arranca!: ¿Es fällt auf, dass bei mehreren Aktionsformen queer-feministischer Politik der europäische Raum eine Rolle spielt. Du hast das Ladyfest Frankfurt am Main mitorganisiert, seit Jahren Ladyfeste besucht und forschst nun in deinem Promotionsprojekt auch zu dieser Praxis linker Politik. Uns stellt sich die Frage: Welche Rolle spielt Europa für die Aktionsform Ladyfeste?
Ich würde sagen, dass es eine verstärkte Zusammenarbeit von Akteur_innen der Ladyfeste gibt, die allerdings weniger mit einer Europäisierung, sondern eher mit den leichteren Vernetzungsmöglichkeiten über das Internet, also den sozialen Netzwerken zu tun hat. Weil wir uns schnell kontaktieren können, alle leicht und schnell mitbekommen, was in Frankreich, England etc. passiert und wir uns gegenseitig zu den Events einladen. Hinzu kommt, dass es nicht mehr so kompliziert und teuer ist, in die Nachbarländer zu fahren und es normal wurde, dass wir uns gegenseitig als Aktivist_innen besuchen und unterstützen. Das wirkt natürlich auch identitätsstiftend. Letztlich wurde dies aber auch durch die gemeinsame Benutzung des durchaus umstrittenen Labels Ladyfest ermöglicht. Ähnlich lief es auch bei den slut walks, Demos gegen sexualisierte Gewalt und für sexuelle Selbstbestimmung, die zwar keinen europäischen Ursprung haben, aber vor allem durch eine schnelle Verbreitung im Netz in vielen anderen europäischen Städten aufgegriffen wurden.
¿Du siehst also eine wichtige Ermöglichungsbedingung dieser Aktionsformen in der technischen Entwicklung der Internetforen. Würdest du dann aber auch einen Bruch in den Aktionsformen sehen, durch den mittels Myspace, Facebook und Co. die vorher eher national verfassten Kampagnen und Protestformen transnationalisiert wurden?
Für die Ladyfeste ist es nach wie vor wichtig, sich auf die lokalen Kontexte zu beziehen. Also, der abgedroschene Slogan „Think global, act local“ kennzeichnet recht gut die Praxis von vielen queer-feministischen Zusammenhängen. Die Gruppen beziehen sich auf die Debatten vor Ort, gleichzeitig gibt es bei allen Bezüge auf die Riot Grrrl-Bewegung und feministische Politik. Die konkrete Ausgestaltung ist vor allem an die Vorstellungen, Auseinandersetzungen und Infrastruktur vor Ort geknüpft. Entsprechend würde ich es eher verneinen, dass da wirklich eine europäische Bewegung entsteht oder etwas, was ihr als Europäisierung angesprochen habt. Gleichzeitig gibt es aber in allen Ladyfest-Gruppen so etwas wie eine gemeinsame queer-feministische Politikgrundlage, die von unterschiedlichen europäischen Ladyfest-Gruppen geteilt wird. Ich würde sagen, dass sich bei den Kämpfen um Teilhabe nicht mehr an Mann und Frau abgearbeitet wird, sondern für die Aktionen Debatten um Trans- und Intergeschlechtlichkeit zentral sind. Aber das hat wohl nix mit Europa zu tun! Auf ein Bild von Europa – ob mit einem Positivbezug oder in Abgrenzung – wird sich in den politischen Praxen meines Erachtens nicht bezogen.
¿Auf wen oder was wird sich dann aber bezogen, oder anders gefragt: Während frühere Akteur_innen linksradikaler Politik ihre Revolutionshoffnung auf die Arbeiterklasse, Menschen im Trikont oder auf die Zapatistas richteten, welche Akteur_innen sind das revolutionäre Subjekt der Ladyfeste?
Es geht meiner Ansicht nach darum, in die Frauenbewegung zu intervenieren; etwa mit der Erweiterung, dass es nicht nur um Frauen und nicht um eine eindeutige geschlechtliche Festlegung geht. Wichtig für unsere Politik sind deshalb immer auch Bündnisse zwischen feministischen, queeren, trans- und intergeschlechtlichen Zusammenhängen. Ich hab Ladyfeste immer auch als eine Politikform verstanden, bei der es um Spaß geht. Wir machen etwas für uns, also Aktivismus nicht als Stellvertreter_innenpolitik oder in der Hoffnung auf andere, die für uns Politik umsetzen. Hier mache ich eine Party, wie ich sie mir vorstelle oder organisiere Workshops, die ich schon immer gerne besuchen wollte. Viele Aktivist_innen im Ladyfest-Kontext sind anderweitig politisch organisiert und haben dementsprechend viele Verpflichtungen. Ein Ladyfest zu organisieren bedeutet aber für viele, etwas für sich zu tun.
¿Damit reiht sich die Ladyfest-Szene in eine Politikform ein, die von Aktionen der Spontis, über die Politik der ersten Person der Autonomen bis in die Prekaritätskämpfe der letzten Jahre – bei FelS zum Beispiel mit der Aneignungsdebatte oder dem Mayday – führen. Sind Ladyfeste damit eine queere und netzaffine Weiterführung der Politik der Autonomen?
Der Bezugspunkt ist eher D.I.Y. – Do it Yourself, also die aus der Punk- und Hardcore-Szene entlehnte Politisierung des Selbermachens, wie es etwa bei einem Hamburger Ladyfest der Slogan „Don’t Fall in Love with the Guitarist. Be the Guitarist!“ verdeutlicht. Das Berliner Ladyfest hat sich im Laufe der Jahre deshalb in LaD.I.Y.fest umbenannt, allerdings sicher auch als Reaktion auf den seit langem umstrittenen Begriff „Lady“. Ich würde die Ladyfeste aber vor allem als eine Praxis beschreiben, in der die in den letzten drei Jahrzehnten entwickelten Debatten um Feminismus, Transgender und Queer-Feminismus aufgenommen und umgesetzt werden. So wird wohl in allen Ladyfest-Zusammenhängen diskutiert, was eigentlich mit Lady gemeint ist, ob damit nur Frauen bezeichnet sind oder verschiedene Formen von Weiblichkeiten oder gar keine. Mit der Debatte verknüpft sind dann ja auch immer konkrete Praktiken auf der Party, am Einlass oder schon vorher in Auseinandersetzung mit oft männlich dominierten linken Gruppen, die etwa einen Ausschluss von Männern als sexistisch bezeichnen (so in mehreren deutschen Städten geschehen). Das ist insbesondere ein Politikum, weil ein wichtiger Inhalt von Ladyfesten nicht nur die Offenheit linker Politik ist, sondern auch eine explizit feministische, die sich auf die Notwendigkeit von Schutzräumen bezieht. Ladyfest-Partys sollen nicht von partikularen Männlichkeiten dominiert sein, aber auch kein essentialisiertes Frausein reproduzieren. An anderen Orten hat das naheliegenderweise zu Auseinandersetzungen mit Frauenzentren, aber eben auch mit männerdominierten Plena in Autonomen Zentren geführt. In meiner Erfahrung sind die Praxen deshalb entsprechend sehr divers. Die Leute nehmen sich aus der Idee von Ladyfesten jeweils etwas raus, womit sie was anfangen können und in ihrem lokalen politischen Kontext weiter arbeiten wollen.
¿Wo findet der Diskurs statt? Worauf beziehen sich die Aktivist_innen von Ladyfesten?
Es gibt Bezüge auf Texte aus dem Kontext des ersten Ladyfests 2000 in den USA, auf die Riot Grrrl-Bewegung. Wichtig sind meines Erachtens die Texte der einzelnen Gruppen, in denen sie ihren Politikansatz und ihre Grundsätze formulieren. Ich hab jetzt immer das Lokale betont und würde es auch für die Debatten herausstellen: Was diskutiert und veröffentlicht wird, sind vor allem die von den Gruppen verfassten Selbstverständnistexte, also Auseinandersetzungen über: Was sind Ladyfeste, wer ist eingeladen, was soll wie passieren?
¿Ok, nochmal zugespitzt: Europa ist bei Ladyfesten – so lässt sich deine Einschätzung verstehen – kein Thema! Aber auffällig ist doch, dass andere Politikformen wie das A!-Camp, die ersten Grenzcamps oder das CrossOver Summercamp alle im nationalen Rahmen stattfanden, während die queerruption im internationalen Rahmen stattfindet oder queer pride marches in Osteuropa oft maßgeblich von Aktivist_innen aus anderen Ländern unterstützt werden. Die Praxis von Ladyfesten ist doch europäisch, aber ohne dass dies debattiert wird, oder?
Ja, insofern, dass beispielsweise nach Bukarest viele Aktivist_innen aus unterschiedlichen europäischen Ländern fahren oder die Vernetzung etwa darüber funktioniert, dass wir eine spanische Band, die ich gut fand, zu uns auf eine Party eingeladen haben. Aber ich könnte ja auch nochmal zurück fragen. Warum sollte denn Europa eine Bezugsgröße sein? Ich würde ja eher dafür plädieren, transnational zu schauen und da ist schon auffällig, dass es eher westliche Industriestaaten sind, in denen sich das Konzept Ladyfest weit verbreitet hat. Für mich ist die Frage nach dem Europabezug unserer Politik damit auch irgendwie abwegig.
¿Damit sind wir am Ausgangspunkt dieser arranca!-Ausgabe. Wir haben uns zunächst gefragt, ob aus der Praxis wie dem Euromayday, dem Grenzcamp der letzten Jahre oder der Proteste gegen G8, Weltwirtschaftsforum, den EU-Gipfel in Göteborg etc. sich das Thema Europa nicht nochmal anders aufdrängt. Müsste Europa nicht jenseits von Migrationskontrolle, Festung und Euro-Krise, vielmehr auch als Ort linksradikaler Politik reflektiert und geöffnet werden?
Das sollte aber dann konkret und nicht allgemein aus einer Metropolensicht getan werden. In der konkreten Politik zeigt sich das etwa am Ladyfest in Bukarest in Rumänien, das ich besucht habe. Bei diesem gab es eine europaweite Vernetzung von Aktivist_innen: Alle kamen aus Rumänien, lebten aber selbst in verschiedenen europäischen Städten und haben das Ladyfest mit Aktivist_innen vor Ort über das Netz durch online-meetings organisiert. Vor Ort gab es dann aber andere Themen, die in den Workshops bearbeitet wurden. So war dort beispielsweise motherhood intensiver Diskussionspunkt, daneben auch Homophobie, aber auch die Themen Armut oder Antiziganismus haben viel Raum eingenommen. Infrastrukturelle Probleme waren dort auch viel existentieller, da nur ein Punkschuppen für die Partys als Veranstaltungsort in Frage kam und zudem ein Obolus an die örtliche Polizei zu entrichten war, um von denen in Ruhe gelassen zu werden. Reflektionen über die Politikformen sollten somit immer an den konkreten Bedingungen vorgenommen werden.