arranca!: ¿ Du bist vor ein paar Monaten nach 15 Jahren Haft entlassen worden. Wie bist du angekommen?

Klaus Viehmann: Ich bin ausgerechnet an dem Tag ent­lassen worden, als im Kino Jurassic Park anlief und es wurde gewitzelt, daß jetzt die linken Dinosaurier zurückkom­men. Ein bißchen habe ich mich wirk­lich so gefühlt. Von denen, die mich abholten, kannte ich die wenigsten von früher. Einzelne hatten 10 Jahre lang Besuchsverbot gehabt, andere waren politisch schon länger nicht mehr aktiv oder hatten kleine Karriere bei den Grünen gemacht.

¿ Im Knast sind also neue Freundschaften entstanden?

Ja, sicher. Sie sind manchmal sogar genauer gewesen als Freundschaften draußen, denn wenn sie gegen die Überwachung über Briefe oder wenige Besuche erhalten werden können, erscheinen sie wertvoller. Das Problem beim Rauskommen ist die Diskrepanz zwischen der Wirklichkeit und dem, was dir in den Knast vermit­telt wird. Das lag nicht daran, daß mich Freundinnen angelogen hätten. Mir fehlte die sinnnliche Wahrnehmung, die eigenen Erlebnisse.

Es ist einfach ein Unterschied, ob dir jemand erzählt, „das Wohlstandsgefälle hat zugenommen“ oder ob du mit eige­nen Augen in der Innenstadt eine bet­telnde Roma-Frau neben einem Yuppie mit Funktelefon siehst. Die abstrakten Zahlen über die zunehmende Armut in den Metropolen sagen dir ja nichts.

¿ Haben deine BesucherInnen nicht auch schöngefärbt, um dir „Zuversicht“ zu vermitteln? Das war ja relativ verbreitet bei den Gefangenenbesuchen.

Im Antiimp-Spektrum muß es das oft gegeben haben , aber bei mir war es nicht so.

Noch mal zu der Frage, was mir beim Rauskommen besonders aufgefallen ist. Die Linke heute unterscheidet sich von der, wie ich sie Mitte der 70er erlebt habe, schon deutlich. Ich meine, daß es damals eine größere Bereitschaft zur persönlichen Konsequenz gab und daß das gegenseitige Überzeugungsinteresse größer war. Heute ist Beliebigkeil und Vereinzelung spürbar. Früher wäre es beispielsweise kein Problem gewesen, im Auftrag einer Organisation in eine andere Stadt zu ziehen oder bei einer militanten Arbeit auch Knast mit einzu­ kalkulieren. Diese Bereitschaft sehe ich heute kaum.

¿ Vielleicht ist es ja so, daß früher die Bereitschaft zum Bruch größer war, während heute die Bereitschaft zur Kontinuität deutlicher ausgebildet ist. D.h. das höchste der Gefühle ist nicht mehr der Bruch mit der Gesellschaft, sondern es geht darum, sich trotz aller Schwierigkeiten weiter in verschiedenen Sphären zu behaupten. Auch das kann Ernsthaftigkeit ausdrücken.

Mag sein. Der Unterschied wird wohl der sein, daß wir damals glaubten, den Wind der Geschichte im Rücken zu haben. Es gab eine Aufbruchsstimmung, die die Bereitschaft schuf, im persönli­chen Bereich etwas aufzugeben. Heute dagegen ist offensichtlich, daß ein langwieriges Projekt vor uns liegt. Also kein spontaner Bruch; wobei ich im übri­gen das Wort „Bruch“ nicht mag, weil es unterstellt, daß man durch eine Wil­lensanstrengung aus den eigenen Ver­hältnissen herausspringen kann.

¿ War die Interventionsmöglichkeit für Linke 76/77 wirklich größer als Heute, wie uns viele Altlinke vorjammern, oder ist das eine Selbsttäuschung?

Die 70er Jahre in irgendeiner Weise zu glorifizieren, halte ich für völlig falsch. Ich bin mit der subjektiven Erfahrung des Herbstes 77 in den Knast gekom­men, und damals war die Pogromstim­mung gegen die Linke, die Massenhy­sterie in der Bevölkerung viel erdrückender als heute.

Klar, in manchen Bereichen war es sicher einfacher. Im Gewerkschafts- und Betriebsbereich gab es gute Arbeit, die dann abbrach, weil viele Linke im Zusammenhang mit der Rezession Ende der 70er Jahre entlassen wurden. Auch die AKW-Bewegung oder der Häuser­kampf spielen heute kaum eine Rolle mehr. Dafür gibt es neue Projekte in der Antifa oder bei der Arbeit mit Flüchtlin­gen. Was ich allgemein für einen quali­tativen Fortschritt halte, ist, daß im Ver­gleich zu früher mehr ausländische Leute in linken Gruppen mitmachen. Damals gab es Kontakte mit Organisati­onsvertretern, aber keine gemeinsame Arbeit in Gruppen.

¿ Du hast gerade das Hetzklima 1977 angesprochen. Demnach kann man nicht behaupten, daß es heute viel reaktionärer zugeht. Vielleicht sagt du was zum Begriff der Faschisierung.

Wir sind vor 15 Jahren davon ausgegan­gen, daß der neue Faschismus aus den Innenministerien kommt, technokratisch geplant wird und ohne Massenbewe­gung auskommt. Das ist ein relativ leichtfertiger Umgang mit dem Begriff „Faschismus“ gewesen. Wir haben die Bedeutung des Nationalsozialismus für die BRD zu wenig begriffen. Wir hielten den NS für ein Auslaufmodell, setzten uns nur am Rande mit den alten Nazis in den Strukturen auseinander, verstan­den die BRD als „imperialistisches Subzentrum“, als sozialdemokratisches „Modell Deutschland“. Das heißt, wir begriffen wenig, wie viel vom National­ sozialismus in dieser BRD noch ange­legt war. Seit 1989 sehen wir genau das wieder hervorbrechen.

Der wesentliche Unterschied ist also, daß es im Gegensatz zu heute in den 70ern keine faschistische Mobilisierung auf der Straße gab.

¿ So wie du das schilderst, klingt es, also ob es einen verengten Blick auf die Herrschenden gab. Hat das damit zu tun, daß man die Massen für potentiell revolutionär hielt, ihnen so viel Schlechtigkeit nicht zutrauen wollte?

Sehr verkürzt kannst du das so sagen, vor allem bis Mitte der 70er Jahre. Daß es in den heroisierten „Massen“ eine Menge Nationalismus und sowas wie Sexismus und Rassismen gab, haben damals nur die Frauenbewegung und einige andere problematisiert, in der Linken insgesamt war es ein weißer Fleck.

¿ Wie war der politische Werdegang für Leute, die wie du in bewaffnete Gruppen gegangen sind?

Die Anfänge meiner Politisierung lagen in der Schule. Ich weiß noch, daß das erste Flugblatt, das ich 1969 verteilte, sich gegen die NPD richtete, die damals drauf und dran war, in den Bundestag zu kommen. Wir verteilten relativ naive Flugblä tter in unserer Kleinstadt und wurden daraufhin zur politischen Poli­ zei vorgeladen. Das hat uns schon sehr gewundert.

Später war ich in einer Lehrlingsgruppe, wo wir vor allem gegen die ständige Überschreitung der Arbeitszeiten wehr­ten. 1972 hä tte ich zum Bund gemußt, weil ich aus der Lehre rausgeflogen bin. Ich ging nach Westberlin, habe in einem linken Buchhandel gearbeitet und bekam dadurch Kontakte zu einem sehr breiten Spektrum von Linken. Durch das, was wir damals gelesen und diskutiert haben, wurde mir zunehmend klarer, daß es eine reformistische Lösung nicht geben kann. Als Stich­punkte brauche ic h da nur die Notstandsgesetze oder den Vietnamkrieg nennen.

Ein Schlüsselpunkt in der Entscheidung für den bewaffneten Kampf war Ende 1973 der Militärputsch in Chile. Aus bio­graphischen Gründen habe ich die Ent­ wicklung dort genauer mitverfolgt, und der Putsch gegen Allende war ein deut­licher Beweis dafür, daß sich die Revolution von Anfang an bewaffnen muß. In Chile hatte die Volksfrontregierung sich ja darum bemüht, den Sozialismus auf legalem Wege einzuführen . Es zeigte sich, daß die Bourgeoisie jeden Angriff auf ihre Macht bewaffnet zurückschlagen vürde.

Nach dieser Erfahrung beschäftigte ich mich intensiver mit den bewaffneten Gruppen in der BRD, das waren damals der 2. Juni und die RAF, wobei letztere 1972/73 nach einer Reihe von Verhaf­tungen kaum noch existierte.

Wenn du dich dama ls für den bewaff­ neten Kampf interessiert hast, bekamst du nach einiger Zeit auch Kontakt zu den bewaffneten Gruppen.

¿ Lag das daran, daß es einen großen Kreis von UnterstützerInnen gab, die an den Strukturen mit dranhingen? Ich meine, die Gruppen waren ja auch damals unheimlich klein.

Ja, die Gruppen an sich, d.h die Leute, die auch an Aktionen mitgewirkt haben, waren klein. Der 2. Juni bestand nie aus mehr als einem Dutzend Personen zur gleichen Zeit, wozu allerdings zwei bis drei Mal so viele Menschen in der lega­len Linken kame n, die immer wieder bereit waren, mit dir zusammenzuarbei­ten. Auf der anderen Seite hatte es aber auch nie die Ausmaße, wie es später in der linken Geschichtsschreibung unter­stellt worden ist. Die bewaffneten Grup­pen haben damals nur ganz punktuell das politische Klima oder die Linke bestimmt.

¿ Inwiefern haben sich RAF und 2. Juni unterschieden? Man sagt ja immer, der 2. Juni sei sozialrevolutionär gewesen, die RAF antiimperialistisch. Aber bis 1973/74 war die RAF ja keineswegs nur antiimperialistisch orientiert. Sie verstand sich auch als kämpfende Avantgarde der Unterklassen in der BRD. Das dokumentiert z.B. das „Konzept Stadtguerilla“ wo es um die untersten proletarischen Schichten geht oder der Text zu den Chemiearbeiterstreiks 1973. In dem Zusammenhang ist, glaube ich, auch wichtig, daß du zu Begriffen, die heute noch in der Linken über den 2. Juni herumgeistern, etwas sagt. Also z.B. zu „Spaßguerilla“ oder zur „Bewegungsorientiertung“ des 2. Juni.

Ein wesentlicher Unterschied war prak­tischer Natur. Die RAF bestand nach 1972 in Berlin nicht mehr. Die Stadt war 2. Juni-Terrain.

Aber es gab auch politische Differen­zen: Es gab beim 2. Juni GenossInnen, die engere Kontakte zu der frühen RAF abbrachen, weil sie einen gewissen Führungsstil und bestimmte Aktionen wie z.B den Anschlag auf das Springer­hochhaus in Hamburg1 nicht mittragen wollten. Das war nur eine Wurzel des 2. Juni. Andere kamen von den Berliner „Haschrebellen“ oder aus der Roten Ruhrarmee, einer kleinen Gruppe in Westdeutschland.

Zu dem Bild vom 2. Juni, das du ange­sprochen hast, kann ich nur sagen, daß das total daneben ist. Der 2 Juni hatte mit „Spaßguerilla“ überhaupt nichts zu tun. Selbstverständlich gab es Elemente, z.B bei Banküberfällen, mit denen man die Situation etwas entschärfen wollte. So wurden nicht nur Flugblätter, sondern auch Schokoküsse an die Leute verteilt. Das diente dazu, den Gegner lächerlich zu machen, was aus psycho­logischen Gründen ganz clever sein kann. Aber Guerilla an sich ist kein Spaß, da kommen Leute für in Knast oder sterben.

Was die Bewegungsorientierung des 2. Juni betrifft, kann man sagen, daß die Verankerung in Bewegungen bis ca. 1976 immer ein Ziel war, oft aber nicht funktioniert hat. Die Kontakte zwi­schen legal en und illegalen Linken waren dafür nicht intensiv genug.

Ein interessanter, aber wenig bekannter Punkt in diesem Zusammenhang ist das Projekt von einer 2. Juni-Fraktion, eine Fabrikguerilla aufzubauen. Werner Sau­ber, der 1975 in Köln von der Polizei erschossen wurde, arbeitete in der Großindustrie und versuchte solche Strukturen in der Fabrik zu organisieren. Das war konzentrierte und langfristige Arbeit, die mit „Spaßguerilla“ ganz bestimmt nichts zu tun hatte.

¿ Du sagst, daß Bewegungsverankerung ein Ziel war. Gab es entlag der Begriffe „Bewaffnete Organisation“ oder „Bewaffneter Arm einer Bewegung“ Diskussionen? Und spielte der Widerspruch Spontaneität – kontinuierliche theoretische Arbeit eine Rolle?

Theoretische Arbeit wurde von keiner der Gruppen in der Illegalität wirklich geleistet. Das hat mit den Bedingungen der Klandestinität zu tun, die kaum Zeit für theoretische Diskussionen lassen. Theorie wurde, wenn überhaupt, erst später entwickelt, vor allem von Leuten im Knast, wobei es dort nicht ganz zufällig zu der verhängnisvollen Ent­wicklung kam, aus der Not, in der Metropolenbevölkerung weitgehend isoliert zu sein, eine Tugend zu machen. Nicht nur die RAF, sondern auch Fraktionen des 2. Juni und der RZ verstanden sich immer weniger als Teil der Entwicklung in der BRD, sondern als metropolitaner Arm der Befreiungs­ bewegungen im Trikont.

Hinter den Begriffen, die du eben genannt hast, versteckten sich tatsäch­lich unterschiedliche Konzepte. Die „bewaffnete Organisation“ war Teil des Focus-Konzepts, d.h die Guerilla beginnt als militärische Kolonne und transformiert im Rahmen der Eskalation zur politisch-militärischen Partei. Darüber ist sie in der Lage, die Machtfrage zu stellen. Beim Konzept des bewaffne­ten Arms hingegen geht es darum, die Aktionen der legalen Linken zu flankie­ren.

Die Diskussion wurde allerdings häufig in verkleideter Form geführt, also ob wir in der BRD hauptsächlich „antikapi­talistischen“ oder „antiimperialistischen“ Kampf führen würden. Verkürzt gesagt bedeutete die Formel „antikapitali­stisch“, innerhalb der Klassengegensätze in der BRD zu agieren, „antiimperiali­stisch“ dagegen von außen hereinzuwir­ken, also aus der Sicht des Trikonts in der Metropole zu handeln. Beim ersten bist du Teil einer Bewegung, beim zweiten eine Avantgardeorganisation, die weitgehend abgeschottet bleibt.

¿ Ihr habt euch für zweiteres entschieden.

Der 2. Juni hat sich unter anderem an der Frage gespalten.

¿ Ende der 70er Jahre verliert das Konzept bewaffneter Kampf in der BRD seine ursprüngliche Dynamik. Die Isolation der Organisationen nimmt zu. Sie werden fast zu einem festen Faktor der Verhältnisse in der BRD, ohne diese jedoch zu bewegegen.

Da möchte ich schon widersprechen. Bei dieser Aussage müßtest du genauer nach Gruppen differenzieren. Es ist schon richtig, daß 77/78 eine bestimmte Etappe, die die RAF und die Bewegung 2. Juni betrifft, zu Ende gegangen ist. Für die RZ und die Rote Zora, die erst in den 80ern entstanden ist, hingegen stimmt das nicht. Der Umfang der Aktionen der Revolutionären Zellen war in den 80er Jahren beachtlich, es gab Ende der 70er Jahre keinen Bruch in ihrer Politik. Ihre Flüchtlingskampagne spielte eine wesentliche Rolle: sie war der legalen Linken um ein bis zwei Jahre voraus und schob die Mobilisie­rung für Flüchtlinge an.

Es ist auch nicht so, daß RAF und RZ in den 80ern zunehmend isolierter gewe­ sen wären. Im Hungerstreik 1981 gab es eine relativ breite Mobilisierung in Soli­darität mit den Gefangenen und auch der RAF.

¿ Man kann aber schon sagen, daß die Aktionen der 70er Jahre die BRD erschütterten. Die Entführung von Lorenz2 und Schleyer3 oder die Erschießung von Drenkmann4 bewegten die Öffentlichkeit. Vor allem war noch offen, wohin die Reise geht: es gab am Anfang der 70er Jahre angeblich bei 20% der Bevölkerung Sympathie für die Bewaffneten Gruppen. Solange unklar war, ob diese vage Sympathie in konkrete Unterstützung würden ummünzen können, solange war der bewaffnete Kampf eine Bedrohung für die herrschende Klasse. Von den Aktionen der 80er ging diese Wirkung nicht mehr aus. Womit ich nicht sagen will, daß die Aktionen der 70er Jahre besonders geglückt gewesen sind. Meiner Ansicht nach führten sie geradewegs in die Katastrophe, es gab 1976/77 eine völlige Übereskaltion. Vor allem die RAF verschärfte die Konfronatation in einem Maße, für die sei weder die politische Verankerung noch die Struktur besaß.

Zuerst einmal: Der Herbst 77 ist eigent­lich nicht durch Übereskalation zur Katastrophe geworden. Es waren schwerwiegende politische Fehler, die das verursacht haben. Die Entführung der Landshut-Maschine war ein Angriff auf stinknormale Reisende und stand dem Klassenkampfcharakter von Gue­rilla völlig entgegen. Die Aktion bestätigte für die Öffentlichkeit genau das, was man der RAF immer unterstellt hatte, daß sie nämlich gegen das Volk sei.

Was du zitierst, nämlich die angebliche Sympathie von 20 oder 25% der Bevölkerung, kenne ich nur aus RAF-Papie­ren. Ich habe so eine Statistik nie gele­sen und glaube es bis heute nicht. Natürlich nahm die Bereitschaft, etwas zu riskieren, bei vielen Leuten ab, als sie sahen, was passieren konnte. Aber diese Folge der Eskalation war nicht das eigentliche Problem. Entscheidend war Mogadischu. Ich habe das in der Illega­lität konkret erlebt. Nach der Aktion des palästinensischen Kommandos gab es bei vielen Linken die Entscheidung, mit uns nicht mehr zusammenzuarbeiten. Du hast natürlich Recht, daß die Eskala­tion, die Erhöhung des Konfrontations­niveaus, wie es damals hieß, politisch nicht mehr kontrolliert wurde. Die RAF handelte bei der Schleyer-Entführung innerhalb einer quasi militärisc hen Logik der Auseinandersetzung mit dem Staatsapparat. Sie hätte lange vor Mogadischu die Aktion beenden müs­ sen, um politisch weiterzukommen. Eine so bestimmte Rücknahme wäre besser gewesen als die dann von der Repression erzwungene Pause der RAF in der Zeit nach 1977.

Bei den anderen Gruppen sah es anders aus. Die RZ hatten das Problem gar nicht, weil sie von der 77er-Repression kaum betroffen waren. Der 2. Juni zerfiel vor allem aufgrund von inhaltlichen Problemen: es gab keine eigenständige Programmatik, die einen Verbleib zwi­schen RZ und RAF gerechtfertigt hätte. Was man nicht vergessen sollte, ist, daß es zeitgleich einschneidende Verände­rungen in der legalen Linken gab. Die Anti-AKW-Bewegung wurde 1977/78 in Grohnde, Brokdorf und Kaikar sehr stark, kam aber nicht weiter. Parallel dazu nahme n auch in der militanten Linken Überlegungen über parlamenta­rische Arbeit zu. Es wurden die ersten grünen oder bunten Listen gebildet. D.h. die Entwicklung hatte nicht nur mit der RAF, sondern auch mit Veränderungen in der legalen militanten und revolu­tionären Linken zu tun.

¿ Du hast im Prinzip zwei Konzepte gegenübergestellt. In meinen Worten: das avantgardistische, durchaus militaristische Konzept der RAF und dsa Konzept der RZ, die sich als Teil einer Bewegung begriffen. Die Fehler der RAF, die du angedeutest hast und dich auch sehen würde, nämlich die Erklärung eines „offenen Krieges“, der ausschließelich Bezug auf Kämpfe im Trikont, sind von den RZ nie begangen worden. Ihre Aktionen blieben politisch vermittelbar, stießen meist auf Sympathie und waren nichts „von einer anderen Welt“. Denoch wuchsen auch die RZ nicht, auch sie gerieten 1989/90 an ihr Ende.

Beide Konzepte, RAF wie RZ, waren vom Zustand der legalen Linken abhän­gig. Deren Krise wirkte sich notwendi­gerweise auf den personellen Bestand der militanten Gruppen aus, denn diese waren immer darauf angewiesen, daß sich Leute in den legalen Strukturen radikalisieren. Die illegalen Gruppen in der BRD hatten nie eigene legale Organisationsformen, die für eine eigenständige politische Basis gesorgt hätten. Dieser Mangel hat seine Ursachen selbstverständlich auch in den allgemeinen Gegebenheiten der Metropole BRD. Die Gründe, warum die beiden Kon­zepte an Grenzen gestoßen sind, unter­ scheiden sich aber erheblich. Die RAF hat zu ihrer Krise selbst sehr viel geschrieben, ich denke das kann man nachlesen.

Bei den RZ muß man betonen, daß die verschiedenen RZ-Gruppen durchaus nicht alle der Meinung waren, daß ihr Konzept erledigt sei. Ich glaube, daß die Tatsache, daß die Grenzen sichtbar wurden, neben der Krise der Linken insgesamt vor allem mit dem Aufbau der Revolutionären Zellen zu tun hatte. Die Zellen waren ja autonom, um bei Repressionsschlägen Gruppen überle­ben zu können. Das entscheidende Pro­blem war, wie diese autonom handeln­den Zellen über die Jahre eine inhaltliche Verbind ung und eine gemeinsame politische Ausrichtung bewahren konnten. Die Selbständigkeit drohte ständig in Beliebigkeit oder Dif­fusität umzuschlagen. Dazu kam die Schwierigkeit, wie sich neue Zellen, die sich im Laufe herausbildeten, in Struktu­ren der Gesamtorganisation eingliedern ließen. Es ist auffällig, daß die alte Parole „bildet viele Revolutionären Zel­len“ ab 1983 in den Erklärungen nicht mehr verwendet wurde. Es ließ sich anscheinend nicht mehr gewährleisten, daß neu entstehende Zellen inhaltlich und praktisch auf einer Linie mit der Gesamtorganisation waren. Den Streit­papieren von vor 2, 3 Jahren läßt sich entnehmen, daß auch zwischen den alten Zellen die Grundlagen für eine gemeinsame theoretische und prakti­sche Weiterentwicklung schwanden.

¿ Im Grunde genommen war die Krise der RZ also ein Strukturproblem?

Nicht nur, aber auch. Die Diskussionen der legalen Linken hatten auf die einzel­nen Zellen meistens mehr Einfluß als die Auseinandersetzungen mit den anderen Zellen, die ja nur sehr spora­disch und unpersönlich stattfinden konnten.

Ein weiteres Strukturproblem, das aber auch mit dem Zustand der legalen Lin­ken verknüpft war, war die Frage, wie die Mitglieder der RZ mit ihrer Doppete­xistenz als legale Linke und verdeckte Militante klarkommen konnten. Das hängt ja sehr stark von der Überzeu­gung und Stärke der Individuen ab. Sie stehen dem legalen linken Alltag quasi allein gegenüber und müssen dennoch ihre Weiterentwicklung als Teil eines revolutionären Kollektivs vorantreiben. Der springende Punkt dabei ist, daß die Revolutionäre Zelle nicht der soziale Ort ist, an dem die Masse der persönlichen Beziehungen angesiedelt ist. Wohnen, Arbeiten oder Freizeit finden ja im lega­len Rahmen statt und nicht in der ver­deckten Struktur.

Ein weiteres wenig durchdachtes Pro­blem ist folgendes: wenn GenossInnen in die Illegalität gezwungen werden, dann durchbricht das einen Grundpfei­ler des RZ-Konzepts. Für ein Weiter­kämpfen wäre eine andere Logistik, ein anderer Organisationsaufbau nötig gewesen. Offensichtlich wurde das nicht entwickelt, und Illegalisierte konnte demnach nicht mehr als RZ tätig sein.

¿ Siehst du auch inhaltliche Probleme, z.B. bei der Flüchtlingskampagne? Die RZ selber sagen ja, daß sie zu wenig verankert war.

Das Hauptproblem war sicherlich, eine Flüchtlingskampagne ohne Flüchtlinge zu machen. Das rührt daher, daß einer verdeckt arbeitenden Gruppe noch weniger Kontakte mit Flüchtlingen mög­lich waren, als der legale Linke. Außer­dem kam die Kampagne zwei, drei Jahre zu früh.

An sich war es aber völlig richtig, die Frage zu thematisieren. Man hätte es mit längerem Atem machen müssen, aber das hing anscheinend auch mit der Repression zusammen.

¿ Das ist zwar unsere ewige Litanei und deswegen langweilig, aber nach dem, was du beschrieben hast, kann man sagen, die RZ sind an der Organisationsfrage gescheitert. Es gab keine Vorstellung, wie neue Leute allmählich in die militanten Gruppen einzubinden sind, es gab keine Form kontinuierlicher Zentralisierung von Diskussion und Praxis, und es gab keine politisch legale Organisation, mit der die militanten Gruppen eng zusammenarbeiteten.

Das ist richtig, auch wenn es vielleicht verfrüht und zu hart ist, ein endgültiges Scheitern zu konstatieren. Das Grund­problem dahinter ist, wie sich militante Aktionen in politische Erfolge und Effektivität ummünzen lassen. Das glei­che ist den Tupamaros in Uruguay widerfahren. Sie haben ihr Aktionsni­veau gesteigert, führten mehrere Ent­führungen gleichzeitig durch, aber es fehlte der politisch umsetzbare Nutzen für die Linken.

Die Lorenz-Entführung brachte dem 2. Juni z.B. auch einen erheblichen Sym­pathiegewin n. Der verwandelte sich jedoch nicht in eine meßbare Stärkung der linken Bewegung oder des 2. Juni. Das wäre nur über organisatorische Arbeit möglich gewesen. Keine der Stadtguerilla-Gruppen hat diese Frage so richtig gelöst, nicht nur in der BRD. Ich bin sehr dafür, das Problem politische Organisation zu diskutieren, die Erfah­rung der 70er zeigt, daß das eine ent­scheidende Frage ist.

¿ Die Erfahrung der RZ zeigt, daß eien einfach Koordinierung nicht ausreicht. Wenn man das zu Ende denkt, kommt man zu der unangenehmen Konsequenz, daß linke Organisationen bestimmte Elemente des demokratischen Zentralismus in seiner ursprünglichen Bedeutung - d.h. mit Gewicht auf Demokratie - brauchen. Es gibt ja noch andere Beispiele, z.B. die „Autonomen antikapitalistischen Kommandos“ (KAAK) im Baskenland, die Anfang der 80er Jahre ziemlich aktiv waren und dann 1984 zerschlagen wurden. Die Autonomie der einzelnen Kommandos führte dazu, daß es zu einer völlig unterschiedlichen Praxis kam. Während ein Kommando die Auseinandersetzung verschärfte und den Chef der sozialistischen Partei Euskadis erschoß, waren andere Kommandos damit beschäftigt kleine Aktionen zu machen und Leute neu einzubinden. D.h. zu viel Autonomie der einzelnen Gruppe ist schädlich.

Das habe ich in anderen Worten ja schon gesagt. Solange die Gesamtlinke ein gemeinsames Projekt besitzt, ist das nicht problematisch. Über viele Jahre hinweg führt diese Autonomie kleiner Gruppen aber zur Verselbständigung. Dann muß über eine andere Struktur die Einheit immer wieder neu herge­stellt werden.

¿ Ja, aber ich auch das Schlagwort „Zentralismus“ ins Gespräch gebracht. Würdest du das als Schlußfolgerung zulassen?

Zentralismus hat andere Entwicklungen zur Folge: sicherheitstechnisch schafft er große Probleme, außerdem verknöchert die Organisation zusehends. Wider­sprüche und Diskussionen werden ver­hindert, weil sie die Linie der Gesamtor­ganisation angeblich in Frage stellen.

Ich halte das Problem für ungelöst. Auch international gesehen hat der Zen­tralismus meistens dahin geführt, daß von oben Linien durchgesetzt und abweichende Positionen eher abgespal­ten als inhaltlich verarbeitet wurden. Die Form von Organisationseinheit und -disziplin, die als Folge von Diskussion und Überzeugung entsteht, ist viel halt­barer als eine von oben verordnete.

¿ Zum Thema Knast: Du hast in einem Gespräch erzählt, daß die Kleingruppensituation für dich eigentlich die unerträglichste Zeit in der Haft war. Es gibt ja auch andere Erhahrungen außer eurer Gruppe, bei denen das ähnlich war. Woran liegt das?

Ich kann nur über meine eigenen Erfah­rungen reden, weil über das Thema sehr selten offen diskutiert worden ist. Ich kam nach eineinhalb Jahren Einzel­haft 1980 in den neugebauten Moabiter Trakt und hatte dort zum ersten Mal Kontakt zu sechs weiteren Gefangenen, alles ehemalige Leute vom 2. Juni.

In den drei Jahren, in denen wir zusam­men saßen, hat sich diese Kleingruppe völlig zerlegt. Das lag daran, daß ein Gefangener hinter dem Rücken der Kleingruppe, nicht über Verrat, aber über Abschwören, versuchte, vorzeitig rauszukommen. Ein zweiter ging einen ähnlichen Weg, ein dritter entdeckte seine Vorliebe für die SEW und verließ nach Verhandlungen mit der Knastlei­tung die Kleingruppe. Ein vierter wurde, wie er es gefordert hatte, nach dem 81er Hungerstreik in eine Kleingruppe mit RAF-Gefangenen verlegt. Wir übriggebliebenen drei, die wir später unsere 15 Jahre unter unterschiedlichen Haftbedingungen abgesessen haben, waren damals nicht in der Lage, mit der Kleingruppensituation produktiv umzugehen. Für mich lag das Problem daran, daß die Gruppe durch die Situation Hochsicher­heitstrakt weitgehend von der Außen­welt abgeschlossen war. Es war wie in einem Spiegelkabinett: Diskussionen wurden verzerrt, hin- und hergeworfen, Aussagen bekamen eine Bedeutung, die sie real überhaupt nicht hatten.

In der Käseglocke entstand Mißtrauen und die Forderung nach einer vollständi­gen Gemeinsamkeit, die überhaupt nicht zu erfüllen ist. Dazu kam, daß wir die Kleingruppensituation nicht besonders gut kannten, und sich hinter unserem Rücken gruppendynamische Prozesse abgespielt haben, die wir nicht mehr kontrollieren konnten.

Das Ende der Untersuchungshaft wollte die Berliner Justiz dann nutzen, uns nach Westdeutschland abzuschieben. 1983 bin letztlich nur ich verlegt worden. Seitdem befand ich mich in der Situation, Kontakte nach draußen nicht mehr in einer Kleing ruppe vorher absprechen zu müssen. Das war eine Erleichterung und vermehrte die Außen­kontakte ganz erheblich, denn das ist ja der springende Punkt im Knast: du mußt immer den Draht zur Wirklichkeit draußen behalten. Eine Kleingruppe muß dir deshalb immer den Raum las­ sen, solche Beziehungen selbständig zu gestalten.

Im Bielefelder Hochsicherheitstrakt kam ich mit einigen sozialen Gefangenen zusa mmen. Das war eine gute Erfah­rung. Nach einer Phase des Kennenler­nens, in der manche sc ho n mal die Zwangsarbeit (Akkordproduktion von Wäscheklammern) verweigerten, konn­ten wir mit einem Hungerstreik durch­setzen, daß alle aus dem Trakt und in andere Knäste kamen. Die ganze Zeit wurde von Demos und militanten Aktio­nen begleitet, z.B. wurden eine vorge­setzte Justizbehörde und zwei Firmen, die diese Zwangsarbeit im Knast machen ließen, von RZ und Rote Zora angegriffen.

¿ Das wichtige im Knast ist also nicht das Gefühl eine Organisation im Rücken zu haben, sondern die Tatsache, daß man mit einer linken Bewegung in Kommunikation bleibt...

Genau, und daß du dein Selbstbewußt­sein als militanter Linker behältst, unab­hängig davon ob die Organisation, zu der du vorher gehört hast, draußen noch besteht oder nicht. Du mußt wis­sen, warum du sitzt.

¿ Hattet ihr das Gefühl, daß eue Selbstzerfleischung in der Kleingruppe durch die Gefängnisleitung gezielt gesteuert wurde?

Beabsichtigt ist auf jeden Fall, daß eine Kleingruppe im eigenen Saft schmort. Dazu kommt das Zuckerbrot, daß es einzelnen Gefangenen über Distanzie­rungen ermöglicht wird, zu besseren Haftbedingungen oder -Verkürzungen zu kommen. Darauf haben sich - das muß man leider sagen - einige Gefan­gene eingelassen.

Das schürt natürlich Mißtrauen. Jedes Abweichen wird als Bedrohung emp­funden, denn jeder Gefangene, der sich auf diesen Kniefall einläßt, verschärft die Isolation der anderen.

Ich war schließlich wirklich froh, als ich nach 3 Jahren Kleingruppe wieder die Haftbedingungen von vorher hatte, nämlich 23 Stunden am Tag allein auf der Zelle. Damit gestehe ich uns eine Niederlage ein, aber es war so.

¿ Welchen räumlichen Bedingungen wart ihr als Gruppe unterworfen?

Das war ein ganzes abgeschottetes Stockwerk, das unter dem FDP-Innense­nator gebaut worden war. Es gab ver­ schiedene Abteilungen, zwischen 2 und 7 Zellen groß. Nach außen war der Trakt durch Panzerglas abgeschlossen, was zu einer weitgehenden Geräusch­abschirmung führte. Die Türen zum fen­sterlosen Flur wurden tagsüber für 6 - 8 Stunden aufgeschlossen, sodaß du dich im Gang treffen oder gegenseitig in den Zellen besuchen konntest. In dem Flur war nur Neonlicht, er war natürlich kameraüberwacht und durch die Klima­anlage gab es kaum Frischluftzufuhr. Das alles schuf eine sehr unangenehme Atmosphäre.

¿ Gab es auch Abhöranlagen?

Ja. Der Knastchef behauptete, daß die Abhöranlage nur benutzt werden würde, wenn Licht an der Anlage auf­leuchtete. Aber wir sind immer davon ausgegangen, daß wir abgehört werden. D.h wir konnten nicht frei sprechen, die Diskussionen in der Gruppe liefen sehr umständlich, weil vieles aufgeschrieben werden mußte.

¿ Mit welcher Haltung kann man 15 Jahre unter solchen Bedingungen absitzen? Welche Mechanismen schafft man sich, um die Situation auszuhalten?

Das ist individuell unterschiedlich. Wir hatten allerdings alle nicht die Vorstel­lung von 15 Jahren, als wir in den Knast kamen. Es war dann eine Summe von kleinen Schritten. Zuerst überlegst du dir, wie du dich nach deiner Verhaftung verhältst, ob du auf irgendwelche Geschäfte eingehst. Dann kommt der Prozeß, die Strafhaft und die Möglich­ keit von Verlegungen. Diese Kette ergibt danach 15 Jahre.

Ich habe gelernt, daß es im Knast nichts bringt, über Sachen zu grübeln, die man nicht verändern kann. Du bist driri und mußt das als einen Lebensabschnitt begreifen. Wichtig ist dabei, daß du sinnvolle Sachen anfängst. Daß du an Diskussionen teilnimmst, lernst, liest und dir klar machst, daß du nicht auf­grund eines Irrtums eingesperrt bist, sondern daß das mit bewußten Ent­scheidungen zu tun hat. Du hast beschlossen, dich in einer bestimmten Art zu organisieren und zu kämpfen, und der Knast ist eine logische Konse­quenz da von.

¿ Was ist aber, wenn du die Entscheidung danach in Frage stellst, weil du sie inhaltlich nicht mehr richtig findest?

Dann sitzt du immer noch als militanter Linker im Knast. Du bist vielleicht nicht mehr RAF oder Bewegung 2. Juni, aber du bist immer noch Linker.

¿ Ich finde es nicht richtig, den Leuten beim Abschwören pauschal „Verrat“ vorzuwerfen...

Das habe ich auch nicht gemacht. Ich halte es für eine legitime Entscheidung, wenn Leute sagen: „wir werden nicht zum bewaffneten Kampf zurückkehren, wir finden unsere Entscheidung nicht mehr richtig, wir wollen raus“. Solange das eine individuelle Entscheidung bleibt, aus der man kein politisches Pro­ gramm macht und solange man andere nicht in die Pfanne haut, ist das akzep­tabel.

¿ Ich wollte auf etwas anderes hinaus: ich finde, daß man den Leuten auch zubilligen muß, sich politisch zu entwickeln.

Im Knast hat eine solche Umorientie­rung aber besondere Haken. Du fällst zwangsläufig anderen damit in den Rücken, ob du willst oder nicht. Der Preis um rauszukommen ist, einer mili­tanten linken Position abzuschwören. Es reicht nicht, dich von Organisationen loszusagen.

Natürlich ist es legitim, den bewaffneten Kampf oder andere Positionen nicht mehr für sinnvoll zu halten, aber es ist dann noch etwas anderes, sich aufgrund dieser Umorientierung mit der Knastlei­tung zusammensetzen, um eine Freilas­sung zu verhandeln. Das sind zwei ver­schiedene Sachen.

Ich hatte das Problem ja selbst: Einige Aktionen des 2. Juni hielt ich schon zu Beginn meiner Knastzeit für ziemlich falsch, aber trotz dieser nachträglichen Kritik und Selbstkritik bist du ja immer noch ein „Staatsfeind“ und erst recht Feind dieses Knastsystems, dessen Ziel es schlicht ist, Gefangene zu brechen.

¿ Ich stelle es mir trotzdem schwer vor, sich zwischen diesen beiden Positionen - der für die du in den Knast gekommen bist, und der, aud die du später beim Nachdenken kommst - zu entscheiden.

Aber das ist doch eine Diskussion auf einer Seite der Barrikade. Da kannst du dich bewegen und verändern, du darfst nur nicht den Schritt machen, dem Geg­ner über die Barrikade hinweg die Hand zu geben. Mit dem Wort „dürfen“ spreche ich kein moralisches Verbot aus, sondern damit meine ich, daß du es erheblich schwerer hast, wenn du den Schritt über die Barrikade hinweg machst. Du weißt dann nämlich nicht mehr, warum du sitzt.

¿ Da spielt auch herein, was manche Gefangene sagen, daß man sich nämlich in Haft die Lust zur Rebellion bewahren muß. Ich bin da skeptisch, weil ich nicht glaube, daß es in einer Situation der Unterlegenheit so sinnvoll ist, sich ständig anzulegen.

Es ist entscheidend, sich den Strukturen im Knast zu verweigern, nicht mit dem Strom zu schwimmen, sonst verschwin­det deine Persönlichkeit. Das gilt nicht nur für politische Gefangene. Im Knast gibt es immer zwei Strategien: einmal die Konfrontation einzugehen oder sich durchzumauscheln. Das zweite macht dich auf die Dauer fertig. Zu viel Taktieren versaut den Charakter. Das bedeutet nicht, daß du dich ständig auf Schlägereien mit den Schließern ein­läßt. So etwas kann einmal passieren, aber es ist meistens nicht sinnvoll. Man kann nicht ständig mit dem Kopf gegen die Zellentür laufen, aber man muß schon klarstellen , daß man mit der Gegenseite nichts zu tun haben will. Sonst wirst du auch nicht respektiert.

¿ Du hast in der Haft das Drei-zu-Eins-Papier geschrieben. Wie entstand das Projekt?

Vorab: Es ist im Knast sehr wichtig, zu schreiben und sich mit Sprache ausein­andersetzen, weil dich das zwingt, die Gedanken, die mit der Zeit zerfasern, zu ordnen und dich stärker zu konzentrie­ren. Schreiben ist also ein Versuch, die Gedanken zusammenzuhalten. Es ist eine Form der Produktion. Die Erobe­rung von Bleistift und Papier ist etwas Zentrales in Haft.

¿ Gab es das in bundesdeutschen Knästen, daß sie dir das vorenthalten haben?

Nein, aber es ist eine internationale Erfahrung, die von vielen geschildert worden ist. Das ist im übrigen auch etwas, was mir in der Haft sehr gehol­fen hat: meine Situation mit der in anderen Ländern oder in anderen histo­rischen Epochen zu vergleichen. Wenn du hörst, wie andere Leute viel härtere Bedingungen, z.B. in Uruguay oder unter den Nazis, ausgehalten haben, dann kannst du dir auch leichter vor­stellen, deine eigene Lage zu bewälti­gen.

¿ Hast du dich in Kontinuität zu Gefangenen in Konzentrationslager gesehen?

Nein, das wäre vermessen. Allerdings gab es Momente, wo man Bezugspunkte sehen konnte. Ich hatte in Werl auf einem Hof Freistunde, auf dem 1943 Selektionen stattgefunden haben, diese Werler Gefangenen sind danach in Mauthausen lebend in Mischmaschinen geworfen worden, andere wurden an Ort und Stelle standrechtlich erschos­sen. Das schafft einen Eindruck davon, was in Deutschland Geschichte ist. Aber gleichsetzen darf man das nicht.

¿ Ich habe das auch gefragt, weil eine der RAG-Gefangenen - ich glaube Ulrike Meinhof - die Isolationshaft mit Auschwitz verglichen hat.

Das würde ich auf keinen Fall machen. Das ist qualitativ etwas ganz anderes.

¿ Kommen wir auf die Frage zurück, wie das „Drei zu Eins“-Papier entstand.

Es war kein Projekt, es war überhaupt nicht klar, daß so ein Papier am Ende stehen würde, die Diskussionen ent­ wickelten sich im Verlauf von Jahren dorthin. Du versuchst vom ersten Moment des Gefangenseins an, dich mit anderen - drinnen und draußen - auseinanderzusetzen. Am Anfang ist sehr zufällig und schikanös, welche Briefe durchgelassen und welche Besuche erlaubt wurden. Es kam auch vor, daß Besuche einfach abgebrochen wurden, weil den Staatsschutzbeamten nicht paßte, was gesagt worden war. In den letzten Jahren wurde weniger angehal­ten, und es war leichter, Diskussionen zu führen.

Die 3:1- DiskutantInnen, das muß ich einschieben, waren nie eine homogene Gruppe, manche haben sehr viel und lange mitgewirkt, andere nur spora­disch. Sowieso waren sie politisch sel­ten auf einer Linie und ziemlich streitlu­stig! Für mich waren sie gerade dadurch die allergrößte Hilfe, das Denken und die wichtige Orientierung der Gedanken nach draußen nicht zu verlieren. Wenn im folgenden von „wir“ die Rede ist, steht es für diesen Diskussionszusam­menhang, nicht mehr und nicht weni­ger.

Zunächst beschäftigte ich mich - ich gehörte ja zum sozialrevolutionären Flü­gel, der vor allem die Verhältnisse in der BRD thematisierte - mit der Klassen­kampfproblematik. D.h. ich habe Marx neu gelesen, mich mit dem Operaismus auseinandergesetzt. Das lief einige Jahre und dann bin ich, typischerweise erst durch Anstöße von feministischen Genossinnen , darauf gekommen, daß dieser Ansatz begrenzt ist, daß es in der Arbeiterbewegung und in der linken Theorie allgemein weiße Flecken gibt, daß dadurch bestimmte Unter­ drückungsverhältnisse unerfaßt bleiben. Zudem gab es Kontakte zur Schwarzen­bewegung in England. Wir haben Texte von ihnen übersetzt und unsere eigene Geschichte der 70er Jahre angeschaut. Z.B. hatten wir zuvor nie problemati­siert, daß die Linke in der Metropole der Gefahr der absoluten Verelendung nie ausgesetzt war und deswegen den Problemen der materiellen Grundsicherung anders gegenüberstand als Revolu­tionärInnen im Trikont. Es war auch zu wenig thematisiert worden, daß die Linke in der BRD nie in Fabriken ent­standen war und es meistens nur indivi­duelle Biographien im Betrieb gab. Das führt dazu, daß die meisten Linken, vor allem die autonomen Linken dem Kapi­talverhältnis nur äußerlich gegenüber­ stehen. Wir haben gesehen, daß es kein Zufall ist, daß diese Linke zu keiner Zeit von Frauen angeführt wurde, daß trotz des beanspruchten Interna tionalismus und Millionen von in der BRD lebenden Immigrantinnen so gut wie keine ausländischen Genossinnen in der deut­schen Linken aktiv waren.

Aus all dem resultierte die Erkenntnis, daß Unterdrückungs- und Ausbeutungs­verhältnisse nur durch den praktischen und theoretischen Austausch mit den Betroffenen erkannt werden können. D.h. wir mußten uns die Erfahrungen von Schwarzen und Frauen ganz neu ansehen und akzeptieren.

¿ Wie hast du die Rezeption deines Papiers empfungen, findest du, daß die Diskussion in eine andere Richtung ging als ihr es beabsichtigt hattet?

Von der großen Resonanz waren wir sehr überrascht. Es war ja ein Diskussi­onspapier, das nur zufällig veröffentlicht wurde. Anscheinend kam das Papier in einer Situation, in der zunehmende Ras­sismen die Auseinandersetzung mit dem Thema geradezu aufzwangen. Es wurde dadurch allerdings auch in einer ver­engten, antirassistischen Sicht gelesen. Unser Ziel war es mit Sicherheit nicht, den kritisierten Hauptwiderspruch Kapi­tal-Arbeit durch einen neuen Rassismus- Antirassismus zu ersetzen. Ich habe auch den Eindruck, daß das Papier instrumentalisiert wurde, und daß die Kritik an der autonomen Linken, z.B. an ihrer Unorganisiertheit, in der Diskus­sion völlig untergegangen ist.

Die Auseinandersetzung um das Papier verlief also meiner Meinung nach viel schematischer als es eigentlich angelegt war. Wir hatten in den 80ern gesehen, daß die Auseinandersetzung mit dem Rassismus zunahm, Frauen sich ver­stärkt autonom organisierten und es im Jobberbereich neue Ansätze gab. Drei zu Eins verfolgte das strategische Inter­esse, die verschiedenen Strömungen in Bezug zueinander zu setzen. Wir wollten die schematische Trennung der Dis­kussion aufbrechen.

¿ Wir haben erlebt, daß das Papier vielfach dazu diente, die Beschränkung z.B. von Flüchtlingsgruppen auf ihr Thema zu rechtfertigen. Es wurde damit argumentiert, daß die ja die „Unterdrücktesten“ seien.

Aus praktischen Gründen ist es unver­meidbar, daß sich Gruppen auf ein Thema beschränken, aber es muß einen Horizont geben, der darüber hinaus­reicht. Die Addition von Unterdrückungen und die Suche nach den „Allerun­terdrücktesten“ halte ich schlichtweg für Unsinn. Eine Hierarchie der Unter­ drückungen führt zu Haupt- und Nebenwiderspruchstheorien. Selbstver­ständlich kann in bestimmten Situationen, eine Frage dringlicher sein als andere. Aber das darf nicht dazu führen eine neue Hitliste der Unterdrückten aufzustellen. Flüchtlinge sind so wenig ein homogenes Kollektiv wie es die Arbeiterklasse ist.

¿ Das Hauptproblem finde ich nicht, daß falsch analysiert worden wäre. Ich habe etwas anderes nicht verstanden: nämlich welches Interesse Leute, die nicht einmal Freundschaften in den schon lange hier lebenden Einwanderer-Communities haben, an Theorien über MigrantInnen haben. Du beschreibst doch Unterdrückung, weil du oder Menschen, die du ein bißchen kennst, sie erlben, d.h. weil du Unterdrückung wahrnimmst und ablehnst. Ohne diese menschliche Nähe kann Theorie nicht emazipatorisch sein.

Das sehe ich auch so.

¿ Unser Eindruck war auch, daß duch das Papier und den weißen Männern eine Lähmung eingetreten ist. Nach dem Motto „wir sind eh Täter“ entstand Befangenheit.

Ich befürchte eigentlich eher, daß der gegenteilige Eindruck entstanden ist. Daß Männer jetzt darauf hinweisen kön­nen, daß Frauen ja auch Rassistinnen sind. So eine Interpretation gefällt mir viel weniger, als wenn sich ein weißer Mann verunsichert fühlt.

Allerdings ist Schuldgefühl keine sinnvolle Konsequenz des Papiers. Die pri­vilegierte Situation verpflichtet dich, sie sinnvoll zu nutzen, nicht, dich dafür zu schämen. Du hast als deutscher Linker gewisse Vorteile, die du in Solidarität mit denjenigen, die sich nicht haben, einsetzen kannst. Der springende Punkt ist die Solidarität, die Fähigkeit, die am eigenen Leib erfahrene Unterdrückung nicht als die allerwichtigste anzusehen.

¿ Eine der negativsten Folgen der Diskussion um Drei zu Eins war die Verabschiedung vom Universalismus, d.h. von der Einstellung, daß Befreiung ein für alle Menschen gültiges Projekt ist. Ich halte das für eine Katastophe, denn es setzt die gesellschaftlich vorherrschende Atomisierung fort. Die Unfähigkeit der Menschen, sich mit anderen, die in anderer Art und Weise unterdrückt werden, zu solidarisieren, erfährt in der linken Theorie jetzt gewissermaßen eine Legitimation.

Das ist das schlimmste Mißverständnis der Rezeption gewesen. Die Absicht war überhaupt nicht, sich vom Univer­salismus zu verabschieden, sondern ganz im Gegenteil wollten wir zeigen, daß der bisherige Begriff von Befreiung wie ihn die traditionelle Linke hatte, überhaupt nicht umfassend - also uni­versalistisch - war. Die Art von Befrei­ung meinte mit dem Etikett „Arbeiter­ klasse“ letzlich den weißen Mann. Von anderen Unterdrückungen wurde behauptet, daß sie selbstverständlich mitgemeint seien und sich nach dem Sieg des Proletariats und seiner diversen Parteien schon erledigen würden. Der Kampf gegen Patriarchat und Rassismen verschwand in einer „glänzenden“ Zukunft, die die „Nebenwidersprüche“ schon richten würde.

Der Tripple Oppression-Ansatz stellt gerade nicht den Universalismus in Frage, wie er in dem Satz von Marx ent­ halten ist, „alle Verhältnisse umzuwer­fen, in denen der Mensch ein erniedrig­tes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist“. Er kriti­siert, daß die traditionelle Linke ihrem Universalistischen Anspruch nicht gerecht wird.

Gegenüber dieser Verkürzung akzep­tiert der Triple Oppression-Ansatz daß es mehrere Grundstrukturen von Herr­schaft gibt. Er betont die Notwendigkeit von autonomen Schwarzen-, Arbeiterin­nen- oder Frauen-Organisationen. Das Problem bleibt natürlich, wo die Grenze zwischen der Universalistischen Strategie und der Respektierung der Autonomien verläuft, bzw. wie sich langfristig diese Grenze aufheben läßt.

In dem Zusammenhang muß man auch sagen, daß wir nicht das Interesse hat­ten, ein neues revolutionäres Subjekt zu bestimmen. Ein solches kollektives Sub­jekt bildet sich in der Praxis, in den Kämpfen heraus und wir wissen noch nicht, wie es aussieht. Aber auf der Grundlage der Respektierung von Auto­nomien werden sich Koalitionen her­ausbilden können von verschiedenen Gruppen, die das gemeinsame Interesse haben, die Verhältnisse umzustürzen.

¿ Beim Nachlesen ist mir noch einmal aufgefallen, wie stark sich das Papier an die autonome Linke richtet. Warum eigentlich dieser Bezugspunkt? Entspricht das deiner Geschichte, daß du dich zu dieser Szene dazugehörig fühlst?

Das war die Linke, die sich mit mir im Knast auseinandersetzte und deren Geschichte mir sehr viel näher war als die der Antiimps oder der reformisti­schen Gruppen. Ende der 80er Jahre war die autonome Linke auch einfach noch die stärk ste Kraft hier. An wen sonst hätten wir uns richten können? Von den Antifa-Gruppen wußten wir nicht viel, Initiativen wie felS gab es noch nicht.

¿ Die alte radikale Linke ist in allen ihren Schattierungen an Grenzen geraten, das gilt für Autonome so sehr wie für die bewaffneten Gruppen oder Alt-Funktionäre. Wie kann es deiner Meinung nach weitergehen? Mit wem stellst du dir eine Neuzusammensetzung vor? Wie siehst du die Organisationsansätze in der radikalen Linken, vor allem die AA-BO?

Das ist natürlich eine beknackte Frage, weil ich erst ein Jahr draußen bin und vieles weniger einschätzen kann als Ihr. Also ohne jetzt den Eindruck entstehen zu lassen, junge Genossinnen fragen alte Prominente...

¿ Jurassic Park eben...

Genau. Aus der Verarbeitung unserer Geschichte ergeben sich ein paar Punkte für die Zukunft. Ich glaube, daß unsere Niederlage mit einer Unterschätzung des Feindes zu tun hatte. Wir haben die Gegenseite nicht umfassend genug begriffen, wir haben die Zerstörungskraft des Ras­sismus und des Patriarchats nicht erkannt. Das Potential der Arbeiter­klasse und d er trikontinentalen Befreiungsbewegungen wurde von uns überschätzt, die Bedeutung der feministischen Kämpfe kaum gese­hen. In dieser Hinsicht ist die Diskus­sion seit den 70er Jahren sicherlich weitergegangen. Das Niveau ist zwar nicht höher, aber die Deba tte ist nicht mehr so auf einige Themen beschränkt wie damals.

Was die Organisationsfrage betrifft, sind mir solche Ansätze wie Eurer mit einer relativen klaren Struktur erkennbarer als autonome Zusam­menhänge, die nur für die erschließ­bar sind, die längere Zeit in ihr leben. Aus dem Grund war ich eher auf AA-BO-Seminaren als daß ich auf autonomen Veranstaltungen aufgetre­ten wäre.

Ich halte die AA-BO für sehr hetero­gen. Die entscheidende Frage wird sein, ob sie selbst oder ihre Mit­gliedsgruppen noch zusammenhal­ten, wenn sie einer ernsthaften Bela­stungsprobe ausgesetzt sind. Mir ist überhaupt nicht klar, ob die inhaltli­chen Unterschiede dann zum Ausein­anderbrechen führen oder nicht. fels kenne ich zu wenig, aber die Arranca halte ich für die lesbarste linke Zei­tung im Augenblick. Das ist alles, was ich dazu sagen kann.

Ganz allgemein gibt es innerhalb des sch lechten K räfteverhältnisses, mit dem wir in der BRD als Linke immer konfrontiert sind, sicherlich keine Patentrezepte, auch keine organisatorischen. Politische Probleme lassen sich nicht allein durch Konzepte oder Strukturveränderungen lösen, son­dern nur durc h die E ntwicklung revolutionärer Politik, in der metho­dische und organisatorische Aspekte wiederum ein Bestandteil sind. Um das auf eine Formel zu bringen: poli­tische Absichten, Organisationsstrukturen und Strategien müssen zuein­ander passen. Ziele, Planung, Durchführung und Struktur müssen eine Einheit bilden.

¿ Du forderst die Einheit von Form und Inhalt...

Die Trennung von Form und Inhalt ist sowieso nur eine theoretische. Es ist eine didaktische Unterscheidung, die in der gesellschaftlichen Wirklich­keit nie auftaucht, sagt Gramsci.

¿ Das klingt ein wenig nach „Wir wollen alles jetzt und sofort“. Einheit von Ziel und Struktur würde z.B. bedeuten, daß man einen völlig hierachiefreien, nicht-patriachalen Umgang in einer linken Organisation entwickelt. Genau das aber ist unter den bestehenden Verhältnissen umöglich. Im bestehenden gibt es keine neuen Menschen, wie leben nicht in einer isolierten Blase im Weltall, sondern in einer Gesellschaft.

Mit der Argumentation rechtfertigst du, daß die Linke alles reproduziert, was ihr von der Gesellschaft vorge­macht und vorgegeben wird.

¿ Nein, natürlich müssen wir kritisch mit uns selbst sein. In einer revolutionären Organisation müssen wir versuchen, Befreiung vorwegzunehmen, nur werden wir immer wieder an Grenzen stoßen.

Richtig, im Falschen gibt es kein rich­tiges Leben. Aber du darfst die Ziele auch nicht zurückstellen. Du kannst nicht irgendwelche Schweinereien in deiner Organisation zulassen, nur weil die Außenverhältnisse genauso sind. Das muß im konkreten Fall bestimmt werden, den Maßstab dafür geben die an, die direkt betroffen sind.

¿ Stimmt. Persönlicher Umgang muß Teil der revolutionären Umwälzung sein, schon jetzt. Wir müssen aber auch sehen, daß wir uns in einer konkreten Gesellschaft befinden.

Auf diesen Schlußsatz können wir uns gerne einigen.