arranca: ¿Was ist Negu Gorriak? Eine Band oder eine politische Gruppe?

Wir sehen uns als Band, und als Arbeitsplattform für Musik und Protest. Wir haben ein Fanzine und internationale Kon­takte mit Leuten, die in ihren Fanzines ähnli­che Themen wie wir aufgreifen: z.B revolu­tionären Nationalismus, bewaffneten Kampf, Rassismus usw. und beteiligen uns an Demonstrationen. Wir haben ein eigenes Plattenlabel, das Musik mit Texten auf euskera herausgibt. Um zu zeigen, daß das Euskera und die baskische Kultur lebendig sind.

¿Seid Ihr auch in einer politischen Organisation?

Wir sind mit mehreren sozialen Bewe­gungen eng verbunden. Ich bin z.B. Dele­gierter in der Versammlung der Gestoras pro-Amnestia (Amnestiekomitees), eine Organisation, die gegen die Repression arbeitet. Der Bassist und der Schlagzeuger von uns sind Totalverweigerer und werden demnächst ihren Prozeß haben. Wir sind Mitangeklagte der beiden. Du kannst dich im spanischen Staat selbst anklagen, wenn du meinst, du hättest die Person zu ihrer Rechtsübertretung angestiftet. Das haben wir gemacht.

Außerdem hängen wir mit den Internationalismusgruppen zusammen, sowohl mit Askapena als auch mit den Komite internazionalistak. Wir haben an der Kampagne für die Baskischschulen im französischen Teil Euzkadis teilgenommen und wir machen Kon­zerte zur Unterstützung der unabhängigen Jugendzentren.

Einen Mitgliedsausweis irgendeiner politi­schen Organisation besitzen wir allerdings nicht; -was nichts heißt, denn bei Herri Batasuna oder irgendeiner Gruppe der radi­kalen Linken gibt es keinen Mitgliedsaus­weis.

¿Ihr habt sehr viel Kraft dafür inve­stiert, Baskisch zu singen. Eure Platten als Kortatu waren zuerst noch auf Spanisch, ihr habt dann Texte übersetzen lassen, schreibt sie inzwischen selbst auf Baskisch. Warum?

Wir kommen aus einer Stadt, aus Irun, wo das Euskera zum Teil verloren gegangen ist. Unsere Eltern und Großeltern sprachen noch Baskisch, in unserer Generation aber ging es verloren, was einmal mit der Unter­drückung im Franco-Faschismus zu tun hat, und zum anderen mit dem fehlenden Bewußtsein unserer Eltern.

Bekannte haben uns überzeugt, auf Bas­kisch zu singen, um zu zeigen, daß Euskera lebendig ist, eine Sprache, die man singen kann, die zu Rockmusik paßt.

Wir fanden das einleuchtend und haben dann in Sommerschulen der linken Alphabetisierungskomitees Euskera gelernt. Die dritte Platte war nur noch auf Baskisch. Danach haben wir uns aufgelöst und uns fast ein Jahr lang auf Negu Gorriak vorbe­reitet. Das sollte eine Band werden, die nur noch auf Baskisch singt und eine Fusion von unterschiedlichen Musikrichtungen ist, neue Einflüsse, wie z.B. den Rap, integriert.

¿Warum habt Ihr dafür den Namen gewechselt?

Kortatu war schon ein feststehender Begriff. Wir wollten nicht zu einer Band werden, die wie eine Standarte für ein bestimmtes Publikum ist und wir wollten nicht mehr von der Musik leben, sondern uns in anderen Sachen engagieren und dann Musik machen, wenn wir Bock darauf haben. Du hast als Band ja schnell die Ver­pflichtung, mindestens eine Platte pro Jahr, so und so viel Konzerte machen zu müssen.

¿Am Anfang habt ihr gesagt, ihr wür­det keine Konzerte geben, jetzt tretet ihr ständig auf. War das ein Werbetrick?

Wir geben auch jetzt wenig Konzerte. Zu Beginn war das ein Selbstschutzmechanis­mus. Wir wollten nicht als Neuauflage von Kortatu dastehen. Außerdem waren wir müde von so vielen Konzerten. In den 4 Jahren haben wir 288 Konzerte gegeben. Das war einfach zu viel.

Im ersten Jahr haben wir nur einmal gespielt: beim Marsch auf den Knast von Herrera de la Mancha. Jedes Jahr zu Weih­nachten fahren ungefähr 10.000 Leute aus dem Baskenland mit dem Bus 700 km zum Knast von Herrera um für die Freiheit der politischen Gefangenen zu demonstrieren. Dieser Anlaß war uns sehr wichtig.

Wir haben dann die zweite Platte gemacht, damit hatte Negu Gorriak ein eigenes Profil und wir haben eine 2 Monate lange Tour durch Europa, nach Cuba und Mexico gemacht.

Letztes Jahr hatten wir 10-15 Auftritte, dieses Jahr waren es etwas mehr, weil viele sich beklagt haben, wir würden nie in Euzkadi spielen. Im Herbst 1993 war die 2. Europa­tournee und 94 wollen wir in Amerika spielen, vor allem bei den Wahlen in El Sal­vador. Wir haben vor Jahren eine Single für Radio Venceremos in El Salvador gemacht, und die FMLN ist in Kontakt mit uns, weil sie gerne möchte, daß zu den Wahlen auch eine europäische Band spielt.
Aber es sind nicht viele Konzerte und man kann uns nicht zu einem bestimm­ten Preis für einen Auftritt oder eine Tour buchen.

¿Wie waren eure Auftritte in Cuba 1992? Es gibt zwar auch da eine Szene, aber die ist halb illegal und subkulturell. Offiziell ist Rockmusik auf Cuba wenig akzeptiert…

Wir hatten Kontakt zu einer Frau die auch die Tourneen der cubanischen Band Los Van Van organisiert hat. Über die Freundschaft, die entstanden war, haben wir die Möglichkeit gesehen, auf Cuba zu spielen.

Es war Teil der Kampagne „Laßt uns die Blockade brechen“, und wir dachten, das ist unsere Form, die Blockade zu durchbrechen. Wir haben dann dem cubanischen Kulturministerium geschrie­ben: „Wir sind Negu Gorriak, kommen aus Euzkadi, unterstützen die Unabhän­gigkeit Cubas, sind eine antiimperialisti­sche Rockband „ usw. Das Ministerium war sehr interessiert. Rockmusik hörst du in Cuba ja vor allem von Radio Marli, das von Miami sendet und erzählt, Rock wäre der Ausdruck der USA, sozusagen eine exklusive Angele­genheit des Imperialismus.

Wir wollten zeigen, daß es auch ande­ren Rock gibt. Wir haben vereinbart, daß wir die Flüge zahlen, insgesamt 12.000 DM, was für uns eine ganze Menge war. Wir haben die ganze Tour dafür gespart. Das cubanische Ministerium versprach Essen und Übernachtungen zu stellen. Außerdem sollte am Flughafen ein Bus auf uns warten. Damit fing das Chaos aber auch an, weil er auf der Hälfte des Weges liegenblieb. Das Benzin war alle.

„… das cubanische Fernsehen ist das einzige, das unseren Videoclip von „Herrera de la Manche“ gezeigt hat…“

¿Ihr habt dann ein Konzert auf der Isla de la Juventud gegeben …

Nein, nein, die ganzen Pläne haben sich geändert. Bei der Ankunft waren wir davon ausgegangen, daß wir in Habana und in Santiago spielen würden, aber als wir ankamen, mein­ten sie zu uns, „Morgen spielt ihr in einem Theater in Habana“ und wir „was mor­gen schon?“, und sie „jaja, und übermor­gen auch, und danach fahrt ihr nach Guadala­coba“.

Am ersten Tag war ich völlig kaputt vom Flug, aber wir sollten trotzdem gleich ein Inter­view im Fernse­hen machen. Sie haben uns in Tele Rebelde gebracht, zwei alte Videoclips gezeigt und damit waren wir schon bekannt. Die Leute haben uns auf der Straße angesprochen „hey, Ihr seid doch die von Negu Gorriak“. Von uns gibt es nur 2 Videoclips, ein normales und eins von dem Knastkonzert in Her­rera. Das war witzig. Das cubanische Fernsehen ist das einzige der Welt, das diesen Clip gezeigt hat.

Auf dem Konzert waren dann unheim­lich viele Leute, die uns über das Fern­sehen oder im Radio gehört hatten. Wir wurden auch in Radio Reloj vorgestellt. Das ist auch eine scharfe Geschichte: in Cuba, wo sich niemand um die Zeit schert, wo die Leute zwei Stunden zu spät zu Verabredungen kom­men, gibt es dieses Radio (Radio Uhr auf Deutsch) in dem jede Minute die Zeit angesagt wird.

Aber wie gesagt auf dem Konzert waren sehr unterschiedliche Leute: Mitglieder der Kommunistischen Jugend, Freaks, die durch eine Bekanntschaft mit Touri­sten versuchen, an Dollars ranzukom­men, und ziemlich unzufrieden sind auf Cuba, Leute, die einfach nur Rockmusik kennenlernen wollten. Also ein bunter Haufen. Es war total seltsam, aber gut.

¿Warum seltsam?

Sie haben angefangen zu tanzen, aber natürlich so wie man auf Cuba tanzt: Mambo oder Salsa oder so. So eine Reaktion habe ich noch nie erlebt. Nach den Liedern haben sie geklatscht und dann gewartet. Bei uns ist man daran gewöhnt, daß die Leute rufen oder pfeif­fen. In Cuba kamen sie auf die Bühne, um uns die Hand zu geben und uns zu sagen „echt Klasse, was Ihr da macht“. Es war wirklich seltsam.

Aber beim zweiten Abend hatten wir uns einigermaßen gewöhnt. Sie haben auch schon etwas andere Sachen gemacht: sie sind aufeinander gesprun­gen, auf die Bühne gekommen, um zu tanzen. Die ganze Halle hat getobt.

Die Rockkultur auf Cuba ist wie du gesagt hast, eher eine Subkultur. Aber es gibt auch bewunderte Bands, z.B. Led Zeppelin, einfach deswegen, weil das kubanische Fernsehen den Film von Led Zeppelin schon x-Mal gezeigt hat.

„… auf unserem Label wollen wir auch Volksmusik produzieren…”

Es gibt auch Leute, die Metal hören, entwe­der weil sie Kontakte in die USA haben, oder weil sie Radios von da hören. Und es gibt auch Rastafaris, die Reggae hören, die ganze Musik, die aus Jamaica kommt. Es gibt auf Cuba ein bißchen die Diskussion, die es in Euzkadi früher einmal gab, daß nämlich der Rock die Musik der Yankees sei, und daß man die eigene Musik verteidigen müsse.

Wir haben mit den Leuten von Los Van Van gespielt. Das ist ein Mythos auf Cuba, die beste Salsa-Band auf der Insel, vielleicht die beste der Welt. Das war nicht schlecht, dialektisch würde ich sagen, die Salseros und wir.

¿Wie viele Konzerte habt Ihr auf Cuba gegeben…

Drei, zwei in Habana und eins in der Region. Insgesamt waren wir 10 Tage da, und wir haben die ganze Zeit eigent­lich nur diskutiert. Es gab Leute, die uns hinterhergefahren sind, um auch das dritte Konzert zu sehen. Sie haben uns erzählt, wie beschisssen sie von cubanischen Polizisten behandelt werden. Auf den Konzerten haben auch Polizisten aufgepaßt, daß ihnen die Marihuana- Sache nicht zu sehr aus den Händen gerät - Wir haben auch diese Seite Cubas gesehen…

¿Du hast vorher von eurem Label Izan Ozenki erzählt, was für ein Inter­esse verfolgt Ihr damit?

Für uns ist klar, wenn wir Antiimperialisten sind, können wir unsere Platten nicht bei einer der Multifirmen rausge­ben. Es gibt auch anderswo eigene Plat­tenproduktionen von Bands, die ihre Infrastruktur neueren Bands zur Verfü­gung stellen, z.B. in San Francisco das Label von Jello Biafra und in Washington Dischord oder in England von Chumba­wamba, Dog Faced Hermans. Wir glau­ben, daß wir so etwas in Euzkadi auch aufbauen müssen. Finanziell wäre es für uns natürlich günstiger, auf einem großen Label zu sein, aber wir finden es wichtig, daß in Euzkacli eine unabhängige Infrastruktur entsteht.

¿Was für Bands sind auf dem Label, nur Gruppen des Radikalen Bas­kischen Rocks?

Nein, wir wollen, daß das so breit wie möglich wird. Es gibt ja auch andere baskischen Plattenproduzenten, z.B. Elkar, die vor allem Folklore machen. Wir haben jetzt nur mit Rockbands ange­fangen, Heavy, Trash-Metall, Funk, Punk und Hardcore, aber wir wollen, wenn möglich, auch folkloristische Musik pro­duzieren, wenn sie auf Baskisch ist. Es gibt z.B. eine Gruppe, die Linton Toren heißt und eine Mischung aus Rock und Triki-Trixa (trad. Volksmusik) macht. Das gefällt uns ziemlich gut und wir möchten im November eine Platte mit ihnen machen.

In unserer Wirklichkeit ist auf Euskera zu singen, bereits so etwas wie eine Position. Du wirst niemanden finden, der baskische Texte macht und dann singt: „es lebe die Polizei“. Aber es gibt natürlich Bands, die keinerlei sozialen Inhalt in ihren Texten haben. Ein Bei­spiel ist Amazai, eine Gruppe aus dem Industriegürtel von Bilbao. Die singen über ihre persönliche Frustration, über die Nächte, über poetische Sachen. Das finden wir auch gut, das paßt auch auf unser Label.

¿In Euren Texten bezieht Ihr Euch manchmal auf Malcolm X und auf die Situation der Afroamerikaner. Es gibt ein Lied, das sich konkret daran anlehnt. Ihr sagt darin, daß Malcolm X die Schwarzen zum Selbstwertgefühl aufge­fordert hat, sie sollen „stolz darauf sein, schwarz zu sein“. Bei euch heißt das Euskalduna naiz eta horre nago – „Ich bin Baske und stolz darauf“. Ich fand das affig, es ist zwar nicht so gemeint wie der deutsche Nationalstolz, aber genausowenig hat Eure Situation mit der in den USA etwas zu tun. Für AfroamerikanerInnen ist die Diskriminierung jeden Tag real, die BaskInnen sind zwar von Repression betroffen, aber im Alltag werden sie nicht diskriminiert. Was sollte der Vergleich?

Für mich ist das eine Metapher, wie ich sie oft verwende, wenn ich etwas verdeutlichen will. Okay, du meinst jetzt, Schwarze sind schlimmer unter­drückt als die BaskInnen im spanischen Staat. Aber ich glaube, daß es unsinnig ist, Unterdrückung messen zu wollen. Für uns ist entscheidend, daß man uns das Selbstbestimmungsrecht vorenthal­ten will. In den USA gibt es eine Diskriminierung aufgrund der Hautfarbe, aber es stellt sich auch dort genau dieses Pro­blem. Viele der militanten Schwarzen betrachten sich als NationalistInnen wie wir, und uns verbindet das Ziel einer Welt, in der es keine Privilegien und Ungerechtigkeiten mehr gibt. Deswegen ist der Bezug auf Malcolm X nicht so sehr ein Vergleich, sondern vielmehr eine Annäherung. Er soll aufzeigen, daß unsere Kämpfe etwas Gemeinsames haben.
Und diese Passage, daß man stolz darauf sein soll, Euskaldun zu sein – euskal­dun, BaskIn ist ja jeder, der Baskisch spricht –, hat mit unserer Wirklichkeit auch einiges zu tun. Es gibt viele Men­schen, die sich schämen, Baskisch zu reden, weil das jahrzehntelang als eine „minderwertige Sprache“ galt. Auch heute gibt es Regierungsmitglieder, die sagen, das Euskera sei für zu Hause in Ordnung, auf der Straße und bei der Arbeit solle man aber Spanisch reden. Das hat dazu geführt, daß ganze Dörfer und Städte ihre Sprache vergessen haben. Ich finde, sie sollten stolz darauf sein, claß sie sie sprechen.

¿Auf dieser Platte habt Ihr Euch nicht nur in den Texten, sondern auch musikalisch an der schwarzen Bewe­gung orientiert. Es gab ein paar HipHop-Fragmente und Kommentare zu Public Enemy.

Ja, stimmt. Malcolm X und HipHop wurden da gerade etwas bekannter. Die Sprache der Schwarzen hat uns beein­druckt: „ich bin schwarz, ich hin stolz darauf, ich bin bereit zu kämpfen“. Wir waren der Meinung, daß es eine direkte, radikale und eindringliche Sprache ist, die wir auch verwenden müssen. Es ist eine Musik, die aufweckt, sowohl in ihrer Sprache als auch in ihrem Rhyth­mus. Das hat uns gefallen.

¿Auf der neuesten Platte gibt es auch einen Song über Rassismus. Inwie­weit haben Nationalismus und Rassis­mus im Baskenland miteinander zu tun?

Ich glaube nicht, daß man in Deutschland oder Frankreich vom glei­chen Nationalismus reden kann wie in unterdrückten Ländern.

„… die radikale, eindringliche Sprache des HipHop hat uns beeindruckt…“

Es gibt Natio­nen, die andere unterworfen, koloniali­siert haben, und ihr Nationalismus hat eine andere Funktion als z.B. unserer oder der Nordirische. Unser Nationalis­mus ist ein Gegennationalismus, weil man uns nicht das sein läßt, was wir sind. Ich bin aus meiner Geschichte, aus meinen Selbstverständnis, aus meiner Kultur heraus kein Spanier. Wir werden aber dazu gezwungen, welche zu sein. Daraus erwächst unser Nationalismus. Das heißt für mich in keinster Weise, den Respekt für andere Völker zu ver­lieren oder Leute anderer Herkunft aus dem Baskenland herauswerfen zu wol­len. Für mich geht der Respekt für das baskische Volk Hand in Hand mit dem für andere Völker. Es ist für uns auch klar, daß wir den bürgerlichen Nationa­lismus bekämpfen.

Alltagsrassismus oder rassistische Über­fälle übrigens, gibt es im Baskenland viel weniger als im spanischen Staat. Das hat auch damit zu tun, daß viele BaskInnen sich vorstellen können, was es heißt, unterdrückt zu werden. Wir sind eine sehr internationalistische Bewegung.

¿Welche Rolle spielt Deiner Mei­nung nach die Kultur für die Stärke der Linken im Baskenland?

Der baskische Nationalismus und die baskische Kultur haben ihren Dreh- und Angelpunkt in der Sprache. Das Euskera war lange verboten, es ist immer noch diskriminiert. Aus diesem Grund ist jede Kulturform, ob Musik, Literatur, Theater oder Film, wenn sie auf Baskisch ist, in gewisser Weise Widerstand. Für uns ist es aber auch die Kultur auf Baskisch, ein Mittel, um der Welt zu zeigen, daß wir da sind. Wenn Bücher aus dem Baski­schen wie Bernardo Atxagas „Obabakoak“ in mehrere Sprachen, darunter auch ins Deutsche, übersetzt worden, dann ist es ein Beweis unserer Existenz. Das solltet Ihr übrigens lesen, das ist ein Superbuch.

¿Es sticht ins Auge, daß die mei­sten Rockbands im Baskenland links sind, daß die Volksfeste von linken Organisationen bestimmt werden, daß so viele Schriftstellerinnen mit der revo­lutionären Bewegung zu tun haben. Ich würde sagen, daß es im Baskenland eine ziemlich einzigartige linke Kulturhegemonie gibt.

ich glaube, daß die baskische Linke eine der wenigen Linken in der Welt ist, die die unterschiedlichsten sozialen Sek­toren in sich versammelt. Mir ist in West­europa aufgefallen, daß die Linke oft in kleinste Klüngel zerstritten ist. Im Bas­kenland gelingt es in Herri Batasuna, das heißt Volkseinheit, dagegen trotz unterschiedlicher Positionen zusammen­zuarbeiten. D.h. es gibt Anarchistinnen, TrotzkistInnen, Marxisten-LeninistInnen, SozialistInnen, Unabhängige und auch KleinbürgerInnen.

Herri Batasuna ist außerdem auch nicht zum Apparat geworden. Es ist eine offene politische Kraft, mit vergleichs­weise wenig hierarchischen Strukturen. Im Umfeld dieser Einheit gibt es einfach sehr viele, auf den unterschiedlichsten Feldern aktive Leute. Das merkt man auch in der Kunst, in der Musikszene, in der Literatur.

Es stimmt auch, daß es oft Zusammen­stöße zwischen der Regierung und kul­turellen Gruppen gibt. Im Augenblick wird z.B. die Unterstützung für die unab­hängigen Baskischschulen gestrichen, weil sie angeblich überflüssig sind. Ein anderes Beispiel ist die Tanzgruppe von Irunea, der Hauptstadt Nafarroas. Dort ist die baskische Fahne nicht akzeptiert, Nafarroa, die größte der baskischen Regionen, ist abgetrennt vom Rest Euz­kadis. Das Problem war, daß die Folklo­regruppe mit der baskischen Fahne getanzt hat. Das darf sie nicht, sie darf nur die Fahnen der Stadt, Spaniens und Nafarroas tragen. Aus dem Grund wurde der Gruppe jede Unterstützung gestri­chen. Aber es gibt auch die offizielle, vom Staat subventionierte Kultur: Fol­kloregruppen, die der Staat aushält oder Schriftsteller wie Marionandia. Das ist übrigens eine absurde Geschichte: der Mann war Angeklagter im Burgosprozeß 1968; ETA-Militanter und dann nach Franco in einer linken Organisation. Mit der Zeit hat er sich an die Sozialisten angenähert. Er und sein politischer Flü­gel sind inzwischen in die PSOE einge­treten, in genau die Partei, die die Todesschwadrone im Baskenland neu aufgebaut hat.

¿Wie siehst du die baskische Jugendkultur? Früher gab es unglaublich viele autonome Jugendzentren, unab­hängige Zeitschriften, Piratensender usw. Heute ist es ruhiger geworden. Früher gab es wirklich eine starke Jugendbewegung, die von den verschie­densten Gruppen getragen wurden: von Jarrai (HB-naher, revolutionärer Jugend­verband), Hautsi (linkskommunistisch), Autonomen, Unabhängigen.

Diese Zentrumsbewegung hat in den letzten Jahren abgenommen. Viele der Kollektive haben sich nicht mehr richtig erneuert, die Älteren haben sich in der Arbeit verbraucht, es gab die harte Repression gegen viele Zentren, und schließlich so etwas wie den Einzug der europäischen Kultur: „bleib zu Hause, schau Fernsehen“. Das hat auch mit der Wirtschaftskrise zu tun, die Jugendlichen haben kein Geld mehr zum Ausgeben. Am wichtigsten aber war die Repression. Viele gut funktionierende Zentren sind auf Anweisung der Bürgermeister geschlossen worden. Z.B. in Bilbo, wo der neue PNV-Bürgermeister (PNV- bür­gerliche baskisch-nationalistische Partei) das Zentrum schließen ließ, weil von dort angeblich der ganze Widerstand in der Stadt ausging. Es war wirklich ein wichtiges Zentrum, ein Ort vieler Dis­kussionen.

¿Der stärkste Teil der Jugendbe­wegung sind im Moment die Totalver­weigerer, oder?…
Ja, das hat die Leute aufgewühlt. Es ist die stärkste Bewegung seit Jahren.

„… in Gipuzkoa gibt es die meisten Totalverweigerer im ganzen spani­schen Staat…“

¿Ist die Jugend im Baskenland genauso rebellisch wie früher? Hat sich die Rebellion nur neue Ausdrucksfor­men gesucht?

Sie hat nicht abgenommen. Aber es hat seit letztem Jahr eine sehr harte Repression gegeben, auch selektiv gegen Jugendliche, von denen man weiß, daß sie aktiv sind. Die Leute wer­den immer früher verhaftet, oft schon mit 16 oder 17.

Die Totalverweigerer-Bewegung hat fast alle Jugendlichen mitgerissen. Die, die nicht selber verweigern, sind oft „Selbst­angeklagte“ bei Freunden. In Nafarroa gab es die meisten eingesperrten Insumisos – nämlich 30 – im ganzen spani­schen Staat. In Gipuzkoa, der kleinen Region um Donosti (San Sebastian) gibt es die meisten Totalverweigerer, Hun­derte, die auf ihren Prozeß warten. Die Sympathiewelle für diese Bewegung ist so groß, daß sogar ein Teil der bürgerli­chen Nationalisten inzwischen gegen die Wehrpflicht ist. Es ist eine breite Bewe­gung, in der es sowohl PazifistInnen als auch BefürworterInnen des bewaffneten Kampfs gibt. Der Fraktionsvorsitzende der kleinen bürgerlich-nationalistischen Partei EA hat gesagt, daß er jeden vor dem Wehrdienst flüchtigen Verweigerer bei sich zu Hause verstecken würde.

¿Früher als Kortatu und jetzt als Negu Gorriak habt Ihr Erfahrungen mit der Zensur gemacht…

Als Kortatu wurden wir mehrmals angeklagt, weil es zeitgleich zu unseren Konzerten zu Demonstrationen und Aus­schreitungen gekommen war. Es gab außerdem eine Live-Platte auf der ETA- Parolen zu hören waren. Die mußten mit einem Piepston überlegt werden. Das war allerdings nicht so schlimm wie jetzt, wo wir bekannter geworden sind und auch außerhalb des Baskenlandes vermehrt auftreten. Wir sind ins Blick­feld der Polizei geraten. Der Oberstleut­nant der Guardia Civil, Rodrigo Galindo, hat uns wegen einem Lied angeklagt, das bereits vor 2 Jahren veröffentlich worden ist.

¿In dem Lied geht es um einen Drogenskandal der Polizei…

Die Polizei hatte Heroin beschla­gnahmt, das dann verschwand. Rodrigo Galindo war in den Fall verwickelt. Das ist interessant, weil er als einer der Köpfe des „Antiterrorismus“ gilt. Harte Drogen brechen die Widerstandskraft der Leute und es gibt viele Beweise, daß die Polizei die Drogen benutzt, um die Jugendlich kalt zu stellen.

Über die Zeitungsmeldung wollte ich ein Lied machen. In diesem Song rufe ich Kaki an und erzähle ihm, was ich in der Zeitung gelesen habe. Ich habe sogar den Fehler der Zeitung wiederholt und anstatt Enrique den falschen Vornamen Francisco verwendet. Die Meldung stand in allen Zeitungen, trotzdem wurde nur gegen uns und gegen die Egin Anzeige erstattet, obwohl der Fall so gut belegt ist, daß selbst innrhalb der Guardia Civil Ermittlungen eingeleitet wurden.

Unser Anwalt vermutet, daß die ganze Anzeige damit zu tun hat, daß wir unan­genehm werden. Es ist im übrigen der erste Prozeß dieser Art gegen eine Musikband.

¿Laß uns beim Thema Drogen bleiben. Auf vielen Festen in Euzkadi wird mit Ausnahme von Heroin eigent­lich alles genommen. Die Position der revolutionären Linken, vor allem der sozialistischen Koordination KAS (Bünd­nis von 4 Massenorganisationen mit ETA) gegenüber Drogen ist sehr radikal. ETA verübt Anschläge gegen Drogen­händler, es gibt sogar Aktionen gegen Kneipen, in denen gedealt wird. Ein besonders krasser Fall war 1992 die Bombe gegen eine Kneipe in der Klein­stadt Hernani. Angeblich wurden dort mit Drogen gehandelt, der Besitzer war Aktivist einer linksradikalen Gruppe. ETA und KAS sind dafür sehr scharf kri­tisiert worden.

Dieser Anschlag war völlig daneben. Ich habe mich mit vielen anderen Leu­ten von der Aktion distanziert. Wir ken­nen die Kneipe und ich weiß nicht, auf der Grundlage welcher Informationen der Anschlag verübt wurde. Es gab in KAS danach schwere Auseinanderset­zungen über den Fall. Die Sache hat viel Staub aufgewirbelt.

Aber die Diskussion um die Drogen all­gemein ist eine aufregende Debatte. Es ist ein bißchen vergleichbar mit der Aus­einandersetzung um die Totalverweige­rung. Die Leute von KAS meinten am Anfang, daß Militärdienst an sich in Ord­nung sei, nur eben auf der richtigen Seite. Es gab die Parole „Mach die Mili bei den Milis“, also mach den Wehr­dienst bei ETA-militar. Die Diskussionen aber waren so heftig, daß die Organisa­tionen von KAS und Herri Batasuna einsehen mußten, daß das Interesse der Jugendlichen ein anderes war: nämlich nein zum Militärdienst. Die Position wurde daraufhin geändert.

So ähnlich ist auch die Drogendiskus­sion. Viele HB-Aktivistlnnen versuchen, Alkohol von der Diskussion auszuklam­mern. Aber das läuft nicht. Alkohol ist genauso Droge, auch wenn sie gesell­schaftlich akzeptiert ist. Wir als Band haben uns für die volle Legalisierung der Drogen ausgesprochen, weil wir glau­ben, daß nur so die Mafia erledigt wer­den kann.

Die jetzige Illegalisierung von Drogen ist absolut unsinnig. Ich glaube, daß sich in der Linken diese Erkenntnis noch durch­setzen wird.


¿Danke, Fermin, für dieses Interview.