Daß ein solcher notwendig ist, halte ich für unbestreitbar. Schließlich beschreibt Organisation zunächst einmal nicht mehr als den Zusammenschluß mehrerer Individuen zur Lösung eines politischen Problems. Für jede politische und soziale Gruppe, die ihre Interessen und Bedürfnisse nach außen vertreten will, stellt sich damit die Frage nach der politischen Organisationsform ganz zwangsläufig.
Die Beurteilung von Organisationsansätzen müßte sich daran festmachen, mit welchen Inhalten, Zielen und welcher Komplexität sie arbeiten und sich nach außen vermitteln.
Meiner Ansicht nach ergeben sich vor allem zwei verschiedene Typen von Organisationsformen. Die einen, organisch gewachsene, aus Bewegungen enstandene (Massenarbeiterkämpfe, Anti- AKW- Bewegung, Jugendrevolte); die anderen politisch bestimmte (K-Gruppen, operaistische und autonome Gruppen, RAF etc).
Bei der heutigen Debatte dreht sich vieles nur um bestimmte Erscheinungen, z.B. die schlechte Öffentlichkeitsarbeit, Ghettoisierung, Isolation usw. Es wird häufig versucht, diesen Erscheinungen mit neuen Formen von verbindlicher Arbeit zu begegnen. Allein dadurch werden die strukturellen Probleme aber nicht zu lösen sein. Die unzureichende Öffentlichkeitsarbeit autonomer Gruppen ist ja nicht nur Folge ihrer mangelnden Strukturen, sondern Teil ihres politisch- ideologischen Konzepts. Demzugrunde liegt die mechanistische Vorstellung, daß sich eine gute Aktion bereits durch ihre Vorbildhaftigkeit politisch vermittelt und zum Nachmachen motiviert, Öffentlichkeitsarbeit also weitgehend überflüssig ist.
Die Diskussion über Erscheinungsformen hat fatale Auswirkungen. Sie führt zu einer Vertiefung der schon existierenden Gräben innerhalb der Restlinken. Die Debatten werden als Angriffe auf noch existierende Zusammenhänge begriffen bzw. die inhaltlichen Auseinandersetzungen als Scheingefechte geführt, in denen durch die jeweiligen ideologischen Grundpositionen die Ergebnisse von vorne herein feststehen. Jegliche Debatte über Organisierung verläuft so entlang der Linie Unorganisiertheit gegen Organisiertheit - es entsteht sofort „Parteiverdacht“.
Es wird nicht mehr über die Grundlagen von Organisierung diskutiert, wobei hier zu betonen ist, daß auch die autonomen Gruppen nur eine spezifische Form davon darstellen, also das Schlagwort unorganisiert real nicht existiert. Als Folge der Begriffsverwirrung stellt sich auch der Rückgriff auf alte Organisationsmodelle („Ich sag wie es ist“ Hamburg 1987) ein. Übersehen wird dabei, daß es nicht nur um eine Form geht, sondern auch um ihre spezifischen Inhalte, die wiederum die Form bestimmen.
Es ist also unabdingbar, die Organisationsformen der letzten fünfundzwanzig Jahre nicht nur an den Erscheinungsformen zu betrachten, sondern auch in ihrem jeweiligen gesellschaftlichen, politischen und historischen Kontext.
Der Verfasser dieses Artikels ist männlich. Ich bemühe mich, die Geschichte der Frauenbewegung und ihrer Organisationsstruktur hier kurz darzustellen, da ich der Meinung bin, daß ein Versuch der Analyse der Organisationsmodelle linker Gruppen ohne die der Frauenbewegung mangelhaft wäre. Daß diese Darstellung oberflächlich
und durch einen von außen geworfenen Blick gekennzeichnet ist, versteht sich aus dem, was Frauenbewegung heißt, nämlich Bewegung/Organisierung von Frauen, ohne Männer.
I. Die Organisationsdiskussion im SDS
Begonnen werden soll bei der Darstellung der verschiedenen Organisationsmodelle mit dem Diskussionspapier von Hans Jürgen Krahl und Rudi Dutschke (22. Delegiertenkonferenz des SDS im September 67, erschienen in „Geschichte ist machbar“, Berlin 1980). Der Text gliedert sich in drei klassische Schritte: Aus einer ökonomischen Analyse werden strategische Schlußfolgerungen für den politischen Kampf und daraus wiederum die erforderlichen organisatorischen Konsequenzen für den SDS gezogen. Gleichzeitig stellt das Papier den Versuch einer Zuspitzung der verbandsinternen Auseinandersetzung zwischen antiautoritärem und dem traditionellen Flügel – an der illegalen KPD orientierten Mitgliedern – dar. „Der noch nie dagewesenen Verbreiterung des antiautoritären Protestes nach dem 2. Juni war die überkommene, noch an der SPD orientierte Organisationsstruktur des SDS nicht gewachsen. Die Spontaneität der Bewegung droht die größten Gruppen organisatorisch zu paralysieren. Ihr politisches Verhalten erscheint deshalb zum großen Teil reaktiv aufgezwungen, und Ansätze für politisch-initiative Führung waren weitgehend hilflos“.
In starker Anlehnung an einen Text von Ferencz Janossy, der später unter dem Titel „Das Ende des Wirtschaftswunders“ erschien, interpretierten sie die Rezession 1966/67 nicht einfach als Konjunkturschwankung, sondern als Indiz für das Ende der die Nachkriegszeit bestimmenden Wiederaufbauphase.
„Die auffälligste Erscheinung der gegenwärtigen ökonomischen Formationsperiode ist die Zunahme der staatlichen Eingriffe in den wirklichen Produktionsprozess als Einheit von Produktion und Zirkulation. Dieser Gesamtkomplex der staatlich- gesellschaftlichen Wirtschaftsregulierung bildet ein System des integralen Etatismus, der im Unterschied zum Staatskapitalismus auf der Grundlage der Beibehaltung der privaten Verfügung über die Produktionsmittel die Gesetze der kapitalistischen Konkurrenz ausschaltet und den ehemals naturwüchsigen Ausgleich der Profitrate durch eine staatlich- gesellschaftlich orientierte Verteilung der gesamtgesellschaftlichen Mehrwertmasse herstellt. In dem Maße, indem durch eine Symbiose staatlicher und industrieller Bürokraten der Staat zum gesellschaftlichen Gesamtkapitalisten wird, schließt sich die Gesellschaft zur staatlichen Gesamtkaserne zusammen, expandiert die betriebliche Arbeitsteilung tendenziell zu einer gesamtgesellschaftlichen.“
Indem die unmittelbaren Produzenten die ökonomische Gewalt verinnerlichten, könne der Staat scheinbar eine Liberalisierung seiner Herrschaftsfunktionen vollziehen. Möglich sei diese Perfektionierung der Machtapparatur nur – und darin wird ein zweites Mal an zentraler Stelle auf die Kritische Theorie rekurriert – durch ein gigantisches System der Manipulation.
„Der Ausweg des Kapitalismus aus der Weltwirtschaftkrise beruhte auf der Fixierung an die terroristische Machtstruktur des faschistischen Staates. Nach 1945 wurde diese außer- ökonomische Zwangsgewalt keineswegs abgebaut, sondern im totalitären Ausmaß psychisch umgesetzt. Diese Verinnerlichung beinhaltete den Verzicht auf manifeste Unterdrückung nach innen und war konstitutiv für den Scheinliberalismus und Scheinparlamentarismus, allerdings um den Preis der antikommunistischen Projektion eines absoluten Außenfeindes. Die manipulativ verinnerlichte, außerökonomische Zwangsgewalt konstituiert eine neue Qualität von Naturwüchsigkeit des kapitalistischen Systems.“
Von der ökonomischen Analyse kommen die Autoren des Referates zu strategischen Schlußfolgerungen: „Wenn die Struktur des integralen Etatismus durch alle seine institutionellen Vermittlungen hindurch ein gigantisches System von Manipulationen darstellt, so stellt dies eine neue Qualität von Leiden der Masse her, die nicht mehr aus sich heraus fähig sind, sich zu empören. Die Selbstorganisation ihrer Interessen, Bedürfnisse, Wünsche ist damit geschichtlich unmöglich geworden. Sie erfassen die soziale Wirklichkeit nur noch durch die von ihnen verinnerlichten Schemata des Herrschaftssystems selbst. Die Möglichkeit zur qualitativen politischen Erfahrung ist auf ein Minimum reduziert worden.“
Für Krahl und Dutschke ist es unstrittig, daß es in der alles entscheidenden Frage nach der Konstitution von Bewußtseins prinzipiell neuer Formen des politischen Kampfes bedarf.
„Die Agitation in der Aktion, die sinnliche Erfahrung der organisierten Einzelkämpfer in der Auseinandersetzung mit der staatlichen Exekutivgewalt bilden die mobilisierenden Faktoren in der Verbreiterung der radikalen Opposition und ermöglichen tendenziell einen Bewußtseinsprozeß für agierende Minderheiten innerhalb der passiven und leidenden Massen, denen durch sichtbar irregulärer Aktionen die Gewalt des Systems zur sinnlichen Gewißheit werden kann.“ 'Die entscheidende Forderung an die SDS- Delegierten lautet: die Propaganda der Schüsse (Che) in der dritten Welt muß durch die Propaganda der Tat in den Metropolen vervollständigt werden, welche eine Urbanisierung ruraler Guerillatätigkeiten geschichtlich möglich macht, Der städtische Guerillero ist der Organisator schlechthinniger Irregularität als Destruktion des System der repressiven Organisationen.“ „Die revolutionären Bewußtseinsgruppen, die auf der Grundlage ihrer spezifischen Stellung im Organisationswesen eine Ebene von aufklärerischen Gegensignalen durch sinnlich manifeste Aktionen manifestieren können, benutzen eine Methode des politischen Kampfes, die sie von den traditionellen Formen politischer Auseinandersetzung prinzipiell unterscheiden.“
Die organisatorische Konsequenz lautet:
„Die bisherige Struktur des SDS war orientiert am revisionistischen Modell der bürgerlichen Mitgliederparteien. Andererseits vermochte der SDS die perfekte Verwaltungsfunktion revisionistischer Mitgliederparteien nicht voll zu übernehmen, da er nur ein teilbürokratisierter Verband ist, ein organisatorischer Zwitter. Demgegenüber stellt sich heute das Problem der Organisation als Problem revolutionärer Existenz.“
Dieser Text wurde von mir nicht ausgewählt, um einen Rückgriff auf die Entwicklung zum bewaffneten Kampfes vorzunehmen, sondern weil mir kein anderer Text bekannt ist, der mit vergleichbarer theoretischer Komplexität und Tiefe die Organisationsfrage erörtert. Im Gegensatz zu vielen anderen Beiträgen unternimmt der Text die Anstrengung, den Organisationsvorschlag aus den sozialen und ökonomischen Verhältnissen der damaligen BRD heraus zu entwickeln. Zwar bleibt die konkrete Ausgestaltung des Organisationsansatzes sehr vage, doch stellen die dort aufgeworfenen Fragen nach wie vor eine wichtige Grundlage - auch für die Beurteilung der aktuellen Ereignisse - dar. Darüber hinaus orientierte sich die weitere Organisationsdebatte (Entstehung der diversen K-Gruppen, Sponti-Gruppen, RAF) an den theoretischen Auseinandersetzungen innerhalb des SDS.
II. K-Gruppen
Als direkte Folge auf die Selbstauflösung des SDS entstanden ab 1969 die verschiedenen K- Gruppen (mit Ausnahme der KPD/ML, die 1966 gegründet wurde). Es soll hier weder auf die einzelnen Entstehungsgeschichten eingegangen werden, noch eine historische Aufarbeitung geleistet werden. Es geht um die Darstellung des organisatorischen Rahmens und der ideologischen Grundlagen der einzelnen Gruppierungen. Bestimmte Grundannahmen und organisatorische Prinzipien waren in allen Gruppen mehr oder weniger identisch. Es gab Unterschiede hinsichtlich der Propagierung bestimmter Inhalte, z.B. pro oder contra Stalin, in der inhaltlichen Ausrichtung albanientreu oder nicht, pekingorientiert oder auch nicht.
Im organisatorischen Verständnis definierten sich einige dieser Gruppen als Parteien (z.B. KPD/ML), andere als Gruppen zum Aufbau einer Partei, (z.B. KPD/AO) oder als Zusammenschluß verschiedener kommunistischer Zellen zu Bünden mit dem erklärten Ziel des Aufbaus einer kommunistischen Partei zu einem geeigneten Zeitpunkt (z.B. KB, KBW).
Gemeinsam war allen Gruppierungen der „ML-Bewegung“ dagegen
- die offene und ausschließliche Befürwortung einer revolutionären Umgestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse,
- die ausschließliche Betonung des Proletariats als führende Kraft der Revolution,
- der Wunsch, die Partei der Arbeiterklasse aufzubauen,
- die Propagierung Mao Tsetungs und mehr oder minder ausgeprägt auch Stalins als Klassiker des Marxismus-Leninismus
- und die weitgehende, wenn auch unterschiedlich ausgeprägte Übernahme der Organisationsprinzipien des demokratischen Zentralismus, wie er von den russischen Bolschewiki, besonders von Lenin in seinen Schriften „Was Tun“ und „Ein Schritt vorwärts, zwei zurück“ entwickelt worden war. Als K-Gruppen zu bezeichnen sind nur diejenigen Gruppen, die alle diese Charakteristika aufweisen, während einzelne dieser Faktoren auch durchaus bei anderen Formationen eine Rolle spielen, wie z.B. die Befürwortung der Revolution durch anarchistische, operaistische, spontaneistische, rätekommunistische, trotzkistische und libertäre Kräfte oder das Bekenntnis zu Marx, Engels und Lenin bei Trotzkisten und bei auf die KPDSU ausgerichteten Kräften (z.B. DKP).
Trotz der teilweise erbitterten Feindschaft einzelner dieser Gruppen gegeneinander, ergaben sich doch viele Gemeinsamkeiten und wichtige Überschneidungen in den Arbeitsfeldern, politischen Themen und Aktionen. Insbesondere gegenüber den anderen politischen Gruppen, vor allem dem radikalen und militanten Flügel der Linken (Wir Wollen Alles, Bewegung 2.Juni, RAF, Freie Arbeiter Union etc.) fand eine scharfe Abgrenzung statt, die z.T. auch unter Anwendung körperlicher Gewalt durchgesetzt wurde.
Bei insgesamt ungefähr 100.000 Menschen, die die K- Gruppen in den 70ern durchlaufen haben, muß man von einer regelrechten Massenbewegung sprechen. In Folge dieser breiten Organisierung in parteiähnlichen Strukturen kam es zu einer emotional getragenen Gegenreaktion, die sich besonders in den Anfangsjahren der entstehenden Anti- AKW- Bewegung beobachten ließ. So wurde Ende der 70er Jahre aus Ablehnung „parteiverdächtiger“ Strukturen das erste Mal die Bezeichnung „autonome Gruppen“ verwendet.
Trotz aller berechtigten Kritik an den K- Gruppen wäre es allerdings viel zu platt, diese Organisationen über einen Kamm zu scheren und ohne genauere Kenntnisse abzutun.
Es bleiben noch viele Fragen offen, ohne deren Beantwortung und genaue Untersuchung eine abschliessende Klärung über den Nutzen dieser Parteimodelle nicht erfolgen kann:
- Warum haben diese Parteimodelle ihren emanzipatorischen Charakter verloren?
- Warum brach die massenhafte Organisierung in den Betrieben zusammen, die die K-Gruppen erreicht hatten?
- Worin lagen die organisatorisch-ideologischen Schwächen dieses Modells, führten diese zum Zerfall der K-Gruppen?
- Was machten die Mitglieder der K-Gruppen nach deren Zerfall, weiter Politik?
- Und wenn, dann wo?
III. Die operaistischen Gruppen (Wir wollen alles)
Eine weitere, teilweise in der Versenkung verschwundene Strömung, stellen die Gruppen mit operaistischem Ansatz dar, auch als „Wir- Wollen- Alles- Gruppen“ bekannt. Bei ihnen handelte es sich um Betriebs- und Stadtteilgruppen, die sich hauptsächlich auf lokaler Ebene koordinierten und keine zentrale Führung besaßen. Vorort waren diese zwar durchaus straff organisiert, und es gab auch bundesweit koordinierte Aktionen sowie eine gemeinsame Zeitung der Bewegung (die „Wir wollen Alles“, die bis Mitte der 70er erschien), aber im Gegensatz zu den K-Gruppen gab es nie den Versuch, eine bundesweite Organisation zu gründen. Im Mittelpunkt ihrer Strategie stand die Intervention in konkrete, d.h. lokale Konflikte (in der Fabrik, Jugendzentren, Miete, Fahrpreise etc.) mit dem Ziel diese zuzuspitzen. Die Eroberung der politischen Macht sollte durch die Entwicklung des Klassenbewußtseins der revoltierenden Massen erreicht werden, und nicht durch das taktische und strategische Geschick der Avantgardepartei.
Der operaistische Ansatz, gestärkt durch die erfolgreichen Massenarbeiterkämpfe in Italien, war in einzelnen Städten und Regionen von großer politischer und organisatorischer Bedeutung (z.B. Arbeitersache München, Revolutionärer Kampf Frankfurt, Proletarische Front Hamburg und Bremen). Aus einer marxistisch-leninistischen Tradition kommend, wurde die Avantgardepartei abgelöst durch den Versuch eines Neuaufbaus von Massenorganisation. Trotzdem erreichte die WWA-Bewegung nie den massenhaften Organisierungsgrad der K-Gruppen.
Bestimmend für den operaistischen Ansatz war auch, daß er sich nicht mehr an der Arbeiterklasse als solcher, sondern an dem neuen revolutionären Subjekt des Massenarbeiters orientierte. Das hieß für die Kämpfe in den Betrieben den Schwerpunkt nicht mehr auf die gewerkschaftlich Organisierten, sondern auf die ungelernten deutschen und ausländischen Arbeiterinnen und Arbeiter zu legen. In der ersten Nummer der „Wir Wollen Alles“ schrieben sie zu ihrem Selbstverständnis:
„Sie haben alle angefangen, und das ist das wichtigste daran, ihr Leben und ihre Arbeit in Frage zu stellen und sich an den einzelnen Punkten zu wehren. Wir meinen das ist Klassenkampf Weil hier Leute kämpfen und weil sie selbst versuchen, etwas an ihrer Lage zu ändern. Wir alle wissen aber, daß die Arbeiter, Lehrlinge, Frauen, alle die Richtung ihrer Kämpfe voll bestimmen können, helfen wir die Erfahrung zu verallgemeinern, diskutieren wir theoretisch, wo es nötig ist und vor allem: Greifen wir die Manöver an, mit denen die Abwiegler aller Lager, die Gewerkschaftler, die Parteien, die meisten Linken, alles ablehnen, was wirklich sagt: Dieses Leben ist Mist. Wir wollen ein anderes... Wir wollen alles!“
Gerade für Gruppen und Zusammenhänge, die politische Organisierung nicht nur als ein Szeneprojekt begreifen wollen, sind innerhalb der WWA-Gruppen wichtige Erfahrungen gesammelt worden. Nicht nur bestehend aus ihren Kämpfen innerhalb der Fabrik, sondern auch gerade mit den teilweise äußerst militanten Aneignungskämpfen um z.B. Wohnraum, Nulltarif bei den öffentlichen Verkehrsmitteln, selbstverwaltete Jugendzentren.
IV. Die Frauenbewegung
Der Ursprung der neuen Frauenbewegung liegt Ende der 60er in den Auseinandersetzungen innerhalb des SDS, wo das patriarchale Herrschaftsverhältnis als politisches Problem weitgehend ausgeklammert blieb. Die Frauen im SDS, d.h. konkreter der ,,Aktionsrat zur Befreiung der Frauen“ schrieb 1968 (in der SDS- Korrespondenz des gleichen. Jahres):
„Wir stellen fest, daß der SDS innerhalb seiner Organisation ein Spiegelbild gesamtgesellschaftlicher Verhältnisse ist. Dabei macht man Anstrengungen, alles zu vermeiden, was zur Artikulierung dieses Konfliktes zwischen Anspruch und Wirklichkeit beitragen könnte. Diese Artikulierung wird auf einfache Weise vermieden, nämlich dadurch, daß man einen bestimmten Bereich des Lebens vom gesellschaftlichen abtrennt, ihn tabuisiert, indem man ihm den Namen Privatleben gibt. Diese Tabuisierung hat zur Folge, daß das spezifische Ausbeutungsverhältnis, unter dem die Frauen stehen, verdrängt wird, wodurch gewährleistet wird, das die Männer ihre alte, durch das Patriarchat gewonnene Identität noch nicht aufgeben müssen. Die Konsequenz, die sich daraus für den Aktionsrat zur Befreiung der Frauen ergab, ist folgende: Wir können die gesellschaftliche Unterdrückung der Frauen nicht individuell lösen. Wir können damit nicht auf Zeiten nach der Revolution warten.“
Der Konflikt spitzte sich schnell zu. Am 23.9.68 wurden auf der Delegiertenkonferenz des SDS in Frankfurt SDS-Funktionäre aufgrund ihrer ignoranten Position gegenüber dem patriarchalen Herrschaftsverhältnis mit Tomaten beworfen und in der Folgezeit kam es zum massenhaften Rückzug von Frauen aus dem SDS. Vor allem in den (Universitäts-) Städten bildeten sich autonome Frauengruppen, die hauptsächlich für die ersatzlose Streichung des §218 kämpften und sich theoretisch mit den Themen Sexualität, Selbstbestimmung, Feminismus und Klassenkampf (Haupt-Nebenwiderspruch) beschäftigten (nachzulesen auch im „Rote Zora“-Buch).
Für die meisten Frauen bedeutete dieser Schritt allerdings keinen Abschied vom Marxismus. Aus dem „Frauenhandbuch von Brot und Rosen“, Berlin, 1974:
„Auf welche Weise der Sexismus abzuschaffen ist, erarbeitet die Frauenbewegung in der feministischen Theorie. Soviel ist heute sicher, daß es keinen Feminismus ohne Sozialismus geben kann und keinen Sozialismus ohne Feminismus. D.h., die marxistische Theorie befindet sich nicht im Widerspruch zur Frauenbewegung, sondern sie wird von denen, die sich für Marxisten halten und die Theorie nicht verstehen, dazu deklariert. In der Arbeitsbehinderung spielen diese Gegner eine gewisse Rolle. Das Dilemma ist, daß viele der Nachfahren von Marx und Engels den Fehlschluß ziehen, daß die Auseinandersetzung mit den Reproduktionsbedingungen unwichtig ist, nur weil Marx und Engels dieses Problem nicht behandelt haben. Denn die wenigen Aussagen der beiden hierüber können wir nicht als Auseinandersetzung mit dem Problem betrachten. Aus der linken Ignoranz folgt, daß die Frauenbewegung gegen mehrere Fronten kämpfen muß: gegen die erkennbaren Feinde: Arbeitergeber, Kirchen, Ärzteorganisationen usw. und gegen die bornierten Freunde: die eigenen Ehemänner, Kinder und Befreiungsorganisationen, die sich damit aufhalten, die Abgrenzungen im gemeinsamen Kampf zu ziehen. ...
Unterschiedliche Erfahrungen und Kenntnisse führen oft dazu, daß diese Unterschiede wegen der angestrebten Gemeinsamkeit und Solidarität nicht richtig beachtet, heruntergespielt oder verwischt werden. In manchen Frauengruppen wird ein künstlicher Gegensatz zwischen Rationalität und Emotionalität aufgebaut. Rational ist männlich-autoritär, emotional ist weiblich. D.h., viele Frauen sitzen dem Klischee der Männer von Frauen selber auf Das führt dann dazu, daß Frauen mit Erfahrung im methodischen und systematischen Denken aus falsch verstandener Bescheidenheit oder aus Angst, für männlich gehalten zu werden, sich zurückhalten (oder die Gruppen) verlassen um nicht autoritär zu wirken oder andere abzublocken. Das ist aber falsch. Es gibt faktisch keine aufgearbeitete Geschichte der Frauen, es gibt keinerlei Geschichtsbewußtsein, keinerlei Wissen darüber, daß Frauen nicht immer das verkommene, ängstliche, bigotte, gedemütigte und masochistische Geschlecht waren, das es heute ist. ...
Die Wissenschaft hat den Frauen ihre Mindewertigkeit wissenschaftlich bewiesen. Frauen lernen erst allmählich, daß es darauf ankommt die bestehende Wissenschaft zu verändern. Das aber heißt, die Wissenschaft zu erobern.“
In einem Teil der Frauenbewegung wurde sich ab 1974 außerdem die Frage illegaler Aktionsformen auch praktisch gestellt. Es entstand unter anderem die aus den Revolutionären Zellen hervorgehende Rote Zora, deren Entstehung von dieser selbst in unmittelbarem Zusammenhang mit dem den Konflikt um den Paragraphen 218 gesehen:
„Am 26.4.'74 wurde die Fristenlösung mit Regierungsmehrheit beschlossen. Am 25.2.'75 erklärte das Bundesverfassungsgericht sie für verfassungsfeindlich. Als Antwort darauf griffen die Frauen der RZ am 4.3.'75 das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe mit einer Bombe an. Das war Ausdruck einer neuen Qualität militanter Frauenorganisierung in der BRD.“
Und aus dem Emma-Interview der Roten Zora 1984:
„Rote Zora soll auch ausdrücken, daß wir die gleichen Grundsätze wie die RZs haben, dieselbe Konzeption, illegale Strukturen aufzubauen, ein Netz zu schaffen, daß der Kontrolle und dem Zugriff des Staatsapparates entzogen ist. Nur so können wir - im Zusammenhang mit den offenen, legalen Kämpfen der verschiedenen Bewegungen - auch subversive und direkte Aktionen durchführen. „Wir schlagen zurück“ - Diese Parole der Frauen aus dem Mai 68 ist heute im Bezug 'auf individuelle Gewalt gegen Frauen unumstritten. Heftig umstritten und weitgehend tabuisiert ist sie jedoch als Antwort auf die Herrschaftsverhältnisse, die diese Gewalt erst ständig aufs neue erzeugen. ...
Angefangen haben die Frauen der RZ 1975 mit einem Bombenanschlag auf das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe, weil wir alle die Abschaffung des §218 wollten und nicht diese jederzeit manipulierbare Indikationslösung. In der Walpurgisnacht '77 haben wir einen Sprengsatz bei der Bundesärztekammer gezündet, weil von dort aus selbst diese reduzierte Abtreibungsreform mit allen Mitteln hintertrieben wurde. Und immer wieder Angriffe gegen Sexshops. Also wir halten es für eine absolute Notwendigkeit, die Ausbeutung der Frau als Sexualobjekt und Kinderproduzentin aus dem Privatbereich herauszureißen und mit Feuer und Flamme unsere Wut und unseren Zorn darüber zu zeigen. ... Wir sind Teil der Frauenbewegung, wir führen den Kampf um Frauenbefreiung. Neben den theoretischen Gemeinsamkeiten gibt es noch einen anderen Zusammenhang zwischen unserer Praxis, nämlich den der subjektiven Radikalisierung, die auch anderen Frauen Mut machen kann, sich zu wehren, die dazu beiträgt, daß Frauen sich selbst und ihren Widerstand ernstnehmen.“
Im Vorwort zum Praxisheft „Wer kämpft, kann verlieren, wer nicht kämpft, hat schon verloren“ schreibt die Rote Zora etwa 1988:
„Nichts verbergen zu haben und offen Positionen zu vertreten, darf hierbei nicht verwechselt werden, es ist notwendig, daß radikale Frauen das Feld der Öffentlichkeitsarbeit nicht den Reformistinnen überlassen, sondern Diskussionen über revolutionäre Strategien diskutieren und diskutierbar machen. Wir finden eine inhaltliche Verbreiterung thematischer Schwerpunkte, wie die Gen- und Reproduktionstechnik immens wichtig, sie darf sich aber nicht loslösen von unseren politischen Zielen als radikale Frauen. Sie muß in den Zusammenhang der Gesamtheit des patriarchalen imperialistischen Systems gestellt werden und kann so auch nicht als Teilbereich bekämpft werden. D.h. auch das Verhältnis von militanter Politik und offensiver Öffentlichkeitsarbeit politisch zu klären. Das ist eine Forderung an uns alle: eine offene Auseinandersetzung zu führen, voneinander zu lernen d.h., politisch unterschiedliche Einschätzungen miteinander zu konfrontieren, Konflikten nicht aus dem Wege gehen, vor lauter Repressionsangst nur im stillen Kämmerlein heimlich Freude zeigen. Klarheit zu bekommen über die notwendige Verbindung von bewaffneten Aktionen, Regelverstößen gegen die sogenannte öffentliche Ordnung und bewußtseinsbezogener Aufklärungsarbeit.“
V. Der bewaffnete Kampf
Dieser Abschnitt soll nicht dazu dienen, an den Mythen vom bewaffneten Kampf mitzuspinnen, sondern aus einigen Grundlagentexten aus den Anfangsjahren von RAF und 2.Juni zu zitieren.
Die große Beachtung, die ich diesem Aspekt gebe, hat damit zu tun, daß meiner Ansicht nach die Frage nach dem Verhältnis zu bewaffneten und militanten Kampfformen eine wesentliche Rolle in den sich neukonstituierenden Organisationen spielen müssen wird. Nicht nur, weil ein Großteil der linken Identität mit den Aktionen der bewaffneten Gruppen in der BRD der 70er und 80er Jahre verbunden ist, sondern gerade weil die Glaubwürdigkeit einer Linken innerhalb der Restbevölkerung davon abhängt, mit welcher Entschlossenheit und eigenem Wagnis linke und revolutionäre Politik praktisch betrieben wird. Wenn sich 1975 nach einer Umfrage 20% der Bundesbürger bereiterklärten, einem „Terroristen“ mindestens für eine Nacht Unterschlupf zu gewähren, dann ist das Ausdruck davon, daß diese Entschlossenheit, für eine politische Überzeugung auch zu sterben, von der Bevölkerung breit anerkannt wurde.
Damit ist nicht gemeint, daß der bewaffnete Kampf die höchste Stufe von Gegenwehr darstellen würde. Auch die Bewunderungshaltung gegenüber dem/der Guerilla-Militanten halte ich nicht für angemessen. Vielmehr geht es um die reale Bedeutung, die der bewaffnete Kampf gehabt hat und haben kann.
Ich möchte hier noch der Hoffnung Ausdruck verleihen, daß diese wichtige Diskussion mit vielen Trägerinnen der bewaffneten Gruppen, die heute noch im Knast sitzen, bald möglich sein wird. Daß hier nicht alle bewaffneten Gruppen dargestellt werden, liegt lediglich an der Form des Artikels, sie stellt keine politische, inhaltliche Auswahl dar (Leseempfehlung - neues Buch zur RZ und Roten Zora im ID- Verlag).
Die Rote Armee Fraktion
Aus „Texte der RAF“ - Das Konzept Stadtguerilla, 1970:
„Wir behaupten, daß die Organisierung von bewaffneten Widerstandsgruppen zu diesem Zeitpunkt in der BRD und Westberlin richtig ist. Daß es richtig, möglich und gerechtfertigt ist, hier und jetzt Stadtguerilla zu machen. Daß der bewaffnete Kampf als „die höchste Form des Marxismus-Leninismus“( Mao) jetzt begonnen werden kann und muß, daß es ohne den keinen antiimperialistischen Kampf in den Metropolen gibt. ... Es ist das Verdienst der Studentenbewegung in der BRD und Westberlin - ihrer Straßenkämpfe, Brandstiftungen, Anwendung von Gegengewalt, ihres Pathos also auch ihrer Übertreibungen und Ignoranz, kurz: ihrer Praxis, den Marxismus- Leninismus wenigstens ins Bewußtsein der Intelligenz als diejenige politische Theorie rekonstruiert zu haben, ohne die politische, ökonomische und ideologische Tatsachen und ihre Erscheinungsformen nicht auf den Begriff zu bringen sind, ihr innerer und äußerer Zusammenhang nicht zu beschreiben ist.“
Der bewaffnete Kampf wurde von der RAF Anfang der 70er noch als eingebetteter Bestandteil linker Gegenbewegung gesehen. Mehr als um eigene militärische Stärke ging es ihr um die mobilisierende Wirkung, um die Zuspitzung bereits vorhandener Widersprüche.
„Wir behaupten, daß ohne revolutionäre Initiative, ohne die praktische revolutionäre Intervention der Avantgarde, der sozialistischen Arbeiter und Intellektuellen, ohne den konkreten antiimperialistischen Kampf es keinen Vereinheitlichungsprozeß gibt, daß das Bündnis nur in gemeinsamen Kämpfen hergestellt wird oder nicht, in denen der bewußte Teil der Arbeiter und Intellektuellen nicht Regie zu führen, sondern voran zu gehen hat.
Die Rote Armee Fraktion stellt die Verbindung her zwischen legalem und illegalem Kampf zwischen nationalem und internationalem Kampf zwischen politischem und bewaffnetem Kampf, zwischen der strategischen und der taktischen Bestimmung der internationalen kommunistischen Bewegung. Stadtguerilla heißt, trotz der Schwäche der revolutionären Kräfte in der Bundesrepublik und Westberlin hier und jetzt revolutionär intervenieren!“
In dem Text „Dem Volke dienen – Stadtguerilla und Klassenkampf“, 1972 verurteilte die RAF das vorsichtige Vorgehen der K-Gruppen, das nur auf die Durchsetzung von Zwischenerfolgen abzielte (was übrigens heute genau von der RAF – allerdings unter anderen Bedingungen – als Strategie eingefordert wird):
„Die legal arbeitende Linke ist dieser Offensive des Kapitals gegenüber nicht nur defensiv, sie ist auch objektiv ratlos. Sie setzen dem ihre Flugblätter und Zeitungen entgegen, ihre Arbeiteragitation, die besagt, daß das Kapital an allem Schuld ist, was richtig ist. Daß die Arbeiter sich organisieren müssen, die sozialdemokratische Linie in den Gewerkschaften überwinden müssen, lernen ökonomische Kämpfe zu führen, lernen, das Bewußtsein als Klasse zurückzugewinnen - was notwendige politische Arbeit ist.
Als einzige politische Arbeit ist sie kurzsichtig. Sie sieht die Maschinenpistolen und sagt den ökonomischen Kampf entwickeln. Sie sieht die Notstandsübungen und sagt Klassenbewußtsein. Die Konterrevolution traut sich zu, mit allen Problemen fertig werden zu können, die sie produziert, auch ist ihr kein Mittel zu dreckig dafür. Aber sie kann nicht warten, bis der Faschismus sich wirklich entfaltet hat, die Massen für sie mobilisiert sind und sie braucht die Gewißheit, daß Bewaffnung und bewaffneter Kampf ihr Monopol bleibt. ...
Reformversprechungen sind Religionsersatz geworden, Opium für's Volk, das Versprechen auf eine bessere Zukunft, das nur dazu dient, eine psychologische Motivation zugunsten Geduld und Abwarten, Passivität, zu liefern. Mit den Anstrengungen, die nötig wären, um Reformen durchzusetzen, könnte man die Revolution selber machen.“
Der linksradikale Hamburger Sozialgeschichtler Karl-Heinz Roth schätzte die Bedeutung der RAF folgendermaßen ein („Klaut Sie“, 1980):
„Die RAF ging wie alle anderen subversiven Gruppen der zweiten APO- Welle, von einem Konzept der sozialen Revolutionierung von unten aus. Die Befreiung Baaders aus der Haft galt als bewußter Bruch, als Versuch, durch den Aufbau bewaffneter Kerne den ambivalenten und von den studentischen Avantgarden verlassenen, sozialen Protest von ganz unten eine neue Stütze zu geben. Bevor sie sich von den anderen subversiven Gruppen absetzte und ihren Hegemonieanspruch anmeldete, verfolgte die RAF also zweierlei: die Stabilisierung des Massenprotestes von unten und die Rückeroberung der in Reform- und Proletariatsmythen abdriftenden privilegierten Schichten der außerparlamentarischen Bewegung.
Worin liegt also die historische Bedeutung der RAF? Ich halte es für legitim, ja sogar notwendig, heute diese Frage in aller Schärfe zu stellen. Die RAF war und ist kein abstraktes Phänomen, sondern sie war Teil eines historischen Prozesses, in dem sie verschiedene Phasen durchlief Nach ihrem großen Rückschlag vom Mai/Juni 1972 wandte sie der metropolitanen Sozialrevolte und der aus ihr hervorgegangenen Linken den Rücken, sie verstand sich fortan ausschließlich als verlängerter Arm der Befreiungsbewegungen der drei Kontinente. In diesem Selbstverständnis hat sie der spätkapitalistischen Metropole insgesamt förmlich den Krieg erklärt. ... Die moralische Integrität.
Die Genossinnen und Genossen der RAF haben ihre Identität kompromißlos ihrem politischen Ziel verpflichtet. Ihre gegenseitige Kritik war schneidend, offen, schonungslos bis hin zur erbarmungslosen Kälte.
Was ich trotz dieser oft ins maßlose umschlagenden Härte als Tendenz zur Aneignung von moralischer Identität in den Reihen der RAF bezeichne, war die Proklamierung des Subjektes als militanten Träger der Revolution. ... Theorie für die Praxis.
Ich komme zu dem vielleicht manche verblüffenden Ergebnis, daß in der RAF im Kern eine Menge angelegt war, um aus der APO- Revolte die Initiative für eine konsequente wie überfällige Revolution gegen die verfeinerte Fortdauer des nationalsozialistischen Ausmerze- und Auslesefanatismus zu ergreifen. Ihr Endzeitbewußtsein war echt. Sie hat die ersten Schritte vom objektivistischen linken Dogmenstreit zur Rückeroberung des revolutionären Subjekts hinter sich gebracht. Sie hat sich auf Sieg oder Tod verpflichtet, und damit signalisiert, daß sie es mit der sozialen Befreiung ernst meinte. Und dennoch ist sie gescheitert.“
Wobei Roth klar stellte, daß seiner Meinung nach die Verantwortung für das Scheitern der RAF zu einem erheblichen Teil bei den anderen, legalen Gruppen der Neuen Linken lag.
Ebenfalls weitgehend solidarisch, aber in der Sache mit einer klar bestimmten Kritik äußerte sich 1972 der Revolutionäre Kampf, Frankfurt:
„Unsere Kritik an der RAF unterscheidet sich von der Kritik der ML oder der Revisionisten. Wir reduzieren die Bewegung nicht auf den Versuch, im traditionell bestimmten Industrieproletariat eine Partei aufzubauen. Wir knüpfen an die weltweite Jugendrevolte an, wir begreifen es als Teil unseres politischen Kampfes, daß die Jugendlichen anders, nämlich in Kommunen leben wollen.
Hier unterscheidet sich unsere Kritik, weil wir nicht sagen, die RAF soll sich dem Bewußtsein der Massen anpassen; unsere Kritik besagt, daß die Aktionen der RAF sich von der Bewegung insgesamt gelöst haben. Wir halten die Ansätze innerhalb der Jugend für einen wesentlichen Bestandteil der revolutionären Bewegung. Sie sind die Basis für einen Teil unserer militanten Aktionen. Die Aktionen der Studentenbewegung standen im Zusammenhang einer weltweiten Jugendrevolte. Unsere Militanz in Demonstrationen oder bei Hausbesetzungen hat sich im Rahmen dieser Bewegung entwickelt. Im Unterschied dazu verfolgt die RAF das Modell einer blanquistischen Organisation, ihre Aktionen sind schon im Ansatz getrennt von der Massenbewegung, sie können verurteilt, gutgeheißen oder ignoriert werden, sie werden den Massen vorgeführt wie ein Theaterstück oder ein Fußballspiel. Die Unterstellung der RAF, daß wir die Gewaltfrage auf die Zukunft verschieben wollen, ist falsch. Vielmehr fallen die Bomben ins Springer- Hochhaus weit zurück hinter die militante Blockade der Springerzeitung 1968....
Uns stellt sich die Gewaltfrage qualitativ: Es kommt nicht darauf an, mit der gleichen Feuerkraft oder schlaueren Tricks das System auf der militärischen Ebene zu schwächen. Weder naht der Endkampf noch kann sich dieser jemals entwickeln, losgelöst von den Massenkämpfen. Wir haben die bürgerliche Gewalt nicht erfunden, sondern vorgefunden. Wir fragen nicht, ob es prinzipiell falsch oder richtig ist, Gewalt anzuwenden. Für uns stellt sich die Frage als praktische, wir fragen: Was sind unsere Interessen und wie können wir sie durchsetzen?
Und wie wir diese Interessen durchsetzen können, bemißt sich an der Alltäglichkeit der Gewalt, die unser Leben beherrscht.“
Der 2.Juni
Neben der RAF entstand 1972 die Bewegung 2. Juni, die leider viel zu oft in der linken Geschichtsschreibung übergangen wird. Im Gegensatz zur RAF berief sich der 2.Juni nicht auf das traditionelle leninistische Avantgardemodell, besaß keinen Führungsanspruch in der linken Bewegung und zog nicht alle Militante in die Illegalität ab. Charakteristisch für den 2.Juni waren auch seine starken Wurzeln in der Subkulturbewegung. So war einer der Vorläufer des 2.Juni die Gruppe ,,Umherschweifende Haschrebellen“, eine aus der proletarischen Jugendkultur in Berlin entstandene Gruppierung, die Anfang der 70er begann, Brandanschläge gegen Banken und Einrichtungen der Besatzungsmächte zu verüben.
In ihrem programmatischen Grundsatztext schrieb der 2 Juni 1972:
„Die Bewegung zählt sich nur insoweit zur Avantgarde, als sie zu den ersten zählt, die die Waffe ergreifen. Sie wird nicht dadurch zur Avantgarde, daß sie sich einfach so nennt. Das Gewehr allein und der Vollzug revolutionärer Aktionen genügen nicht, den Anspruch zu gerecht zu werden....
Im Zeitalter des entwickelten Imperialismus bedurfte es keiner neuen Analysen, daß die Hauptaufgabe nicht der Aufbau einer Partei ist, sondern die Auslösung der revolutionären Aktion.... Die militärische Linie der Bewegung 2.Juni ist nicht von der politischen Linie getrennt und ist ihr nicht untergeordnet. Wir betrachten beide Linien als untrennbar verbunden. Sie sind zwei Seiten derselben revolutionären Sache. Die Linie der Bewegung 2.Juni ist einheitlich politisch-militärisch...
Die Bewegung des 2.Juni ist nicht der bewaffnete Arm einer Partei oder einer Organisation. Die bewaffneten, taktischen Einheiten der Bewegung sind die selbständigen politisch-militärischen Kommandos der Organisation....
Die Bewegung 2.Juni ist keineswegs dem romantischen Mythos der Untergrundarbeit verfallen. Daß der revolutionäre Tod im Zuge der verschärften Klassenauseinandersetzungen zunehmen wird, ist uns klar. Der Krieg gegen Staat und Kapital wird ein langwieriger Krieg werden. Das Krieg führen aber lernen wir nur in der Praxis. Praxis heißt für uns: Schaffung militanter legaler Gruppen, Schaffung von Milizen, Schaffung von Stadtguerilla bis zur Armee des Volkes.“
Entscheidend für die Entwicklung des 2.Juni war das Zusammentreffen sehr unterschiedlicher Gruppen ohne ein einigermaßen klar umrissenes politisches Programm. Im 2.Juni bestanden anarchistische und leninistische Vorstellungen nebeneinander, wobei sich die Gemeinsamkeiten vor allem aus der Praxis ergaben. Der Schwerpunkt der Aktionen lag im Aufbau von Strukturen durch Waffen- und Geldbeschaffung. Die erbeuteten Gelder wurden dabei nicht nur für den 2.Juni verwendet. Es ging eben gerade auch um die Stärkung von Strukturen außerhalb der Gruppierung. Mit oft recht populistischen Aktionsformen hatte der 2.Juni Mitte der 70er größere Bedeutung als die RAF. Durch das Verteilen von Schoko-Küssen bei einem Banküberfall oder der Veröffentlichung eines Privatbriefs bei der Entführung des Berliner CDU-Vorsitzenden Peter Lorenz gelang es dem 2. Juni über seine unmittelbaren Aktionen hinaus Aufsehen zu erregen und Sympathien zu erlangen. Außerdem gelang der Bewegung mit der Lorenz- Entführung die einzige Gefangenenfreipressung in der Geschichte der BRD.
In der politischen Offenheit des 2.Juni war allerdings auch sein späterer Zusammenbruch angelegt. Ab 1975/76 begannen sich die Unterschiede als 2 Hauptlinien herauszukristallisieren. Während die einen, den Anschluß an die RAF und damit den zentralen Angriff auf „das Herz der Bestie“ verlangten, versuchte die andere Tendenz um Reinders den diffusen Bewegungscharakter einer sozialrevolutionären Strömung aufrecht zu erhalten.
Die Linie, die sich 1979 in die RAF auflöste, warf der zweiten, sozialrevolutionären Fraktion die Behinderung des bewaffneten Kampfs und „pervertierte Spaßguerilla“ vor. Sie schrieb im sogenannten Auflösungspapier:
„Das hat 10 Jahre lang Spaltung, Konkurrenz und Desorientierung unter den Linken und auch in der Guerilla produziert und es hat auch unseren eigenen revolutionären Prozeß behindert. So haben wir mit unseren Aktionen auf der populistischen Ebene operiert, ohne die politische Orientierung zu geben, ohne eine Mobilisierung gegen die Strategie der Schweine zu schaffen. ... Die Befreiungsaktion in Berlin 75 ist in einer politisch zugespitzten Situation gelaufen. Der Kampf der Stammheimer Genossen hatte eine nationale und internationale Mobilisierung geschaffen, die durch den großen Hungerstreik auf den Höhepunkt gebracht und von Schmidt kaum noch zu verkraften war.
Diese Situation haben wir nicht nur völlig ignoriert, sondern sie über die Auswahl der Gefangenen auch politisch gekippt. Darin und in dem Typen - aus einer Partei, die für die imperialistische Politik nur noch eine untergeordnete Bedeutung hat - lag statt Strategie das Kalkül.
In unserer propagandistischebn Arbeit zu und nach Peter Lorenz war uns der kurzfristig errungene Sieg - das konsumierbare Ritual - wichtiger, als das politisch-militärische Niveau zu erkämpfen, das die imperialistische Stategie bricht. Darin ist auch die Wurzel der pervertierten Spaßguerrilla von Reinders, Teufel etc. zu finden. Die Offensive der RAF '77 und die Reaktion des Staates hat letztlich auch uns neu vor die Frage der politischen Strategie gestellt.“
Die sozialrevolutionäre Tendenz erwiderte darauf mit sarkastischem Unterton:
„Jawohl, die Fraktion, die seit drei Jahren versucht, die Bewegung 2. Juni auf RAF- Linie zu bringen, ist zur RAF gegangen. In ihrem Übereifer haben diese Genossen gleich die Bewegung mit aufgelöst - in einem Meer von Phrasen. Eins noch vorab: da nun einmal die Wurzel der pervertierten Spassguerilla von Reinders, Teufel etc. offengelegt wurde, erklären wir: die Spassguerilla ist aufgrund der Kritik „Fighters für Leader“ und Strategie schon längst in der Auflösung aufgelöst worden. Die Spassguerilla ist aufgelöst! Jawohl, jahrelang haben wir die eigene Perversität zur tragenden Säule des Widerstandes gemacht. Schluß damit! Spaß ist pervers! Und Spaß am Kampf ist perverser Kampf. So wie sich dieses Auflösungspapier liest, hatte der HS (Hungerstreik, d.V.) beinahe den Sturz des Westzonenregimes zur Folge, der nur deshalb nicht geschah, weil der 2. Juni 2 die historischen Schweinehunde - durch die Auswahl der Gefangenen die schon fast hoffnungslose Situation für Schmidt zu dessen Gunsten politisch gekippt hat.
Der 2. Juni, der Retter der Nation und Helfer Schmidts. Und das alles kurz bevor die RAF das politische Kräfteverhältnis zu ihren Gunsten kippen konnte. ...
Ein Hauptfehler ist es, den bewaffneten Kampf zum Fetisch zu machen – kämpfen um zu kämpfen: der politische Angriff – materialisiert durch die Waffe – bleibt immer ein Sieg, selbst da, wo die Operation militärisch geschlagen wird, weil er diesen Prozeß antizipiert und einleitet.“
Auch wenn die sozialrevolutionäre Fraktion im 2.Juni noch einmal schreibt „Sozialrevolutionäre Politik - für die auch die Bewegung 2. Juni steht – läßt sich nicht auflösen wie ein kleinbürgerlicher Schrebergartenverein“ verschwindet die bewaffnete Gruppe in der Folgezeit von der Bildfläche.
VI. Autonome Gruppen
Vorneweg: den Begriff „Autonome“ zu verwenden, erscheint mir fragwürdig. In ideologisierender Absicht wird versucht, unter dem Oberbegriff alle möglichen Richtungen zusammenzufassen, die im Grunde genommen gar nicht zusammen gehören. Darüber hinaus ist er als Zuordnung zum ersten Mal vom Verfassungsschutz gebraucht und in der Öffentlichkeit verbreitet worden. Man sollte deshalb lieber von „autonomen Gruppen“ oder „autonomer Bewegung“ reden. Aber selbst in diesem Sinne halte ich die Bezeichnung nicht für besonders treffend. Weder in Anlehnung an den italienischen Autonomie-Begriff (als massenhafte Loslösung von der politischen und kulturellen Hegemonie des Kapitals) noch in der eigentlichen Bedeutung als „Unabhängigkeit“ trifft er auf die Bewegung in der BRD wirklich zu.
Die Organisationsfrage durchzieht die gesamte Geschichte der autonomen Bewegung. Sie taucht periodisch immer wieder auf. Die ersten breiteren Diskussionen begannen Ende der 70er Jahre innerhalb der Anti-AKW-Bewegung, hauptsächlich als informelle, nicht an die Öffentlichkeit getragenen Texte zur Organisierung der Anti-AKW-Kämpfe. Eine zweite Welle tritt mit dem Niedergang der Hausbesetzerinnenbewegung, d.h. nach '81/'82 ein. 1984 wurde im Rahmen der Anti-WWGMobilisierung die Frage, wie über Kampagnen und konkrete Anlässe hinaus politische Strukturen geschaffen werden könnten, genauso gestellt wie bei den Libertären Tagen in Frankfurt oder 1988 mit dem Papier „Ich sag wie es ist“ thematisiert (dem Versuch, der scheinbaren Unorganisiertheit der autonomen Bewegung eine marxistisch- leninistische Partei überzustülpen).
All diesen Organisationsversuchen lag meiner Ansicht nach eine begrenzte Sichtweise zugrunde. Organisation wurde immer als etwas äußerliches, rein formales angesehen. Es ging um Effizienzsteigerung sowohl der eigenen Diskussion als auch der daraus resultierenden Praxis, und wurde mit Schlagwörtern wie „Raus aus dem Ghetto“, „Verbindliche, überregionale Strukturen“, „Verhältnis zur Militanz“ abgehandelt. (s.a. Heinz Schenk Debatte). Die eigenen ideologischen Grundlagen, wie z.B. die (fehlende) Analyse der gesellschaftlichen Verhältnisse oder eine genauere Vorstellung von politischer Vermittlung und „Rekrutierung“ neuer Leute, dagegen wurden kaum zum Thema gemacht.
Warum die Organisationsdebatte in dem linksalternativen Spektrum, das sich selbst als „Autonome“ bezeichnet, so wenig gefruchtet hat, lag daneben vor allem an ihren Emanzipationsvorstellungen: die Befreiung wurde als Akt der individuellen Herauslösung aus der Gesellschaft gesehen. Zwar ist es richtig, daß man zur Emanzipation aus den gesellschaftlichen Normen ausbrechen muß, aber das ist nur dann ein sinnvoller Schritt, wenn man gleichzeitig begreift, daß man dabei Teil der Gesellschaft bleibt und mit den vollzogenen Brüchen immer wieder aufs Neue gesellschaftlich interveniert.
Interessanter als die Entwicklung der autonomen Gruppen wäre es wahrscheinlich sich mit den anderen in den 80er und 90er Jahren entstandenen Ansätzen wie z.B. den Erwerbslosen- (Schwarze Katze), Flüchtlings- (Koordination Rhein-Ruhr) und AntiFa- Gruppen auseinanderzusetzen, die in vieler Hinsicht die zu stellenden Fragen (von Bündnispolitik bis Öffentlichkeitsarbeit und Einbindung neuer Leute) in der Praxis zu beantworten versucht haben. Die Auseinandersetzung mit ihren Erfahrungen wird im Rahmen linker Neukonstituierung eine zentrale Rolle spielen müssen.
VII. Zum Schluß
Die heutige Situation weist gewisse Parallelen zu der Situation auf, die in dem Dutschke-Krahl-Artikel Ende der 60er Jahre beschrieben wurde. Nur daß die heute stattfindenden gesellschaftlichen Umwälzungen viel gravierender und massiver sind, als die, die Ende der 60er Jahre von statten gingen. Die heutige Situation ist gekennzeichnet durch die Herausbildung eines neuen, kapitalistischen Verwertungsgroßraumes, verbunden mit dem Absterben einzelner Nationalstaaten und der Gründung der Vereinigten Staaten von Europa, als dynamischen Kern.
Dieser Prozeß geht einher mit massiven ökonomischen Umwälzungen im westlichen Europa, verstärkter Monopolisierung, fortschreitender Verarmung großer Teile des Proletariats, sowie dem Abbau erkämpfter Sozial- und Arbeitsrechte. Dazu kommt der erzwungene Zusammenbruch des ehemaligen realen Sozialismus. Mit all seinen gravierenden Erscheinungen von Verelendung und Enttäuschung, ja Hoffnung auf den Kapitalismus.
Dem steht eine verlorene Linke gegenüber, die die Erfahrung der eigenen Niederlage erst noch verarbeiten muß. Dazu kommt das Roll-Back eines „völkischen Rassismus“, der getragen wird aus dem permanenten Erfahrungen der linken Niederlagen(siehe dazu: LUPUS „Geschichte, Rassismus und das Boot“, 1992). Dieser völkische Rassismus kommt zusammen mit den psychischen Instabilitäten bei einem Großteil der Bevölkerung und im Osten klar vollzogene ökonomische und soziale Ausgrenzungen. Für den Westen gilt sicherlich auch, daß es zu einem ökonomischen und sozialen Angriff auf bestimmte Teile der Klasse gekommen ist. Dies löst bei großen Teilen der Bevölkerung Existenzängste und Verunsicherung aus. Dies führt zum verstärkten Auftreten von psychischen Deformationen und der Aktivierung von irrationalen Abwehrmechanismen und Ängsten. In dieser diffusen Orientierungslosigkeit bricht sich der „völkische Rassismus“ eine Bahn und entlädt sich wie in Hoyerswerda, Mannheim oder Rostock.
Unter diesen Voraussetzungen stellt sich die Frage, mit welchen Mitteln und Methoden die verbleibende Linke politisch diesen Erscheinungen etwas entgegen setzen kann bzw. welcher organisatorischen Strukturen dafür die Linke bedarf.
Dabei können wir nicht wie die Lumpensammlerinnen durch die Geschichte wandeln, bei jedem Organisationsansatz die besten Versatzstücke für uns herauspicken und damit die neue Organisation zusammenwursteln. Organisationsformen müssen sich aus den jeweiligen gesellschaftlichen und materiellen Bedingungen (auch der Linken, die dieses Projekt tragen) herleiten. Zu berücksichtigen wären vor allem Punkte wie das (durch die gesellschaftliche Atomisierung) immer weniger befriedigte Bedürfnis nach sozialer Kommunikation und Solidarität, die zunehmende Verschiedenheit der Unterdrückungsverhältnisse (die sich nicht auf Klassen-, Geschlechter- und rassistische Unterdrückung beschränken), die unterschiedlichen geschichtlichen und politischen Sozialisierungen der Individuen, die oben beschriebene Internationalisierungstendenz des Kapitals und damit zusammenhängend die in absehbarer Zukunft schwieriger werdende ökonomische Versorgung.
Diese Anforderungen lassen sich nicht theoretisch, sondern nur in der Praxis einlösen, d.h. als eine sich allmählich vollziehende, oft kräftezehrende Veränderung. Dafür braucht die Linke neben der inhaltlichen Grundlage auch eine organisatorische Struktur. Dem Gefühl von Vereinsamung und psychischer Deformierung kann sie als Gruppen von 5-15 Personen allein nichts entgegensetzen. Nur in einem größeren Rahmen kann Gesellschaftlichkeit „sinnlich erlebt“ werden, und nur aus dieser Erfahrung Hoffnung auf ein anderes Leben erwachsen. In diesem Zusammenhang macht die Strukturdiskussion Sinn.