Die Staatschuldenkrise – eine neue Phase der Krise des Finanzmarktkapitalismus

Angesichts von Überschuldung und fehlender Wettbewerbsfähigkeit einiger Staaten sei eine „Vertrauenskrise“ der Finanzmärkte eingetreten, die zur Gefahr des Staatsbankrotts infolge steigender Zinsforderungen führe und den Euro als Währung insgesamt bedrohe. Die dominanten Krisendeutungen verstellen den Blick auf die Zusammenhänge der tiefgreifenden Krise des neoliberalen Finanzmarktkapitalismus. Die neue Phase der Krise ist eine Folge der Bearbeitung der Wirtschafts- und Finanzkrise seit 2008 durch ein neoliberales „Weiter so“. In vielen Ländern sind die Staatsschulden erst durch die Bankenrettungen seit 2008 und die Kosten der Weltwirtschaftskrise (Steuerausfälle, Konjunkturpakete) explodiert. Zudem wird unsichtbar gemacht, dass die Staatsverschuldungskrise Teil einer tiefgreigenden Krisendynamik des Finanzmarktkapitalismus ist: Erstens handelt es sich nicht in erster Linie um eine Schuldenkrise der Staaten, sondern um eine Verwertungskrise der drastisch angestiegenen Geldvermögen, die auf den Finanzmärkten angelegt werden. Schulden stehen ja nie für sich, sondern haben als Kehrseite notwendig Gläubiger, die Kredite vergeben und damit Renditen erzielen. Die privaten und staatlichen Schuldtitel sind somit Eigentumstitel privater Gläubiger, die Ansprüche auf zukünftig zu erwirtschaftenden Reichtum begründen.

In der dominanten Krisendeutung wird diese Kehrseite der Verschuldung, die globale Konzentration von Reichtum, ausgeblendet. So wie es keine Schulden ohne private Eigentumstitel und Vermögende gibt, gibt es auch keine Exporte ohne Importe und keine dauerhaften Ungleichgewichte zwischen Import und Export ohne eine Verschuldung der Käuferseite. In den letzten Jahren haben sich massive Ungleichgewichte entwickelt zwischen Kapital und Güter exportierenden Ländern (v.a. Nordeuropas) und Importländern (v.a. den Ländern der europäischen Semiperipherie wie Spanien, Griechenland, Portugal), die sich verschulden, um die Importe zu finanzieren. Maßgeblich für diese Entwicklung verantwortlich ist das „Lohndumping“-Modell des „Exportweltmeisters“: die deutsche Exportindustrie konkurriert mit Lohnsenkungen und Arbeitsverdichtung bei hoher Produktivität ihre internationale Konkurrenz nieder. In der Weltwirtschaftskrise wurde das Exportmodell unter Einbindung der Beschäftigten der Exportindustrien und von Teilen der Gewerkschaften (durch Konjunkturpakete und Kurzarbeit) stabilisiert, und so verschärften sich die Ungleichgewichte weiter. In der Staatsverschuldungskrise brechen somit auch die Widersprüche des deutschen Exportmodells auf. Anders als das Gerede vom „Zahlmeister Deutschland“ nahelegt, profitieren deutsche Finanz- und Exportkonzerne von der Krise, zudem haben sich die Kreditkonditionen für die BRD durch die Schuldenkrise anderer Euro-Staaten verbessert.

Herrschaft durch Schulden – das neue Austeritätsregime

Die Antwort der Herrschenden auf die neue Phase der Krise ist nicht etwa eine Kurskorrektur, sondern eine Radikalisierung des neoliberalen Kurses der Krisenbearbeitung im Interesse der dominanten Kapitalfraktionen des Finanz- und Industriekapitals. Die neoliberale Krisendeutung reißt die Staatsverschuldung aus ihrem Zusammenhang innerhalb des Finanzmarktkapitalismus und erklärt einseitig staatliche Ausgaben zum Krisenfaktor. So wird maßgeblich auf Druck und unter Dominanz der deutschen Bundesregierung eine radikale Politik der Austerität, der Kürzung staatlicher Ausgaben, verfolgt. Diese Rezeptur wird kombiniert mit einer Wettbewerbspolitik nach dem Vorbild der deutschen Agenda 2010: weitere Deregulierung der Arbeitsmärkte, Ausbau des Niedriglohnsektors, Senkung der Lohneinkommen und Renten.

Das Druckmittel der „Kreditwürdigkeit“ der Staaten, die Abhängigkeit der Staatsfinanzierung von den Finanzmärkten wird eingesetzt, um europaweit eine neue Welle der Enteignung der unteren und mittleren Klassen durchzusetzen. Den „Schuldenstaaten“ wird durch die Troika aus EU-Komission, EZB und IWF eine brutale Politik der Kürzung von Staatsausgaben aufgezwungen. Die Folgen sind dramatisch. Während es zu einer Verarmung breiter Bevölkerungsschichten kommt, hat der Wettlauf um die „Spar“programme längst auch Frankreich, Belgien und Großbritannien erfasst. Die durchgesetzten Austeritäts- und Wettbewerbspolitiken zielen erstens auf „Haushaltskonsolidierung“ durch radikale Kürzungen und Privatisierung des öffentlichen Sektors, Kürzung von Sozialausgaben und Erhöhung der Konsumsteuern (die vor allem die unteren und mittleren Klassen betreffen), zweitens auf eine „verbesserte Wettbewerbsfähigkeit“ durch systematische Senkung des Lohnniveaus und weitere Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse sowie drittens auf die Erschließung neuer Anlagefelder für die globalen Geldvermögen durch massive Privatisierungen (inklusive weiterer Privatisierung der Sozialversicherungssysteme).

Aber: Durch die Austeritätspolitik wird die Krise nicht gelöst, sondern die Krisendynamik noch verschärft. Aus der Krise kann man sich nicht heraus sparen. Die Kürzungspolitik verschärft die soziale Krise in den südeuropäischen Ländern und würgt die infolge der Wirtschaftskrise (durch Lohnsenkungen und Arbeitslosigkeit) gesunkene Nachfrage weiter ab. Schulden- und Wirtschaftskrise führen zu einer Banken- und Kreditkrise 2.0. Ausbleibendes Wachstum und sinkende Steuereinnahmen drohen in den kommenden Jahren die Verschuldung in einigen Staaten noch zu verstärken. Am Ende trifft es auch die Exportländer wie Deutschland: im Krisenstrudel gefangene Staaten eignen sich nur noch schwerlich als Abnehmer für deutsche Produkte.

Ideologische Mobilmachung um Schulden

Schulden seien per se schlecht und ihr Abbau notwendig, um künftige Generationen nicht zu belasten und politisch und ökonomisch handlungsfähig zu bleiben, so das Mantra der Herrschenden. Um der Austeritätspolitik etwas von links entgegensetzen zu können, ist es wichtig zu verstehen, wie die von Medien, neoliberalen Think Tanks und Experten, Parteien und Regierung entfachte ideologische Mobilmachung entlang der Schuldenfrage funktioniert. Wesentlicher Bestandteil des aktuellen Krisenmanagements und damit verbundenen Diskurses ist, die Austeritätspolitik in einem Sachzwangdiskurs als alternativlos darzustellen. Für linke Kräfte geht es daher darum, wie die Schuldenkrise von links politisiert werden kann (vgl. Candeias 2011). Damit ideologische Diskurse im widersprüchlichen „Alltagsverstand“ (Gramsci), an den gesellschaftlichen Denkweisen unterschiedlicher Gruppen „andocken“ können, müssen relevante Alltagserfahrungen aufgegriffen und neu verbunden werden.

Zentral ist die Gleichsetzung von Staats- und Privathaushalt im herrschenden Schuldendiskurs: Es könne eben nur so viel ausgegeben werden, wie eingenommen wird. Dass dieser Vergleich gewaltig hinkt, wird dadurch deutlich, dass der Staat im Gegensatz zum Privathaushalt durch kreditfinanzierte Investitionen zukünftigen gesellschaftlichen Reichtum generieren kann. Durch die Gleichsetzung von Privat- und Staatsschulden werden klassenpolitische Konfliktlinien ausgeblendet: Welche gesellschaftliche Gruppen finanzieren durch die Steuerbelastung die öffentlichen Ausgaben und wem kommen die Staatsausgaben zu Gute?

Im Finanzmarktkapitalismus ist die Vermögenskonzentration in den Händen einer Elite von Vermögensbesitzer_innen und Superreichen, die ihr Vermögen auch als Kreditgeber_innen einsetzen, um Renditen zu erzielen, gewachsen. Die Schuldenfrage ist also in erster Linie eine Eigentums- und Verteilungsfrage. Nicht ob, sondern wofür der Staat sich verschuldet und welche Interessen von diesen Schulden profitieren, ist zentral für die Diskussion um Staatsverschuldung.

Innerhalb des neoliberalen Schuldendiskurses wird der Klassenwiderspruch zu einem vermeintlich zentralen Generationenwiderspruch verschoben. Die Frage ist, wessen Kindern und Enkeln Schulden oder Eigentumstitel und damit Ansprüche auf den zukünftig zu erarbeitenden Reichtum hinterlassen werden. Die „Generationenfrage“ wird innerhalb des Schuldendiskurses durch die Anrufung von Spaltungslinien zwischen „Mittelschicht“ und „Unterklassen“ flankiert. Durch die Skandalisierung der hohen Steuerlast des Mittelstandes und die Anrufung von „Leistungsträger_innen“ gegen eine „Unterschicht“, die auf Staatskosten lebe, wird versucht, die Mittelschichten in das neoliberale Projekt von Kürzungspolitiken und Steuersenkungen für Unternehmen und Vermögende einzubinden. Angesichts der Krise greifen die Forderungen nach Steuersenkungen jedoch nicht mehr – es bleibt die Mobilisierung von Krisenängsten und Ressentiments.

Im Zuge der EU-Krise werden rassistische und nationalistische Ressentiments gegen die so genannten „Schuldenstaaten“ mobilisiert. Während Deutschland als „Zahlmeister“ der EU inszeniert wird, werden die Bevölkerungen südeuropäischer Länder als Krisenverursacher ausgemacht – für die nun die Bevölkerung hierzulande in Form von „Rettungspaketen für Schuldenstaaten“ zahlen müsse. Dass es den Herrschenden gelingt, die Zusammenhänge der Krise auf diese Weise glaubwürdig zu machen und Konflikte zu verschieben, hängt auch davon ab, dass im Schuldendiskurs reale Krisenängste aufgegriffen und mit Ressentiments nach „innen“ und „außen“ verbunden werden. Hier wirken die geschürte, im Alltagsverstand und Generationengedächtnis der mittleren und unteren Klassen verankerte Angst vor Inflation ebenso wie das Wissen, dass das „dicke Ende“ der Krise noch bevorsteht, verbunden mit der Angst, dass das diesmal in Deutschland nicht so „glimpflich“ ablaufen wird. Die Durchsetzung der brutalen Kürzungspolitik in Südeuropa wirkt so auch als drohendes Beispiel und entfaltet eine disziplinierende Wirkung. Zudem kann die Schuldenpolitik daran anschließen, dass die Menschen auf kommunaler und regionaler Ebene seit Jahren mit dem durch die Steuerpolitik hergestellten Sachzwang „leere Kassen“, mit Kürzungen, Privatisierungen und in manchen Regionen mit einem regelrechten Kaputtsparen der öffentlichen Infrastruktur konfrontiert sind. Diese Entwicklungen treffen nicht auf Zustimmung, aber es fehlen vielerorts sichtbare Alternativen und Beispiele von erfolgreicher Gegenwehr, die sich nicht nur gegen Kürzungen in einzelnen Bereichen richten. Unter diesen Bedingungen wird die kommunale Verschuldungskrise von herrschender Seite verknüpfbar. Zum einen räche es sich am Ende, wenn einfach jahrelang Schulden gemacht würden. Zum anderen könne es nicht sein, dass in Deutschland gespart werde, während in den anderen Ländern die Ausgaben im öffentlichen Sektor zu hoch seien.

Bisher werden Krisenängste von der herrschenden Politik eingebunden und sind strategisch mobilisierbar. Wo dies nicht mehr gelingt, entwickelt sich eine rechts-populistische, nationalistisch argumentierende Opposition, die sich aus den Widersprüchen und Konflikten über die Krisenpolitik innerhalb des neoliberalen Blocks in Deutschland speist.

„We are the 99%“?! – Für einen popularen Diskurs und eine eingreifende Politik der Linken

Die Radikalisierung der Austeritätspolitik hat in vielen europäischen Ländern zu einer Welle von Massenprotesten und Generalstreiks gegen Kürzungsprogramme und Krisenfolgen geführt. Auch die Occupy-Bewegungen formieren sich im Widerstand gegen die Kürzungspolitiken, gegen Perspektivlosigkeit und Armut, die jahrelange Aushöhlung der Demokratie angesichts einer Konzentration von Macht und Reichtum in den Händen einer globalen Elite. In Deutschland sind Massenproteste ausgeblieben, vor allem wegen der Stärke der deutschen Exportindustrie in der Krise, einer leicht gesunkenen Arbeitslosigkeit und einer Kürzungspolitik, die sich vor allem gegen Erwerbslose und Marginalisierte richtete. In dieser Konstellation blieb die gesellschaftliche Linke lange Zeit relativ sprachlos gegenüber der neuen Phase der Krise seit 2010 und der dominanten Rolle der Bundesregierung darin.

Um der ideologischen Mobilmachung als Teil einer „Herrschaft über Schulden und Schuldenpolitik“ etwas entgegensetzen zu können, muss die Linke in der Lage sein, zentrale Begründungsmuster zu widerlegen und ihre Verbindungen mit Alltagserfahrungen aufzulösen. Das setzt jedoch voraus, dass ein linker Diskurs die Verankerungen ideologischer Herrschaft im Alltagsverstand ernst nimmt (also die Leute nicht einfach für „blöd“ hält) und selbst Verbindungen mit unterschiedlichen Alltagserfahrungen herstellt (also über eine reine Aufklärungspolitik und szene-typische oder subkulturelle Formen und Inhalte hinausgeht). Die Herausforderung besteht in der Entwicklung eines „popularen Diskurses“ von links, der zentrale Widersprüche der Krisenpolitik und alltägliche Krisenerfahrungen unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen aufgreift. Dieser müsste die Zusammenhänge von EU-Krise, Schulden und deutschem Exportmodell aufzeigen und die Kritik an Austeritätspolitik als „Enteignung“ und Herrschaftsausübung im Interesse von Banken und Vermögensbesitzenden schärfen. Und sie muss an real begründeten Krisenängsten und sich lokal entzündenden Kämpfen gegen Kürzungspolitiken ansetzen und diese zu verbinden suchen.

Ein linker popularer Diskurs zeichnet sich dadurch aus, dass er auf ein Klassenbündnis von unteren und mittleren Klassen sowie auf die Verbindung von Demokratie- und Klassenfrage zielt. Es geht darum, unterschiedliche (Krisen-)Erfahrungen, gesellschaftliche Konflikte und Anliegen zu einem Widerspruch „des Volkes“, das heißt der Mehrheit gegen den staatlich organisierten neoliberalen Machtblock zu verbinden.

Es geht dabei um mehr als um eine „Bankenkritik“, die eine Regulierung der Banken fordert, sondern darum, über eine abstrakte Kapitalismuskritik hinauszugehen und an den Widersprüchen und Krisendynamiken der aktuellen Phase des neoliberalen Finanzmarktkapitalismus anzusetzen. Dafür müssen die konkreten Akteure und der Zusammenhang von staatlicher Politik und (dominanten) Kapitalfraktionen in den Blick genommen werden.

1. Schulden delegitimieren!

Zunächst ginge es darum, die vermeintliche Alternativlosigkeit der Austeritätspolitik anzugreifen. Als Ansatzpunkt für eine Politisierung der Schuldenfrage schlagen wir vor, die Legitimität der Schulden radikal infrage zu stellen, indem der Klassencharakter von Schulden und Kürzungspolitik betont wird. Dies kann von zwei Richtungen aus geschehen. Zum einen ist zu fragen: Wer profitiert von Schulden und der „Schuldenkrise“? So wird deutlich, dass mit den Schulden immer die Renditeansprüche der privaten Vermögensanleger verbunden sind. Zum anderen geht es darum die Frage aufzubringen, wer von den Staatsausgaben profitiert hat: Konnte die Bevölkerungsmehrheit durch den Ausbau in gesellschaftliche Infrastruktur profitieren oder wurden die staatlichen Mittel durch Steuergeschenke, Konzernsubventionen und Militärausgaben von wenigen angeeignet?

Konkret ginge es darum, eine von breiten Teilen der Linken getragene Kampagne zur Delegitimierung der Schulden zu starten. Ziel wäre es, die Auseinandersetzungen um die EU-Krise und um Schulden und Kürzungspolitiken in Deutschland zu verbinden. In ihrem Rahmen könnten europäische, nationale und lokale „Schuldentribunale“ stattfinden, in denen eine Offenlegung der Schulden und eine Streichung der „illegitimen Schulden“ gefordert wird. Lokale Assambleas und Tribunale könnten so auch in die sich zuspitzende Situation kommunaler Finanzkrisen intervenieren und versuchen, unterschiedliche Gruppen in Bündnissen gegen Kürzungen und Privatisierung, für einen solidarischen und in demokratischen Prozessen gesteuerten Ausbau des Öffentlichen Sektors zusammenzubringen. Sie könnten lokale Anliegen mit dem Kampf um eine umverteilende Steuerpolitik und die Abschaffung der Schuldenbremse mit der Forderung nach einem radikalen Schuldenschnitt für die von Finanzmärkten und Gläubigern erpressten „Schuldenstaaten“ verbinden. Zentral wäre es, die Forderung nach einem Schuldenschnitt und einer Abschaffung der Schuldenbremse, nach einer Vergesellschaftung des Bankensektors und einer radikal umverteilenden Steuerpolitik zu verbinden.

2. Risse in den Exportblock!

In der aktuellen Krisenkonstellation ist es für die Linke zentral, die Rolle des deutschen Export-Niedriglohnmodells anzugreifen. In den Mittelpunkt müssten die Profit- und Renditeinteressen der deutschen Industrie- und Finanzkonzerne, die wachsende Vermögenskonzentration in Deutschland und vor allem die Frage gerückt werden, wie diese durchgesetzt werden. Es geht darum, an den Widersprüchen und Kehrseiten des Modells „Exportweltmeister“ anzusetzen: Ausbau des Niedriglohnsektors, Prekarisierung und Armut, Kaputtsparen des Öffentlichen und Privatisierung. Um den „Exportblock“ aufzubrechen, braucht es ein breites gesellschaftliches Bündnis, das eine andere Entwicklungsrichtung vorschlägt.

Ein linker popularer Diskurs sollte so auch reale Krisenängste vor Überschuldung und einer drohenden Währungskrise aufgreifen und deutlich machen, dass durch die Austeritätspolitik die Lohnabhängigen und unteren Klassen für die Krisenkosten und die Gewinne der Banken zahlen. Und dass sich durch die drohende massive Verarmung in Europa und das Kaputtsparen der gesellschaftlichen Infrastruktur die Krise verschärft. Diese Kritik sollte in einem popularen Diskurs mit einem Kampf gegen die Entdemokratisierung, die sich in der autoritären Durchsetzung der Austeritätspolitiken zeigt, verbunden werden. Demokratieabbau, die Rolle der Bundesregierung, technokratische Herrschaft und das Erstarken des Rechtspopulismus in Europa müssen hier offensiv aufgegriffen werden. Demgegenüber sollten die radikale Umverteilung des Reichtums, die umfassende Demokratisierung gesellschaftlicher Prozesse und der massive Ausbau sozialer Infrastruktur gefordert und erkämpft werden.

3. Die 99% vs. 1% – Für einen verbindenden Diskurs und „echte Demokratie“ als Transformationsperpektive

Die Ansätze der Occupy-Bewegung in Deutschland haben innerhalb der Repräsentationskrise angesetzt und das widerstandslose Image der Krisenpolitiken angekratzt. Zum Teil greifen sie den in den USA entwickelten Slogan „we are the 99%“ auf. Offen bleibt jedoch, wer die 99% sind. Und hierzulande waren die Versuche, die soziale Frage umfassend ins Zentrum zu stellen, also Menschen mit unterschiedlichen Krisenerfahrungen anzusprechen und Bündnisse zu schließen, gering ausgeprägt. Offen blieb auch, wer das 1% eigentlich ist. Es handelt sich um eine fatale Verkürzung der Kapitalismuskritik, wenn die Krise auf gierige Banker reduziert wird. In Teilen der linken Diskussion wurde eingewandt, die herrschende Klasse umfasse (personell) mehr als 1% der Bevölkerung. Das ist ebenso richtig, wie politisch wenig weiterführend. Denn der Occupy-Slogan der 99 % vs. 1 % spitzt zwei zentrale Widersprüche des neoliberalen Finanzmarktkapitalismus diskursiv zu: die Vermögenskonzentration und damit verbundene Enteignung der 99 % sowie die jahrelange Aushöhlung der Demokratie durch die Eigentums-, Macht- und Vermögenskonzentration. Demokratie- und Klassenfrage werden verbunden. Eine „revolutionäre Realpolitik“ (Rosa Luxemburg) in der Krise sollte an solche Lernprozesse und veränderte (diskursive) Kräfteverhältnisse anknüpfen und die Kritik an der „Diktatur der Finanzmärkte“ und die Forderung nach „echter Demokratie“ aufgreifen. Dies erfordert, über eine Bankenkritik hinauszugehen, die nur andere Spielregeln fordert. Es ginge darum, die Kritik am Finanzmarktkapitalismus und seinen Akteuren zu konkretisieren, die Eigentümer und ihre Renditestrategien anzugreifen.

Wer „echte Demokratie“ will, muss mit der „debtocracy“, der Herrschaft der Gläubiger über Schulden, und dem Finanzmarktkapitalismus brechen. Ein linker popularer Diskurs sollte auf die Verbindung von Eigentums- und Demokratiefrage zielen. Staatsschulden sind letztendlich die Ansprüche der Gläubiger_innen auf zukünftigen gesellschaftlichen Reichtum. Wenn nicht weiterhin die Bevölkerungsmehrheit für die Profite der Banken und Kapitaleigner_innen zahlen soll, muss ein Kampf um die demokratische Vergesellschaftung der Investitionsfunktion, des Finanzsektors und der Schlüsselindustrien geführt werden.