0. Zu Beginn...

Gerade der Versuch der Filmverhinderung und die Entfer­nung des neurechten Philosophen Benoist aus einer Veranstaltung haben zu Diskussionen geführt, in deren Ver­lauf Schlagworte wie „Zensur“, „Freiheit der Kunst in Gefahr“, „Links und Rechts in der Moraleinheitsfront“ und „Politi­sche Korrektheit“ fielen.

Ideologischer Hintergrund und politische Vermittlung dieser Eingriffe in den Kulturbetrieb bleiben meist unbeleuchtet, da sich die Aktiven, wenn überhaupt, nur unzurei­chend äußern. Ihr Handel aus der Ano­nymität heraus ist begreiflich, ihre politi­sche Sprachlosigkeit eklatant. Sie können problemlos von bürgerlicher Seite als kopflose Vandalen diffamiert werden. Eine Analyse der Einzelfälle ist daher kaum möglich. Dieser Aufsatz ver­sucht das berechtigte Anliegen dieser Aktionen herauszuarbeiten, fordert aber auch ihre sorgfältige Vermittlung. Im weiteren Verlauf des Textes wird über Anwendung und Sinn des Begriffs „politically correct“ spekuliert und eine Bewer­tung revolutionärer Kunst in Gegenwart und Zukunft einer linksradikalen Bewe­gung versucht.

Die Diktatur der Machtlosen

Zur Debatte stehen hier Aktionen von Feministinnen, Autonomen, Schwulen, Lesben und Angehörigen anderer Min­derheiten gegen diskriminierende Kunst und Werbung. Den Aktiven dieser Grup­pen wird vorgeworfen, sie übten „Zen­sur“ aus; sie bedrohten die Freiheit der Kunst, von „Stalinismus“ und linker „Repression“ ist die Rede. Das Absurde dieses Vorwurfs liegt in der Gleichset­zung von Aktionen, die den chauvinisti­schen Konsens weiter Kreise angehen, mit den Maßnahmen einer zentralen staatlichen Zensurbehörde. Der totalitäre Einfluß letzterer auf die Sozialisation und Alltagskultur einer ganzen Bevölke­rung steht dem punktuellen Ansatz moderner Bilderstürme diametral gegenüber. Die kunstfeindlichen Aktio­nen marginaler radikaler Minderheiten setzen dort an, wo sich Macht und Gewalt des Systems in der Vielfalt und Beliebigkeit individueller Kunst reprä­sentieren. Diese Bilderstürmerei muß sich entgegenhalten lassen, daß nahezu alle Ausstellungen, Filme, Werbespots als Angriffsziele geeignet wären, denn die Visualisierung von Macht hat mittels Medienvielfalt und Konsumästhetik einen hohen Grad an Allgemeinheit angenommen.

Viele Kunstschaffende bedienen sich der unreflektierten Wiedergabe von Machtsymbolen und Bildern, die herrschende Wertmuster transportieren, um sich per­sönlich wie materiell zu profilieren. Die Kritik, Ausstellungsbeschädigungen oder Filmrollenzerstörungen seien unwirksame, lokal beschränkte Aktionen und träfen nur die „kleinen Fische“ des Kulturbetriebs, ändert nichts an der Tat­sache, daß auch einzelne künstlerische Äußerungen zu einem reaktionären Klima beitragen können. Die Anregung, Medientrusts, Fernsehsender und Ver­lage wären die geeignetere Adresse für Protestaktionen, übersieht die Schwierig­keit, bei einer Struktur, deren Träger sich durch Kompetenzunklarheiten, Betriebsgeheimnisse und „Sachzwänge“ gegenseitig bedeckt halten, einen wir­kungsvollen, persönlichen Ansatz zu fin­den. Kleinere Kultureinrichtungen und einzelne Kunstschaffende sind zugängli­cher und stärker auf Publikumsreaktio­nen angewiesen als anonyme Institutio­nen. Abgesehen vom meist geringen materiellen Schaden und möglicher per­sönlicher Kränkung erreichen die Ange­griffenen eine sonderbare Popularität, da sich die Medien gierig auf derartige Fälle stürzen, in der Ahnung, selbst in Sachen Sensationsjournalismus und politische Meinungsbildung eine ähnliche Abrei­bung verdient zu haben. Die eher exem­plarisch als persönlich Angegriffenen werden dadurch natürlich stark aufge­wertet. Sie könnten glauben, der Wider­stand gegen ihre Arbeit sei ein Beweis für ihre Legende vom „unbequemen Geist“. Ihnen allein schmeichelt die Dif­famierung der Gegenwehr als „stalinisti­sche Zensur“, weil sie die Erinnerung an die Unterdrückung von Kunstschaffen­den durch totalitäre Systeme wachruft und die Assoziation von Dissidenten und Freiheitskämpfern weckt. Besonders in Osteuropa waren sich Zensurbehör­den und Kunstszene in der Überschät­zung der gesellschaftlichen Relevanz von Kunst einig. Galt es in der Über­gangszeit zur Marktwirtschaft noch als ehrenhaft, damals verboten gewesen zu sein, versinken die meisten dieser Gestalten heute in der Bedeutungslosig­keit, Ausnahmen wie Vaclav Havel, der oberste Gärtner der Tschechoslowakei wurde, bestätigen die Regel. Die Kunsts­zene in Osteuropa erfährt jetzt die Hilflosigkeit des schöpferischen Indivi­duums im marktorientierten und kom­merziell geführten Kulturbetrieb und läuft Gefahr, kurzlebigen Trends aufzu­sitzen.

Bilder und Urteile

Die Binsenweisheit, daß Bilder nicht nur informieren, sondern auch werten, wird oft von bürgerlicher Seite ignoriert, wenn Kritik an einseitiger oder tenden­ziöser Berichterstattung der Medien laut wird. Reportagen und Dokumentationen seien sachliche Informationsange­bote, sie enthielten sich wertender Kommentare und appellierten an die Urteilsfähigkeit der Zuschauenden. Die Urteilsbildung gemäß den Regeln von Vernunft und Humanismus wird voraus­gesetzt, als fände das Fernsehprogramm im philosophischen Seminar statt.

Andere Bilddarstellungen, z.B. im Auf­trag einer Spendensammlung, sind bewußt emotional gehalten, um Entset­zen und Mitleid zu erzeugen, dazu werden biologische Schlüsselreize wie das Kindchenschema und andere Tricks ein­gesetzt. In Kunst und Werbung häufen sich die Reize der Superlative; sexuelle Stimulation, lachende Kleinkinder, Blutorgien und Todesängste dominieren die meisten Produktionen.

Kunstschaffende rechtfertigen ihre Dar­stellungen von Gewalt und repressiver Sexualität oft mit der Absicht, schockie­ren zu wollen, um damit Vorurteile auf­zubrechen und Denkanstöße zu geben. Abgesehen von der Fragwürdigkeit der­artiger Schocktherapien ist diese Absichtserklärung zur festen Redewen­dung geworden, hinter der sich mühsam die Lust am Reproduzieren von Gewalt, Rassismus und patriarchal zugerichteter Sexualität verbirgt. Das Ausrufen einer vagen pädagogischen Absicht genügt, um ungestört reaktionäre Inhalte im Kulturbetrieb zu verbreiten. Ihre Ent­scheidung, nicht mehr verantwortlich zu sein für das, was ihre „Dokumentatio­nen“ anrichten, begründen viele Kulturproduzierende mit der „Mündigkeit“ des Publikums, es sollte angeregt und nicht reglementiert werden. Sie treten irgend­welche Steine los in der Hoffnung, sie würden eine Lawine der Gutwilligkeit auslösen und bestätigen durch ihre indifferenten Darstellungen die chauvinisti­sche Voreingenommenheit des Publikums. Das Aufkommen der Dokumentation als Instrumentarium einer linken aufkläreri­schen Politik und ihre Preisung als ideo­logische Nullnummer dokumentiert in erster Linie die Abkehr ehemals rebelli­scher Geister von der Idee sozialer Umwälzung und befreiter Gesellschaft. Ihre Neuorientierung auf den Markt und sein liberales Kulturestablishment erkau­fen sie mit dem Verzicht auf Utopien. Die Theorie des „mündigen Publikums“ betrachtet das dokumentierte Bildmate­rial offenbar als einen Rohstoff wie Holz oder Erz, der seiner Weiterverarbeitung harrt und erst dadurch Ausdruck und Wirkung entfaltet. Tatsächlich werden viele Bilder bereits im Auftrag XY pro­duziert, die Aufmachung läßt berechen­bare Assoziationen zu und die ideologi­sche Ausrichtung ist auf Bestellung zu haben. Zeitungsfotos und Fernsehszenen können keine „ästhetische“ Eigenstän­digkeit haben, sie sind ausgewähltes Bildmaterial, dessen Deutung von Unter­titeln und Schlagzeilen beeinflußt wer­den. Eine dieser Verschmelzungen von Ästhetik und Ideologie betrifft die Abbil­dung von Frauenkörpern in Kunst und Werbung. Das künstlerische Raffinement in Film und Foto verbreitet neben dem Etikett „modisch“ und „aktuell“ ein repressives Schönheitsideal. Die Machart der Werbespots unterstellt den Models und Laienschauspielerinnen bei der Prä­sentation der jeweiligen Produkte eine diffuse Dienstbarkeitsbereitschaft, die auch sexuelle Signale ausstrahlt. Allge­genwärtigkeit, Variabilität und stetige „Kleinfamilie“, „attraktive, karrierebewußte Frau“ oder „sportlicher Draufgän­ger in Auto“ werden zu den Heiligenbildchen unserer Zeit. Je nach Zeitgeist und Wirtschaftslage verschieden, haben sie die zeitlose Botschaft: Weitermachen, funktionieren und dabei schön und glücklich sein oder werden wollen. Die Ikonen der Massenmedien verschönern Unterdrückungsverhältnisse und Aus­beutung als freiwillig eingegangene Bin­dungen.

Künstlerische Arbeiten, die entsprechend gängige Bildmaterialien verwenden, müssen gegen die ideologische Prägung dieser Bilder ankämpfen. Wenn dies mißlingt, tragen sie durch Verbreitung und Aufwertung zum Erfolg der reak­tionären Botschaft bei. Viele Kunstwerke, die zum Beispiel Elemente aus der Pornographie verwenden, werden so Teil einer „affirmativen Kultur“. In einer Phase offenen faschistischen Ter­rors sind deutliche Stellungnahmen gegen Rassismus, Sexismus und Ausbeu­tung notwendig. Uneindeutigkeiten und das Kultivieren von Zynismus und indi­vidueller Provokation um jeden Preis, wie es von einigen Künstlerpersönlich­keiten praktiziert wird, sind vor diesem Hintergrund untragbar geworden. Radi­kale Teile der Minderheiten, die durch den Rechtsruck bedroht werden, fordern auch von Kunst eindeutige Stellungnah­men, sie finden auch im Kulturbetrieb Objekte für Diskussionen und Aktionen. Die bürgerliche Presse konstatiert genüßlich eine neue Phalanx von kon­servativen Moralinsauertöpfen und femi­nistischen oder linken Radikalen. Ihnen wird vorgehalten, sie dämonisierten die Wirkung von Bildern und überschätzten deren auslösende Kraft für Handlungen, gefolgt von der Konstruktion, Links und Rechts wären hier in ihrer Angst vor der Realität und in ihrer ideologischen Ver­knöcherung vereint. Dies wird als weite­rer Beweis für das unsägliche Gesabbel vom „Ende des Zeitalters der Ideolo­gien“ und dem „Rechts-Links-Denken überwinden“-Theorem gefeiert. Die poli­tische Wirkung von Bildern ist von den Bedingungen abhängig, die sich in den letzten Jahrzehnten verändert haben: Jede Propaganda wird von den Erfah­rungen der Einzelnen und ihren sozialen Bindungen begrenzt. Den größten Erfolg zeitigt sie bei entwurzelten und isolier­ten Menschen. Die seit der Zerschlagung der proletarischen Bewegung beschleu­nigte Atomisierung der Gesellschaft steht einem enormen Zuwachs der Medien an Technik und Einfluß gegenüber. Der Abbau familiärer, lokaler und erwerbsmäßiger Gemeinschaften hinterläßt in Fragen der Lebensführung und bei per­sönlichen Probleinen Lücken, die durch Dienstleistungsangebote der Medien aus­gefüllt werden. Fernsehprogramme mit ihren Seifenopern und Talkshows, Videotheken und Partnervermittlungsagenturen entwerfen eine lebendigere Welt als die realen anonymisierten Sche­mata von Schule-Arbeit-Freizeit-Rente-Tod. Sie schaffen eine virtuelle Wirklich­keit, die die physische überlagert, folglich wird die Ideologisierung der Menschen durch Bilder wirksamer. Zwar konnte das Gesehenhaben von Gewaltdarstellungen nur in Ausnahmefällen als Tatmotiv für Verbrechen ermittelt wer­den, gelegentlich erklären Kinder, Jugendliche oder Psychopathen diese oder jene Filmszene habe sie zu Delik­ten ä la „Sheriff hängt den Banditen auf“ inspiriert, die Funktion der medialen Bil­derwelt besteht eher in einer Verfesti­gung chauvinistischer Haltungen und der Abwehr utopischen Gedankenguts. Die Utopie einer befreiten Gesellschaft wird zum individuellen Streben nach Glück und materiellem Wohlstand ver­formt. Diese Individualisierung nach dem Motto „Du kannst es schaffen“, die die gesellschaftlichen Strukturen vernebelt, ist Propaganda für das imperialistische System. Der Begriff „Propaganda“ wirkt schon fast unpassend in diesem Zusam­menhang, hier macht keine Partei oder Bewegung Propaganda, indem sie im Wettstreit mit anderen lärmt, lügt und agitiert, vielmehr inszeniert ein System durch seine Medientrusts eine gesamtge­sellschaftliche Wirklichkeit, die totaler werden kann als jede Diktatur der Geschichte. Die Inszenierung der impe­rialistischen zweiten Wirklichkeit braucht etliche Statisten und helfende Hände. Als Fallbeispiel nehmen wir den Künst­ler XXL. Nehmen wir an, seine Ausstellung in der Stadt X-City sei von einer Frauengruppe verwüstet worden, mit der Erklärung, sie verbreite sexistisches Gedankengut. Mehrere Rechtfertigungen seiner Arbeit sind jetzt möglich: er habe provozieren, Denkanstöße liefern wol­len; er sei, hochsensibel, über die Schlechtigkeit der Welt verbittert und darauf zum Zyniker geworden, er sei ein unbequemer Künstler, ein unerschrocke­ner Tabubrecher, er sei eben Realist usw.. Diese Erklärungsversuche sind schablonenhaft verwendbar für kriti­sierte künstlerische Machwerke.

Die Freiheit der Kunst als gesellschaftli­che Immunitätsgarantie ist natürlich genauso „wirklich“ wie die Mitbestim­mung der Einzelnen durch Wahlen in der parlamentarischen Demokratie: Es gibt sie nur als Anspruch. Das freie Spiel mit Bildern und Begriffen wird durch die aktuelle politische Lage zwangsläufig zu einer politischen Aussage, z.B kann ein Witz über „Antirassismus“ oder über die „Hilflosigkeit der Linken“ schnell eine braune Tönung annehmen. Die Abbil­dung von Frauen als Objekte und die Manifestation patriarchaler Sexualität durch Witze, Gesten und Schwanzanbe­terei in Film und Kunst verlieren angesichts der sexistischen Gewalt den Bonus der Narrenfreiheit. Die Zuspit­zung der Krise des kapitalistischen Patri­archats verlangt von öffentlichen Äuße­rungen, zu denen sich die Kunst zählt, eine klare Aussage auf welcher Seite sie steht. Wie diese Stellungnahme visuali­siert wird, ist nebensächlich, genauso ein Berufsstand, der der Öffentlichkeit unverständliche Kunst erklärt.

Was ist „Politically Correct“?

Die zur Zeit einzig nennenswerte Oppo­sition gegen das System geht von mar­ginalisierten radikalen Minderheiten aus, die von verschiedenen Positionen aus ihre Kämpfe führen. Aus ihrer jeweiligen Systemanalyse entstehen Aktionsschwer­punkte und Angriffsobjekte. Sie ent­scheiden, ob auch dieses oder jenes Kunstwerk dazuzählt und gehen ent­sprechend dagegen vor. Es ist schwer, die Politik dieser Minderheiten von einem übergeordneten, antiimperialistischen Standpunkt aus zu kritisieren, da sich sofort die Scheu vor Anmaßung und unberechtigter Einmischung meldet, sofern wir nicht der kritisierten Minder­heit angehören. Trotzdem müssen wir diese Kämpfe als unsere eigenen anse­hen und in der Lage sein, sie zu kritisie­ren, wenn uns etwas an der Entwicklung eines antiimperialistischen Gesamtinte­resses gelegen ist, in dem sich der ver­streute Widerstand koordiniert. Im Unterschied zu einem notwendigen Gesamtbewußtsein von Widerstand und seiner Geschichte kann es keine überge­ordnete ästhetische Position geben, die im Namen der Freiheit von Kunst und Lehre Widerstand der Minderheiten dif­famiert. Alle Kulturschaffenden und Intellektuellen, die sich das herausneh­men, stehen im Rahmen ihrer Medienpräsenz bereits auf der Seite der Unter­drückung. Die Entscheidung gegen das System soll sich auch deshalb in drasti­scher und plakativer Form darstellen, weil die Ereignisse der Gegenwart die kulturelle Hegemonie der Linken, den Marsch durch die Institutionen und die Demokratisierung der Metropolengesell­schaften als Seifenblasen zerplatzen las­sen. Diese Verbitterung in Kultur- und Bildungsbürgertum spiegelt sich auch im rassistisch-sexistischen Zynismus, der in linken oder halblinksmitteoben-Publika­tionen wie TAZ, Titanic und Konkret Fuß faßt. Der in den USA verbreitete Begriff „politically correct“ und davon geprägte „politisch korrekte Kunst“ erge­ben sich aus der Segmentierung der amerikanischen Gesellschaft in zahlrei­che und starke Minderheiten und einer dominant weißen Mehrheitsbevölkerung. Er findet dort, wo das liberale Establish­ment Posten in Wirtschaft und Verwal­tung einnimmt, Eingang in die moderni­sierte Sprache der Herrschaft. Es ist eigentlich ein defensiver Begriff, der offiziellen Sprachgebrauch und Kultur­betrieb vor allzu groben Fouls gegen Minderheiten bewahren soll. Fortgesetzt Ablehnung durch die jeweilige Mehrheit, Unterrepräsentation in der Verwaltung und die herrschende Konstruktion von Minderheiten, die gegeneinander aus- spielbar sind, haben viele Gruppen erst zum Einigeln gedrängt und sie als Min­derheiten konstituiert. Die Politik der Antidiskriminierung gipfelt oft in den paradoxen Forderungen nach Gleichstel­lung in einem System das auf strukturel­ler Gewalt gegründet ist. Die Bestrebun­gen, daß z.B. Schwule heiraten dürfen, daß Frauen in den Armeen dieser Welt mitkämpfen dürfen oder daß Koranschu­len in Europa ihr Zwangssystem entfal­ten dürfen, zeigen den reformistischen und systemstabilisierenden Charakter vieler Forderungen. Auf dem Kunstmarkt entspricht dem der Erfolg von politisch korrekter Kunst.

Politisch korrekte Kunst verschafft den Minderheiten Raum zur Selbstdarstel­lung. In den USA hat Kunst, die sich mit sozialer Realität und dem Alltag verfem­ter und verdrängter Minderheiten befaßt, bereits Zugang zu Museen und dem eta­blierten Kulturbetrieb gefunden. Der Wert von Kunst, die ursprünglich aus marginalisierten Minderheiten kommt, wird durch die museale Anerkennung bestimmt, da Museen aus öffentlicher Hand eine Funktion haben wie Banken in der Wirtschaft: sie legen Wechsel­kurse fest und bilden durch Lager und Ankäufe Währungsreserven. Ein neuer Trend zur politischen Kunst scheint ein­gesetzt zu haben. Die Zahl von Anpassern und Trittbrettfahrerinnen steigt, denn die Luft auf dem Kunstmarkt ist für Jungtalente durch die Rezession dünn geworden. Zur Zeit werden nur noch sichere Wertanlagen gekauft und viele Newcomer gehen, überteuert und über­schätzt, leer aus. Die Marktzielgruppe für politisch korrekte Kunst ist weit gefächert, eigentlich sind es alle Gutver­dienenden mit schlechtem Gewissen. Politisches Handeln wird durch den Kauf politischer Kunst bzw. dem Erwerb einer Gesinnung überflüssig gemacht. Ob dabei, wie von konservativer Seite behauptet, der Wille zur politischen Aus­sage die künstlerische Qualität zur Nebensache macht, sei dahingestellt, denn eine Erörterung der Frage, „was ist künstlerisch wertvoll“ würde hier den Rahmen sprengen. Sicher ist dagegen, daß das Erscheinen von politisch korrek­ter Kunst im Konflikt unterschiedlicher Herrschaftskonzepte eine Rolle spielt. Der Aufstieg dieser Kunstrichtung und seine Förderung durch das liberale Esta­blishment sind Teil eines Kulturkampfs zwischen modernistischer, liberaler Stra­tegie und dem in Krisenzeiten beliebten konservativen Rund-um-sorglos-Paket mit Volk, Führer, Heim und Herd. Die Wertkonflikte toleranter und normieren­der Haltungen zeigen sich in der Erhal­tung von Familie und verbindlicher Heterosexualität gegenüber der Entfal­tung von Bi- und Homosexualität, in der Verteidigung patriarchaler Ordnung gegen die Selbstbestimmung der Frauen, im Erhalt eines einheitlichen Sprach- und Volksgebildes gegen eine multikul­turelle Gesellschaft, in der autoritären Führung einer „formierten Gesellschaft“ gegenüber einem regionalen oder lobbyistischen Pluralismus, schließlich in der Abwehr von politisch korrekter Kunst durch Akademien und Kunstmarkt kon­servativer Prägung.

Politische Aussage als Lifestyleaccesoir

Der Erfolg von politisch korrekter Kunst auf dem Markt bedeutet das Ende von politischer Kunst auf unabsehbare Zeit: Wie zuvor bei vielen Sumpfblüten der Subkultur ist die finanzielle Überdün­gung der Tod. Der Markttrend und die Vereinnahmbarkeit für politische Befrie­digungsstrategien nehmen den unerwar­tet zu Ehren gekommenen Werken Glaubwürdigkeit und Sprengkraft. Sie sind sozusagen nicht mehr „echt“. Die politische Aussage wird chic, käuflich und zum stilbildenden Element einer neuen von vielen Strömungen der Neun­ziger. Die plakative Überdosierung und mangelhafte Formgebung der politi­schen Aussage in vielen Arbeiten und die Sinnentleerung im sterilen Museumsbetrieb garantieren, daß sich politische Kunst von einem Abwärtstrend, der mit Sicherheit kommt, auf lange Sicht nicht mehr erholen wird. Im Vergleich zu den USA ist der Erfolg dieser Kunstrichtung in Deutschland bisher bescheidener ausgefallen. Autoritätsgläubigkeit und völki­sches Denken sind hierzulande stärker verbreitet, der Sprach- und Kulturraum enger und einheitlicher und das liberale Bürgertum traditionell im Hintertreffen. Die Macht der Konservativen in Wirt­schaft und Politik hat alle Demokratisie­rungsversuche ä la „Mehr Demokratie wagen“ unbeschadet überstanden. Gerade die nahezu einheitliche Bericht­erstattung der Medien zum Krieg in Jugoslawien und Flüchtlingspolitik weist auf eine freiwillige Selbstzensur und eine Empfänglichkeit für völkische Res­sentiments hin. Die liberale Modernisie­rungsstrategie trifft mit ihren aktuellen Projekten „Vereinigtes Europa“, „Multikulturalismus“, Drogenfreigabe etc. auf immer stärkeren Widerstand konservati­ver Kräfte. Die schnelle Abservierung Engholms zeigt, daß modernistische Kräfte der herrschenden Klasse, wie die „Toskana-Fraktion“ der SPD, zur Zeit auf wackligen Beinen stehen. Entsprechend verzögert sich die Öffnung des Kunst­marktes für politisch korrekte Kunst. Im Moment wird diese Kunstrichtung noch von Outsidern oder subkulturellen Ein­richtungen vertreten. Trotzdem bleibt eine politische Tendenz des deutschen Kulturbetriebs unübersehbar: auf die Springflut des faschistischen Terrors folgt die Welle der Ausländerfreundlichkeitsbekundigungen der Stars, Kunst- und Sportgrößen, der Politiker, Journaille bis- hin zum Buchhandel, die uns ins tiefe Tal der Tränen spült. Wild entschlossen „zu bitten statt zu handeln“ steht das „Volk“ am 9.11.1992 hinter „Führer“ Weizsäcker. Auch bei den reichsweiten Lichterketten wird wie auf Befehl demonstriert. Das Aufkommen dieser routinierten und quietistischen „Betrof­fenheit“ vermittelt eine Vorstellung davon, wie leicht der Begriff „politisch korrekt“ von der deutschen politischen Klasse aufgesogen und instrumentalisiert werden kann. Während in den USA die politisch korrekte Kunst aus den margi­nalen Minderheiten kommt, und viele Gründe, u.a. die Aktualität des Kampfs gegen AIDS, zu ihrem Erfolg geführt haben, beherrscht in Deutschland das politische Establishment den politisch korrekten Antirassismus und wird ggf. in ähnlicher Weise die Vermittlung von politisch korrekter Kunst übernehmen. Die Übernahme progressiver Kunst und Begrifflichkeit durch die politische Klasse und ihre Medienkartelle wirkt also einer tatsächlichen Emanzipation der bedrohten Minderheiten entgegen und nimmt diesen Prozessen ihre Sprengkraft.

Die Revolution ist mehr als politisch korrekt

Für eine revolutionäre Kulturarbeit ist der Begriff „politisch korrekt“ genauso ungeeignet wie die undifferenzierte For­derung nach Multikulturalismus. Revolu­tionäre Kunst muß mehr sein als poli­tisch korrekt, eine Korrektheit, die den Vorgaben einer humanistischen, liberalen Linken hier und in den USA entspringt. Revolutionäre Kunst muß die Ahnung und die Möglichkeit einer befreiten Gesellschaft durchscheinen lassen und ihre Unversöhnlichkeit mit dem imperia­listischen System demonstrieren.

Aufgabe linker Kunst ist es auch, Fragen zu stellen, die einen Prozeß der Politisie­rung und Polarisierung einleiten. Weiter dient linke Kunst dazu, uns und unseren politischen Alltag zu interpretieren, d.h unsere Erfolge, aber auch die Zweifel festzuhalten. Ziel dieser Bestrebungen ist die Suche nach einer linken Ästhetik, einer Bildsprache, die untrennbar ver­bunden ist und nicht durch den politi­schen Feind vereinnahmbar ist. Die Suche nach einer „Ästhetik des Wider­stands“ muß mit vielfältigsten Mitteln und von unterschiedlichsten Positionen aus begonnen werden, sie steht und fällt mit der Entwicklung einer linksradikalen Bewegung. Die feste Verbindung bestimmter künstlerischer Formen und die Herausbildung eines Stils, wie es in der kommunistischen Bewegung der Zwanziger und Dreißiger zu beobachten war, ist zur Zeit nicht adäquat und kann nur am Ende einer längeren politischen Diskussion und Entwicklung stehen. Bisher waren Kunst und Kultur im Rah­men unserer politischen Praxis beleben­des Beiwerk, sei es beispielsweise als hippieskes Straßenfestgedaddel, sei es als strammer Agitprop. Modell „buntes Straßenfest“ verfolgt das Ziel durch Lärm, exotische Freßbuden und nostalgische Gauklerstückchen eine außergewöhnli­che, authentische Atmosphäre herzustel­len. Möglicherweise ist es diese Authenti­zität, dieses „live&unplugged“ Erleben, eben Leben live vorspielen, was uns einen der wenigen Zugänge zur Öffent­lichkeit, zu unbeteiligten Menschen gewährt. Die scheinbar undurchdringli­che Dunstglocke, die die Medien um das Bewußtsein der Menschen legen ist vor allem deshalb so mächtig, weil über­haupt nicht mehr festzustellen ist, was wirklich „bewegt“ und beteiligt. Trotz­dem kann das authentische Straßenfest nicht mehr sein als Umrahmung unserer politischen Selbstdarstellung, abgelöst davon bekommt es einen konsumisti­schen Charakter. Die sogenannte Nor­malbevölkerung nähert sich linksalterna­tiven Straßenfesten zunächst in einer Mischung aus Neugierde und Verärge­rung über die Ruhestörung, denn die ungewohnte Belebung des Raums „Straße“ löst bereits Unwillen aus. Bald darauf werden sie zutraulich, beginnen ihrerseits uns wie Zootiere anzugaffen, die Mienen hellen sich auf, Männer trin­ken Bier, Kinder fangen an zu spielen, Harmoniegefühle überwältigen uns. Wenn dabei, wie so oft geschehen, die provokante Begegnung mit unseren poli­tischen Inhalten vernachlässigt wird, nimmt der Besuch vom Planeten Nor­malo leider nur angenehme atmosphäri­sche Schwingungen mit. Viele gut gemeinte Versuche von Straßentheater­gruppen u.ä. gesellschaftliche Zusam­menhänge in ihrer Komplexität darzu­stellen, gehen im Tohuwabohu der turbulenten Aufführung unter. Straßentheater hat oft mit dem Image von Klamauk und Fußgängerzonenani­mation zu kämpfen.

Andere Formen herkömmlicher linker Selbstdarstellung firmieren unter dem Eti­kett „Agitprop“. In unseren Diskussionen wird das Wort oft als Begriff angeführt, wie linke Kultur heute nicht sein sollte: „platt“, „anachronistisch“, „zu belehrend“ sind die Attribute für das hölzerne Schlagwort im KPD-Neusprech der Zwanziger. Dabei verheißt es zunächst nichts weiter als die restlose Indienstnahme der Kunst für die Agitation der Partei, widerspricht also der bürgerlichen Theorie der „autonomen Ästhetik“ funda­mental. Diese grundsätzlich erfreuliche Funktionalisierung für die Kämpfe des Proletariats wurde von überwiegend bür­gerlich erzogenen Menschen betrieben, die vom pädagogischen Segen der Schö­nen Künste überzeugt waren. Sie produ­zierten Illustrationen, Plakate, Bilderge­schichten als Ergänzung einer Agitation, die Menschen aller Bildungsgrade errei­chen sollte. Realismus und Expressionis­mus erschienen als geeignete Stile, um bittere Gegenwart und glänzende Zukunft der Revolution auszumalen. Konstruktivismus und Funktionalismus beschrieben den Siegeszug des Materia­lismus. Die bildlichen Darstellungen und politischen Festivitäten sind aus heutiger Sicht einfach gestrickt, martialisch und stereotyp: Endlose Marschko­lonnen irgendwelcher Parteigänger, Arbeiter mit muskulösen Unterarmen, Arbeiterinnen mit verhärmten Gesichtern, rote Fäuste, die den Feind wegfegen, Fahnen und Fahnen bestimmen die Sze­nerie. Mehr als heute wurden Menschen auf der Straße politisiert, Teilnehmende der Aufmärsche fühlten sich zahlreich und mächtig. Die mitgeführten Fahnen und verklebten Plakate waren in erster Linie Machtzeichen und Reviermarkie­rungen der Bewegung in einer verschärf­ten politischen Auseinandersetzung, sie sind nicht im Anspruch einer umfassen­den Analyse erstellt worden und entspre­chend plakativ gehalten. Bilder, Texte und Motive dieser Zeit sind für uns als Verweise auf die Geschichte des Wider­stands, auf die wir uns beziehen, ver­wendbar, sie können uns natürlich nicht in unserer gegenwärtigen Phase reprä­sentieren.

Nevertheless, die Wieder­sprüche des Systems haben sich weiter verschärft, und diese Verschärfung rechtfertigt auch den Gebrauch von krassen Stilmitteln in Bild und Wort. Warum also nicht Nationalflaggen und Politikerpup­pen am Pappegalgen brennen lassen? Das ist ein legitimer Ausdruck unseres Hasses, den wir in politische Qualität verwandeln wollen. Noch ein Gedanke zur Ansicht, Kunst würde in ihrem Wert gemindert, wenn sie „zu politischen Zwecken“ verwendet wird: Kunst nimmt sowieso immer „Partei“ weil sie seit Jahr­tausenden Schmuck für die herrschende Macht ist. Erst als die Allgegenwärtigkeit der Kirche und des Adels vom aufstre­benden Bürgertum durchbrochen wurde, erlangte die nun funktionslose Kunst den Anspruch auf Autonomie und Immunität. Im Entstehen des Privaten Kunstmarktes spiegelt sich die neue kapitalistische Ordnung. Kunst wurde vom Privileg weniger zum Kulturgut aller erhoben, sie sollte den Anspruch „Gleicher Freier Bür­ger“ einlösen, wenn schon keinerlei soziale Gerechtigkeit gewährt wurde. Diese Ästhetik für Alle, ungerührt vom Reichtum für Wenige, ist die für das Bür­gertum funktionalisierte Kunst. Sie ist ebenso „politisch“ wie der Agitprop der KP. Unser Ziel als REVOLUTIONÄRE LINKE muß eine Wiederaneignung der Kunst als Instrument und Ausdruck einer kämpfenden Bewegung sein, nur die Kunst, die sich aus den Erfahrungen, Gedanken und Gefühlen der Kämpfen­den speist, ist revolutionär.

Kommentar zum „Zensur“-Text

Den vorne dokumentierten Text bekamen wir vor einigen Monaten zugeschickt. Da einige aus unserer Redaktion nicht mit der Meinung der Autoren übereinstimmten, möchten wir diesen Text nicht entgegen, sondern dazustellen. Damals wollten wir das Papier der Hamburger Gruppe nicht einfach mit der Bemerkung „der Text ent­spricht nicht der Meinung der Redaktion“ abdrucken, da wir diese Handhabe an anderen Printmedien der Linken mehrfach kritisiert haben. Wir von der Arranca-Redaktion haben es uns deshalb zur Aufgabe gemacht, hier schon den ersten Ver­such einer Kritik zusammenzufassen oder einfach Probleme mit einem derartigen „Kunstverständnis“ aufzuzeigen.

Entstanden ist der andere Artikel sicher sehr situationsgebunden. Menschen, die links zu denken und zu handeln versuchen, studieren Kunst an einer staatlichen Hochschule. Von Beginn an gibt es Klassen (oder Ateliergruppen wie es im dortigen Jargon heißt), die von Ölkonzernen und Ban­ken gesponsort werden. So produzieren die Studis gleich das passende Interieur der Aufsichtsratsbüros.

Gecken und Schelme, die das Kapital sich hält.

Das kotzt die Schreiberlinge des Textes an. Das ist gut so.
(In der Diskussion wird Kunstprodukten immer wieder eine besondere Bedeu­tung zugemessen, da der Wert eines Kunstwerkes „frei“ und nicht an markt­wirtschaftliche und kapitalismusimmanente Gesetze gebunden sei. Um die­ses Argument zu entkräften, sei hier nur noch mal auf die Steuervergünstigungen beim Kauf von Kunstwerken hingewie­sen. Und selbst wenn nicht: Kunstpro­dukte nehmen im Bruttosozialprodukt der BRD nur einige Zehntel Promille ein – wer schließt also von der Ausnahme auf die Regel?)

Als Provokation gedacht, fällt der Ham­burger Text allerdings für mich zu pla­kativ-politisch aus, also eher aus ver­ständlicher Abgrenzung und nicht auf eigenen selbständigen Überlegungen entstanden. Das birgt Gefahren und mögliche Mißverständnisse.

„politische kunst ist langweilig“ leuchtet eine rote digitalschrift über einer untertassengroßen öffnung in der wand.
diese installation in der galerie „WAU“, nein in der u-bahn, warnte:
stecken sie nur die hand hinein, wenn sie dieser meinung sind!
neugierig und unbeflissen eilte der student hinzu, steckt die hand hinein, sitsch, muskeln und sehnen, ein scharfes messer, eine hand fiel auf beton, blut... nein, das ist nicht unser rot.

stattdessen: die hand fühlte hinter etwas
schleimigen zähen,
einen.drehen,

knopf
ah!.schalter, drückt drauf
unter der digitalschrift lächelt es: ausbeutung besteht seit Jahrtausenden.

Linke Kunst ist viel mehr

Zum Text: Die Gruppe macht sich zum Sprachrohr weniger, die den Film „Ter­ror 2000“ von Schlingensief bei der Auf­führung hindern wollten.

Sie behaupten, die Aktionisten hätten keine Flugblätter oder Informationen hinterlassen. Obwohl diese Tat beispiel­haft im nachhinein legitimiert werden soll, erfahren wir nicht warum.

Zum Inhalt des Films, über die Person des Regisseurs, über die Begründung gerade dieser Form des Einschreitens oder der Zensur, erfahren wir nichts.

Unabhängig von dem ob oder den Kri­terien der „linken“ Zensur, stellt sich nicht erst seit Protesten gegen die Sprin­gerblätter „Bild“ o.ä. die Frage: können wir sie überhaupt durchsetzen?

Daß der Protest nach hinten losgehen kann, will ich an einen kleinem Beispiel der neunziger Jahre zeigen: Type-o-Negative, einer Independent-Band aus den USA, wurde '92 von Teilen der Szene vorgeworfen, ihre Texte seien rassistisch und sexistisch. Gegen die Konzerte wurde mobilisert, Farbeier, Stinkbomben, Bullenhatz, Pressewirbel.

Auf der neuen LP der Band schreiben die Musiker:
„...and thanx to the european left for making us so big!“

In der letzen Nummer des IDES/Infor­mationsdienst El Salvador) zieht ein Genosse Resümee und beklagt auch eine Art von Selbstzensur (und damit sicher auch einen Kern des Niedergangs vieler Soligruppen...):

„Wir taten uns schwer, die Widersprüch­lichkeiten der revolutionären Prozesse in Lateinamerika darzustellen. Wir dis­kutierten sie, hatten aber Schiß, das was wir als Wahrheiten begriffen hatten, im IDES zu benennen.

Am Beispiel der Ermordung der soge­nannten Nr. 2 der Guerillatruppe FPL in Managua wird dies deutlich. Ein ande­rer Comandante hatte im Auftrag des Chefs der FPL die Tat begangen, weil die NR.2 im Begriff war, zu enge Kontakte zu anderen großen Gruppen innerhalb der Befreiungsguerillas herzustellen.

Eine Tat, vergleichbar mit der Ermor­dung Trotzkis durch Stalins Schergen – der IDES berichtet gar nicht über die Tat. Erst ein Kommentar, vier Wochen später, beschäftigte sich mit dem Unge­heuerlichen.“

In einem Interview im Neuen Deutsch­land betont ein kubanischer Ökonom:
„Das wichtigste an der Soliarbeit für uns ist, daß ihr kritisch mit uns seid...“

Und Brecht:
Gedenkt, wenn ihr über unsere Schwächen sprecht, auch der dunklen Zeiten, denen ihr entronnen seid.

Doch Angst ist keine Grundlage eman­zipatorischer Politik:
Daß der Kampf in seiner Härte nur in völliger Einheitlichkeit geführt werden kann, akzeptiere ich, doch muß dabei deutlich werden, daß nichts uns festhält in Unklarheiten, Vorstellungen, Mystifi­kationen, wären wir zu einem solchen Nachgeben bereit, so hätten wir den Menschen nichts zu erwidern, die sich bei uns zu Hause in die Illusion faschi­stischer Demagogie treiben ließen... sol­ches kann aufkommen, weil der Boden brach liegt, weil wir es nicht vermögen, unsere eigenen Werte zur Geltung zu bringen, weil wir uns allzugerne impo­nieren lassen. Wie sollen wir wirkungs­voll dagegen angehen können, wenn wir selbst nicht mächtig sind, jede unse­rer Handlungen zu vertreten, wenn auch wir festsitzen in Selbstverleug­nung, zwischen Unklarheiten und Zwängen.

Peter Weiss

„Freiheit ist die Freiheit des Andersden­kenden“ hat Rosa Luxemburg mal ge­sagt. Herr Schnitzler, bekannt nicht nur vom „Schwarzen Kanal“ des DDR- Fern­sehens, hat dazu, als sich Oppositio­nelle in der DDR auf diesen Satz berie­fen, mal lapidar gesagt: „...naja, da hat sich die Rosa eben jeirrt.“

Nochmal zurück zum Filmattentat: Linke militante Aktionen sollten sich vor allem durch Eindeutigkeit und klare Vermittel­barkeit auszeichnen. Das kann nicht Monate später in irgendeiner Zeitschrift nachgeholt werden.

So jedoch bleibt die Tat der Aktionistin­nen mit Arroganz und Fehlern behaftet, schlechte Provokation, ohne erkennbare Vermittlungsversuche.

Stell dir vor, du sitzt im Kino, es kracht hinter dir, du gehst und keiner weiß, was war...
Oh, da liegt mein Auge...

„Die Künste sind ein unentbehrliches, unersetzbares geistiges Mittel der Ge­sellschaft, dieses Bild des sozialistischen Menschen zu entwerfen und es als erstrebenswert auf die Menschen wir­ken zu lassen“ (aus dem Philosophi­schen Wörterbuch der DDR...)

Stalin hat das noch kürzer und verach­tender zusammengefaßt: Künstler sind die Ingenieure der menschlichen Seele. Der Streit über „linke Kunst“ währt schon lange. Grundlage war oft das Nichtanerkennen von Verschiedenhei­ten in unterschiedlichen Prozessen (geradezu paradox, obwohl das alle selbst an uns selbst erleben: welches Buch/Bild/Theaterstück mir vor Jahren wichtig/nichtssagend/vorantreibend war – darüber lache ich jetzt/zause mir die Haare oder es ist mir schlichtweg gleichgültig. Das Annehmen eines Zeitkerns von Wahrheit spricht nicht für Gleichgültigkeit, sondern Verschieden­heit.

Gerade im Vergleich BRD-DDR werden hierbei einige Fragestellungen klarer.
„Diese US-bop imberialisten mit ihrem ewigen jä, jä, yeah! verderbn unsere juugend“ sagte Walter Ulbricht auf die Fragestellung ob der Gefahren und Notwendigkeiten von Volkmusik.
Musikproduktion sollte wie auch die anderen Kunstformen „Hilfe bei allen Lebensfragen der Völker“ geben und stets artig auf das sozialistische Ideal hinweisen.

„Die Legende von Paul & Paula“, der Roman von Plenzdorf, wurde in den siebziger Jahren in der DDR verfilmt: Eine nette kleine Liebesgeschichte zwi­schen der objektiven Politwelt (Paul) und den einfachen, alltäglichen Sorgen und Freuden der „kleinen“ Leute (Paula).
Selten blieb ein Kinosessel unbesetzt: Individuelles Glück wurde im Gegen­satz zum zwangvollen Glück in der Masse (oder besser dem Kollektiv?) als wichtig und sinngebend gezeigt und akzeptiert.

Nein, ich möchte hier nicht falsch ver­standen werden: Nicht die Gefühlsduselei ist die Form der Wahl, um fortschritt­liche Kunstproduktionen auszuzeichnen. Aber gerade der Verlust des Ichs am Wir wurde in diesem Film aufgehoben oder auch nur die Möglichkeit dazu the­matisiert. Daraus ergaben sich die politische Brisanz und der zur damaligen Zeit emanzipatorische Wert von „Paul & Paula“.

Daß in der DDR über Filmzulassungen oder Verbote, Theaterinszenierungen oder Buchabdrucke (nicht umsonst staunte eine Freundin über die vielen frei zugänglichen Kopierer im Westen...) in den höchsten Politstellen eifrig disku­tiert wurde, beschreibt die zugeschrie­bene Wichtigkeit der Werke der Kunst­produzenten. Was kann es z. B. für Schriftsteller Heiner Müller Erfolgreiche­res geben, als daß das gesamte Politbüro mit all der Macht und Ahnungslosigkeit über dessen Inszenierungen stritt...?

Aber es war vor allem Ausdruck des Legitimationsdrucks, dem der Staatsap­parat unterlag. Kunstproduktionen wur­den zur Rechtfertigung für das System ge- und mißbraucht.
Umgekehrt hatten diese Ausdrucksfor­men real eine riesige Bedeutung: Unvorstellbar für die Wessis ist wahr­scheinlich, daß ein Student der Kunst­hochschule der DDR fast geflogen wäre, da er ein packpapierbraunes Stück Pappe von der Größe ca. 1 mal 2 Meter mit folgendem – in Anlehnung an das Brecht'sche Stück „Fatzer“ – Spruch bedruckte und hinter einem umgeworfenen Schreibtisch befestigte:
Verlasse deinen Posten!
Nimm Teil am Unterricht der Massen!

Die Kulturfunktionäre verstanden es als Angriff auf die kulturhegemonischen Bestrebungen, also ein Infragestellen der autoritären und oft sehr hierarchischen Lern- und Lehrformen.
Zudem war es wohl auch ein Appell an die „Intelligenz“ bzw. die Bürokratie, ihre Rolle zumindest zu überdenken. Außerdem war eine Kritik besonders dann schmerzhaft und bekämpfenswert, wenn die offiziellen Heroen wie in die­sem Falle B.Brecht, die zu Vorzeigeintel­lektuellen des Sozialismus verdreht waren, eine linke Kritik an der DDR untermauerten. Gefährlich deshalb, da nicht ohne weiteres dem Kulturimperia­lismus des Westens zuschlagbar.

Zusammengefaßt: Die DDR hatte nur einen Graben, den „Kultur- und Kunstgra­ben“, als Wall gegen die Systemkritik.

Da versucht wurde, diese Bereiche zu dominieren, wurde jeder Ausbruch oder nur Kritik am Gängigen zur Glaubens­frage und damit zum fundamentalen Infragestellen des Staates... (oft auch nur hochstilisiert, denn die Verschmähten verstanden sich oft durchaus als Soziali­sten und auch solidarisch mit der DDR)

Das Aufzeigen des völlig anderen Grundverständnisses von Kunst in der DDR soll nicht als „Hetzen“ mißverstanden werden. So gab es auf anderen Gebieten, wie der Erwachsenenbildung und Weiterbildung (und den vielfältigen Möglichkeiten dazu) oder auch den Ver­suchen, die Menschen mehr für neue Kunstformen zu interessieren, durchaus positive Ansätze.

Anhand der vielleicht auch sehr eigen­willigen Beispiele wollte ich jedoch kurz die grundsätzliche Verschiedenheit der Bedeutung von Kunst und Kultur im Ost-West-Verhältnis zeichnen.

Trotzdem möchte ich nicht der Beliebig­keit das Wort reden (darin stimme ich mit den Hamburgern überein) und einen geistigen Vater der DDR (Marx selbst hustet im Grab) zitieren: „aber die Parteilosigkeit ist der bürgerli­chen Gesellschaft nur ein heuchleri­scher, verhüllender passiver Ausdruck der Zugehörigkeit zur Partei der Satten, Herrschenden; Ausbeuter.“

Nur die bloße Umkehr birgt Falsches: Die Einengung oder der Zwang der Kunst in eine vermeintlich linke Funktionalität (ein krasses Beispiel sind hierfür die Skulpturen der von den Ariermenschen kaum zu unterscheidenden Heroen des Vaterländischen Krieges...) hatte im sozialistischen Realismus seine Perfektion, aber auch seine krasseste Form der Stagnation und Ausgrenzung gefunden.
Das Wechselspiel aus gleichzeitig Zerset­zendem und Konstruktivem, auch ein Motor für Innovation und Kritik, wurde verkürzt, eingeengt, zerstört.

Die innere Notwendigkeit ist für mich ein elementarer Bestandteil einer möglichen Form von Kunstproduktion, von Suchen, Verschleiern und Auffinden.

Ein für die ein oder andere rührseliges Liebesgedicht, ein Bild dessen Farben voll Haß oder Verzweiflung schreien – weil in so einem Moment entstanden – zeige doch nicht nach vorne, die Distanz des Künstlers zum Objekt fehle zu sehr- lautet oft die dogmatisch linke Kritik.
Das stimmt nur auf den ersten Blick! Ob nach innen nicht auch nach vorne sein kann, oder ob ein gleiches Erleben, also das Gefühl „so etwas auch zu kennen, aber noch nicht ausdrücken können“, also das Bewußtmachen von Realitäten, nicht auch emanzipatorisch sein soll?
Die Distanz des Künstlers von seinem Werk wird immer wieder gefordert, weil nur so objektive von subjektiven Wahr­nehmungen getrennt werden können. Auch mache erst die Entfernung und damit der Überblick das eigentliche Anliegen vermittelbar. Hegel sprach sogar von der Volksverbunbenheit als einem konstitutiven Merkmal der Kunst (wobei ich ihn so verstehe, daß dieses Band gesucht und geformt werden muß, also nicht schon Bestandteil des „Volkes“ ist.)

Das ist nur zum Teil richtig.

Auch das Festhalten von Wirklichkeiten in den am stärksten subjektiv empfunde­nen Momenten, ohne auch nur einen Wimpernschlag an Vermittlungsgedanken vergeudet zu haben, dürfen wir nicht ausgrenzen, ist auch „linke Kunst“.

Gerade das Wechselverhältnis des Eige­nen und des Fremden, des nach innen und nach außen Gerichteten darf nicht aufgegeben werden. Nur das Ermitteln von Grenzen und der Balance, des neu zu Erbauenden und des zu Zerstörenden birgt die Chance, nicht zu erstarren. Das bedeutet natürlich den Verlust des Gefühls von Sicherheit und ein dauerndes sich Infragestellen und Umkehren können oder -müssen: sich an den Widersprüchen des Lebens entlanghangeln.

Form und Inhalt, die sich gegenseitig bedingen sollen, ist ein oft mit nicken­dem Wohlwollen zitierter Satz. Doch was gestern noch provokativ, neu, ja gera­dezu revolutionär war – kaum einer dachte an die Möglichkeit der Integration (ob das jetzt die Heartfieldschen Foto­montagen, die Technik die später auch die Nazis für ihre Propaganda mißbrauchten, oder die punk'schen roten Haare, die heute chic auf waild gestailt bei kwaför gefragt sind) die Zeitbedingt­heit befreit uns nicht von der Aufgabe, unter konkreten Bedingungen Formen und Inhalte abzuwägen (neu nicht gleich neu – das klingt heute schon fast so platt wie der Pfannkuchen, der an einen Nagel gehängt, 'nen goldenen Rahmen drum, schon mal geradezu als Avantgardekunst durchgegangen wäre...)

Im schon zitierten philosophischen Wör­terbuch der DDR lauten die letzten zwei Sätze zu Thema Kunsttheorie: „Die Grundsätze sozialistischer Kunstpoli­tik, denen eine geschlossene Theorie zugrunde liegt, sind innerhalb der DDR in dem Beschluß des Staatsrates vom 30.11.67 festgelegt. Daraus ergibt sich, daß viele Probleme noch der wissenschaftlichen Klärung har­ren.“

So sei es.