Mit dem §129a kann heute so gut wie jede politische Aktivität illegalisiert werden. Jede noch so friedliche Antifa-Gruppe, die in Auseinandersetzungen mit FaschistInnen verwickelt wird, muß sich mit Repression auseinandersetzen. Bei der Betrachtung der Details läßt sich fragen, ob sich das gleiche im eigenen Umfeld wiederholen könnte. Dabei nützt es nichts Hysterie, zu verbreiten und sich vom Mißtrauen packen zu lassen. Birgit Hogefeld hat recht, wenn sie in ihrem Brief schreibt, daß eine größere Offenheit für neue Menschen immer Gefahren in sich birgt, aber daß diese Offenheit unverzichtbar für jede linke Politik ist. Um in diesem Sinne eine nach vorne weisende Diskussion über die V-Mann Affaire zu ermöglichen, haben wir im Rhein-Main-Gebiet mit P. (langjährige Bekanntschaft von Klaus) geredet. Dies vor allem, weil nach fast 2 Monaten immer noch keine Einzelheiten bekannt sind, außer denen, die in den Massenmedien – zum Teil verfälscht – veröffentlicht wurden. Außerdem dokumentieren wir noch einmal den 2.Brief von Birgit Hogefeld, in dem sie Klaus Steinmetz als Spitzel entlarvte. Verzichtet haben wir darauf, das Wiesbadener Flugblatt abzudrucken, wo der Briefwechsel zwischen Klaus und FreundInnen nach Bad Kleinen wiedergegeben wurde. Wir glauben, daß der Inhalt inzwischen weitgehend bekannt sein dürfte.

P. kannte Klaus Steinmetz länger. Wir führten mit P. dieses Interview in der Absicht, den Spitzelfall transparenter zu machen.

arranca!: ¿ „Nachher ist man immer schlauer“: Wenn man jetzt im Nachhinein feststellt, wie man Klaus Steinmetz hätte enttarnen können, dann ist das eine ziemlich bequeme Per­spektive. Ich glaube, daß man eigentlich über jeden Menschen einiges sagen könnte, das ihn verdächtig macht. Im Rückblick tau­chen Indizien auf, die vor­her keine waren. Glaubst du, daß es im Fall Klaus Steinmetz wirklich Indi­zien gab, über die man schon damals hätte stut­zen können?

P.: Ich denke, daß es da tatsächlich ein paar Charakteristika gab. Der Klaus Steinmetz war ein Typ, der Konflikten immer aus dem Weg gegangen ist. Man hätte da genaue zwi­schenmenschliche und inhaltliche Auseinander­setzungen führen müssen, man hätte ihm den Frei­raum nicht lassen dürfen, mit seiner Lüge zu leben.

¿ Ein gängiges Phäno­men, daß Konflikten aus dem Weg gegangen wird und Auseinandersetzun­gen überhaupt nicht mehr geführt werden.

P.: Das schlimme daran war, daß es nicht irgend­welche zusammengewür­felten Strukturen waren, die ihm diesen Spielraum gegeben haben. Das waren Leute. die sehr lange etwas machen. Dadurch, daß es dort verpaßt wurde, ihn zu Aus­einandersetzungen zu zwingen, konnte so jemand wie Klaus beste­hen. Er war gewisser­maßen für die Bullen der Idealfall von Spitzel. Durch seine auswei­chende Art, konnte er auch seiner Lüge auswei­chen. Mit dem inneren Konflikt, V-Mann zu sein, hat er sich so wenig auseinandergesetzt wie mit sei­nen anderen Konflikten. Das war ja keine Verstellung, es war ja tatsächlich seine eigene Art, mit der er in der Szene lebte. Nur wer in der Lage ist, so auszuweichen und zu verdrängen wie Klaus Steinmetz, konnte diese Auf­gabe übernehmen.

¿ Was gab es da noch an Indizien, hat nicht Klaus Steinmetz selbst einmal erzählt, er sei vorn Verfas­sungsschutz angesprochen worden…

P.: Der Fall war ein bißchen anders. Klaus Steinmetz hat bei einem Treffen 1985 zum Thema Ansprechversuche vorn Verfassungsschutz geäußert, daß er sich zum Schein anwerben lassen würde. Diese Information gelangte aber nicht an die Leute, mit denen er später zusammenarbeitete. Das waren andere Zusammen­hänge, mit denen es damals keinen Kontakt gab und die heute auch gar nicht mehr bestehen.

¿ Waren das damit Deiner Ansicht nach Strukturprobleme? Die Szene ist unkontinuierlich organisiert, eine Informationsweitergabe ist meistens zufällig…

P.: Ja, wahrscheinlich. Aber die andere Seite ist, daß diese Sachen zum Teil 10 Jahre zurücklagen. Es gab einen Fall 1983, noch aus seiner Zeit in Kaiserslautern, als vier Leute wegen dem §129a zu zwei Jahren Haft verurteilt wurden. Klaus Steinmetz war der einzige, der darauf bestand, ohne Anwalt zur Verhörung zu gehen. Wie Leute berichten, die ihn dort begleiteten, blieb er über Stunden heim Staatsanwalt. Es war also klar, daß er Aussa­gen gemacht hatte, aber was, ließ sich nicht herauskriegen. Zumindest dieser Fall hätte von Kaiserslautern in die Strukturen nach Wiesbaden getragen werden müssen.

¿ Wann wurde das bekannt?

P.: Erst jetzt, im Zusammen­hang mit den Recherchen, die nur im Nachhinein angestellt wurden.

¿ Andererseits kann es die berechtigte Befürchtung geben, daß man zu viel Mißtrauen schürt, wenn man solche Informationen in andere Städte getragen wer­den. Das kommt einem Ruf­mord gleich…

P.: Ich finde es trotzdem ver­wunderlich, wenn darüber kein Wort verloren wurde. Zudem gab es 1983 noch einen anderen Fall in Kaiserslautern. In einer Asta-Gruppe an der Univer­sität erklärte Klaus Stein­metz, daß er eine Verfassungsschutz-Wohnung kenne, und daß man diese ausspionieren solle. Er schlug vor, die Leute zu fotografieren, die dort ein und aus gingen. Die Gruppe lehnte das ab und Klaus versuchte es im Alleingang. Dabei wurde er erwischt, aber der VS ver­langte nach Klaus Aussage nichts weiteres, als ihm den Film abzunehmen. Damit sei der Fall für ihn erledigt gewe­sen. Zumindest ist es ein Hin­weis, daß er direkt mit dem VS zu tun hatte.

¿ Trotzdem ist es überhaupt nicht möglich, zu sagen, zu welchem Zeitpunkt Klaus Steinmetz ein Spitzel wurde.

P.: Nein, für uns nicht. Aber wir denken, daß es auch eine allmähliche Verwicklung gegeben haben kann. Daß er zunächst wirklich glaubte, er könne den VS an der Leine führen, und mit der Zeit immer stärker vom VS unter Druck gesetzt wurde. Der Zeitpunkt jedoch ist reine Spekulation. Wir können Leute von damals fragen, aber was denen einfällt, sind dann auch immer nur Geschichten, die – wie Ihr schon gesagt habt – im Nachhinein auffälli­ger wirken, als im Augen­blick, in dem sie geschehen.

¿ Warum könnte er zum V-Mann geworden sein?

P.: Zum Teil war er ja wirklich ein Zocker, wie es aufreißerisch im Spiegel hieß. Allen war klar, daß er den Nerven­kitzel gesucht hat. Vielleicht hat er sich aus Abenteuerlust darauf eingelassen, und wurde dann vorn VS immer enger rangenommen.

¿ Geld war anscheinend kein Motiv. 1987 wurde Steinmetz hei einem Bruch verhaftet und kam ins Gefängnis. Er mußte davon abhängig gewe­sen sein, sich auf anderem Wege Geld zu besorgen.

P.: Er hatte die ganze Zeit Geld gehabt, aber nie über­mäßig viel, er jobbte die ganze Zeit. Ah und zu machte er „Schnäppchen“, um die er beneidet wurde. Es gab in dieser Hinsicht nichts Auffälliges. Geld kann es nicht gewesen sein. Wahrscheinlich war der Bruch ein Mittel, um ihn stär­ker ranzunehmen. Klaus Steinmetz wurde erwischt und kam ziemlich schnell wieder heraus.

¿ In den ersten beiden Instanzen wurde er zu 18 bzw. 15 Monaten ohne Bewährung verurteilt, in der dritten schließlich kam er auf Bewährung raus…

P.: Ja genau. Das ist ein Anzeichen dafür, daß es einen Deal gab. Das Gericht ließ ihn laufen und Klaus Steinmetz kollaborierte im Gegenzug dafür enger mit dem Verfassungsschutz.

¿ Aber es muß doch noch ein härteres Druckmittel gegeben haben. Wer verrät wegen eineinhalb Jahren Gefängnis seine FreundInnen?

P.: Zumal es keine eineinhalb Jahr geworden wären. Im Normalfall wäre er nach einem Jahr draußen gewesen. Ich kann mir auch nicht den­ken, daß es das gewesen ist. Ich glaube auch nicht, daß seine einzige Motivation für alle seine politischen Aktivitä­ten die V-Mann-Tätigkeit war. Es ist unklar, was er aus Spit­zelinteresse gemacht hat und was weil es ihn wirklich inter­essierte.

¿ Du hast gesagt, daß es relativ kennzeichnend für ihn war, von einer Sache zur nächsten zu springen.

P.: In festen politischen Gruppen hat er eigentlich nur Sta­tistenrollen gespielt. Er war da kein aktiver Teil, der Initiative übernommen hätte oder inhaltlich etwas voran­gebracht hätte. Ansonsten hat er politisch sehr unkontinu­ierlich gearbeitet.

¿ Und woher kam dann das Vertrauen, das ihm entgegen­gebracht wurde? Nur weil er lange dabei war?

P.: Ja, und aus zwi­schenmenschlichen Entwick­lungen. Viele Leute haben ihn gemocht.

¿ In Wiesbaden wurde rela­tiv lange bei der Behauptung gezögert, Klaus Steinmetz sei ein Spitzel. Die Version tauchte in den Medien bereits ein oder zwei Tage nach Bad Kleinen auf, in Wiesbaden gab es dagegen noch am 15.7., also 2 Wochen später, einen Brief von FreundInnen, die ihren Zweifel in beide Richtungen ausdrückten. Das fand ich nicht schlecht, daß so lange versucht wurde, Türen offenzuhalten, nicht gleich zu sagen, „egal ob du vorher oder nachher kollabo­riert hast, du bist ein Verrä­ter“. Ab wann war es dann eigentlich auch in Wiesbaden klar, daß Steinmetz V-Mann ist?

P.: Das war der Moment, wo Birgit Hogefeld aus dem Knast durchblicken ließ, daß Klaus Steinmetz gefesselt auf dem Boden gelegen hatte. Seine eigene Version war in mehreren Briefen, daß sie ihn nicht erwischt hatten und daß er im Chaos verschwinden konnte. Das klang schon ziemlich wenig glaubwürdig, aber als sich seine Version endgültig als Lüge entpuppte, war die Sache klar.

¿ Nach der Veröffentlichung aus Wiesbaden gab es nach Bad Kleinen ein Treffen einer Person mit Klaus Steinmetz. Der Eindruck dort war, daß er völlig fertig ist. Klaus Stein­metz hatte keine doppelte Identität, keine zweite Lebensgeschichte wie einge­schleuste V-Leute der Polizei. Er war ein Mensch aus der Szene, der seine Freundschaf­ten, seine Beziehungen, alle seine sozialen Kontakte dort hatte. D.h. er steht jetzt völlig allein da…

P.: So weit man ihm glauben darf, was er selbst in Telefon­gesprächen, in Briefen oder eben auf dem Treffen gesagt hat, scheint es keine Show zu sein. Bei uns gibt es unter­schiedliche Einschätzungen darüber, aber ich glaube, daß er die Realität noch nicht fas­sen kann, daß er selbst nicht begreift, was er gemacht hat. Diese Sachen waren ihm vor­her wahrscheinlich nicht klar. Erst jetzt merkt er die Dimen­sionen der Geschichte, erst jetzt stellt er fest, daß er von seinem Lebenszusammen­hang abgeschnitten ist.

¿ Klaus Steinmetz ist völlig in den Händen des Verfassungs­schutzes. Klar ist, daß die Bundesanwaltschaft versu­chen wird, ihn in dieser Situa­tion als Kronzeugen zu stra­pazieren…

P.: Was in der Presse schon angedeutet wird, ist die Frage, über wen der V-Mann an die RAF herangeführt wurde Es ist davon auszuge­hen, daß Konstruktionen, in denen von einer „legalen RAF“ ausgegangen wird, – also von Leuten, die laut Bundesanwaltschaft zur RAF gehören, aber eben legal leben –, jetzt mit Aussagen von Klaus Steinmetz belegt werden sollen. Die Repres­sion wird sich also vor allem gegen diejenigen richten, von denen Klaus Steinmetz bzw. die Bundesanwaltschaft behauptet, sie seien sein Kon­takt zur RAF gewesen.

¿ Wie ist eigentlich die Stim­mung seit Bad Kleinen? Für viele war Klaus Steinmetz immerhin ein langjähriger Freund. Du hast auch erzählt, daß ihm manche Leute wirklich nah waren.

P.: Das sind schon persönli­che Katastrophen, die sich jetzt ereignen. Es gibt bei vie­len das Gefühl, mißbraucht worden zu sein, daß ihnen ein Stück ihres Lebens geklaut worden ist. Vor allen für diejenigen, die eine Bezie­hung mit ihm hatten, ist es natürlich ein Hammer.

¿ In der ersten Aufarbeitung aus Wiesbaden heißt es, es sei ein Fehler gewesen, Klaus Steinmetz auch nach Bad Kleinen in einem Brief noch einmal die Hand auszu­strecken. (Ich fand das eigentlich sehr verantwor­tungsvoll).

P.: Es war sicherlich richtig, den Medien nicht alles zu glauben und zu versuchen, einen kühlen Kopf zu bewah­ren. Aber spätestens seitdem bekannt wurde, daß er in der Unterführung gefesselt am Boden gelegen hatte, mußte alles klar sein. In Wiesbaden dagegen haben viele die Vor­stellung, Klaus Steinmetz sei ein Spitzel, nicht wahr haben wollen. Sie haben immer wie­der nach Argumenten gesucht, um das widerlegen zu können. Das hatte sicher­lich mit dem zu tun, was wir gerade gesagt haben, daß er nämlich zahlreiche Freund­schaften hatte. Aber jetzt, ist klar, daß es viele zu lange nicht wahrhaben wollten.

¿ Warum gab es sonst keine Stellungnahmen aus Wiesba­den? Über mehrere Wochen war außer diesem Brief nichts zu hören…

P.: Es gab keine gesicherten Informationen, sondern Ver­unsicherung und natürlich die Absicht, vorsichtig mit Vor­würfen umzugehen. In dieser Situation, voller Zweifel und Spekulationen, kamen immer wieder Anrufe oder Briefe von Steinmetz, die zusätzlich verwirrten. Es ist auffällig, daß sich Steinmetz immer wieder, wenn die Stimmung in Wiesbaden besonders stark von Zweifeln bestimmt war, meldete. Es scheint der Ver­fassungsschutz hatte die Dis­kussionen mitverfolgt. Seine Briefe und Anrufe wurden genau so plaziert, um die Verwirrung zu vergrößern.

¿ Gab es bei der Öffentlich­keitsarbeit nicht noch andere, gröbere Fehler? Es wurde z.B. versäumt, nach der endgülti­gen Enttarnung von Steinmetz seine Aktivitäten offenzule­gen. Immerhin beging der vom Verfassungsschutz gedeckte V-Mann selbst Straftaten und forderte auch immer wieder Bekannte zu solchen auf. Der Einbruch 1987 ist ja nicht das einzige, was Klaus Steinmetz gemacht hat bzw. machen wollte. Diese Tatsache, daß im SPD- regierten Rheinland-Pfalz V-Leute als agents provocateurs eingesetzt werden, hätte man stärker thematisieren müssen. Immerhin ist das nach wie vor illegal. Kurzum —die Öffentlichkeitsarbeit hätte offensiver sein können.

P.: Es hätte die Möglichkeit gegeben, die schmutzige Arbeit des Verfassungsschutzes stärker zum Thema zu machen. Ich sehe das auch so. Z.B. gab es Mitte der 80er eine Durchsuchung wegen der Zerstörung des „Institut francais“, im Zusammenhang mit dem Hungerstreik der Action Directe in Frankreich. Bei der Durchsuchung wurde zwischen Helmen usw. auch ein Bußgeldschein gegen Klaus Steinmetz gefunden. Trotzdem wurde nicht weiter ermittelt. D.h. der Verfas­sungsschutz deckte und ani­mierte die Straftaten von Steinmetz.

Es gab sehr unterschiedliche Auffassungen darüber, wie jetzt in der Öffentlichkeit vor­zugehen sei. Für mich ist das auch nicht verständlich, warum nicht stärker in die Offensive gegangen wurde.