arranca!: ¿Ihr seid als Gesundheits-AG nun schon länger aktiv im Themenfeld Gesundheit. Wann und wie fing es an?
Laura: Angefangen haben wir schon 2013 im Vorfeld des Streiks für mehr Personal und Entlastung an der Charité. Damals haben uns die Beschäftigten eingeladen, ihren Arbeitskampf mit ihnen gemeinsam als gesellschaftliche Auseinandersetzung zu führen. Denn die Arbeitsbedingungen hängen unmittelbar mit den Versorgungsbedingungen der Patient*innen zusammen. Dafür haben wir das Berliner Bündnis für mehr Personal im Krankenhaus gegründet. Für uns als iL war dann auch relativ schnell klar, dass wir langfristig zum Thema Gesundheit arbeiten wollen. Zum einen, weil es ein so gesellschaftlich relevanter Bereich ist, der bisher in der Linken eher unterbelichtet war. Zum anderen, weil sich in diesem Bereich eine sehr radikale Gesellschaftskritik anschlussfähig formulieren lässt.
¿Wie habt ihr die Anfangsphase in eurer Arbeitsgruppe erlebt?
Erstmal mussten wir als Unterstützer*innen viel lernen, beispielsweise über die Krankenhausstrukturen, über die Gewerkschaft und darüber, wie man einen Arbeitskampf führt. Erste Praxiserfahrungen haben wir gesammelt, indem wir die Beschäftigten dabei unterstützt haben, eine Delegiertenstruktur aufzubauen. Dafür sind wir immer im Tandem mit einer Pfleger*in über die verschiedenen Stationen gegangen.
Darüber hinaus ging es darum, eine eigene Perspektive und Praxis zu entwickeln. Was heißt es konkret, Solidarität mit Ärzt*innen, Pfleger*innen und (potenziellen) Patient*innen zu entwickeln? Neben Unterschriften- und anderen Soliaktionen haben wir auch Veranstaltungsreihen organisiert, um deutlich zu machen, wie sich beispielsweise die Überlastung im Krankenhaus auch auf die Situation von pflegenden Angehörigen auswirkt.
«Durch die Solidarität der Patient*innen konnten wir deutlich machen, dass nicht der Streik, sondern der Normalzustand ihre Gesundheit gefährdet.»
¿Was waren aktionistische Meilensteine der Gesundheits-AG?
Der Streik im Jahr 2015 war ein großer Meilenstein. Nicht nur für uns, sondern er war auch der Startschuss für eine bundesweite Entlastungsbewegung in den Krankenhäusern. Wir haben, aus dem Bündnis für mehr Personal im Krankenhaus heraus, im Streik eine Patient*innenpressekonferenz organisiert. Das war wichtig, um dem Arbeitgeberargument, der Streik gefährde die Patient*innen, etwas entgegenzusetzen. Durch die Solidarität der Patient*innen konnten wir deutlich machen, dass nicht der Streik, sondern der Normalzustand ihre Gesundheit gefährdet. Außerdem haben wir während des Streiks mit dem Bündnis auch eine Streikuni organisiert. Da gab es dann endlich Zeit, über politische Forderungen und die Ökonomisierung des Gesundheitswesens zu diskutieren.
Ein weiterer Meilenstein war das Volksbegehren für gesunde Krankenhäuser im Jahr 2018. Dafür haben wir mit kreativen Aktionen fast 50000 Unterschriften gesammelt. Und auch der 8. März ist für uns zu einem wichtigen Aktionstag geworden. Seit zwei Jahren beteiligen wir uns mit einem eigenen Care-Block auf der Frauen*kampftagsdemo und haben eine Menge Spaß dabei.
¿Wie läuft die Zusammenarbeit mit den Pflegekräften und anderen Beschäftigten, welche Erfahrungen habt ihr bei der gemeinsamen Organisierung gemacht?
Ich erlebe das als eine extrem verbindliche und wertschätzende Zusammenarbeit. Das Bewusstsein über die gesellschaftliche Sprengkraft ihrer Auseinandersetzung kam von den Beschäftigten. Das heißt, hier gab es von Anfang an eine große Offenheit, uns aktiv einzubinden und Diskussionen auch gemeinsam zu führen. Und während die Zusammensetzung unserer AG in den sieben Jahren fast komplett gewechselt hat, sind im Kern zum Teil immer noch die gleichen Beschäftigten aktiv wie am Anfang. Das ist angesichts der Arbeitsbelastung in diesem Bereich ein starkes Commitment und hat über die Zeit viel Vertrauen aufgebaut.
¿Und wie ist das Zusammenwirken mit den Gewerkschaften?
Die Gewerkschaften sind ja nicht ein einheitlicher Apparat, wir haben es da mit sehr unterschiedlichen Menschen und Strukturen zu tun. Fast alle Beschäftigten bei uns im Bündnis sind auch bei ver.di aktiv. Auch mit den Gewerkschaftssekretär*innen arbeiten wir im Bündnis sehr gut zusammen. Vor allem auf der ver.di Bundesebene wurden aber auch immer wieder frustrierende Entscheidungen getroffen, wie beispielsweise, dass die Vivantes Tarifkommission im Jahr 2017 keine Streikvollmacht erhalten hat. Das hat bei uns und noch mehr bei den Beschäftigten ein großes Ohnmachtsgefühl ausgelöst und war nicht zuletzt einer der Gründe, weshalb wir uns dazu entschieden haben, das Volksbegehren für gesunde Krankenhäuser zu starten. Dabei ging es uns darum, auch ohne Tarifauseinandersetzung handlungsfähig zu bleiben und eine reale Durchsetzungsperspektive für unsere Forderungen zu entwickeln.
«Der Begriff ‹Held*innen der Arbeit› ist nicht neu. Die Erfahrung, die mit diesem Begriff einhergeht, stößt vielen Beschäftigten jedoch bitterböse auf, weil der Begriff suggeriert, die Pfleger*innen hätten Superheld*innen-Kräfte, seien besonders belastbar und könnten alle schwierigen Situationen meistern. »
¿Ihr habt die Pflegekräfte besonders in Krankenhäusern schon früh als ‹Held*innen der Arbeit› unter widrigen Bedingungen kennengelernt. Wie sind da eure Erfahrungen vor der Corona-Krise?
Der Begriff ‹Held*innen der Arbeit› ist nicht neu. Die Erfahrung, die mit diesem Begriff einhergeht, stößt vielen Beschäftigten jedoch bitterböse auf, weil der Begriff suggeriert, die Pfleger*innen hätten Superheld*innen-Kräfte, seien besonders belastbar und könnten alle schwierigen Situationen meistern.
Das wird oft mit Eigenschaften von Frauen* verbunden, die sich grenzenlos aufopfern und wird dazu benutzt, die Ausbeutungsverhältnisse zu verschleiern und die Situation zu verschärfen. Deswegen wird sich gegen den Begriff und die krankmachenden Bedingungen gewehrt.
Gleichzeitig gibt es im Gesundheitswesen aber ja auch tatsächlich den Anspruch der Fürsorglichkeit, den Ethos, Menschen gut versorgen zu wollen. Aber dafür müssen auch die Bedingungen stimmen. In meiner Erfahrung streiken die Beschäftigten nicht obwohl, sondern genau weil sie sich gut um ihre Patient*innen kümmern wollen. Es geht also nicht darum, diesen Anspruch aufzugeben, sondern ihn einzufordern. Und genau in dieser Aneignung liegt meiner Meinung nach die feministische und auch antikapitalistische Sprengkraft, denn eine gute Pflege ist in diesem System unmöglich.
¿Was bedeuten die Veränderungen durch das Covid-19-Virus und das damit einhergehende Social Distancing eigentlich für die eigene Organisierung?
Aktuell sind wir zehn bis 15 Menschen, die sich zweimal wöchentlich telefonisch austauschen. Das geht, aber das ist nicht das gleiche wie vorher. Wir können uns nicht richtig treffen, es fallen somit auch die Pausengespräche weg genauso wie das Kaltgetränk nach dem AG-Treffen, bei dem man nochmal was nachfragen oder auch mal ein Missverständnis ausräumen kann.
Im Bündnis und in der Organisierung mit den Beschäftigten haben wir vor allem auf Videokonferenzen umgestellt. Die Beteiligung ist genauso verbindlich wie vorher, aber trotzdem fehlen hier ebenfalls die sozialen Aspekte oder überhaupt die Möglichkeit, neue Menschen kennenzulernen. Auf der anderen Seite sind Videokonferenzen zum Teil auch niedrigschwelliger als physische Treffen, vor allem für Menschen mit Kindern.
¿Was sind aktuell eure Ansätze im Bereich Gesundheit?
Die Coronakrise verschärft viele der bestehenden Probleme und sorgt gleichzeitig dafür, dass politisch ganz neue Möglichkeitsräume für unsere Forderungen entstehen. An unseren Ansätzen hat sich aber gar nicht so viel geändert. Anstelle von Tarifauseinandersetzungen unterstützen wir die Beschäftigten jetzt dabei, sich in der aktuellen Krise zu organisieren und ihre Forderungen mit einem Corona-Krankenhauspakt durchzusetzen. Dazu gehört die Forderung nach ausreichend Schutzkleidung, einer angemessenen Belastungszulage, aber auch die Einbindung in die Krisenstäbe und das sofortige Aussetzen der Fallpauschalen. Und jede dieser ‹systemrelevanten› Forderungen wirft Systemfragen auf: über internationale Produktionsketten, materielle Anerkennung von Carearbeit, über eine demokratische Bedarfsplanung und ein Ende der Ökonomisierung. Ich denke, dass sich also gerade hier gesellschaftliche Kämpfe noch mehr als sonst zuspitzen und auch gewinnen lassen.
Für uns heißt das, die Beschäftigten praktisch dabei zu unterstützen sich zu organisieren, Öffentlichkeitsarbeit für ihre Forderungen zu machen und gesellschaftliche Solidarität aufzubauen. Ein Beispiel dafür war die Balkonaktion «Klatschen ist gut, Krachmachen ist besser», wo Menschen auf ihren Balkonen eine Sprachnachricht mit den Forderungen der Beschäftigten abspielen und anschließend Krach dafür machen. In den letzten Wochen haben wir zudem viel Unterstützung aus der Klimabewegung erhalten. Unter dem Slogan „Geld für Pflege statt für Autos“ hat sie mit zu unserem Aktionen mobilisiert und auf die Verteilungsfragen in der Coronakrise hingewiesen. Ich hoffe, dass diese Zusammenarbeit weiter Bestand hat und wir so soziale und ökologische Fragen miteinander verbinden können.
¿Welche Aktionen konntet ihr trotz Corona-Einschränkungen durchführen?
Zusätzlich zu den kontinuierlichen Ansätzen haben wir am 12. Mai und 17. Juni zu Aktionstagen aufgerufen.
Der 12. Mai ist der Tag der Pflegenden. Dafür haben wir einen gemeinsamen Sprechchor von bezahlten und unbezahlten Pfleger*innen aus allen Bereichen vor dem Gesundheitsministerium organisiert, um so auch auf die Situation in der häuslichen Pflege aufmerksam zu machen. Denn Corona verschärft die Krise der sozialen Reproduktion ja vor allem auch im Privaten und oft unsichtbaren Bereich.
Am 17. Juni hätte die Gesundheitsminister*innenkonferenz in Berlin stattfinden sollen. Die Konferenz wurde nun zwar kurzfristig verschoben, aber die lokalen Pflege- und Gesundheitsbündnisse riefen trotzdem unter dem Motto «Keine Profite mit der Gesundheit» bundesweit in acht Städten zu Protesten auf, an denen mehr als 2.000 Personen teilnahmen – und es werden sicherlich nicht die letzten gewesen sein. Als Teil der Streikbewegung und auch im Bündnis Krankenhaus statt Fabrik kämpfen wir seit Jahren gegen das Fallpauschalensystem. Dieses Jahr gibt es tatsächlich eine reale Chance, dass es endlich ausgesetzt wird.