aufstände und kulturell-subversiver Bewegungen (wie das kollektivistische Urchristentum) einfach weitergeschrieben werden. Strategien, die, um der Korrumpiertheit politischer Macht zu entgehen, auf die Selbsttätigkeit von Bewegungen setzen und sich darauf beschränken, die bestehende Gesellschaft zu untergraben, sind daher als Rückfall in die Zeit erfolgloser Aufstandsbewegungen zu betrachten.

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Revolution ist damit eine Kombination unterschiedlichster Anstrengungen, die sich auf den Alltag genauso erstrecken, wie auf die Gewinnung einer politischen Hegemonie emanzipatorischer Vorstel­lungen in der Bevölkerung, auf den Auf­bau realer Gegenmacht und den immer direkter werdenden Angriff gegen die Machtzentralen der modernen Gesell­schaft. Der wesentliche Unterschied zu anderen Revolutionsvorstellungen liegt darin, daß diesem Konzept ein Machtbegriff zugrundeliegt, in dem Gegenmacht eben nicht die Fähigkeit ist, administrativ Veränderungen zu verordnen und diese über große, schlag­kräftige Organisationen und Apparate umzusetzen, sondern vor allem die unterschiedlichsten Formen von Organisierung aufzubauen, in denen Menschen eigene Entscheidungsprozesse erleben. Die Übernahme des Staats­apparates - die weiterhin notwendig bleibt - wird bedeutungslos, wenn nicht vorher gefestigte Formen von Selbst­regierung und Selbstentscheidung entstehen. Eine kollektivierte Produktion z.B. läßt sich nicht befehlen. Kollektivierte Produktion kann es nur dann geben, wenn Menschen in einem Organi­sierungsprozeß gelernt haben, selbst Verantwortung für Planung zu übernehmen. Nur wenn sie in der Lage sind, - weil sie über ausreichend Zeit verfügen, politische und wirtschaftliche Vorgänge zu begreifen und Verantwortung zu übernehmen -, Entscheidungen selbst zu fällen, kann das Entstehen neuer hierarchischer Arbeitsteiligkeiten verhindert werden. Für Rudolf Bahro bestand (als er noch in der DDR und kein Esoteriker war) der Schichten- Charakter der realsozialistischen Staaten (ich würde es Klassencharakter nennen) genau in der Ausgrenzung der Mehrheit aus kreativen, organisierenden und leitenden Tätigkeiten. Weniger Arbeit ist vor diesem Hintergrund, d.h. wenn es nicht um mehr Raum für Konsum, sondern um mehr Raum für Bildung, Kreativität und gesellschaftliche Verantwortung geht, eine sinnvolle Forderung.

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Genauso wie es präventive Konterrevolution gibt, also das System versucht, noch vor dem Ausbruch politischer Wider­sprüche die Herausbildung bestimmter Organisierungsformen durch Repression und Kanalisierung zu verhindern, gibt es auch so etwas wie vorbeugende Revolution. Weit entfernt von jedem Sturz des Systems legen wir mit jeder Organisierungsform, die aus der Systemlogik von Unterwerfung und Konkurrenz ausbricht und sich nicht allmählich mit den Verhältnissen wieder anfreundet (im Gegensatz zu denjenigen Formen alternativen Lebens, die mit ihrer Andersartigkeit das System nicht mehr angreifen, sondern nur noch erweitern- wann das so ist, müßte sich jede Alter­nativbewegung ständig fragen), eine Grundlage für eine andere Gesellschaft. Daß diese Grundlage jederzeit wieder zusammenfallen kann, ist richtig. Aber auch die politischen Revolutionen, also die Länder mit nachrevolutionären Regierungen können diesen Weg gehen wie die Ostländer gezeigt haben. Unumkehrbar ist weder die subjektive Veränderung noch der gesellschaftliche Umsturz.

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Zentral für die emanzipato­rischen Bewe­gungen (die re­volutionäre Linke) ist daneben die Entwicklung eines neuen Fortschrittsbegriffs. Eine entscheiden­de Ursache für den Entwicklungsgang des Realsozialismus war - wie so unterschiedliche RealsozialismuskritikerInnen wie Bahro, Gorz, Rossanda bishin zu Detlef Hartmann aufgezeigt haben - die Kopie eines kapitalistischen Akkumulations- und Fortschrittsmodells durch die KPdSU.

Die Bolschewiki setzten ab 1917 auf Modernisierung. Zu einem erheblichen Grad mag sich das aus den Notwen­digkeiten Rußlands erklärt haben (der sowjetische Kritiker Eugen Vargas fragt z.B., ob Hitlers Armeen Rußland und Europa nicht für lange Jahrzehnte unterjocht hätten, wenn nicht vorher unter den Bolschewiki eine eigene Rüstungsindustrie aus dem Boden gestampft worden wäre). Aber richtig ist auch, daß den Bolschewiki ein vor allem von der deutschen Sozialdemokratie in den 1890er Jahren entwickeltes, mecha­nistisches Fortschrittsdenken eigen war, in dem der Sozialismus die Folge der technischen Weiterentwicklung darstellt.

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Technische Entwicklung und deren Folgen für Arbeitsorganisation, Wissenschaft und Technologie sind aber niemals neutral. Sie tragen - wie der französische Philosoph Andre Gorz sagt - „das Kainsmal des Kapitalismus“. D.h. ihre Ausformung erklärt sich aus den Verhältnissen der Gesellschaft, aus der sie hervorgeht; im Kapitalismus wären das z.B. das Profitinteresse, die Machtsicherung politischer Eliten, aber auch die Gegenwehr von Bewegungen, z.B. der Gewerkschaften.

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Daraus läßt sich nicht ablesen, daß -wie es die Autonomie- Redaktion, Detlef Hartmann oder jetzt die Materialien für einen neuen Antiimperialismus versuchen- jede technische Weiterentwicklung im Kapitalismus bzw. im Realsozialismus „als technologischer Angriff“ zu interpretieren ist. Fortschritt wird niemals ganz einfach von denkenden Zentralen entworfen und dann durchgeführt, sondern ist ein Prozeß, der sich aus den gesamtgesellschaftlichen Verhältnissen ergibt. Es mag zwar Planungsbüros geben, aber deren Vollstreckungsmöglichkeit ist ausgesprochen begrenzt. Krisen, technologischer Fortschritt, Umstrukturierung sind deshalb zwar keine Eigengesetzlichkeiten, die herrschaftsfrei oder neutral sich einfach ereignen (und damit von der Linken einfach übernommen werden können), aber sie sind auch nicht einfach Counter-Insurgency-Angriffe.

Technologiekritik ist deshalb nicht das gleiche wie Technologiefeindlichkeit. Es gibt in der Entwicklung der letzten Jahrzehnte so positive Entwicklungen wie die größeren Bildungsmöglichkeiten und so negative wie die zunehmende Medienmanipulation. Es gibt Medikamente für die meisten, früher tödlichen Krankheiten, aber es gibt auch neue Krankheiten durch Medikamente. Die Entwicklung der letzten Jahrzehnte enthält nach vorne weisendes ebenso, wie mit dem Begriff von Befreiung absolut unvereinbares.

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Trotzdem bleibt damit richtig, daß die revolutionäre Linke einen anderen Begriff von Entwicklung und Fortschritt entwerfen muß. Nicht das immer mehr an Konsum müßte das Ziel sein, wie es im Realsozialismus der Fall war, sondern die menschenwürdige Umgestaltung der Verhältnisse. „Der Sozialismus, ist die Unterordnung der Ökonomie unter die Gesellschaft“, schreibt Polanyi. Für uns müßte das heißen, daß wir bestehende Industrie und Technik nicht einfach kollektiv verwalten. Wir müssen ihren Sinn in Frage stellen und kollektiv überlegen, ob und welchen Nutzen sie für die Gesellschaft besitzen.

Dafür ist es notwendig Kriterien festzulegen, was unserer Meinung nach der Gesellschaft nützt, wenn es eben nicht der zunehmende Konsum ist. Begriffe wie Entfaltungsmöglichkeiten, ökologische Verträglichkeit, Sozialisierung der Entscheidungsmöglichkeiten, Ab­nahme stupider Arbeit, Grundversorgung der Weltbevölkerung, kultureller Reich­tum, Solidarität usw. dürfen nicht die Steckenpferde der Sozialdemokratie sein. Es sind die emanzipatorischen Kriterien, wonach Fortschritt als sinnvoll zu beurteilen ist oder nicht. Es sind die ganz ureigenen Begrifflichkeiten von Befrei­ungsbewegungen, die sich die Sozialdemokratie oder die Grünen zwar ins Programm schreiben, aber niemals erfüllen können, solange sie sich auf dem Boden des Kapitalismus bewegen.

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Viele Maßstäbe bisheriger Wirtschaftsordnungen werden dadurch uninteressant. Wachstum ist für eine revolutionäre Bewegung kein Kriterium. Zwar muß jede Gesellschaft sich darüber Gedanken machen, ob sie das, was sie konsumiert auch wirklich herstellt (oder ob sie auf Pump lebt bzw. aus Überausbeutung der Ressourcen), aber die Maßstäbe wie Weltmarktanteil sind für Befreiungsmodelle völlig unbedeutend. Um diese Form anderen Wirtschaftens einmal durchzusetzen, ist es jetzt notwendig, andere Ziele breit im Bewußtsein zu verankern (siehe auch Punkt 7). Nicht vielen wird es einleuchten, wenn eine führende Partei nach einem Regier­ungsumsturz ganz unerwartet (bisher forderte sie immer mehr Lohn und Konsum) für die nächsten Jahrzehnte den Mangel verkündet, und z.B. erklärt Autoproduktion wird abgeschafft, weil sie gesellschaftlich unvertretbar ist, stupide Arbeitsplätze schafft, Ressourcen verschwendet und die Luft verpestet. Die Befreiung der Menschen von der stupiden Arbeit ist nur möglich als gesellschaftliche Einigung über ein neues Zivilisations­modell. Nur wenn die Mehrheit anerkennt, daß bestimmte, heute normale Bedürfnisse (wie das Auto, der Privatfernseher und die individuelle Stereoanlage) im Grunde genommen Schwachsinn sind, solange Millionen an Hunger verrecken, wird ihr Fehlen nicht mehr als Mangel empfunden.

18

Bei diesen Bemühungen um neue gesellschaftliche Ziele ergeben sich daraus mindestens zwei Hauptprobleme:

  • innerhalb des Kapitalismus (und im Bewußtsein der Menschen noch Jahre über diesen hinaus) werden aus Profitinteressen neue gesellschaftliche Modelle nicht zugelassen werden (zumindest wenn sie dem Profit widersprechen). Die Abschaffung von Produkten, die Scheiß Arbeitsverhältnisse und Gesundheitsschädigung bedeuten (also die meisten), ist kein Akt des Überzeugens der Produzentinnen und Konsumentinnen. Es ist immer auch ein Gewaltakt. Das einzige, was die Linke tun kann, ist eine politische Mehrheit für diese Veränderungen zu erkämpfen. Die zunehmende Aneignung unserer Vorstellungswelt durch die Werbung und andere kommunikative Fremdbestim­mungsformen muß deswegen ein Kernpunkt revolutionärer Bewegung sein. Eine befreite Gesellschaft, eine andere Zivilisation sind nur möglich, wenn herrschende Ideologien wie der Konsumismus durchbrochen werden. Das allein reicht aber nicht. Wenn Überzeugungsarbeit alleine die Gesell­schaft verändern würde, dann hätte das Christentum ihre Prinzipien durchgesetzt, und nicht andersherum das römische Reich das Christentum aufgesogen. Veränderungen ohne gewalttätige Brüche gibt es nicht.
  • für revolutionäre Bewegungen stellt sich mit dem Antikonsumismus ein Problem. Solange die bestehende Gesellschaft so ist wie sie ist, haben die Unterdrückten ein Anrecht auf Teilhabe. Menschen aus anderen Völkern müssen hier mitkonsumieren dürfen, und die Forderung der Malocherinnen auf mehr Lohn ist mehr als korrekt. Mittelständische Askese ist keine adäquate Antwort auf die Verhältnisse, sondern ein Luxus auf der Grundlage garantierten Reichtums. Die Ablehnung der existierenden Produk­tions- und Konsumformen bedeutet nicht, auf die Forderung nach gerechter Verteilung der hergestellten Produkte zu verzichten.

19

Revolutionen haben heute kein eindeutig vorherzube­stimmendes Subjekt: weder eine Klasse noch ein Geschlecht oder Volk ist durch die äußeren Be­dingungen derart festgelegt, daß es systemoppositionell zusammengeschweißt wird.

Auf der anderen Seite ist es allerdings auch nicht richtig, daß Systemopposition von der Stellung in einem System, von materiellen Privilegien oder Nachteilen unabhängig ist.

Das Problem ist, daß es in modernen Industriegesellschaften keine einfache Polarisierung in Arbeiterinnen und Kapitalisten gibt. In Wirklichkeit treten verschiedenste und höchst ausdif­ferenzierte Unterdrückungsformen auf. Bis auf die marginalisierten und meist atomisierten Randgruppen ist damit jede und jeder in den modernen Industriegesellschaften in unterschied­licher Weise gleichzeitig positiv und negativ vom System betroffen.

Der immer wichtiger werdende Moment sozialpsychischer Verelendung, also des gesellschaftlichen und kommunikativen Zerfalls als Folge voranschreitender Durchkapitalisierung des Alltags, ist dagegen subjektiv sehr unterschiedlich erlebbar. In keiner Hinsicht kann man deshalb von der materiellen Bestimmung von Gruppen und Klassen zum revolutionären Subjekt reden. Der autonome Theoretiker Detlef Hartmann hat das in dem Buch Leben als Sabotage (1980) ganz passend zusammengefaßt:

„Natürlich ist das historische Subjekt NOTWENDIG durch die Position im Ausbeutungsentwurf der kapitalistischen Verwertung (mit-)bestimmt, aber bei weitem nicht HINREICHEND. Die Subjektivität der Klasse ist nicht aus ihrer Funktion im Kapital begreifbar(...), denn in seiner sozial/technologischen Definition ist sie ja nur Objekt, Gegenstand der Gewaltsamkeit seiner Verwertungsprojekte. Subjekt ist sie nur im Begriff des treibenden, des pro­zessierenden Widerspruchs, durch den sie ihre Subjektivität im Kampf entfaltet und gegen das Kapital vergesellschaftet. (...) Damit wird der Klassenbegriff nicht falsch, verwendbar allerdings nur noch schablonenhaft als Hülse (...)“. Für andere Unterdrückungsverhältnisse läßt sich ähnliches sagen.

20

Der gesellschaftliche und kommunikative Zerfall ist für die emanzipatorische Bewe­gung ein Kernproblem. Durch die gesellschaftliche Atomisierung (Gesellschaftlichkeit wird nur noch künstlich vermittelt, d.h. über den Markt, die Medien und Systeminstitutionen wie Parteien, Kirchen etc.) wird systemkritische oder gar -oppositionelle Orga­nisierung insgesamt immer unwahr­scheinlicher, weil einfach immer weniger Bereitschaft zur Auseinandersetzung miteinander und zur gegenseitigen Verbindlichkeit (das Grundprinzip jeder Organisierung ist es ja individuellen Freiraum für gegenseitige Verpflichtung und Versorgung aufzugeben) besteht. Wenn jedoch an verschiedenen Fragen trotz geringer gesellschaftlicher Kom­munikation von unten (d.h unvermittelt über Medien und institutionalisierte Organisationen) Bewegungen zur Durchsetzung einzelner Forderungen entstehen, dann bedingt die Auffächerung der Lebensverhältnisse zwangsläufig zugleich deren Heterogenität.

21

Diese zwangsläufige Vielfalt und Widersprüchlichkeit ist nicht künstlich zu begradigen. Trotzdem bleibt es für jeden revolutionären Prozeß unverzichtbar, daß sich die unterschiedlichen sozialen Gruppen zu einer überschaubaren Zahl von Organisationen zusammenschließen. Nur in dieser Form können emanzipatorische Kräfte in einer Gesellschaft die umfassende Frage nach Veränderung der Verhältnisse stellen. Diese Organisationen müssen nicht Parteien oder Guerillaorganisationen sein wie bisher, aber sie müssen über den jeweils wahrgenommenen (subjektiv wichtigsten) Widerspruch hinausreichen. Sie müssen sich mit ihrer inneren Heterogenität wieder darum bemühen einen umfassenden Emanzipations­gedanken, ein Menschheitsprojekt zu formulieren, in dem sich der rebel­lierende Jugendliche, die von der Kleinfamilie geknechtete Frau, der vereinzelte Mensch, der vom Rassismus betroffene und der/die in der Arbeit entnervte Arbeiterin mit einer gemeinsamen Vision wiederfinden. Zugrunde liegt dem die Idee, daß nur dann Befreiung und menschenwürdiges Leben möglich ist, wenn insgesamt alle Verhältnisse verschwinden, die den Menschen zu einem elenden, ge­knechteten Wesen machen, wie Marx sinngemäß gesagt hat. Solange eine einzige Gruppe, Klasse oder Geschlecht der Menschheit unterworfen lebt, kann es auch für die anderen (von dieser Unterdrückung nicht Betroffenen) kein menschenwürdiges Leben geben. Das ist meiner Ansicht nach der Kerngedanke von Solidarität und Befreiung, und nur auf seiner Grundlage ist eine Alternative zu bestehenden Gesellschaftsformen möglich.

22

Ein einfaches Bündnis von Bewegungen, die hinsichtlich verschiedener Aspekte (Klassen­unterdrückung, Patriarchat, ko­loniale Ausbeutung, Rassismus, Mensch­Natur-Verhältnis usw.) in Gegnerschaft zum System stehen, reicht nicht aus. Die Regenbogenkoalition, als Bündnis eigenständiger Bewegungen aus Gewerk­schafterinnen, Schwarzen, Feministinnen und Ökologinnen, wie sie in den USA und anderswo propagiert wird, kann auch, wenn sie radikal auftritt, nur ein modernisierender Stachel im System sein. Für eine revolutionäre Umwälzung, die mehr ist als die Modernisierung des Bestehenden (nämlich ein Neuanfang des Menschenwürdigen), ist eine Gesell­schaftsalternative notwendig, eine Idee gemeinsamer Befreiung und auch (wie oben schon hervorgehoben) der zentrale Angriff auf das Herz des bürgerlichen, rassistischen, patriarchalen Staates. All das erfordert ab einem bestimmten Zeitpunkt die Organisierung über ein lockeres Bündnis hinaus: eine gemeinsame Organisation.

23

Entgegen organisationsfanatischer wie organisationsfeindlicher Vorstellungen sind politische Organisationen nicht -etwa Dinge vom anderen Stern, sondern authentischer Bestandteil der Gesellschaft wie andere Organisierungsformen auch. Um es mit einem etwas blöden Bild zu veranschaulichen: an einer gigantischen Maschine, die an Hunderten von Stellen kaputt ist, und an der an Hunderten von Stellen Menschen Reparaturen für notwendig halten, wird sich - wenn Kommunikation stattfindet - auch Organisierung einstellen. Entweder in kleineren Gruppen, um einen Teilkomplex gemeinsam zu richten, oder, wenn man den Fehler für grundsätzlicher hält, in immer größeren Einheiten. Ein Teil der Reparierenden wird dabei die Meinung vertreten, die Maschine insgesamt auseinander nehmen zu müssen. Daß sich diese Menschen zusammenschließen, ist genauso eine logische Schlußfolgerung wie es die Zusammenarbeit der anderen ist.

Den politischen Organisationen geht damit im positiven wie im negativen Sinne weitgehend ihr Sonderstatus abhanden. Allerdings nicht in einem Punkt: zwar kann an jeder Stelle der Maschine der grundlegende Systemfehler entdeckt werden (d.h. die politischen Organisationen haben kein Monopol auf das richtige Bewußtsein) aber zur Demontage und Neuzusammensetzung ist in umfassenderer Form als an Einzelstellen koordiniertes, kollektiv überlegtes, also organisiertes Handeln notwendig. Zumal unsere Maschine ja kein passives Objekt ist, daß sich einfach so ohne Widerstand auseinandernehmen und neuzusammenschrauben ließe.

24

Der Begriff der Authentizität wie er in autonomen und sozialrevolutionären Diskus­sionen verwendet worden ist - als Kritik an nicht- authentischen Organisationsformen- ist darüberhinaus ein schlechtes Kriterium für politische Beurteilung. So ist die K- Gruppe (sie spiegelt die westdeutsche Linke und eine bestimmte psychische Struktur einer Zeit gut wieder) genauso authentisch wie die soziale Bewegung, die Jungnazis in Rostock und die Autonomen.

Entscheidend für die Beurteilung von einer revolutionären Organisation ist ihre emanzipatorische Zielsetzung und darin dann auch, ob sie sich als organischer Bestandteil der Gesellschaft begreift oder aber als Fremdkörper. Wenn sie zweites ist, kann sie Umwälzung nur als Zwangsprojekt gegen die Mehrheit begreifen, als verordnete Neustruk­turierung, nicht aber als gesellschaftlichen Prozeß der Selbstfindung und Selbstumdeutung.

25

Damit ist angesprochen, daß die Linke (d.h. die für - eine – Umwälzung Lebenden) in stär­kerem Maß als in den vergangenen 15 Jahren begreifen muß, daß nur Massen Revolutionen machen können, und daß selbst in Bedingungen, in denen eine revolutionäre Bewegung wie heute in Deutschland auf sehr lange Sicht Minderheit bleiben muß, die Massen ein ganz wesentlicher Bezugspunkt sind. Die Tatsache, daß die Bevölkerungs­mehrheit heute individualistisch, kon­sumistisch, sexistisch und rassistisch auftritt, stellt diesen Satz nicht in Frage. Eine emanzipatorische Bewegung - die Linke - muß darum kämpfen, rechte Hegemonie zu durchbrechen. Sie kann Umwälzung, das eigentliche Kriterium einer emanzipatorischen Bewegung, nur erreichen, indem sie innerhalb der Gesellschaft wächst. Für jede Neube­stimmung der Linken halte ich deswegen die Durchsetzung einer Massenlinie (womit ich wie schon beschrieben kein unkritisches Verhältnis zur Gesellschaft meine, ganz im Gegenteil) für unabdingbar.

26

Die Linke muß sich von ihren elitären Traditionen befreien. Sie muß wieder Organisations­formen schaffen, in denen Leute, die gerade erst anfangen sich zu politisieren, Platz haben. Das bedeutet, daß politische Grüppen mit dem Widerspruch leben lernen müssen, daß einerseits sehr erfahrene, andererseits sehr neue Leute in der gleichen Gruppen zusammenarbeiten. In diesem Umgang haben gerade die Erfahreneren zu lernen, sich in einer verständlichen Art und Weise auszudrücken, die Kenntnisse der Neuen - auch wenn sie unbeholfen oder naiv ausgedrückt werden, ernst zu nehmen, und erst kurz Organisierten Wissen und Erfahrungen zu vermitteln. Dafür bedarf es eines anderen Begriffs von Lernen. Lernen nicht mehr als Erreichen von theoretischen Spitzen­werten, in denen einzelne für sich oder ihre Kleingruppe was rausziehen, son­dern als gemeinschaftlicher Prozeß, indem es vor allem um vergesellschaftetes Wissen geht.

27

Abschied von den elitären Traditionen bedeutet außer­dem, die Auseinandersetzung mit Menschen außerhalb unserer politischen Strömung, Gruppe oder Organisation geradezu zu suchen, und zwar nicht in Form von Agitation für unsere Ziele, sondern als offene Kommunikation, in der keine Seite Wahrheitsanspruch erheben kann.

Das, was so oft als Sendungsbewußtsein diffamiert wird, nämlich der Wunsch, mit mehr Menschen für eine Veränderung einzutreten, ist die Eigenschaft schlecht­hin des/der RevolutionärIn (so dumm es auch klingt).

Öffentlichkeitsarbeit in diesem Sinne würde eine massive und koordinierte Verankerung in bestehenden Massen­organisationen wie Mietervereinen, Basisgewerkschaften, Jugendgruppen etc. genauso beinhalten wie die Schaffung eigener, wirklich für die Öffentlichkeit bestimmter Räume (z.B. nicht szenemäßig aufgemachter Antifa-Cafés), eigener Medien und einer gut geplanten Pressearbeit für die bestehenden, weitgehend gleichgeschalteten Medien. Vor allem jedoch bedeutet (wie oben bereits kurz angedeutet) die Aufgabe elitärer Traditionen, endlich damit aufzuhören sich von den Lasten dieser Gesellschaft reinwaschen zu wollen. Weder das Abgrenzen vom spießigen Normalo noch das Anklagen des rassistischen Mobs befreit uns davon, Teil dieser Gesellschaft und von der deutschen Kultur als hier lebende Menschen (individuell unterschiedlich stark) geprägt zu sein. Wer hier mehr sein will als der ewig marginale metropolitane Arm anderswo geführter Kämpfe, kann nicht diejenigen, mit denen eine systemoppositionelle Bewegung entstehen müßte, pauschal angreifen. In den sozialen Bewegungen und in Teilen der Antifa ist das immer wieder richtig verstanden worden. Im Diskurs vieler Linker, von Gremliza bis zu den Szene- Autonomen lebt das elitäre Denken allerdings, meiner Ansicht nach, munter fort.

28

Kein linker organisatorischer Zusammenhang könnte von sich heute oder in in der Zukunft behaupten, Avantgarde in der gesellschaftlichen Umwälzung zu sein. Der emanzipatorische Prozeß/die Revolution beinhaltet viel zu viele Aspekte, als daß eine Gruppe in allen führende Kraft sein könnte. Trotzdem kommt den linken Gruppen und Organisationen in diesem Prozeß eine Sonderrolle zu: nämlich bewußt Verantwortung zu übernehmen, zu systematisieren und zu koordinieren.

Der schwierigste und widersprüchlichste Aspekt von notwendiger Verantwortung für einen gesellschaftlichen Prozeß, ist dabei (als normaler Teil einer Gruppe/ der Gesellschaft) immer wieder Initiative zu übernehmen, ohne Entscheidungs­prozesse zu bevormunden. Im Endeffekt beinhaltet es, exponierte Rollen anzunehmen und sich dabei trotzdem in jeder Situation hinterfragen zu können. Die entscheidende Frage lautet nicht, ob einzelne in Gruppen (oder bestimmte Gruppen und Organisationen in der Gesellschaft) Wortführerrollen besitzen, sondern ob man trotz dieser (sich in jedem sozialen Prozeß herausbildenden) Stellung in der Lage ist, sich zurückzu­halten, wenn man als Gruppe oder Person beginnt, unaufhebbare Aktiv- und Passivrollen zu schaffen.

Unterstreichen möchte ich allerdings (weil das meiner Ansicht nach längst nicht allseitiger Konsens ist) daß die langfristig übernommene Verantwortung eine essentielle Bedingung für jede revolutionäre Entwicklung darstellt. Es gibt keine gesellschaftliche Entwicklung in Richtung Befreiung, ohne daß einzelne Verantwortung übernehmen bzw. man sich darauf vorbereitet. Ob man diese Rolle als Kader, politischen Kern, oder Plumpaquatsch bezeichnet, ist völlig unwesentlich. Tatsache ist, daß in keiner Gruppe alle Menschen die gleiche Initiative besitzen, bzw. sich gleich für ein Projekt entschieden haben. Das Gefälle von Verantwortung Übernehmenden und den eher Passiven ist nie vollständig, sondern nur tendenziell zu überwinden. Es ist Zeit, daß sich die Linke dieser Tatsache stellt. Wenn sie glaubt in einem Organisationsprozeß solchen Phänomen ausweichen zu können, wird sie an ihren Ansprüchen unvermeidbar zerbrechen. Als Alternative bleibt dann nur der Kleinstzusammenhang gleichaltriger, gleichgeschlechtlicher, gleichberuflicher Gleichgesinnter: kurzum einfach nur der Reflex bestehender Atomisierung und Vereinzelung.

29

Die Neuzusammensetzung der Linken ist keine einschienige Angelegenheit. Sie besteht (mindestens) gleichzeitig aus

  • einer gewissen Kontinuität bestehender Praxis,
  • einer theoretischen Diskussion, die über einen organisatorischen Zusam­menhang und Lernkonzepte vor allem in die Breite geht, und
  • der Rückkehr in die soziale Realität. Die Linke muß also die schwierige Aufgabe bewältigen, sich intensiv mit sich selbst auseinandersetzen, ohne sich darüber erneut gesellschaftlich abzu­sondern (egal ob als Partei oder als Subkultur-Szene). Genauso kompliziert ist es (wie das Leben zeigt) zeitaufwendige theoretische Arbeit und ebenso zeitaufwendige Praxis miteinander zu verbinden. Trotzdem ist unverzichtbar, daß sich jede Gruppe und Person das Ziel setzt, diese Arbeitsteiligkeit von Theorie und Praxis zu überwinden. Wie im einzelnen Prioritäten gesetzt werden (welche Kampagne, Demonstration ist uns so wichtig, daß wir bestimmte Diskussionen aufschieben oder umgekehrt), ist die Entscheidung der unterschiedlichen Gruppen, nicht als Vorwurf aneinander formuliert werden (Aktionisten gegen Laberer).

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Kontinuität zu bewahren heißt einerseits, bestehende Projekte nur nach einer intensiven Prüfung aufzugeben und ander­erseits nicht an alles die Forderung zu stellen, neu sein zu müssen. Ich behaupte, daß es gänzlich unmöglich ist, das allermeiste, was die Linke bisher ausgemacht hat, neu zu erfinden. Eher dürfte es darum gehen, bestehendes neu zu gewichten.

So sind Aktionsformen wie Demon­strationen, Streiks, Mahnwachen, Kam­pagnen, Happenings, Straßentheater, Straßenschlachten, Öffentlichkeitsarbeit, Diskussionen genauso wenig durch neues zu ersetzen wie die Organisations­strukturen Delegation, Rotation, Sprecher­Innen-Prinzip. Das ganz andere wird nicht eintreten. Die Neubestimmung wird unspektakulär aussehen, und von weiten Teilen der Linken erst im Nachhinein bemerkt werden.

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Die Neukonstituierung sollte in meinen Augen das Entstehen einer heterogenen, gemischten Organisation beinhalten. Damit ist nicht gemeint, daß eine Neukonstituierung sich hauptsächlich aus dieser Organisationsentwicklung bestimmt noch daß sich diese Organisation einfach gründen ließe. Nur ein allmähliches Ineinanderwachsen von unterschiedlichen Gruppen und Organisationen ermöglicht, daß verschiedene Standpunkte und Sozialisierungen berücksichtigt werden. Dafür wäre es zunächst nötig, eine Struktur für Diskussionen und gemeinsame Arbeitsprojekte zu schaffen. Dies wäre relativ leicht möglich, wenn sich Gruppen, die einen groben Grundkonsens teilen und das Entstehen einer revolutionären Organisation für ein wichtiges Projekt halten, in regelmäßigen Abständen zu Arbeitstreffen zusam­menfinden wie das in Bewegungen zu Sachfragen schon lange der Fall ist. Neben der Bedeutung von Arbeit an einer revolutionären Organisation, steht aber auch fest, daß es andere, wichtige Beiträge auf ganz anderer Ebene geben kann (z.B. eine stärker mit den Medien arbeitende Demonstrationspraxis wie bei den Göttingerinnen, eine lange und ehrliche Selbstreflektion der RAF, die Diskussion zum Rassismus, die lobenswerten Theoriebemühungen von Kleinverlagen wie dem ID- Archiv, einer Antifa-Arbeit, die über gegen Nazis hinausgeht, Mieterinnen, Stadtteil- und gewerkschaftskritische Betriebsarbeit in der ehemaligen DDR oder einer Reorganisierung der bei den Grünen ausgestiegenen Linken in der Ökolinken...).

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Die Einheit aller linksradikalen Gruppen ist unmöglich. Es macht keinen Sinn, alle beste­henden Tendenzen zusammen­fassen zu wollen. Dabei ist unsere Erfahrung, daß mehr als unterschiedliche Standpunkte die Uneinigkeit über Diskussions- und Arbeitsmethoden eine Rolle spielt. Es ist in der radikalen Linken eine oft zu machende Erfahrung, daß im Grunde genommen bestehender Konsens bei Inhalten deswegen nicht wahr­genommen wird, weil unterschiedliche Politisierungsprozesse und Erfahrungs­weiten zu einem unterschiedlichen Gebrauch von Sprache führen. So wird sich ausgiebig über Begriffe gefetzt, obwohl bei der konkreten Frage weitgehende Übereinstimmung besteht. Ich glaube, daß unterschiedliche Standpunkte sehr wohl in einer gemeinsamen Struktur Platz haben. Sie müssen es sogar, denn wenn Befreiung etwas sein soll, in dem sich die überwältigende Mehrheit der Menschheit wiederfinden kann, dann müssen auch die Organisationen, die dieses Projekt vorantreiben, heterogen bleiben.

Wenn also z.B. bestimmte Organisationscharakteristika in Gruppen oder Struk­turen bestehen wie: Verbindlichkeit, Konfliktbereitschaft, Politik als kreative Arbeit und nicht als bloßes Happening, Planung, Koordinierung und Systema­tisierung. Wenn zweitens eine Bereit­schaft besteht, die eigene Position in Frage zu stellen und neues auszupro­bieren, und wenn drittens die politische Gruppe und Struktur auch als sozialer Zusammenhang anerkannt ist, dann halte ich eine gemeinsame Arbeit von Ö kosozialistInnen/Ex-Grünen, feminis­tischen Gruppen, Antifas, Antiimps und Autonomen für möglich.

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Die verschiedenen Kampf­formen sind nicht in Frage gestellt, auch nicht der bewaf­fnete Kampf. Es ist meiner Ansicht nach durchaus möglich, daß (im Gegensatz zur RAF, die im April 1992 geschrieben hat, die heute notwendigen Bewegungen könnten nicht durch Aktionen der Guerilla entstehen) bewaffnete Aktionen massenhafte Organisierung auslösen. Die Existenz ETAs im Baskenland, der FMLN in El Salvador oder der der CGSB in Kolumbien spielt eine wesentliche Rolle dabei, daß der Organisationsgrad in den Bevölkerungen der jeweiligen Länder vergleichsweise hoch ist oder war.

Das stimmt zwar nicht ewig und in bestimmten Momenten können bewaffnete Aktionen Massenaktionen und -organisierung blockieren (in diesem Sinne hätte die RAF recht), aber das Verhältnis ist sehr viel widersprüchlicher als es oft zusammengefaßt wird in Form: der Protagonismus der Guerilla grenzt den der Bevölkerung ein.

Im konkreten Fall im Baskenland beispielsweise hat die Existenz ETAs mehrere positive Auswirkungen:

  • ihre Aktionen haben bestimmten Forderungen wie beim Bau des AKWs Lemoiz genug Gewicht gegeben, um den Erfolg der Massenbewegung zu gewährleisten. Durch Erfolgsaussichten jedoch bleibt Organisierung attraktiv und das Gefühl bringt ja eh nichts setzt sich nicht vollständig durch. Dieses Argument, auf das auch die RAF abzielt, wenn sie jetzt die Strategie Durchsetzung konkreter Ziele in den Mittelpunkt rückt, ist meiner Ansicht nach allerdings nur sehr bedingt richtig. Schließlich können Bewegungen auch ohne Guerilla Erfolge erringen, oft sogar einfacher (weil es für den Staat dann nicht im gleichen Maße ums Prestige geht).
  • ETA ist ein Kern, der alle Bewegungen und Initiativen in ihrem Umfeld stabiler macht. Zwar bedeutet die Allgegen­wärtigkeit ETAs oft Bevormundung der sozialen Bewegungen, auf der anderen Seite allerdings sehen diese viel weniger lose aus als im Rest des spanischen Staates oder sonst in Westeuropa. ETA übt eine bündelnde Kraft aus, direkt über die Beteiligung Militanter, in den letzten Jahren aber viel häufiger indirekt durch Darstellung des eigenen Standpunkts.
  • wirkt sich die Konsequenz ETAs auf moralischer Ebene mobilisierend aus. Die Tatsache, daß Jugendliche bereit sind, für emanzipatorische Ziele, ihr Leben zu riskieren oder in den Knast zu gehen, bringt andere Menschen dazu, auch zu handeln (den Effekt gab und gibt es über die politischen Gefangenen in der BRD ja durchaus auch).
  • symbolisiert eine bewaffnete Organisation den radikalen, polaren Widerspruch schlechthin. Es ist im Baskenland sehr viel üblicher als sonstwo auf dem westeuropäischen Kontinent, das bestehende System in Frage zu stellen. Zwar ist ETA wahrscheinlich keineswegs der wichtigste Pfeiler der Machtalter­native, aber niemand repräsentiert diese in dem Ausmaß wie es die 1959 gegründete Organisation tut. Im Baskenland fällt das Gerede von der zivilen Gesellschaft schwer und das ist gut so, solange die Unterdrückungsverhältnisse fortbestehen wie bisher.

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Die Krise von RAF und RZ stellen den bewaffneten Kampf damit nicht zur Disposition. Das Problem der bewaffneten Linken in der BRD war es meiner Ansicht nach eher, daß sie niemals politisch-militärische Organisationen wurden. Die RAF zog 1973 in einer wohl eher symbolisch gemeinten Entscheidung (nach dem Motto: kapiert es doch endlich- legal geht hier nichts mehr) ihre politischen Militanten in die Illegalität ab und verbaute sich damit die Möglichkeit einer Vermittlung ihrer Aktionen.

Die RZ dagegen verfolgten ein Organisierungskonzept, das auf Selbstwüchsigkeit baute. Diesem Hoffen auf Vermassung fehlte das Verständnis von Lernprozessen: um nicht zur klassischen Avantgarde zu werden, beschränkten sich die RZ darauf, andere zum Nachmachen aufzufordern. Damit allerdings wurde Vermittlung von Erfahrungen zu einer anonymen oder bestenfalls individuellen Angelegenheit. Ein Organisationsmodell, das die Vermittlung von Erfahrungen innerhalb der Struktur und die ständige

Kommunikation nach außen mit politischen und sozialen Bewegungen nicht gewährleistet, kann aber wiederum nur in Isolation enden. Diese trifft für RAF wie für RZ zu: ersteren fehlte vor allem die Gleichzeitigkeit von politischer und militärischer Arbeit in der Struktur, zweiteren die Bereitschaft oder Fähigkeit, die große Anzahl militanzbereiter Menschen in eine Struktur einzubinden und sie bei ihrem Schritt zu begleiten. Repression ist dafür kein ausreichendes Argument, wenn man berücksichtigt, daß sich auch in anderen Ländern unter oft noch brutalerer Überwachung Guerillamilitante gegenüber Militanz- bereiten offenbaren und sie in Strukturen einbinden.

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Die von der RAF in der April- Erklärung (1992) vorgeschlagene stärkere Orientierung an konkreten Erfolgen ist (zumindest als Abkehr vom linksradikalen Maximalismus: wir wollen alles und das jetzt sofort) sinnvoll. Eine Linke, die immer wieder auf den heilsbringenden Tag X verweist, gleicht einer religiösen Sekte. Veränderungen, die tatsächlich eine qualitative Verbesserung der Lebensverhältnisse darstellen (z.B. im Bereich Gesundheit) und/oder die das Kampfterrain verbessern (z.B. ein liberales Mediengesetz, das den Betrieb freier Radios ermöglicht) sind auch dann sinnvoll, wenn sie das System nicht stürzen und von diesem natürlich auch instrumentell benützt werden (z.B. um eine Protestbewegung kalt zu stellen).

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Der Schwerpunkt Straßenpolitik, d.h. der hauptsächliche Ausdruck autonomer Organi­sierung und Praxis in Form von Demos, Kampagnen und Randale, müßte relativiert werden. Zwar ist es ein wesentliches Kennzeichen radikaler Politik, daß sie sich auf der Straße, also außerinstitutionell ausdrückt, aber trotzdem gibt es andere wichtigere Maßstäbe linken Erfolgs oder Mißerfolgs als spek­takuläre Ereignisse wie die Störung des offiziellen 8.November-Fern­sehumzugs in Berlin (so geglückt diese auch sein mögen). Die Teil­nahme an einen oder mehreren Ak­tionen bedeutet nämlich in keinster Weise die Übereinstimmung mit einer bestimmten politischen Linie. Gerade bei Randale sind es oft im Normalalltag reaktionäre Positionen vertretende Jugendliche, die ihren Haß gegen die Bullen (nicht mal gegen das System) freien Lauf lassen. Ob das Organisieren spektakulärer Aktionen auf der Straße wirklich Hauptschwerpunkt linker Politik sein sollte, steht damit in Frage (wie viele Papiere haben sich in der autonomen Interim mit Demos auseinandergesetzt wie wenig dagegen mit den Schwierigkeiten bei der Vermittlung von Wissen in offenen Gruppen?) Das Einbinden von neuen Leuten in einen kontinuierlichen sozialen und organi­satorischen Zusammenhang und Lernprozesse in einer Gruppe sind wichtigere, weil stabilere Kriterien für die richtige oder falsche Politik als Highlights.

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Es ist- so glaube ich- nicht richtig, den Antifa-Kampf zum alles bestimmenden Anliegen der Linken zu machen. Gerade um ein Anwachsen der faschistischen Bewegung zu verhindern, wäre es notwendig, daß die Linke zum Entstehen antikapi­talistischer Bewegungen beiträgt und die sozialen Widersprüche wieder ins Blickfeld der Öffentlichkeit bringt.

Antifa ist außerdem keine Anti-Nazi und auch keine Anti- Nazi&Bullenpolitik. Die politische Organisierungs-und Öffentlichkeitsarbeit und die Wiederan­eignung der Geschichte sind wichtigere Aspekte an der heute bestehenden Antifa­Bewegung (die ihre Bedeutung vor allem daderch besitzt, daß sich in ihr extrem viele Jugendliche zum ersten Mal in ihrem Leben unabhängig organisieren).

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Um eine internationalistische Position einzunehmen, muß die Linke in der BRD stärker als in den letzten Jahren ihren eigenen Kampf wichtig nehmen. Unterstützungsarbeit für andere Kämpfe zu leisten, ohne dabei durch Beteiligung an Diskussionen zu profitieren - wie es bei der klassischen Soli-Arbeit der Fall ist - , ist perspektivlos. Internationalismus beinhaltet eine revolutionäre Praxis im eigenen Land zu besitzen und von dieser Position aus, gleichberechtigt, d.h. konfliktbereit mit Organisationen anderer Länder zusammenzuarbeiten. Es ist auch falsch von ausländischen Organisationen das nicht einzufordern, was man bei allen anderen Gruppen in der BRD verlangt, - daß man nämlich Meinungsver­schiedenheiten diskutieren darf. Ohne Kritik an ausländischen Menschen und Gruppen betreibt die Linke Paternalismus, nicht Internationalismus.

Zusammengefaßt halte ich deswegen 4 Kriterien für essentiell bei einer Neuzusammensetzung der Linken:

• linke Politik muß stärker versuchen, gesellschaftliche Isolation zu durch­brechen und sich an die Öffentlichkeit an die anderen hier lebenden Menschen zu richten

• die organisatorischen Strukturen müssen soziale Lernprozesse fördern und die Einbindung neuer Menschen ermöglichen

• ein im obengenannten Sinne technologiekritischer, nicht technologie­feindlicher Standpunkt

• das strategische Ziel, Selbstregierungs-formen aufzubauen, d.h Macht nicht als Organisation oder Bewe­gung zu monopolisieren, sondern zu sozialisieren