Wir werden hier nicht definieren. Uns gilt das Wort einer Sprache, benutzt und geprägt durch eine gesellschaftliche Realität, welche in sich zerrissen ist, zur Besinnung auf das Destruktive. Bleibt es dem Feind überlassen, „verliert das blindlings pragmatisierte Denken seinen aufhebenden Charakter, und darum auch die Beziehung auf Wahrheit.“ 1

1

Die in der Wissenschaft unendlichen Versuche einer einheitlichen und funktionalen Definition des Begriffes, zeugen vom Bemühen, die destruktive Seite zu verdecken und ihn durch ein Neutrum zu ersetzen.

Der Begriff der Kultur war niemals ge­setzt als Opposition. Verkündend den Stolz des privilegierten Geistes, der im wahrhaften Werk von Kunst und Philosophie die Freiheit vorwegnahm kraft seiner Autonomie gegenüber allem irdischen Übel, schmarotzte er doch am immerwährenden Elend der unter­drückten und ausgebeuteten Massen, derer er bedarf. So entkam er nicht der Antinomie.

Die Setzung des neutralen Begriffs als genaueste Bezeichnung des Realen verdrängt den kritischen Gehalt und das schlechte Gewissen, welches in der Sprache der Alten in der Kluft zwischen Wirklichkeit und Begriff sich noch verriet. Zur Deckung gebracht, verschwindet in der Identität der letzte Rest von Wahrheit, „der ganze Anspruch der Erkenntnis wird preisgegeben. Er besteht nicht im bloßen Wahrnehmen, Klassifizieren und Berechnen, sondern gerade in der bestimmenden Negation des je Unmittelbaren.“2

Der Sinn dieses Aufsatzes liegt im Herantasten an die Problematik, die der Begriff der Kultur für die dialektische Theorie enthält. Die Darstellung der Texte kann die Arbeit mit und an ihnen nicht ersetzen, zumal als Steinbruch benutzt und geplündert, ihre Verkürzung, auch Verflachung sicher ist. Das lesen der Auf­sätze selbst, und das sind insbesondere Walter Benjamins „Thesen zur Ge­schichte“, Herbert Marcuses Aufsätze „Über den affirmativen Charakter der Kultur“ und „Bemerkungen zu einer Neubestimmung der Kultur“ und der Adornos „Kulturkritik und Gesellschaft“ und die, zusammen mit Horkheimer geschriebene „Dialektik der Aufklärung“, wird lohnend sein. Vielleicht kann dieser Text dazu anregen, zumal die Aus­einandersetzung mit dem Stoff in seiner Problematik der einfachen Negation und Denkstruktur sich widersetzend, zur Beunruhigung des beruhigten links­radikalen Geistes werden kann. Eine Dialektik, welche nicht damit rechnet, an jedem Punkt einer erreichten Identität und Erkenntnis zugleich an einem des Zusammenbruchs, der Verzweiflung und des Chaos zu sein, verdient nicht diesen Namen.

2

„Ist der Begriff der Kultur für den historischen Materialisten ein problematischer, so ist ihr der Zerfall in Güter, die der Menschheit ein Objekt des Besitzes würden, ihm eine unnachvollziehbare Vorstellung. Das Werk der Vergangenheit ist ihm nicht abgeschlos­sen. Keiner Epoche sieht er es dinghaft, handlich in den Schoß fallen, und an keinem Teil. Als ein Inbegriff von Gebilden, die unabhängig, wenn nicht von dem Produktionsprozeß, so doch von dein, welchen sie überdauern, betrachtet werden, trägt der Begriff der Kultur einen fetischistischen Zug. Sie erscheint verdinglicht.3

3

Norbert Elias schreibt im ersten Kapitel seines Buches „Über den Prozeß der Zivilisation“4 über die Soziogenese der Begriffe der „Zivilisation“ und der „Kultur“. Nach ihm ist der spezifische Begriff, der das nationale Selbst­bewußtsein der Deutschen zum Ausdruck brachte (u. immer noch/wieder mal bringt), der der „Kultur“. Ökonomische, politische und gesellschaftliche Fakten, die im deutschen Sprachgebrauch als „Zivilisation“ bezeichnet werden, und eben nur als bloße Oberfläche menschlichen Daseins galten, gehen in diesen nicht mit ein. Ist im französischen und englischen Sprachgebrauch „Zivilisation“ die Einheit aller Faktoren, menschlichen Haltungen und Leistungen, die das Selbstbewußtsein ergeben, wird im deutschen Sprachgebrauch zwischen religiösen, künstlerischen und geistigen Fakten und denen der unmittelbaren Daseinsweise, dem Reich der Notwendig­keit zugehörigen, scharf unterschieden. „Kulturell“ ist nicht, was an sich existiert, sondern, was ein bestimmtes Produkt an Wert und Charakter, nach Anstrengung aufzeigen kann. Akzentuiert der Zivilisationsbegriff mehr, was allen Menschen gemeinsam ist, bzw. werden soll, hat der Kulturbegriff die Tendenz zur Abgrenzung, zur besonderen Hervorheb­ung der besonderen Eigenart der Gemeinschaft im Unterschied zu anderen. Wie die Trennung von „Natur“ und „Kultur“ in der Gegenüberstellung von Naturmensch und Kulturmensch ihren eurozentrischen Niederschlag fand, so wurde die Unterscheidung von „Kultur“ und „Zivilisation“ als einmal geistiger und andererseits materieller Umgestaltung insbesondere in Deutschland zum spätbürgerlichen Selbstbild „kultureller“ Höherwertigkeit.

Elias spricht von einer Fixierung des Kulturbegriffs auf Statisches, Gewordenes, auf die Produktion eines autonomen Geistes, die in Deutschland über die „Kulturnation“ der Kompensation einer nicht existenten „Staatsnation“ dienen sollte.

„Mit dem langsamen Aufstieg des deutschen Bürgertums aus einer zweitrangigen Schicht zum Träger des deutschen Nationalbewußtseins und schließlich - sehr spät und bedingt - zur herrschenden Schicht, aus einer Schicht, die sich zunächst vorwiegend in der Abhebung gegen die höfisch-aristo­kratische Oberschicht, dann vorwiegend in der Abgrenzung gegen konkurrierende Nationen sehen oder legitimieren mußte, ändert auch die Antithese „Kultur“ und „Zivilisation“ mit dem ganzen Bedeutungsgehalt, der dazugehört, ihren Sinn und ihre Funktion: Aus einer vorwiegend sozialen wird eine vorwiegend nationale Antithese.“5

Freilich übersieht hier Elias die viel tiefer liegende Wurzel der Dichotomie „Kultur“ und „Gesellschaft“, später „Zivilisation“ als eine soziale: daß die Erkenntnis des Guten, Wahren und Schönen einen Bezug zur Praxis hat, war Kernbestand der antiken Philosophie. Bei Platon ist der wahre Philosoph zugleich der wahre Staatsmann. Der Wechsel zum Verzicht auf den Eingriff war historisch erzwungen. Indem die geistige Tätigkeit sich jeder Verantwortung, gegen die schlechte Wirklichkeit zu kämpfen und in sie verbessernd einzugreifen, entledigt, ist dies vielleicht realistisch. Doch damit werden die antagonistischen Wider­sprüche ontologisiert, als unabänder­liche, weil dem Prinzip der Bewegung gehorchend, unabhängig von mensch­licher Erkenntnis und Praxis, gesetzt. Die geistige Beschäftigung mit den Ideen und Werten, als purer Selbstzweck, ist als Reich der Freiheit über das der Notwendigkeit erhoben, Muße, Luxus und Beruf einer privilegierten Schicht.

„Die Trennung des Zweckmäßigen und Notwendigen vom Schönen und vom Genuß ist der Anfang einer Entwicklung, welche das Feld freigibt für den Materialismus der bürgerlichen Praxis einerseits und für den die Stillegung des Glücks und des Geistes in einem Reservatbereich der 'Kultur' andererseits.“ 6

4

„Die Sublimierung der ‚repressiven Kräfte, welche die Widersprüche in eins bindet, Eifüllung und Entsagung, Freiheit und Unterwerfung' und zwar unerbittlich, ist eben in der Verachtung die Achtung des Verneinten.“

„Daß die geistige Kultur also die materielle Kultur verachtete, ist einerseits Indiz für die Verächtlichkeit dieser Realität, wie der Achtung, die das Individuum dieser Wirklichkeit, deren Teil es ist, entgegenzubringen hat - wie der Achtung, die das Individuum gegen sich selbst aufbringt. Die Ambivalenz der Sache stört die Systeme nicht derart, daß sie nicht können nebeneinander existieren, wohl aber, daß das eine in Rücksichten, besser zu sagen vielleicht Rückkopplung, auf das andere existiert. Dieses Nebeneinander existieren können, ist die Chance für Marcuses mit der gegebenen Wirklichkeit versöhnt werden zu können.“7

Nach Marcuse8 ist der bürgerliche Kulturbegriff erst dann ausgebildet, wenn, (im Gegensatz zu Aristoteles) das Gute, Wahre und Schöne als allgemeinverpflichtende Werte behauptet sind, die von „oben her“ auch den Bereich des Notwendigen, den Kampf ums alltägliche Dasein durchdringen und verklären sollen. An die Stelle des Privilegs der geistigen Auseinandersetzung für nur bestimmte gesellschaftliche Schichten tritt die These von der Allgemeinheit und der Allgemeingültigkeit der „Kultur“.

Die freie Konkurrenz, die die abstrakte, d. h. formale Gleichheit der Menschen fordert und schafft, verlangt auch eine „kulturelle“ Praxis, die nicht nur den Umgang mit ideellen Gütern allen Individuen erlaubt, sondern jedes, un­abhängig von Klasse oder Geschlecht, den nun „allgemeingültigen“ Werten verpflichtet, sie in ihr Leben aufzuneh­men.

Die geistig-seelische Welt als ein selbständiges Wertreich von der materiellen abgehoben, behauptet sich für jeden als eine unbedingt zu bejahende, wertvollere Welt, in welcher sich das Individuum, weil eben wesentlich verschieden von der tatsächlichen Welt des alltäglichen Da­seinskampfes, emanzipieren und verwirk­lichen kann. Die bürgerliche Befreiung der Individuen bedeutet also die Ermöglichung eines neuen Glücks.

Aber die abstrakte Gleichheit der Individuen in der kapitalistischen Produktion und Reproduktion realisiert sich als konkrete Ungleichheit. Der Widerspruch, der sich ergibt einerseits aus dem universalen Charakter der Forderung nach Gleichheit für alle Menschen und andererseits aus dem Stehenbleiben bei der abstrakten Gleichheit als notwendige Bedingung der Herrschaft, verschafft sich seine Bewegungsform durch die „affirmative Kultur.“

„Die Kultur soll die Sorge für den Glücksanspruch der Individuen übernehmen. Aber die gesellschaftlichen Antagonismen, die ihr zugrundeliegen, lassen den Anspruch nur als verinnerlichten und rationalisierten in die Kultur eingehen.“9

„So wird aus der Forderung ein Postulat, aus dem Gegenstand eine Idee. Die Bestimmung des Menschen, dem die allgemeine Erfüllung in der materiellen Welt versagt ist, wird als Ideal hypostasiert.“10

Die Realisierung des Ideals betrifft nicht die Veränderung der Wirklichkeit, son­dern ein Geschehen in der Seele. Freiheit der Seele entschuldigt die Unterwerfung und Knechtschaft des Leibes. Trotz aller Hemmnisse kann die Seele sich entfalten. Nicht einbezogen in den Arbeitsprozeß und frei von jeder Verdinglichung, wird sie als Sphäre individueller Verwirklich­ung und Befriedung gehütet.

Mit der Idee der Seele, die „die nicht­leiblichen Vermögen, Tätigkeiten und Eigenschaften des Menschen zu einer unteilbaren Einheit zusammenfaßt, - eine Einheit, welche sich in allem Verhalten des Individuums manifest durchhält und erst seine Individualität konstituiert“11, protestiert die affirmative Kultur gegen den kapitalistischen Verwertungsprozeß und macht ein beglücktes Dasein innerhalb der schlechten Wirklichkeit möglich. Die Seele hält dem leiblichen Elend ihre Schönheit, der Prostitution des Geistes mit der Macht ihre Reinheit, der geistigen Verurteilung des Bestehenden ihr Verständnis und Einfühlung des Bestehenden entgegen. Das seelisch- beglückte Dasein ist von Anfang an mit der Bindung der Sinnlichkeit an die Seele erkauft. „Freigabe der Sinnlichkeit wäre Freigabe des Genusses.“ (13) Aber die bürgerliche Gesellschaft läßt die reale Möglichkeit zur Befriedigung sinnlicher Bedürfnisse nicht zu und ist im Gegenteil zur Disziplinierung unbefriedigter Massen gezwungen. „Es wird eine der entscheidenden Aufgaben der kulturellen Erziehung, den Genuß zu verinnerlichen durch Beseelung. In dem die Sinnlichkeit in das seelische Geschehen hineinge­nommen wird, soll sie gezügelt und verklärt werden. Aus der Verkoppelung von Sinnlichkeit und Seele erwächst die bürgerliche Idee von Liebe.“12

Als eigentliches Bewährungsfeld der Seele soll die Liebe Festung gegen alle Unbeständigkeit und Not, „die indivi­duelle Überwindung der monadischen Isolierung“ sein. Ihr Verlangen nach Ausschließlichkeit, Treue als notwendiger Garant für ihr Bestehen, verpflichtet von der Seele her auch die Sinnlichkeit. „Aber die Beseelung der Sinnlichkeit mutet dieser etwas zu, was sie nicht leisten kann, sie soll dem Wechsel und der Veränderung entzogen und in die Einheit und Unteilbarkeit der Person hineingenommen werden. An diesem einen Punkt soll eine prästabilierte Harmonie zwischen Innerlichkeit und Äußerlichkeit, Möglichkeit und Wirklichkeit bestehen, welche gerade durch das anarchische Prinzip der Gesellschaft überall zerstört ist. Dieser Widerspruch macht die ausschließende Treue unwahr und verkümmert die Sinnlichkeit, welche in der verstohlenen Gemeinheit des Spießbürgers einen Ausweg findet“.13

Ist im bürgerlichen Alltag die Liebe zur bloßen Pflicht und Gewohnheit verkom­men, wird sie in der Kunst erhöht. Weniger als die Philosophie und die Religion ist die Kunst zu einer Antwort auf die aktuellen gesellschaftlichen Widersprüche verpflichtet und gestaltend nach den Gesetzen der Schönheit kann sie eine Welt der Harmonie und des Glücks, entgegen aller Resignation und Hoffnungslosigkeit, malen. Sie spendet Trost, beruhigt und befriedet in dieser Welt und vermittelt zugleich eine höhere Wahrheit, in dem sie als Ausdruck von Schmerz und Sehnsucht die Welt negiert. Hatten die Ideen des aufstrebenden Bürgertums einen progressiven und über das Erreichte auf Mögliches hinaus­weisenden Charakter, „so treten sie im steigendem Maße mit der sich stabili­sierenden Herrschaft des Bürgertums in den Dienst der Niederhaltung un­zufriedener Massen und der bloßen rechtfertigenden Selbsterhebung: sie verdecken die leibliche und psychische Verkümmerung des Individuums.“14

Das Individuum kann sich erheben, ohne die tatsächliche Erniedrigung zu beseitigen. Die in der bürgerlichen Ge­sellschaft befreiten Individuen haben ihre Sehnsucht nach Menschlichkeit, Ge­rechtigkeit und Solidarität mit dem affirmativen Vorzeichen versehen.

„Seelische Bildung und seelische Größe einigt Ungleichheit und Unfreiheit der alltäglichen Konkurrenz im Reich der' Kultur, darin die Individuen als gleiche und freie Wesen eingehen.“ Die glücklose Vergänglichkeit des schlechten Daseins aufzulösen vor der Notwendigkeit des Glücks, war eine der entscheidensten gesellschaftlichen Aufgaben der affirmativen Kultur. In dem sie das, freilich scheinbar nur, konnte, war sie „die gesellschaftliche Form, in der die über der materiellen Reproduktion des Daseins hinausgehenden Bedürfnisse der Menschen aufbewahrt blieben.“15

5

„Die glückliche Ehe zwischen dem menschlichen Verstand und der Natur der Dinge, die er im Sinne hat, ist patriarchal: der Verstand, der den Aberglauben besiegt, soll über die entzauberte Natur gebieten. Das wissen, das Macht ist, kennt keine Schranken, weder in der Ver­sklavung der Kreatur noch in der Willfährigkeit gegen die Herren der Welt.“ „Technik ist das Wesen dieses Wissens. Es zielt nicht auf Begriffe und Bilder, nicht auf das Glück der Einsicht, sondern auf Methode, Ausnutzung der Arbeit anderer, Kapital.“16

Greifen wir Beispiele des innerhalb des Zivilisationsprozesses geschaffenen Kapitals, die außerhalb der Fabrik und ihrer Rationalisierung liegen: Urbanisie­rung17 als Teil und Motor des „Zivilisationsprozesses“, in der eine soziale Konfiguration von Menschen etabliert und so „modernisierte“ Verhal­tensstandards, Persönlichkeitsstrukturen und Mentalitäten, z.T. gegen Widerstände durchgesetzt wurden, ist Teil der Tendenz zur totalen Verdinglichung des Alltags. In der Hygienepolitik ging es darum, die insgesamt von den wuchernden Unterschichten ausgehende politische Bedrohung durch gezielte Maßnahmen zu deren „Hebung“ zu entschärfen und zugleich ein gesundes und leistungs­fähiges Arbeitskräftepotential zu schaffen. Im Prozeß der inneren Staatsbildung setzte der aufklärerische Impetus zur Optimierung der Gesellschaft durch Verwissenschaftlichung, Armenfürsorge und Gesundheitspolitik mit der Reinigung und Ordnung des öffentlichen Raumes ein.18

Hygienisierung bewirkt nicht nur die Durchsetzung neuer Normen und Standards (zuerst in Institutionen mit städtisch-öffentlichen Zugriff wie Militär, Hospiz und Knast, dann auch im privaten Bereich), sondern bedeutungsvolle gesellschaftliche Wandlungsprozesse:

  • Absonderung der Individuen in der Öffentlichkeit und privaten Leben (Menschenansammlungen, seperate Schlafzimmer), Individualisierung;
  • Schichtenspezifische Segretierung (städtisches Proletariat, unterbäuerliche Schichten);
  • die Betonung geschlechtsspezifischer Andersartigkeit; Frau trug Verantwortung für die Reinlichkeit der Privatsphäre (Hausfrauisierung), Überhöhung körper­licher Reinlichkeit als Wahrzeichen allgemeiner Sittlichkeit und bürgerlicher Normerfüllung ( sauberer, geruchsloser Männerkörper als Indiz für Leistungs­stärke; sauberer, duftender Frauenkörper als erotisches Versprechen). Verhäuslichung als ein Gestaltungprin­zip, das darauf basiert, soziale Handlung mit Hilfe dauerhafter Befestigungen voneinander zu isolieren, grenzt auf qualitativ neuartige Weise Handlung­sräume der Menschen ein.

„Sie eignet sich - neben anderen „Sozialtechnologien“ - vorzüglich, um gesellschaftliches Handeln langfristig, zielgerichtet, plan - und präzise wiederholbar, somit über Zeiten und beteiligte Personen hinweg berechenbar zu gestalten. Durch Verhäuslichung lassen sich Handlungs-Sequenzen jedoch auch wirkungsvoll hierarchisieren, sozial kontrollieren oder mit unterschiedlichen materiellen Ressourcen ausstatten.“ 19

Sie steigert die Effizienz ökonomisch produktiver Handlungskontexte und trägt zur Optimierung reproduktiven, konsumtiven Handelns bei, begünstigt den Prozeß der Individualisierung, entfaltet personenorientierte Bedürfnisse, Handlungsziele und Lebensstile, die den dann angebotenen Formen verfügbar werden.

Die Wandlungsprozesse auf gesamtge­sellschaftlicher Ebene, die Staatsbildung (Zentralisierung) muß einhergehen mit einem Wandel von Verhalten und Normen auf individueller Ebene. Also einerseits führen Sozialkontrolle, durchge­setzte Normen und Vorschriften auf individueller Ebene zur Regulierung des Affekthaushalts und zur Veränderung der Triebstruktur und andererseits entstehen durch die Herausbildung einer diffe­renzierten Selbstkontrolle staatliche Organe mit alleinigem Gewaltmonopol.. Die unberechenbare, rohe körperliche Gewalt ist freilich höchstens zwischen Männern (im Gegensatz der gegenüber Frauen, Kindern, Alten) tendenziell verschwunden, sozial geächtet. Und im öffentlichen Raum verhindert als un­mittelbare, impulsive Äußerung wird dieser Tatbestand für Kapitalinteressen funktionalisierbar und somit Teil eines, für das Funktionieren des Leistungs­prinzips unverzichtbaren Regimes über die Triebstruktur seiner Individuen ( siehe: Marcuse „Triebstruktur und Gesellschaft“). Kann über den Pro­duktionsprozeß die Sublimierung unterdrückter sexueller Libido nicht mehr gewährleistet werden, muß in dem Maße ein System kompensatorischer Mechanis­men in Kraft treten (von der Sport­veranstaltung bis zur erlaubten Verge­waltigung der Ehefrau).

„Zu revolutionieren die Produktivkräfte in universaler Weise innerhalb der bornierten Verhältnisse, ist die Funktion der auf dem Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit basierenden Formation der Gesellschaft.20

Produktivkräfte, hier gefaßt nicht nur die Produktionsmittel, -gegenstände, Natur, Technik, Mensch mit einer not­wendigen Persönlichkeitsstruktur, die Arbeit zu ertragen, sondern auch all die Verhältnisse (soziale, ideologische), die notwendig zur Aufrechterhaltung der Klassengesellschaft sich erweisen. Die Frage nach den Reproduktions- und Produktionsverhältnissen, den notwen­digen Bedingungen, also wodurch Arbeit zur Lohnarbeit/Gratisarbeit/wertschaf­fender, der fremden Aneignung zufallender Arbeit, werden kann. Ist dieses Revolutionieren der Produktiv­kräfte in universaler Weise zusammenzu­bringen mit dem, was als Prozeß der Zivilisierung oder Modernisierung bezeichnet wird? Es handelt sich um die Schaffung neuer Verwertungsbeding­ungen innerhalb eines hegemonialen Verhältnisses, notwendig für's Kapital seinen Fraß zu sichern, ökonomischen Wert. Er läßt sich schöpfen nur da, wo, indem was vorher als Nicht-Wert existierte, Gebrauchswert erhält.

Zivilisierung/Modernisierung erscheint dann als Projekt der „Vergesellschaftung“, mit Hartmann zu sprechen als Kampfprojekt des Kapitals der technischen Formalisierung und sozialen Organisation, sprich sozialen Zerstörung des Alltags und der kollektiven Formen, als Zurichtung zum Gebrauchswert, im Faschismus seine optimierteste Gestalt erreichend. „Es ist die Bilanz von realen hunderten Millionen Hungertoten der drei Kontinente und sozialen Zerstörungen nie gekannten Ausmaßes, aus der die Werte in das Wachstum der metropolitanen Gewaltoffensive eingespeist wurden, die sich in der Hochrüstung der sozialen Fabrikisierung materialisierte.“21

6

Marcuse schreibt 1935 in Paris angesichts der faschistischen Herrschaft:

„Die kulturelle Vereinzelung der Individuen zu in sich geschlossenen Persönlichkeiten entspricht immerhin noch einer liberalen Methode der Disziplinierung, die über einen bestimmten Bereich privaten Lebens keine Herrschaft erfordert.“22 Mit der „totalen Mobilmachung“ nötig gewordene Unterwerfung der Individuen als Ganze durch den totalitären Staat, werden die „um die Idee der Persönlichkeit zentrierten, fortschrittlichen Momente der Kultur“ negiert. „Die Selbstaufhebung der affirmativen Kultur beginnt“. Die abstrakte innere Allgemeinheit in Erscheinung eines hoch über den gesellschaftlichen Widersprüchen liegendes Reich der kulturellen Solidarität, wird ersetzt durch eine ebenso abstrakte, äußere Gemeinschaft: eine falsche Kollektivität definiert über Rasse, Volkstum, Blut und Boden. Idealistische Verinnerlichung und heroische Veräußerlichung haben die selbe Funktion: „Entsagung und Einordnung in das Bestehende, erträglich gemacht durch den realen Schein der Befriedigung.“ Die idealistische, affirmative Kultur war als Interessenvertreterin für alle Individuen, deren Existenz an die Erhaltung jener Ordnung gebunden war, in die die Kultur selbst verflochten und als Instrument realer Herrschaft diese legitimierte und stützte, geeignet zu einer Konditio­nierung, die die „befreiten Individuen“ freiwillig in einer „Solidargemeinschaft“ des autoritären Staates organisierte. Schwäche und Irrationalismus in Kritik und Protest der bürgerlichen Kultur gegen ihre neue Gestalt (national­sozialistische) rührt her von dieser Verflochtenheit. Im dumpfen Aufbe­gehren der Bestien gegen die „Kultur“, die sie ausschließt, verfällt der Faschist doch dem Glauben an Kultur als solcher: Kultur als Ornament von Herrschaft, als organisierte Freizeitgestaltung, Natur­romantik und Sonntagsglück. War dem Nationalsozialismus der Kulturbetrieb die letzte Oase bürgerlicher Sicherheit und Ausflucht, mit der man sich der politischen Entscheidung entziehen kann (Jünger), die Beschäftigung mit den

„Idealen einer objektiven Wissenschaft und einer Kunst, die um ihrer selbst willen besteht“ bloße Verschwendung, hat die Kultur sich nun im Dienst der stärksten ökonomischen Interesen neu zu bestimmen. Kultur in Gestalt des Utilitarismus in dem materiellem Lebensprozeß zurückgenommen, heißt Bereicherung, Verschönerung und Sicherung des Staates gesellschaftlich funktional im Interesse der ökonomisch mächtigsten Gruppen, Ästhetisierung der Politik. „So ist dieser Abbau der Kultur ein Ausdruck der höchsten Tendenzen, welche der affirmativen Kultur schon seit langem zugrunde liegen.“23

7

Heute ist der Kulturbegriff, der aufging in den Vorstellungen des Bildungs­bürgertums, tendenziell als altmodisch und elitär abgewiesen. Denn heutige Konsumentenkultur prahlt, kein Luxus und Snobismus zu sein und Bestand hat nur, was eindeutig seinen Zweck erfüllt. Die „Alternativkultur“, aber auch schon das Gerede von den „Subkulturen“, waren die ersten deutlichen Anzeichen der politisch-ideologischen Reaktion auf die antiimperialistische Revolte von '68, in der, nach Auflösung ihrer gesamtgesell­schaftlichen Vision die Unterscheidung der Menschen nach Reichtum, Macht und Handeln durch die Unterscheidung von verschiedenen „Kulturen“, die Diskussion über politische Inhalte durch die Über Lebensstile, die politische Solidarität durch „Gemeinschafterlebnisse“ ersetzt wurden. Unterschiedliche Konsum­gewohnheiten werden zu unterschied­lichen „Kulturen“. Über den mit viel Gezeter beklagtem Auseinanderfall der Nation in eine „etablierte“ und eine „alternative“ Kultur einerseits und über den von den Modeindustrien angeheizten und verwerteten „kulturellen Voyeurismus“ gegenüber den exotisierten „Anderen“, den fremden „Kulturen“ andererseits, konstuiert sich negativ ein neuer, alter Nationalismus, definiert über „Kultur“.

Das durch die nukleare Aufrüstung aufkommende Gefühl der Bedrohung durch die Supermächte und das Interesse an fremder „Kultur“ und Folklore (freilich nicht am Menschen), waren entschei­dende Momente einer Konditionierung im Sinne einer „falschen „Kollektivität.

Diese ideologische Formierung über den Begriff der „Kultur“, welche innerhalb einer Klassengesellschaft stattfindet, in der reale Machtzentren mit Definitions­macht im Sinne bestimmter Interessen sich durchsetzen, hat Bedingungen, die unter folgenden Punkten zusammengefaßt werden könnten:

  • die nach dem Faschismus bisher weitestgehend unmögliche Benutzung der Kategorien „Rasse“, „Heimat“;
  • die Ablehnung der bisherigen Definition der „Kultur“ als eine im wesentlichen die geistigen und künstlerischen Werke und deren Beschäftigung mit ihnen, betreffende;
  • der damit verbundene Übergang von einem wertenden zu einem wertfreien Begriff, begünstigt durch den aus der Wissenschaft kommenden Begriff der „Alltagskultur“ ‚der verwässert in die Alltagssprache eingeht, damit aber auch den transzendenten Gehalt, der bisher in diesen Begriff eingeschlossen war, beseitigt;
  • die durch die Entlehrung der bisherigen inhaltlichen Bestimmung preisgegebene Willkür an Maßstäben subjektiver Interessen - Klassifizierungs­fähigkeit; - Beibehaltung des Nimbus; - die Eignung der Kategorie, mit ihr bestimmte Sachverhalte zu ontologisieren,
  • die Eignung zum Gleichsetzen mit der Kategorie „Natur“. Insofern die gesell­schaftlichen und ideologischen Verhält­nisse in der DDR gänzlich verschiedene zu denen der BRD und die Ausbreitung der Warenform zurückgedrängt war, mußte die Kultur, Kulturpolitik und -kritik andere Inhalte und Formen annehmen. Sich der Widersprüchlichkeit der „realsozialistischen“ Verhältnisse zu stellen, wäre das Thema einer gesonderten Arbeit.

„Nationale Kultur“ wird als ein System gedacht, was die Unterscheidung von „anderen“, „fremden“ und „kulturellen“ Teilsystemen ermöglicht und grund­sätzlich erlaubt, je nach ideologischer Denkfigur, diese, als vorhanden gesetzte, entweder in kolonialer Manier in ihrem Anderssein zu negieren und (z.B. nach mißglückter Assimilation) abzuwerten, oder aber differentialistisch in absoluter Affirmation der „kulturellen“ Eigenarten der dazugehörigen reinen Identitäten diese vor der Gefahr der Vermischung zu bewahren. Das diesen Rassismen24 zugrundeliegende Konstrukt der „Kultur“, dient wie das der „Rasse“ gleichermaßen zur ideologischen Legitimation und Durchsetzung von Herrschaft und Macht. Beide „kulturellen“ Rassismen existieren heute nebeneinander, wobei als insti­tutionalisierte der Rassismus der „Hetero­phobie“ gegen den „inneren“ Feind (Gewaltäter, Fixer, Homosexuelle, hier lebende Ausländer) und der Rassismus der „Mixophobie“ gegen den äußeren Feind (Ausländer,Asylanten) als Tendenzen (mit einiger Vorsicht) ausgemacht werden können.

Der von den organisierten Horden schnell identifizierte und gegeißelte „Rechtsextremist“, der Aufschrei über „Ausländerfeindlichkeit“ und Gewalt, gefeiert in den Medien und Parteien, welche das neue Asylgesetz durchsetzten, spricht bei gleichzeitiger Anerkennung dieser Asylgesetze die Sprache eines, im bürgerlichen Individuum tiefverwurzelten Rassismus, der sich durch die ver­innerlichten Werte der Gewaltfreiheit und Demokratie in dieser Form als „Kulturalismus“ äußert.

In der bürgerlichen Wissenschaft erscheint parallel zum Zivilisationsprozeß die Kulturentwicklung in dem Maße vorangeschritten, wie die Ersetzung von direkter Gewalt (als Tatsache gesetzt!) durch Recht, Gesetz, Norm einen argumentativen und regulierenden Interessenausgleich ermöglicht.

Diese Sicht auf Kultur als Arena des friedlichen Wettbewerbs um Normen, Wahrheit, objektive Bedeutung und subjektive Wahrhaftigkeit, für jeden die Möglichkeit enthaltend, seine Sicht als Legitime zu erkämpfen, hat zur Vorraussetzung, die parlamentarische Demokratie, die Verinnerlichung der liberalistischen Ideale der Humanität, Individualität, Meinungsfreiheit etc.

Kultur definiert sich inzwischen als ein Komplex von spezifischen Glaubens­anschauungen, Errungenschaften und Traditionen, wobei „Errungenschaften“ wie Zerstörung und Verbrechen, „Traditionen“ wie Grausamkeit und Fanatismus ausgeschlossen sind.

„Kulturwerte“ wie Zunahme von persönlicher und öffentliche Freiheit (gemeint bürgerliche), Verringerung von Ungleichheit (gemeint formale), leis­tungsfähige und vernünftige Verwaltung (weniger Bürokratismus), als auf Kosten anderer durchgesetzte, die Gesellschaft erhaltende entlarvt und negiert, wird in „kulturistischer“ und -kritischer Verblendung empört abgewiesen und verdammt.

„Kultur“ im Hinblick auf die erklärten Ziele der abendländischen „Zivilisation“ als ein Prozess der Humanisierung verstanden, muß Grausamkeit und Gewalt ausschließen, um diese Definition zu ermöglichen. Sie begrenzt ihre „Verbindlichkeit“ auf ein spezifisches Universum (von religiösen, nationalen, kulturellen Identitäten), welches innerhalb und außerhalb Feinde und Räume definiert, für die die „kulturellen“ Ziele nicht gelten, „Kultur“ suspendiert oder verboten wird. Diese Elemente und Kräfte jedoch sind nicht einfach nur Bestandteil der „Kultur“, in der nur vermittels der Ausübung von Gewalt die erklärten Ziele erreichbar sind (z. B. Gewalt gegenüber Frauen, Koloni­sierung), sondern also notwendige Bedingung. Die tendenzielle Gleichsetz­ung des Begriffs „Kultur“ und dem der „Natur“, welche Kulturen als unveränderliche denkt und zu Natureigenschaften der Menschen werden läßt, ermöglicht einerseits den Rassismus, der auf der Angst vor Vermischung und Verfall der „organisch gewachsenen“ „kulturellen Identitäten“ basiert, andererseits den „kulturellen Feminis­mus“, welcher eine „Kultur“ der Frau gegen eine der Männer setzt und die Eigenschaften und Verhaltensweisen der Frauen biologistisch erhöht.

Zum anderen wird seit langem vor allem durch den „Schwarzen Feminisnus“ zu recht kritisiert, der weiße Feminismus in Europa habe stur, in kolonialer Manier, kulturelle Unterschiede geleugnet, indem er:

  • die soziale Konstruktion des Begriffes der Frau verallgemeinert und von Kategorien wie Klasse und ethnische Zugehörigkeit isoliert und damit spezifische Formen der Unterdrückung in konkreten kulturellen und historischen Zusammenhängen ausgelöscht;
  • die Frauen unzulässig vergleicht, was in solchen Aussagen „Frauen sind die Neger der Welt“ oder die sexuelle Gewaltstruktur sei überall, womit die Frauen ihr in gleicher Weise - nur graduell verschieden - unterworfen sind, zum Ausdruck kommt;
  • die Unterdrückung einfach addiert und durch diese Quantifizierung die quali­tative Aussage einer wirklich anderen Unterdrückung (nicht zusätzlichen) verunmöglicht.

Die Leugnung unterschiedlicher his­torischer und gesellschaftlicher Bedingun­gen von Konditionierung und Unterdrückung der Menschen führt zu Rassismus. Es kommt darauf an, einen Mittelweg zwischen „extremen Ethnozentrismus“ und „radikalem Kulturrelativismus“(Meulenbelt) zu finden.

Die Fortsetzung wird die heutige Kultur und Gesellschaft, die Stellung zu Ideologie, Kulturgeschichte und -kritik der Kritischen Theorie und dabei insbesondere die Texte von Marcuse „Bemerkungen zu einer Neubestimmung der Kultur“, von Benjamin „Eduard Fuchs. Sammler und Historiker“, von Adorno „Kulturkritik und Gesellschaft“ und die zusammen mit Horkheimer geschriebene „Dialektik der Aufklärung“ behandeln.

Fremdwörtererklärung

Antinomie: Widersprüchlichkeit zweier, für sich genommen logisch begründeter Gegebenheiten oder logischer Gesetze, affirmativ: bejahend, zusichernd, Dichotomie: Zerlegung in zwei gleiche Teile, Ontologie: idealistische Lehre vom Seienden ontologisieren: bestimmende Sachveralte als unveränderliche, ahistorische, von Natur aus gegebene setzen, hypostasieren: vergegen­ständlichen, verdinglichen, personifizieren, monadisch: : einheitlich, Utilitarismus: individualistische Nützlichkeitslehre, -standpunkt, -streben; bürgerlich-kapitalistische Denkrichtung, bes.im 19.18. in England, Nimbus: Ruf, Ansehen, Glanz, der eine Person umgibt.