Camille ist ein Kind aus der Gemeinschaft der Kompostisten, die sich im nahen 2025 in verschiedenen von Raubbau zerstörten und destabilisierten Ökosystemen ansiedeln, und mit den dort lebenden Tierarten in Symbiose treten.
So hat Camille drei Elternteile – zwei menschliche, und einen bedrohten Monarchfalter als tierischen Partner, dessen Gensequenzen per* eingebaut werden. Damit kann Camille etwa die zarten chemischen Signale im Wind wahrnehmen, die so wichtig für die erwachsenen Monarchen sind, um Blumen zu finden. Wenn die Monarchfalter im Winter nach Mexiko migrieren, zieht Camille mit, lernt von den dort ansässigen Zapatistas und Mazahua dekoloniale Strategien, entdeckt Geschichtenerzählung als mächtiges utopisches Mittel zum Trösten, Inspirieren, Erinnern, Warnen, Empathie-Nähren und Miteinander-Werden inmitten von Differenzen, Hoffnungen und Ängsten. Als die Falter in der 5. Camille-Generation aussterben, wird Camille zur Sprecher*in für die Toten – und widmet sich weiterhin der «vielschichtigen, neugierigen Praxis des Mit-Werden mit anderen» in einer beschädigten Welt.
Unsere heutige Zeit wird oft als «Anthropozän» beschrieben – ein geologisches Zeitalter, in dem der menschliche Einfluss auf die Erde das Schicksal vieler Lebewesen entscheidend mitgestaltet. Was wir heute tun, bestimmt unsere Umwelt und das Zusammenleben menschlicher und nichtmenschlicher Wesen – Tiere, Pflanzen und Maschinen – weit in die Zukunft. Diesem Begriff stellt Biologin und Philosophin Donna Haraway das Zeitalter des «Chthuluzän» gegenüber – ein von ihr erfundener Begriff, der eben nicht den Menschen ins Zentrum des Denkens und der Geschichte stellt, sondern das Leben anderer Arten und Kreaturen, seien es Oktopusse, Korallen oder Spinnen.
Wir sind dabei, den Planeten durch Raubbau, Überproduktion und Überbevölkerung nachhaltig zu zerstören. In dieser Situation sei weder Technikoptimismus noch zynische Endzeitstimmung die angemessene Haltung, meint Haraway – stattdessen müssten wir «unruhig bleiben» und heroisch-revolutionären, meist männlichen Visionen, konkrete, lokal anwendbare Antworten auf die troubles um uns herum entgegensetzen. Wir werden nicht als Individuen und auch nicht als isolierte Menschengemeinschaft überleben, sondern nur im «Mit-Werden» mit anderen Arten, in der Symbiose und im gemeinsamen Füreinander-Sorgen. «Make kin, not babies» («Macht euch verwandt, nicht Babys») ist daher der oft wiederholte Slogan ihrer ökologischen Ethik, die auch darauf abzielt, dass die bislang Verdrängten, etwa indigene Bevölkerungen oder aussterbende Tierarten, einen Teil der Erde zurückgewinnen. So werden in der von ihr ausgemalten Zukunft etwa Menschen wie Camille geboren, die bestimmte genetische Eigenschaften von gefährdeten Tierarten übernehmen, mit diesen eine Symbiose eingehen.
«Queere, und somit feministische Werte – sich nicht (nur) um das Individuum, die Familie oder die eigene Nachkommenschaft zu sorgen, sondern vielmehr um andere Spezies und Personen, zu welchen man keine unmittelbaren Beziehungen hat – sind vielleicht die effektivsten ökologischen Werte.»
Haraway ist nur eine der Stimmen, die mit ihrem SF – science fiction oder Spekulativem Feminismus – die Relevanz einer feministischen Perspektive auf ökologische Themen aufzeigt. Ähnlich schreibt Cornelia Sollfrank in ihrem Buch Die schönen Kriegerinnen. Technofeministische Praxis im 21. Jh.: «Queere (und somit feministische) Werte – sich nicht (nur) um das Individuum, die Familie oder die eigene Nachkommenschaft zu sorgen, sondern vielmehr um andere Spezies und Personen, zu welchen man keine unmittelbaren Beziehungen hat – sind vielleicht die effektivsten ökologischen Werte.»
Die «alte» ökofeministische Frage, wie Menschen mit Natur umgehen und wie sich andere Beziehungen zu nicht-menschlichen Lebewesen aufbauen lassen, ist im Angesicht des Klimawandels erneut zu einer zentralen Frage geworden. Doch wo Ökofeminismus auf eine «Rückkehr» zur Natur pochte, hat Techno- und Cyberfeminismus Technologie als Mittel ergriffen, um ungerechte Natur zu ändern. Cyborgwesen überschritten Geschlechter- und Artengrenzen, waren teils Maschine, teils Natur – entfremdet, fluid und lustvoll. Heute endlich können Techno- und Ökofeminismus zusammenkommen und damit auf die Lebendigkeit, Transformationskraft und Relationalität menschlicher und nicht-menschlicher Wesen setzen. Techno-ökofeministische Anliegen gehen über Gender-, Klassen- und Race-Themen hinaus und stellen unter anderem Ungleichheiten in Frage, die entlang artenspezifischer Grenzen entstehen.
Warum das ständige feministische Niederreißen von Kategorien und Diskriminierungsgrenzen, Schubladendenken und Machtkonstrukten so essentiell ist – und was dies mit Care zu tun hat – zeigt sich auch gut an feministischer Wissenschafts- und Technologiekritik.
In einem patriarchal-kapitalistischen System sind Technologie und Wissenschaft nicht nur Motor für zerstörerische Profit- und Wachstumsfantasien, sondern auch allzu oft Ausdruck der Unterwerfung und Kontrolle des «Anderen», seien es Frauen, Minderheiten oder Natur als Ganzes – weshalb feministisches Misstrauen berechtigt ist.
Doch spätestens seit Technofeminist*innen die naive, kurzsichtige und sexistische Unterscheidung zwischen böser, weil männlicher Technologie und guter Natur vom Tisch gefegt haben – und damit auch essentialistische Vorstellungen von Geschlecht – können wir Technologie als das begreifen, was es ist: ein Werkzeug, das zurückerobert und feministisch aufgeladen werden muss.
Konkret fordert eine feministische Wissenschaft die Demokratisierung von Wissen und eine öffentlich zugängliche Forschung, sowie eine kritische Auseinandersetzung mit Wertvorstellungen und angenommenem Wissen als zentralem Teil wissenschaftlicher Praxis. Feministische Forscher*innen erkennen, dass es keine objektive, wertneutrale Wissenschaft geben kann. Wissenschaftliche Normen und Werte werden als konstruiert anerkannt und somit ständig kritisch hinterfragt.
Um eine möglichst gerechte und demokratische Wissenschaft zu garantieren, setzen feministische Wissenschaftler*innen auf eine Vielfältigkeit der verwendeten Gedankenmodelle und Ansätze, auf Anerkennung der Komplexität und der Gegenseitigkeit sozialer Interaktionen, auf die Anwendbarkeit wissenschaftlicher Resultate für menschliche und nicht-menschliche Bedürfnisse, und auf Dezentralisierung von Macht und Wissen.
Das Wohl aller menschlichen und nicht-menschlichen Akteur*innen und der Abbau von Ungleichheiten sind dabei Ziel und Maßstab, Wissenschaft wird zur Care-Arbeit.
Vieles an Forschung und technologischer Entwicklung, das heute als Antwort auf den Klimawandel betrieben wird, ist von einem solchen Weltbild weit entfernt.
Invasiv-pauschale Geoengineering-Technologien unterstützen und reproduzieren traditionelle Machtstrukturen, indem sie den Druck von Regierungen und Unternehmen nehmen, sich von schädlichen Produktions- und Konsumweisen zu distanzieren.
Gender- und Race-Ungleichheiten sind in dem Feld auch stark ausgeprägt, und einige der größten Geoengineering-Befürworter*innen sind reformierte Klimawandel-Leugner*innen, die nun stillschweigend eingestehen, dass Klimawandel zu Veränderungen führt, während sie das bestehende wirtschaftlich-politische System weiter erhalten können.
Unhinterfragtes Profit- und Wachstumsdenken bleiben der Antriebsmotor, positive Auswirkungen auf die Umwelt allenfalls ein erfreulicher Nebeneffekt.
«Eine feministische Techno-Care oder Care-Wissenschaft fragt: What do we care for? Wer profitiert von bestimmten Technologien? How do we care? Helfen sie uns, aktiv in die von uns angestrebte Richtung einer gerechteren Welt für alle Lebewesen zu gehen?»
Eine feministische Techno-Care oder Care-Wissenschaft fragt hingegen: What do we care for? Wer profitiert von bestimmten Technologien? How do we care? Helfen sie uns, aktiv in die von uns angestrebte Richtung einer gerechteren Welt für alle Lebewesen zu gehen? Werden Ursachen oder Folgen behandelt? Sind die Erfolge kurz- oder langfristig? Werden bestehende Ungleichheiten reproduziert oder abgebaut? Who and what is left out?
Eine Trennung zwischen «traditioneller» Carearbeit und professionell-wissenschaftlicher Care fällt dabei genauso in sich zusammen, wie andere patriarchal-kapitalistische Machtkonstrukte. Dass das Private politisch ist, wussten Feminist*innen seit jeher – feministische Öko-Utopien befreien Care aus dem dunklen Schatten der Kernfamilie, des Weiblich-Privaten, hinter verschlossenen Türen Praktizierten, Unbezahlten und Ungewürdigten und machen es zum politischen Prinzip.
Gleichzeitig bleibt Care etwas zutieftst Persönliches: Wenn die Frage, um wen wir uns sorgen, wie, und um wen/was nicht, in unserem direkten Alltag fällt, mit Verwandten, Gefährt*innen, Freund*innen und Bekannten aller Arten, gibt es kaum pauschal-einfache Antworten von richtig oder falsch. Was bleibt, ist jedoch das feministische Verlangen, Care zuerst als soziale Aufgabe, dann als private anzusehen, losgelöst von Bluts- oder genetischen Banden.
In diesem Sinne ist auch Haraways Aufruf des «sich verwandt machens» zu lesen. Ihre Utopie sieht eine drastische Senkung der menschlichen Geburtenraten vor – keine*r wird die individuelle Freiheit genommen, Kinder zu gebären, doch Kinder werden statt in Kernfamillien gemeinsam in neuen, sozialeren Verwandtschaften und Banden großgezogen.
Ein Fokus auf erweiterte, queere und artübergreifende Familienbande statt eigenem genetischen Fortpflanzungsegoismus als Voraussetzung für nachhaltige Gemeinschaften ist (für westliche Feminist*innen?) spannend – vor allem da diese Perspektive in anderweitig ökologisch-marxistischen Debatten oft fehlt.
Wo Kinder zur Lebensbereicherung und Selbstverwirklichung in eine Gesellschaft geboren werden, ist schließlich die Frage allemal berechtigt, warum wir das Gleiche nicht unseren menschlichen und nicht-menschlichen Mitbewohner*innen gönnen und sie zum Mittelpunkt unserer Fürsorge werden lassen – zumal sie schon überall um uns herum und mit uns am leben und sterben sind.
Dass die Transformation von Individualismus und Kernfamilie hin zu artenüberschreitender Fürsorge und Verwandtschaft möglichst weit weg von gewaltsamer biopolitischer Geburtenkontrolle à la «1-Kind-Politik» stattfinden soll, steht für Haraway außer Frage – ihre Kompostisten-Gemeinschaften sind Zusammenschlüsse von Personen, die sich gemeinsam und freiwillig dafür entscheiden, einige wenige Menschenkinder in enger Verwandtschaft mit anderen Tierwesen aufwachsen zu lassen.
Ihrer ist ein Appell an die Ethik, zwar keine esoterische «We are all one»-Fantasie, aber ein Ausstrecken von Empathie- und Sinnesfühlern verortet in einer prekären, krisengeschüttelten Lokalität, das keine einfachen Lösungen verspricht.
Eine ähnliche Hoffnung nährt Anthropologin Anna Lowenhaupt Tsing in ihrem 2015 erschienenen Buch Der Pilz am Ende der Welt. Über das Leben in den Ruinen des Kapitalismus. Der Matsutake-Pilz ist einer der wertvollsten japanischen Speisepilze, der dank «netzwerkartiger Notgemeinschaften» mit verschiedenen anderen Pflanzen bevorzugt auf von der Industrialisierung verwüsteten Böden wächst. Ausgehend von der Feststellung, dass wir doch bereits in ökologischen Ruinen leben, wird der Pilz zum Beispiel für Resilienz und Wendigkeit in scheinbar ausweglosen Situationen.
Die Autorin plädiert dafür, dass am Leben bleiben – für alle Arten – lebbare Kollaborationen und Gemeinschaften bedeutet. Kollaboration bedeutet, mit Differenzen umzugehen, was zu Kontamination führt. Ohne Kontamination sterben wir alle. Prekäres Überleben bedeutet hier, die eigene Verletzlichkeit und Abhängigkeit von anderen anzuerkennen. «Prekarität» ist bei Lowenhaupt Tsing damit weniger eine Kategorie für das ökonomisch schwache Unternehmertum der Pilzsammelnden, sondern ein positives Eingestehen der eigenen Anfälligkeit und Eingebundenheit in Systeme. Zwar entdeckt und beschreibt die Autorin auch in den Gruppen prekärer Sammler*innen des Pilzes, der global vermarktet wird, Formen der lokalen Selbstorganisation und kapitalismusresistente Netzwerke, doch Anleitungen zum umfassenden Systemwandel sucht man hier vergeblich.
Aus feministischer Sicht ist das Aufgeben menschlicher Allmachtsfantasien zu befürworten – die Utopie eines revolutionären klaren Schnitts mit all dem, was Jahrhunderte an Patriarchat und Kapitalismus uns hinterlassen haben, ist gefährlich und naiv. Doch in der noch so bescheiden-liebevoll gemeinten Umarmung von Prekarität und Abhängigkeit von anderen Lebewesen und Kräften kann die Grenze hin zur politischen Apathie fließend sein.
Um einen posthumanen Relativismus à la «wir sind alle nur Anhäufung von Atomen» zu verhindern, bleiben zwei Dinge entscheidend: Care gekoppelt mit Verantwortung.
Ja, wir sind nicht die Herr*innen der Natur, wie es uns patriarchale Fortschrittsfantasien vorgegaukelt haben, aber gleichzeitig haben wir einerseits unser Ökosystem bereits radikal verändert und andererseits dank unserer Fähigkeit zur Vernunft und Empathie die moralische Verpflichtung, uns um andere zu sorgen. «Response-Ability» nennt dies Haraway, die Möglichkeit und gleichzeitig Verpflichtung, anderen zu antworten, Teil eines Netzwerkes zu sein.
«Care muss über meine liebsten Mitmenschen hinausgehen, über Gender-, Klasse- und Racegrenzen, über Länder- und Systemgrenzen, über Artengrenzen, über materiell-organische und ideologische Grenzen.»
Posthumanismus bedeutet dabei für mich, den Begriff des Anderen so weit wie möglich auszudehnen. Care muss über meine liebsten Mitmenschen hinausgehen, über Gender-, Klasse- und Racegrenzen, über Länder- und Systemgrenzen, über Artengrenzen, über materiell-organische und ideologische Grenzen. Wenn wir die Bedeutung von Entitäten wie Bäumen oder Wasserkörpern für Ökosysteme anerkennen, muss unsere Ethik sie mit einbeziehen. Und das nicht aus reinem Egoismus, da unser Überleben von ihnen abhängt, sondern aus der Verantwortung heraus, die unser Intellekt und Empathiefähigkeit mit sich bringen.
Feminismus bedeutet die moralische Verpflichtung, Diskriminierung aufgrund eines «Andersseins» in jedwelcher Form abzulehnen und zu verhindern, da jenes Othering stets die Basis ist, auf der Machtmissbrauch und Ausbeutung legitimiert und zementiert werden.
Gleichzeitig ist Feminismus eine konsequente, rigoros anwendbare wissenschaftliche, politische, private und soziale Praxis, die Ethik an erste Stelle setzt und gleichzeitig diese konstant analysiert und überprüft.
Wenn wir also als Feminist*innen konkret auf eine klimagerechte Zukunft zugehen wollen, heißt das für mich, Machtstrukturen jeglicher Art ständig anhand intersektional-feministischer Kriterien zu überprüfen, da nur diese auf lange Sicht das Überleben zahlreicher «Anderer›» garantieren können. Feminismus lehnt pauschale, totalitäre Lösungen ab und setzt auf Lokalität, Ko-Abhängigkeit, Zugänglichkeit, Vielfältigkeit.
Ob dazu ganz konkret eine erweiterte queere Familie und Verzicht auf biologischen Nachwuchs gehört, das Bemühen nach ständiger Selbstreflexion und Hinterfragung von eigenen und gesellschaftlichen Werten, das Nähren einer lokal verankerten Pflege- und Konfliktkultur, das aktive Gestalten einer feministischen Erziehung, Politik und Wissenschaft, muss jede*r nach den eigenen Möglichkeiten entscheiden.
Das Füreinander sorgen bleibt der empathische Kern, der materialistisch-marxistische Visionen einer besseren Gesellschaft mit Leben füllt und auf Dauer erst möglich macht.
Wir können und müssen unruhig bleiben – «staying with the trouble» als aktivistische Liebeserklärung.