Columbo ist Inspektor in T.A., warum nicht mehr, weiß der Autor. Das Publikum weiß immer mehr als der Inspektor: es sieht den Mord und den Mörder lange bevor die Jagd beginnt. Der Zustand hält nicht lange an. Meist lernt der Inspektor schneller als große Teile des Publikums. Was fehlt, sind die Beweise. Er wird sie bekommen. Man kann die Uhr danach stellen. Der befreiende Seufzer entfährt der Brust zwischen 21:40 und 21:45. Nächstes Mal wird man besser sein. Besser als der Inspektor nie. Nach der Beschreibung kommt das Denken. Das kann Folgen haben:

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Ein Volk braucht Helden. Besonders in wenig heroischen Zeiten, wie die auf uns gekommenen es sind. Wie Helden gemacht sind, weiß man. Es gibt Fabriken dafür. Die Betreiber großer Industrien leben von Helden, und das sehr gut, wie bekannt ist. Zum Beispiel von Fernsehhelden. Auch diese lindern den Schmerz. Denn schwer drückt die Masse die Schmach alltäglich erfahrener Minderwertigkeit. Ob die lindernde Wirkung eines vergötterten Rächers nachklingt, auch über seine Anwesenheit im Empfangsraum hinaus, ist nicht sicher, eingedenk des entfesselten Geb3hrens der Programmkonsumenten.

Die regelmäßige Wiederkehr zur dienstagabendlichen Hauptsendezeit scheint daher wesentlich, die den Programmzeitschriften entnehmbaren Einschaltquoten zeugen gelegentlich von Erinnerungsspuren, ungelöscht diese selbst nach sieben harten Abenden erprobter Gehirnwäsche.

Die zunehmenden Erfolge von Serien heiligen deren Rezepturen. Ein Ende ist nicht abzusehen.

Exkurs über das Kriminalstück

Es ist die Position des Autors/der Autorin, die erscheint im Detektiv, in dessen Art, die Wahrheit zu sezieren, ihr die Bruchstücke zu entnehmen, die er braucht, den Fall zu lösen. Sein eigenartige Bewegung in ihr beeinflußt wesentlich die Aufklärung. Er beeinflußt sich selbst. Der asketische Gang in die Schlacht, der bekannt ist vor allem aus England (Chestertons Pater Brown oder Doyles Sherlock Holmes entsprechen dem vielleicht am ehesten), hält den Blick unbestechlich offen für die Spuren der Tat, die kommen aus Vergangenheit wie aus Gegenwart. Er sichert seinem Träger ein auffälliges Maß an Distanz an den Orten des Verbrechens und konserviert ein kühles Unbeteiligtsein, das nötig sein wird, der Tat zu überführen. Dieses ist die Distanz zum vom Autor/der Autorin zu bezwingenden Stoff genauso wie des Betrachters von Kunst im Moment der Versenkung es sein sollte.

Die Bewegung des US-ameri­kanischen Detektivs im Raum unterscheidet sich zumeist grund­legend von der beschriebenen. Zu tief ist er selbst verstrickt in die offenere Allgegenwart des Ver­brechens. Seine Möglichkeiten, sich da rauszuhalten sind von vornherein geringer, als die des britischen Gentlemen es sind. Meist verzweifelt er schon vorher daran, denn zu gut kann er jeden verstehen.

Marlow ist immer Täter und Opfer zugleich, denn jede/r kann der Täter sein wie das Opfer. Sein Bourbon­Konsum ist enorm, jede Frau scheint er zu töten. Er ist ein Massenmörder, an sich selbst, wie an dem was er liebt an anderen. Die einzige Chance, die seine Arbeit hat, ist die des Sich­Hineinversetzens. Das fällt ihm inzwischen nicht mehr schwer, denn jeder Fall ist sein letzter. Er wird mit dem Mörder sterben, denn das ist unwiderruflich seine letzte Story. Jeder neue Fall ist eine Auferstehung. Er ist der geborene Erzähler. Indem er von sich redet, redet er von allen. Oder anders. Bukowskis Chance wäre der Kriminalroman gewesen. Auch Columbo ist ein Mythos. Vielleicht der des ewig heimatlosen Europäers in den USA.

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Abgestimmt in Maske und Austattung auf den glitzernden Ausfluß des den Film in regel­mäßigen Abständen zerreißenden Werbeeinspiels, kriechen gespens­tisch anmutende Zombies über die Szene der High-Tech-Büros, Promi­nentenvillen, Werbeagenturen, Fit­nesscenter, Filmstudios, Luxusdam­pfer, kurz aller Tummelplätze us­amerikanischer Herrenmenschen.

Bis ins kleinste Detail wird der Käufer kaum etwas vermissen von dem, was die Werbung mit der ihr eigenen Penetranz ihm aufzu­schwatzen sucht aus dem Fundus der Industrien. Luxuriös tritt der Tod auf die Galerien der nach aufwärts gerutschten Exkremente des jenseitigen Lebensweges. Die Zwiegespräche der Warenwesen tragen dort einen Realismus zur Schau, der in kühnsten Auswüchsen erinnert an dasGrunzen von, in die Reste der von ihnen einst bearbeiteten Urwälder zurückge­kehrten Hausschweinen.

Zur Illustration dessen hier der Dialog der mordlüsternen An­gestellten eines Immobilienmaklers, Miss Dimitri, und einem zum Kauf überredeten Ehepaar. Die Szene ist beliebig.

Miss Dimitri: Ich gebe zu, daß das Hauptschlafzimmer nicht allzu groß ist, aber man könnte die Wand zum angrenzenden Gäste­zimmer herausbrechen.

Mann: Nicht allzu groß, M’am? Bei uns in Virginia war der Stall halb so groß wie dieses Schlafzimmer.

Frau: George, man könnte denken, wir hätten in einer Hütte gelebt. Mann: Scheint mir fast, als wäre es so gewesen.

Frau: Verstehen sie uns nicht falsch, Miss Dimitri, dieses Haus ist wundervoll…

Miss Dimitri: Sehn sie, ich wußte, es wird ihnen gefallen. Auch wenn es ihr Limit übersteigt.

Mann: M’am, wir hatten in Worrington wirklich ein hübsches Anwesen mit fünfzig Morgan prima Land. Hab’s für ’ne Million verkaufen können. Jetzt komm’ ich hier ‘raus und sie zeigen mir ein Haus für sechs Millonen.

Miss Dimitri: Wissen Sie, Mister, ich will ihnen nichts vormachen. Ich hätte ihnen hier draußen ein paar _Häuser zeigen können, die für, sagen wir mal drei bis dreieinhalb Millonen weggehen. Aber weder Haus noch Lage hätte sie glücklich gemacht.

Mann: Das möchte ich selbst entscheiden.

Frau: George, hör auf so ein Querkopf zu sein. Du hast neun Jahre gebraucht, dieses dreckige Nest zu verlassen. Und ich schwöre, die sehen uns nie wieder.

Die stofflichen und geistigen Zivilisationsruinen made in USA bilden die Kulisse für eine Art Verbrechen, das, so möchten die Macher des Films glauben machen, unweigerlich sich abspielen muß auf den Weg zu Ansehen und Besitz: die physische Vernichtung des hinderlichen Nächsten. Die an den Beginn jeder Folge gestellten mörderischen Schweinereien suggerieren das und stehen entgegen dem ausgelaugten Slogan „Everybody can do it“, der die Verzweiflungstat des Obdachlosen bestimmt, der auf den Müllhaufen der ihm verbliebenen Habseligkeiten das starsprangled banner noch hißt. Jeder kann es eben doch nicht schaffen, und daß manchmal Rechtschaffenheit vor Reichtum geht, wird spätestens klar in der Ankunft des Rächers derer, denen immer noch die Makel tristen Alltags anhaften wie der Dreck dem Mantel des Polizisten, den dieser trophäengleich zur Schau trägt, als Symbol seiner Fremdheit im Reich der „Großen dieser Welt“.

Die Tugenden eines frühbürger­lichen Kleinhändlers, gehängt an die Person des Sympathiebündels Peter Falk sind in ihrer Wirkung auf das zu bekämpfende Publikum fast unüber­trefflich. In der überlegenen Schläue und der an Perversität grenzenden Akribie des von ihm zelebrierten Inspektor Columbo vereint sich die Schärfe eines Chirurgenskalpells mit der Lästigkeit einer Schmeißfliege. Er durchschaut sie alle von Anfang an und kann doch ohne sie nicht leben. Er hängt an ihnen, weil er sie braucht. Er versteht sie fast immer in ihrem fernen Leid, und meist bedauert er das, was er tun muß, so notwendig das auch sein mag. Alles darf seinem unerbittlichen Gewissen keinen Abbruch tun. Sie werden ihn, wenn er seine Arbeit getan hat, abstoßen wie das erwähnte lästige Insekt. Er wird wiederkommen, wenn ihre Entgleisungen nach ihm rufen, wenn die Spuren, die er hinterläßt längst verblaßt sind. Er hat das erfahren: „Eine Spur ist nur so lange etwas Wert, wie sie heiß ist. Danach taugt sie zu nichts.“

Der momentane Sinn, der seinen komisch wirkungsvollen Tätigkeiten unterlegt ist, schlägt den Bogen zum Publikum. Es erkennt sich wieder.

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An der Spur von Wiedererkennen hängen alle Illusionen. Das Unmerk­liche des Bruchs zwischen der Tiefe der Spur und der Nähe der Illusion macht die Kultfigur. Columbo ist das schon lange. Er ist ihnen allen gewachsen und hat doch nicht mehr als Erfahrenes auf seiner Seite und dazu nötig, der Gerechtigkeit eine Bresche zu schlagen, sei die auch nur symbolisch.

Mehr ist nicht möglich. Auch darum lieben sie ihn. Ob im Gebraucht­wagen älterer Marke oder im schamhaften Verbergen seiner Ehefrau – seine bessere Hälfte nennt er sie – und hält sie so fern es nur geht (im Film ist das die totale Abwesenheit) von der „upper dass“, zu der sie viel weniger gehört als er, der gezwungenermaßen dort ein- und ausgeht. Er tut seinen Job für die da oben, und er beneidet sie nicht um ihr Leben. Denn der Schein trügt wie so oft. Er möcht die Sorgen der Reichen nicht haben, was heißt, er möchte nicht reich sein. Über die Möglichkeit, es zu werden, sagt sein zur Schau gestelltes Unwohlsein nichts. Die Verinnerlichung der Wünsche eines Angestellten spricht hier nur aus den Sehnsüchten der Frau, die, wenn er jene dort eben zum Besten gibt, das herablassende Interesse derer erwecken, die von den Träumen der unten zu haltenden profitieren und sie deshalb auf ihre Art bedienen. DieProduzenten des Films gehören dazu.

Wie sprach es doch gleich Columbo anläßlich eines Telfonates mit seiner Gattin in den Hörer: „Wart nicht auf mich. Nimm deine Medizin und geh ins Bett. Es wird spät werden.“