Einerseits werden rigide Grenzkontroll- und Abschottungssysteme aufgebaut, während andererseits massiv Fachkräfte für die Arbeit in den Industrieländern angeworben werden. Welche Interessen dabei im Vordergrund stehen und welchen Einfluss die G8-Treffen auf die Migrationspolitik der Mitgliedsstaaten haben, soll hier am Beispiel Deutschlands und der EU analysiert werden.

Migration in den offiziellen Dokumenten der G7- und G8-Treffen

Pathetisch wird 1985 in der politischen Erklärung des G7-Gipfels in Bonn verkündet, man sei »stolz darauf, dass die Menschen in unseren Ländern frei sind, [...], zu reisen, wohin sie wollen«. Ein Jahr später fordern die G7-Staaten in Tokio »strengere Einreise- und Visaanforderungen und -verfahren für Menschen aus Staaten, die Terrorismus finanzieren oder unterstützen«. Schon weit vor dem 11.9.2001 wird hier Migration und Terrorismus in einen direkten Bezug gestellt. Migration als eigenes Thema taucht erst beim Gipfeltreffen ’91 in London auf. Dort wird zwar auf den möglichen positiven Einfluss von Migration auf ökonomische und soziale Entwicklung verwiesen, der Anlass des Statements ist aber eine »zunehmende Sorge über weltweite Migrationszwänge.« Beim Tokio-Gipfel ’93 werden die Aussagen schon deutlicher: »Die Probleme im Zusammenhang mit einer unkontrollierten Migration […] erfordern dringend die Aufmerksamkeit der Völkergemeinschaft«. In den Folgejahren wird der Begriff Migration hauptsächlich im Rahmen organisierter Kriminalität und Menschenhandel (Denver ’97, Birmingham ’98, Okinawa ’00) und Terrorismusabwehr (Tokio ’93, ab 2001 dann durchgängig) verhandelt. Im Kommuniqué des Treffens der G8 Innenund Justizminister in Washington ’04 wird vor »Asylmissbrauch durch Terroristen« gewarnt, die sich »illegal Zutritt verschaffen und Migrationsprogramme betrügerisch nutzen werden«.

Gleichzeitig wird ein weiteres Thema prominent, das aber nicht explizit mit Migration in Verbindung gebracht wird: Alternde Gesellschaften. Während in den früheren Jahren vor allem ein Problem in der so genannten Überbevölkerung gesehen wird, werden in Tokio ’93 »Anstrengungen zur Bewältigung der wirtschaftlichen Auswirkungen alternder Bevölkerungen« angekündigt. Das Thema bleibt in den folgenden Jahren unter dem Stichwort »Active Ageing« ein Dauerbrenner, das vor allem unter dem Stichwort »Verlängerung der Lebensarbeitszeit « verhandelt wird. Dass es damit aber nicht getan ist, darüber sind sich auch die G8-PolitikerInnen im Klaren. »Anpassungsfähigkeit, Beschäftigungsfähigkeit und die Gestaltung des Wandels werden die vorrangigen Herausforderungen für unsere Gesellschaften im nächsten Jahrhundert sein. Mobilität zwischen Arbeitsplätzen, Kulturen und Gemeinschaften wird unerlässlich sein«, konstatieren sie 1999 im Abschlusskommuniqué in Köln.

Die Kontrolle des globalen Arbeitsmarktes: Der Wettkampf um die »besten Köpfe«

Auch der Bundesregierung ist mittlerweile klar geworden, dass ein bestimmter Grad der Migration durchaus nötig ist, um auf dem globalisierten Weltmarkt zu bestehen. Im Jahr 2000 sprach der damalige Bundeskanzler Schröder bei seiner Eröffnungsrede auf der internationalen Computermesse CEBIT in Hannover von »gewollter Migration« und kündigte an, die Green-Card auch in Deutschland einzuführen. Ziel war es vor allem, junge und gut ausgebildete Menschen nach Deutschland zu holen.

Im Kontext dieser Debatte wurde auch in Deutschland zum ersten Mal über das so genannte demographische Problem gesprochen und zugegeben, dass aufgrund der sinkenden Geburtenrate bis 2030 bis zu 10 Millionen qualifizierte Arbeitskräfte fehlen könnten. Das Rezept dagegen war eine beschleunigte Aufnahmeprozedur für MigrantInnen mit einem hohen Bildungsniveau. Die despektierliche Bezeichnung »Computer-Inder« war in aller Munde.

In allen anderen G8-Staaten hatte sich diese Erkenntnis schon länger durchgesetzt und entsprechende Programme waren entwickelt worden. So wies die 1993 vom UNO-Vorsitzenden Annan eingesetzte »Global Commission on International Migration« in ihrem Oktober 2005 veröffentlichten Bericht auf Klagen transnationaler Konzerne über zu hohe juristische und bürokratische Hürden beim globalen Einsatz ihrer Arbeitskräfte hin.

Im Dienste der Wohlstandsgesellschaften

Es gibt aber auch MigrantInnen, die nicht hochqualifiziert, aber trotzdem gewollt sind. Vor allem im Gesundheitswesen und in der Baubranche geht inzwischen fast nichts mehr ohne so genannte ArbeitsmigrantInnen.

Nach dem Scheitern der »Doha Development Agenda« auf der WTO-Konferenz in Cancún ’03 haben die G8-Staaten das Thema Arbeitsmigration wieder auf ihre Agenda gesetzt. Ein Teil davon ist das Dienstleistungsabkommen »GATS«, bei dessen »Mode 4« es um den grenzüberschreitenden Verkehr von Menschen bei der Erbringung von Dienstleistungen geht. Wohlgemerkt geht es dabei um den Handel von Dienstleistungen und nicht um die Menschen, die diese Dienstleistungen erbringen sollen. Die Herkunftsländer verdienen oft selber gut am Export ihrer Arbeitskräfte – durch entsprechende bilaterale Abkommen oder auch durch die Rücküberweisungen der MigrantInnen, die mehr als 10% des Bruttoinlandsproduktes einiger Länder (z.B. in El Salvador) ausmachen. Wer also sollte sich für die Rechte dieser MigrantInnen einsetzen? Immerhin hat die UNO 1990 eine »Internationale Konvention zum Schutz der Rechte aller WanderarbeitnehmerInnen und ihrer Familienangehörigen« verabschiedet. Ein butterweiches Papier, das aber immerhin grundlegende Rechte wie etwa die Kostenfreiheit für MigrantInnen bei einer Festnahme regelt. Keiner der G8-Staaten hat bisher diese Konvention ratifiziert. Lapidare Antwort der rot-grünen Bundesregierung: Der Schutz von MigrantInnen, wie er mit der Konvention angestrebt wird, könnte einen Anreiz darstellen, ohne Erlaubnis in Deutschland zu leben und zu arbeiten.

Illegalisiert = maximal dereguliert

Die rechtliche Situation der ArbeitsmigrantInnen – sei es die IT-Fachkraft mit der Green-card, die Haushaltshilfe mit dem Touristenvisum oder der »selbstständige« Bauarbeiter – ist schon deprimierend genug. Illegalisierte MigrantInnen hingegen haben faktisch gar keine Rechte. Für so manch einen Arbeitgeber ein durchaus gewünschter Zustand, der auch staatlich geduldet und gewollt ist. Dabei geht es nicht nur um die »polnische Putzfrau«, die für 4 Euro die Stunde dem Bundestagsabgeordneten die Wohnung schrubbt. Schätzungen gehen davon aus, dass inzwischen mehr als die Hälfte der ostdeutschen Baubranche von Arbeitskräften getragen wird, die keinen offiziellen Status haben und damit auch nicht sozialversichert sind. Während andere Länder – auch G8-Staaten – zumindest gelegentlich Legalisierungskampagnen durchführen, um langjährigen MigrantInnen ein Daueraufenthaltsrecht zu gewähren, erweist sich Deutschland hier als besonderer Hardliner. Im besten Fall werden Illegalisierte als Opfer von Menschenhandel und Schlepperbanden gesehen. Die Lösungsvorschläge drehen sich mitnichten um den Aufenthaltsstatus der MigrantInnen, sondern um die Verfolgung und Verurteilung der »Hintermänner«. Im schlimmeren Fall werden sie selber als mutmaßliche Terroristen verfolgt.

Abschottung durch Antiterrorpolitik: Die Rolle Deutschlands

Deutschland war nach dem 11.9.2001 im Kampf gegen den Terror sehr schnell bei der Sache. Im Herbst/Winter 2001 wurden zwei so genannte Anti-Terrorpakete verabschiedet. Sicherheits- und AbschottungsexpertInnen haben offensichtlich nur darauf gewartet, weitere rassistische Gesetze auf den Weg bringen zu können.

Die wichtigsten Verschärfungen im Einzelnen sind:

  • Ausweitung der Terrorismusparagraphen 129, 129a StGB auf ausländische Organisationen
  • Einführung der Speicherung biometrischer Daten auf Ausweispapieren für Nicht-EU-Angehörige
  • Einführung der Herkunftsbestimmung durch Sprachanalyse
  • Uneingeschränkte Erlaubnis für Ausländer- und Asylbehörden, sämtliche als interessant angesehenen Daten an das Bundesamt für Verfassungsschutz weiterzuleiten
  • Ein bloßer »Terrorismus- und Extremismusverdacht« soll ausreichend für die Verhängung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots werden.
  • Die Möglichkeit, unter bestimmten Voraussetzungen politisch Verfolgte abzuschieben, selbst wenn ihr Leben oder ihre Freiheit im Zielland bedroht sind.
  • Verdachtsunabhängige Kontrollen durch den Bundesgrenzschutz (BGS) im von 30 auf 50 km erweiterten Grenzgebiet.
  • Einschränkung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs gegen die Ausweisung bei falschen Angaben gegenüber einer Botschaft/ Ausländerbehörde und anderen »Delikten«.

Deutschland hat eine Vorreiterrolle in der Umsetzung der G8- Anti-Terror-Maßnahmen eingenommen, die nach dem 9.11. auf verschiedenen Treffen sowie von der »Anti-Terror-Expertengruppe« (Roma-Group) erarbeitet wurden. Zwar gibt es in anderen Ländern wie Großbritannien, Frankreich oder den USA wesentlich schärfere Gesetze, was die Befugnisse der Sicherheitsapparate angeht, aber nirgends wurde der Antiterrorkampf so umfassend mit einer generellen Verschärfung der Migrationsgesetze verknüpft.

Im Zuwanderungsgesetz von 2005 kam es dann noch einmal zur Einschränkung des Rechtsschutzes im Falle einer Abschiebung bei Terrorverdacht.

Beschlüsse der G8

Das wichtigste Papier bezüglich der Bewegungsfreiheit von MigrantInnen im Zusammenhang mit Antiterrorbekämpfung ist die Secure and Facilitated International Travel Initiative (SAFTI), das beim G8- Treffen in Sea Island Juni 2004 beschlossen wurde. Die relevantesten Punkte für die Überwachung der Migration sind dabei:

  • Weiterentwicklung und Einführung biometrischer Technologie
  • Real-time Datenaustausch bezüglich der Gültigkeit von Reisedokumenten und Visa
  • Verbesserung der Überwachung von Transitreisenden
  • Allgemeine Verbesserung des Informationsflusses zwischen den Sicherheitsbehörden der verschiedenen Staaten

Die europäische Ebene: Der Einfluss der G8

Diese Beschlüsse der G8 und die deutschen Gesetzesverschärfungen waren die Vorlage des Haager Programms vom November ´04. Die Einwanderungs- und Asylpolitik sowie die Terrorismusbekämpfung standen ganz oben auf der Prioritätenliste dieses aktuell wichtigsten Beschlusses auf EU-Ebene zum Thema Migration und Sicherheit. Für den Bereich Migration ist folgendes Vorgehen geplant:

  • Verstärkung von Partnerschaften mit Drittländern für eine wirksamere Bekämpfung der illegalen Einwanderung und Entwicklung einer Rückkehr- und Rückübernahmepolitik
  • Einrichtung eines Grenzschutzfonds für die Sicherung der Außengrenzen bis spätestens Ende 2006
  • Sicherstellung des Schengener Informationssystems (SIS II, Datenbank mit Angaben über Personen, gegen die ein Strafbefehl vorliegt und über gestohlene Objekte), das 2007 in Betrieb genommen werden soll
  • Festlegung einer gemeinsamen Visumspolitik (Einrichtung gemeinsamer Antragsbearbeitungsstellen, Einführung biometrischer Indikatoren im EU-Visainformationssystem (VIS)). Für den Bereich der Sicherheit sieht das Programm folgende Maßnahmen vor:
  • Ausarbeitung eines Konzepts für den grenzüberschreitenden Austausch von strafverfolgungsrelevanten Informationen zwischen allen EU-Ländern
  • Verstärkte Nutzung von Europol (dem Europäischen Polizeiamt) und Eurojust (juristische Einrichtung der EU zur Koordinierung strafrechtlicher Ermittlungen).

Gegen die Politik der Kontrolle: G8 2007 in Heiligendamm

Wie auch der freie Verkehr von Waren immer nur so frei sein soll, dass er der Ökonomie der jeweiligen Interessengruppen zugute kommt, gilt dies konsequenter- und zynischerweise auch für die Bewegungsfreiheit von Menschen. Die G8-Staaten als Interessenvertretung der großen Industrienationen betreiben dabei eine Politik, die ihnen maximale Kontrolle über einen globalisierten Arbeitsmarkt und die Abwehr von nicht für das Funktionieren der Nationalökonomie benötigten Menschen gewährt. Gegen diese Politik der Kontrolle und Ausbeutung mobilisieren bereits jetzt verschiedene Gruppen zu Protesten und Gegenaktionen im Rahmen des G8-Treffens 2007 in Heiligendamm. Dazu hat sich ein breites Bündnis gebildet, an der sich auch die Gruppe FelS (Für eine linke Strömung) beteiligt. Das Thema Migration wird so zu einem der zentralen Themen der Proteste gegen das G8 Treffen in Heiligendamm werden.