Der Begriff und das Konzept der Aktionsforschung (action research) wurden ursprünglich in den 1940er Jahren durch den Sozialpsychologen Kurt Lewin entwickelt. Als Deutscher jüdischer Herkunft, Wissenschaftler und Sympathisant des Linkssozialismus emigrierte Lewin 1933 in die USA. Er analysierte den verbreiteten Rassismus gegen Schwarze und Juden und entwickelte eine Theorie gesellschaftlicher Minderheiten. Seine ersten Interventionen waren antirassistische Trainings in den Gemeinden. Außerdem versuchte er, Strukturen in Industriebetrieben zu demokratisieren. Das Einverständnis der Unternehmensleitungen holte er sich mit dem Versprechen, dadurch die Produktivität der Arbeitenden zu steigern. Man erkennt hier die politische Zwiespältigkeit und eine technokratische Seite der ursprünglichen Aktionsforschung. Lewin sieht in ihr „eine vergleichende Erforschung der Bedingungen und Wirkungen verschiedener Formen des sozialen Handelns und eine zu sozialem Handeln führende Forschung.“ Er postuliert: „Eine Forschung, die nichts anderes als Bücher hervorbringt, genügt nicht.“ Ausgangspunkt sei ein Problem und eine Idee der Lösung, die „im Lichte der zu Verfügung stehenden Mittel“ geprüft werden müsse. Die folgenden Schritte bestünden „aus einem Kreis von Planung, Handlung und Tatsachenfindung über das Ergebnis der Handlung.“ Dies sei nicht nur Sache von Hochschulen. Allerdings komme eine „Bedrohung der Sozialwissenschaften … von ‚Gruppen, die an der Macht sind‘. Sie fürchteten, „sie könnten nicht tun, was sie tun wollten, wenn sie und andere wirklich die Tatsachen kennen würden.“ Es komme darauf an, mit Aktionsforschung „etwas wirklich Demokratisches zu schaffen.“
Das partizipatorische Element des Ansatzes war das Ergebnis einer Intervention von Betroffenen. Ein antirassistisches Training sollte ausgewertet werden, indem Forschende bei einem separaten Treffen die Interaktionen in der großen Gruppe analysieren. Die Laien forderten, an diesen Treffen teilzunehmen.
Wie erziehen Linke ihre Kinder?
Durch den Tod Lewins 1947 blieb die Aktionsforschung konzeptionell zunächst in den Anfängen stecken. Erst die 1968er entdeckten den Ansatz neu und verbanden damit Forschung, soziales Engagement und emanzipatorischen Anspruch. Eine marxistische Richtung, die in dieser Tradition steht, ist die Kritische Psychologie, die eine Gruppe um den Berliner FU-Professor Klaus Holzkamp entwickelte. Anfangs noch mit der historischen Fundierung psychologischer Grundbegriffe beschäftigt, wandte man sich gegen Ende der 1970er Jahre verstärkt der aktuell-empirischen Forschung zu. Das erste Projekt hieß Subjektentwicklung in der frühen Kindheit (SUFKI). Gegenstand war die Frage, wie Kinder in Interaktion mit den Eltern zunehmend Mitverfügung über ihre soziale Umwelt erlangen; die Aufmerksamkeit galt den Konflikten in diesem Prozess. Die Eltern führten Tagebücher über ihr Zusammenleben mit den Kindern, insbesondere über Alltagsprobleme wie Konflikte ums Zubettgehen oder ‚Geschwisterrivalität’. Die Interventionen erfolgten jeweils in vier Schritten. Zunächst wurden in der Gruppe Hypothesen über den zugrunde liegenden Konflikt und Lösungsmöglichkeiten gebildet. Falls es Einwände gegen die sich herauskristallisierende Deutung gab, wurden sie einer Analyse unterzogen. Entweder konnten die Widerstände ausgeräumt oder die Deutung musste modifiziert werden. Dann wurde der Lösungsvorschlag ausprobiert. Die Ergebnisse wurden an die Gruppe zurückgemeldet. Verschwand das Problem, konnte dies als pragmatische Bestätigung der Hypothese gewertet werden. Blieb es bestehen, war die Deutung vorerst gescheitert und der Prozess konnte von vorn beginnen. Die theoretische Pointe bestand darin, dass die Vorgänge unter dem Gesichtspunkt individueller Handlungsfähigkeit betrachtet werden; Handlungsfähigkeit beruht auf der Teilhabe an der gemeinsamen Verfügung über die Lebensumstände. Im Licht dieses Konzepts tauchen Fragen nach Macht, Herrschaft und Emanzipation auf. Gleichzeitig verzichtet das SUFKI-Projekt mit seiner pragmatischen Lösungsorientierung weitgehend auf Normen, wie Eltern und Kinder zu sein oder sich zu verhalten haben; derartige Normen werden vielmehr kritisch auf ihre Herkunft befragt.
Weitere Projekte erforschten das Verhältnis von Flüchtlingen und Angestellten in Flüchtlingswohnheimen sowie die Rolle von PraktikantInnen in der psychologischen Berufspraxis. Diese Forschungen beleuchten auch die strukturellen Zusammenhänge, das heißt den Einfluss der repressiven staatlichen Flüchtlingspolitik bzw. die fragwürdige Funktion, die der Psychologie in Praxisbereichen wie zum Beispiel in Gefängnissen oder unseriösen Formen der Psychotherapie üblicherweise zugewiesen wird.
Nicht alle kritisch-psychologischen Untersuchungen sind partizipativ. Auch werden die Grenzen der Mitforschung diskutiert. Viele Menschen, für deren Lebenssituation sich Forschende interessieren, sind vielleicht bereit, ein Interview zu geben, wollen sich aber nicht an einem längerfristigen Forschungsprozess beteiligen. Auch der heute übliche und zum Teil langwierige Weg, zeitlich begrenzte Projektmittel zu beantragen, macht es nicht leichter, Betroffene einzubeziehen und sich auf einen möglicherweise auch scheiternden gemeinsamen Prozess einzulassen. Kritische Sozialwissenschaft muss auch gesellschaftliche Strukturen erforschen, wenn sie keine Mitforschenden gewinnen kann und der Untersuchungsgegenstand kurzfristig nicht veränderbar ist (zu aktuellen Forschungen siehe www.kritische-psychologie.de).
Nichts über uns ohne uns
Als ein Beispiel für die Aneignung der Aktionsforschung durch Marginalisierte können die Disability Studies (DS) gelten. Basis der DS waren zunächst Schriften von behindertenpolitischen AktivistInnen. DS sind interdisziplinär und untersuchen Behinderung vor allem als gesellschaftliches und politisches Problem. Aktionsforschung überträgt Prinzip und Forderung der Behindertenbewegung „Nichts über uns ohne uns!“ („Nothing about us without us!“) auf die Sozialwissenschaft. Neben der üblichen Beteiligung von Betroffenen als Mitforschende (co-research) sind auch die Professionellen in der Regel selbst behindert. Ein aktuelles Projekt in Österreich führte eine Gruppe um Petra Flieger und Volker Schönwiese durch. Gegenstand war das bis dahin unerforschte Portrait eines behinderten Mannes, der Ende des 16. Jahrhunderts lebte. Es handelt sich um eine der ersten Darstellungen eines offensichtlich behinderten Adligen oder Bürgers in der europäischen Malerei. Mitglieder der ‚Referenzgruppe’ waren Angehörige der Behindertenbewegung, Frauen und Männer mit verschiedenen Bildungsabschlüssen, darunter Fachleute und KünstlerInnen. Sie recherchierten historische Fakten, erarbeiteten Interpretationen, analysierten den Umgang des heutigen Kunstbetriebs mit dem Gemälde und dokumentierten die eigene Rezeption. Die abschließende Intervention bestand in einer Ausstellung und der Durchsetzung eines Aufzugs für das betreffende Museum, der auch Gehbehinderten das Bild zugänglich macht. In ihrem Resümee gibt Flieger einige Empfehlungen für Projekte: Möglichst frühe Einbeziehung der Referenzgruppe, Kriterien für deren Zusammensetzung, eine institutionelle Verankerung, das Finden einer gemeinsamen Sprache und die Zahlung einer Aufwandsentschädigung. An anderer Stelle zählt sie potenzielle Probleme auf: So kann es Interessenkonflikte zwischen Professionellen und Laien geben: Die einen haben eine anerkannte Fachpublikation und evtentuell eine Anschlussfinanzierung als Ziel, die anderen setzen unter Umständen eher auf unmittelbare Verbesserungen für ihr Leben; es bestehen wenige Möglichkeiten der Anonymisierung; wegen ungleicher materieller Voraussetzungen kann es zu Machtverhältnissen zwischen den Beteiligten kommen usw.. Andere kritisieren gesellschaftstheoretische Defizite. Es besteht die Gefahr, dass die Aktionsforschung ‚reformistisch’ wird, indem sie gesellschaftliche Probleme nur insofern wahrnimmt, als sie diese mit ihren Mitteln – das heißt Recherchen und kurzfristige Interventionen – lösen kann. Außerhalb der Linken wurde sie auch technokratisch rezipiert, beispielsweise im Management oder der ‚Entwicklungshilfe’. Die Methode kann nur in Verbindung mit kritischen Theorien ihr emanzipatorisches Potenzial entfalten.
Die Methode bietet die Möglichkeit, Wissenschaft radikal zu demokratisieren und Gruppen zugänglich zu machen, die bisher davon ausgeschlossen waren. Im besten Fall ist Wissenschaft nicht Verdinglichung gesellschaftlicher Verhältnisse, sondern Kehrseite von egalitärer Teilhabe: Objektivierung und Transparenz der Untersuchung helfen sicherzustellen, dass ihre Ergebnisse nicht nach Herrschaftsinteressen interpretierbar sind und dass die festgestellten Tatsachen mehr Gewicht und Überzeugungskraft haben als hergebrachte Autoritäten.
Die ‚Militante Untersuchung’ ist die jüngere proletarische Schwester der Aktionsforschung. Sie wurde in den 1960er Jahren zunächst in den italienischen FIAT-Werken durch Basis-AktivistInnen entwickelt und zu Beginn der 1980er auch bei Ford in der BRD angewandt. Sie verwandte Methoden aus dem Arsenal der Aktionsforschung wie die ‚Mituntersuchung’ und die ‚aktivierende Befragung’. Ihr besonderes Merkmal dürfte sein, dass zwar auch WissenschaftlerInnen an ihr beteiligt waren, im Mittelpunkt aber betriebliche und gewerkschaftliche Fragen standen, zum Beispiel Arbeitsbedingungen, Gesundheitsbelastungen und Organisationsformen. Der Begriff der Militanz verspricht zudem auch eine konfrontative Konfliktorientierung, indem auch herrschende Gruppen in den Blick genommen werden. Gelungen ist dies beispielsweise einer Gruppe um den Politikwissenschaftler Peter Grottian. Die Initiative Bankenskandal recherchierte und veröffentlichte Namen von Fondsanlegern, denen die Berliner Bankgesellschaft in sittenwidriger Weise langfristige Gewinne garantiert. Unter den Anlegern findet sich Parteienprominenz von CDU und SPD sowie Banker, Unternehmer und Journalisten. Die Veröffentlichung beförderte die kritische Debatte um den Bankenskandal, der den Berliner Haushalt auf Jahrzehnte milliardenschwer belastet.