Gemeinsam war diesen Diskussionspapieren die Kritik um die fehlende politische Kontinuität und Verbindlichkeit der Autonomen, die eine langfristige Theorie und Praxis unmöglich machten. Große Teile der autonomen Szene arbeiteten nur noch um den Erhalt der von ihnen erkämpften Nischen in der sinnlosen Hoffnung nach Auflösung von Herrschaftsstrukturen in vermeintlich selbstbestimmten Räumen. Da diese Hoffnung sich ebensowenig erfüllte wie die, mit einer unendlichen Reihe von unverbindlichen Plena zu einzelnen Projekten Menschen einzubinden, stiegen viele aus Enttäuschung, fehlender Lebensperspektive und Frust bald wie der aus. Die Szenestruktur sprach nur eine bestimmte Schicht von Leuten an, meist jüngere Menschen in der Ausbildungsphase, die in der Szene ihre Sturm- und Drang-Phase durchlebten und sich nach zwei, drei Jahren wieder aus der aktiven Politik zurückzogen. Arbeiter/innen, Menschen mit Kindern etc. wurden meist von vorneherein nicht miteinbezogen. Das Ghetto schien unüberwindbar, eine gesellschaftliche Auseinandersetzung mit linksradikaler Politik fand aufgrund fehlender Aktionen und mangelnder Öffentlichkeitsarbeit kaum noch statt. Die politische Isolation der autonomen Szene war unübersehbar.
Das Papier aus Göttingen forderte zu einer Loslösung von autonomen Traditionen wie falschverstande nem Spontaneismus und Unverbindlichkeit auf, die sich zum Teil aus Abgrenzung zur K-Gruppen-Politik der 70er Jahre entwickelt hatten und nur in einem bestimmten Kontext sinnvoll waren. Es sollte weggegangen werden von einer Szenestruktur, die oft nur Insidern durchschaubar war, hin zu einer von Ansprechbarkeit und Verantwortlichkeit gekennzeichneten Organisation, ohne die Fehler der K-Gruppen mit ihren all zuoft hierarchisch und formalistisch geprägten Parteienstrukturen zu wieder holen - hin zu einer kontinuierlichen Erarbeitung inhaltlicher Grundlagen, die eine praxisorientierte, bundesweite Zu sammenarbeit ermöglichen. Ziel hierbei war und ist, linksradikale Politik gesellschaftlich wahrnehmbar, perspektivisch kulturfähig zu machen, um in die gesellschaftliche Diskussion überhaupt eingreifen zu können.
Dissonanzen
Die Reaktionen auf diese Kritiken waren heftig und sehr kontrovers. Auf einem bundesweiten Antifa-Treffen im Herbst 1991 in Frankfurt am Main wurde das Thema Organisierung aufgrund des „Diskussionspapiers zur Autonomen Organisierung“ aufgegriffen. Im Laufe der folgenden Diskussionen kristallisierten sich sehr schnell unterschiedliche Vorstellungen über Sinn und Form der Organisierung her aus. Im Juli ’92 wurde als Ergebnis in Wuppertal die Antifaschistische Aktion/Bundesweite Organisation gegründet. Das unterschiedliche Verständnis von dem Begriff Organisation war der Grund für die schleppenden Fortschritte der zwar gegründeten , aber letztlich nicht existierenden AA/BO.
Dogmen und Tabus aus zehn Jahren autonomer Politik, an denen nun gerüttelt wurde, mußten jetzt aufgerollt werden. Der folgende Bruch, der das Austreten einiger Gruppen (ca. ein Drittel) nach sich zog, machte sich inhaltlich v. a. an zwei Punkten fest:
Der Sinn der AA/ BO sollte nicht in einem reinen Info-Austausch liegen, sondern gerade über die Formierung einer Organisation bundesweite, koordinierte und dadurch wahrnehmbare Politik möglich machen. Viele Kritikerinnen witterten hier schon eine neue bolschwistische Partei, obwohl gerade mit dem Modell der Antifaschistischen Aktion/BO versucht wurde, die offen hierarchischen Strukturen der K-Gruppen-Zeit und die verdeckten der autonomen Szene zu thematisteren und letztlich zu überwinden. Vermutlich spielte auch die Angst, in offenen, überschaubaren Strukturen Privilegien zu verlieren und Verantwortung übernehmen zu müssen, eine nicht geringe Rolle.
Der zweite Punkt der Uneintgkeiten war die Frage, ob in einem Grundlagenpapier die Ausrichtung der Antifa-Gruppen deutlich auf Antiimperialismus festgeschrieben werden sollte. Gruppen, die entweder ihren Kampf als reinen Anti-Nazi-Kampf definierten oder eine klare Stellungnahme zum Antiimperialismus nicht für sinnvoll hielten, da „Ostgruppen“ angeblich abgeschreckt würden, wenn „Terminologie aus der Ex-DDR“ verwendet würde, verließen die AA/BO.
Daraufhin entstand außerhalb der Organisation ein Antifa-Vernetzungstreffen, das Informationsaustausch und informelle Zusammenarbeit koordinieren sollte und auch heute noch existiert. Außerdem initiierten einige Ost-Gruppen aufgrund ihrer spezifischen Situation in der Ex-DDR ein eigenes Ost Vernetzungstreffen. Dieses hat sich mittlerweile aufgelöst.
Wir als Gruppe, die die Frage der Organisierung in den Mittelpunkt der Frage nach der Perspektive der Linken in der BRD gestellt hat, begrüßen demnach grundsätzlich Organisierungsversuche und erheben selbstverständlich keinen Alleinvertretungsanspruch für den Weg der Organisierung der AA/BO. Wir sehen uns nicht in Konkurrenz zu anderen Ansätzen, sondern stehen einer Zusammenarbeit positiv gegenüber. Obwohl diese diesen Anspruch ebenfalls formulierten, riß die zum Teil diffamierende Kritik an der AA/BO gerade aus diesen Kreisen nicht ab.
Grundriss und Stand der Antifaschistischen Aktion/BO
Die Politik der AA/BO wird von den regionalen Gruppen bestimmt. Diese stellen sich in der Öffentlichkeit in einen Zusammenhang mit der Organisation und bringen dort Initiativen ein. Delegierte der Mitgliedsgruppen, möglichst viele Frauen wie Männer, nehmen an den bundesweiten Treffen teil. Diese Delegierten sollen die Diskussionen und Vorschläge ihrer Gruppen auf den bundesweiten Treffen einbringen. Wichtig dabei ist das Rotationsprinzip, damit alle Gruppenmitglieder sich zumindest ein Bild von den Diskussionen und der Arbeit machen können und um das Enstehen von Hierarchien zu vermeiden bzw. entgegenzuwirken.
Ausgehend von den Erfahrungen der Gruppen wurden einige Mitgliedskriterien erstellt, um sowohl Neueinsteiger als auch die AA/BO vor falschen Erwartungen und Enttäuschungen zu bewahren. Ein grundlegendes Kriterium ist es., sich in den Zusammenhang einer Gruppe zu stellen.
Eine perspektivische Verankerung der Gruppen in der Region ist anzustreben und die ernsthafte kontinuierliche Teilnahme am bundesweiten Prozeß sollte fur sie leistbar sein. So kann fur jüngere, sich noch in der Aufbauphase befindene Gruppen eine Einbindung in die regionalen Strukturen erst einmal der wichtigste Schritt sein.
Inhaltlich treffen sich die Gruppen beim Antifaschismus, der für die meisten Schwerpunkt der Politik ist und als wichtiger Hebelpunkt gesellschaftlicher Veränderungen angesehen wird. Es sollen gemeinsame Standpunkte entwickelt und politisch sinnvolle Handlungsstrategien, immer praxisnah, erarbeitet wer den. Seinen Ausdruck finden soll dies in der Erstellung eines Programms, durch das diese der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden sollen. Kritisch anzumerken bleibt, daß sich die Diskussion um dieses Programm schwieriger gestaltet als zuerst angenommen und der vorgesehene Termin der Veröffentlichung bis zum Frühjahr ’95 fraglich bleibt. Mitglieder der AA/BO sind zur Zeit 14 Gruppen aus 11 Städten: Berlin, Bielefeld, Bonn, Braunschweig, Bünde, Göttingen, Köln, Mainz/Wiesbaden, Nürnberg, Passau, Plauen sowie verschiedene Gruppen aus Ost und West mit Beobachterstatus.
Die F.E.L.S.-Initiative
Ausgehend von einer Initiative der Gruppe f.e.l.S. schlossen sich Gruppen, die ihren Schwerpunkt nicht bei der Antifa-Arbeit sahen, zu einem linksradikalen Organisationsansatz zusammen. f.e.l.S. selbst und die Autonome Antifa (M) beteiligten sich an beiden Initiativen. Bei diesem Ansatz vollzog sich im Juni dieses Jahres ein Spaltungsprozeß. Die weitere Entwicklung läßt sich noch nicht beurteilen, grundlegende Diskussionen über die Zukunft des Organisationsansatzes werden geführt. Grundsätzlich ist für uns eine Zusammenarbeit, die sich am ehesten an praktischer Unterstützung und Vermittlung des Diskussionsstandes festmachen läßt, um Fehler nicht unnötigerweise zu wiederholen, sehr wichtig.
Staatsschutz und Faschisten
Mit ein Grund für die Notwendigkeit, die Kräfte zu bündeln, sind die Angriffe des Staatsschutzes auf Organisationsversuche der Linken. Ihm ist die Bedrohung, die von einer organisierten linksradikalen Kraft auf ihn ausgehen wird, sehr wohl bewußt. Im August 1993, als die Berichterstattung über Bad Kleinen, die RAF und den vertuschten Mord an Wolfgang Grams auf Hochtouren lief, wurde gezielt versucht, eine Zusammenarbeit der neuorganisierten „Szene“ mit der RAF zu beschwören. Es wurde aus Leitfragen bundesweiter Treffen zititert und dabei die Frage gestellt, ob hier nicht ähnlich der RAF „eine Gegenmacht von unten“ aufgebaut werden solle. Dieser Versuch, Linke von vorneherein in das Licht der Illegalität zu rücken, indem man sie in die Nähe der RAF rückt, hat Tradition. Sie paßt in die Anti-Antifa-Politik des Staates. Antifaschismus wird für kriminell erklärt. So wurde in Wiesbaden der autonome Antifaschist Gunther zu zweieinhalb Jahren Knast verurteilt. Auch der Prozeß gegen die kurdischen, türkischen und deutschen GenossInnen in Berlin fügt sich ein. Und in Göttingen, wo schon seit 1991 Ermittlungen nach §129a laufen, wird jetzt versucht, gegen 19 Personen, zum großen Teil als angebliche Mitglieder der Autonomen Antifa (M), die Paragraphen 129 und 129a anzuwenden. Nach den Hausdurchsuchungen vom 7. Juli 1994 steht der Prozeß hier noch aus.
Diese Bedrohung durch organisierten antiimperialistischen Antifaschismus verspürt nicht nur der Staat, sondern auch die Faschisten. Sie ließen verlauten, daß die Antifas nichts Dümmeres tun könnten, als sich zu organisieren, da sie so viel angreifbarer seien. Doch Antifaschismus, der das Ziel hat, sich gesellschaftlich zu verankern, kann nicht auf dem Niveau anonymer Kleingruppenmilitanz stehenbleiben, was nicht gleich bedeutend mit einer Verurteilung derselben ist.
Öffentlichkeit
Ziel der Antifaschistischen Aktion/BO ist es, für möglichst viele Menschen zur politischen und kulturellen Orientierung zu werden. Dabei kommt mensch nicht an Massenmedien vorbei. Gerade auf regionaler Ebene sind Kontakte zur Presse neben dem Aufbau traditioneller Öffentlichkeitsarbeit durch Flugblätter, Plakate, Büchertische und der Nutzung alternativer Medien unerläßlich. Dies impliziert jedoch kein naives oder unvorsichtiges Umgehen und steht der grundsätzlichen Analyse herrschender Medien als herrschaftssicherndes Instru ment keineswegs entgegen. Natürlich muß in einem Zusammenhang mit den Medien ständig diskutiert werden (siehe arranca! Nr. 2)
Das Ziel, durch die Praxis der AA/BO bundesweit wahrnehmbar zu sein, hat sich bis jetzt erst teilweise erfüllt. Die Initiative von 1993 „Gegen die faschistischen Zentren vorgehen“ fand vor allem statt mit den Demos in Mainz gegen die Gärtnerei Müller, in Bietefeld gegen das NF-Zentrum in Pievitsheide und in Göttingen gegen den Faschisten Fiedler. Trotz der großen Resonanz ließ sich das abgestimmte Vorgehen etwas vermissen. Am 9. November 1993 gab es in verschiedenen Mitgliedsstädten Demos, Aktionen und Veranstaltungen sowie ein gemeinsames Schulungswochenende, eine Broschüre und ein Plakat.
In diesem Jahr fand eine Initiative unter dem Motto „Dem organisierten Neofaschismus entgegentreten“ statt, die von der AA/BO getragen wurde. Auch zwei große Demonstrationen in Berlin und Nürnberg und etliche kleinere machten es den Faschisten dieses Jahr schwer, ihren Rudolf-Heß-Gedenktag zu feiern. Die Aktion ’94, mitorganisiert von der AA/BO, wird als Erfolg gewertet. Zu den Wahlen im Juni und Oktober dieses Jahres fanden bundesweite Aktivitäten statt. Es wurde ein gemeinsames Flugblatt, zwei Plakate und eine gemeinsame Demonstration am 15. Oktober in Bonn gestaltet unter dem Motto „Ergreift Partei! Wählt den antifaschistischen Kampf!“. Die gemeinsam von den Gruppen der Antifaschistischen Aktion/BO erstellte Broschüre „Einsatz“ kann einen noch detaillierteren Eindruck von der Antifaschistischen Aktion/BO geben.
BETEILIGT EUCH!
KÄMPFT MIT IN DER ANTIFASCHISTISCHEN AKTION/BUNDESWEITE ORGANISATION!