Benjamin als Bindeglied – Biographische Verbindungen

In dieser Trias bildet Walter Benjamin das Scharnier zwischen Brecht und Bataille. Mit Brecht verband ihn seit 1929 ein enges Arbeitsverhältnis. Beide planten Anfang der 1930er Jahre ein gemeinsames Zeitungsprojekt mit dem Titel „Kritik und Krise“ und blieben auch in den folgenden Jahren in engem Kontakt. Für Hannah Arendt war das eine „einzigartige Freundschaft“, in der „der größte deutsche Dichter mit dem bedeutendsten Kritiker der Zeit zusammentraf.“ Für Benjamin selbst stellte „das Einverständnis mit Brecht eine der wichtigsten und bewährtesten Punkte seiner ganzen Position“ dar.

Zugleich war Benjamin im Pariser Exil eng mit Bataille verbunden, dem bedeutendsten Linksnietzscheaner, der mit seiner Theorie der „Heterologie“, der Überschreitung und Verausgabung einen nicht zu überschätzenden Einfluss auf Philosophen wie Foucault, Derrida und die Bewegung von 1968 hatte. Von 1937 bis 1939 ist Benjamin Mitglied des von Georges Bataille mitbegründeten Collège de Sociologie. Bataille rettete Benjamins Nach- lass, indem er ihn in der Pariser Nationalbibliothek versteckte. Was verband Benjamin mit den beiden, die dem ersten Augenschein nach so unterschiedlich waren?

Kampf gegen den Faschismus – die Volksfrontstrategie und deren Unzulänglichkeit

Hintergrund ihrer theoretischen und politischen Interventionen ist das Erstarken faschistischer Bewegungen in zahlreichen Ländern. Die schnelle Niederlage der deutschen Arbeiterbewegung hatte zu einer Neuorientierung der Politik der Kommunistischen Internati-onale geführt. Auch die Entwicklungen in Frankreichs Mitte der 1930er Jahre trugen zu dieser Neuorientierung bei. Die Frage lautete: Wie kann der Kampf gegen den Faschismus erfolgreich geführt werden?

Benjamin, Brecht und Bataille einte die Kritik am Antifaschismus der Arbeiterparteien, der ungeeignet sei, den Faschismus auf Augenhöhe zu bekämpfen. Die Volksfront blende die Frage aus, warum es den Faschisten in einer Reihe von Ländern so leicht gelang, die Linke niederzuwerfen und die Macht zu ergreifen. Wesentlicher Kritikpunkt war die Rückzugslinie der Volksfront auf die Werte des bürger- lichen Humanismus und die „Verteidigung des Geistes“. Solche Parolen kaschierten allein die eigene Ohnmacht und seien viel zu defensiv, um erfolgreich Widerstand leisten zu können.

Worum es ging, wurde in der Kontroverse deutlich, die Bert Brecht und Heinrich Mann auf dem „1. Schriftstellerkongress zur Verteidigung der Kultur“ im Juni 1935 ausfochten. Dabei vertrat Mann mit Unterstützung auch der kommunistisch orientierten SchriftstellerInnen die Position des bürgerlichen Humanismus: „Zu verteidigen haben wir eine ruhmreiche Vergangenheit und was sie uns vererbt hat. (…) Wir sind die Fortsetzer und Verteidiger einer großen Überlieferung.“ Brecht durchbrach diese Linie und ging auf den Zusammenhang von Faschismus und Kapitalismus ein: „Viele von uns Schriftstellern haben die Wurzel der Rohheit, die sie entsetzt, noch nicht entdeckt. Es besteht immerfort bei ihnen die Gefahr, dass sie die Grausamkeiten des Faschismus als unnötige Grausamkeiten betrachten. Sie halten an den Eigentumsverhältnissen fest, weil sie glauben, dass zu ihrer Verteidigung die Grausamkeiten des Faschismus nicht nötig sind.“ Damit machte er sich keine FreundInnen – auch nicht bei der KPF. Keine Zeitung im Frankreich der Volksfrontregierung unter Léon Blum ging auf seine Rede ein.

In seiner letzten Schrift vor seinem Selbstmord 1940, den „Thesen zum Begriff der Geschichte“, kam Benjamin zu einer ähnlichen Einschätzung wie Brecht: Die „Chance“ des Faschismus „besteht nicht zuletzt darin, dass die Gegner ihm im Namen des Fortschritts als einer historischen Norm begegnen. Das Staunen darüber, dass die Dinge, die wir erleben, im 20. Jahrhundert ‚noch’ möglich sind, ist kein philosophisches. Es steht nicht am Anfang einer Erkenntnis, es sei denn der, dass die Vorstellung von Geschichte, aus der es stammt, nicht zu halten ist“ (These VIII). Spätestens mit dem Ersten Weltkrieg ist die Welt des Bürgertums für Benjamin unwiederbringlich verloren, sind die Traditionen der Überlieferung ausgehöhlt und durch die neuen Techniken auseinandergesprengt. Eine Schwelle ist überschritten, ein Zurück unmöglich. Charakteristisch für die Zeit sei ihre „Erfahrungsarmut“: „Eine ganz neue Armseligkeit ist mit dieser ungeheuren Entfaltung der Technik über die Menschen gekommen.“

Am Anfang habe deshalb die Analyse des modernen Kapitalismus zu stehen. Statt der bürgerlichen Welt nachzutrauern, müsse man sich dieser Realität aussetzen und dabei auf eine Subjektivität bauen, die sich durch „gänzliche Illusionslosigkeit über das Zeit-alter“ und zugleich die Kraft eines „rück-haltlosen Bekenntnisses zu ihm“ auszeichne. Zur Bestimmung dieser Subjektivität spricht Benjamin in Anlehnung an Nietzsche von „neuen Barbaren“ und ihrem „destruktiven Charakter“. Dieser verabscheue die Erhabenheit und Bequemlichkeit des Bildungsbürger- tums, schaffe so Platz für das Neue und widerstehe gerade dadurch dem Faschismus. Dazu gehört für ihn, die emanzipatorischen Potenziale von Mythos, Mystik und Theolo-gie auszuloten und Nietzsches „Fröhliche Wissenschaft“ dem Faschismus streitig zu machen. Verkörpert sah Benjamin diesen positiven Barbaren vor allem durch Brecht, von dem er nach einem Gespräch 1938 notiert: „Während er so sprach, fühlte ich eine Gewalt auf mich wirken, die der des Faschismus gewachsen ist (...), die in nicht minder tiefen Schichten der Geschichte entspringt.“

Gewinne der Faschismus, so Benjamins Schluss, durch seine „Ästhetisierung der Politik“ Massenzustimmung, müsse die Linke mit einer „Politisierung der Kunst“ antworten. Die sah er bei Brecht – und bei den Surrealisten, die für ihn nicht bloß eine „literarische Bewegung“ bildeten, sondern „die scharfe Spitze eines Eisbergs, der unterm Meeresspiegel sein Massiv in die Breite streckt.“ Aufgabe der Kritik sei es, „zu erken-nen, an welche außerliterarischen Tenden-zen diese Schriften anschließen“, wenn sie versuchen, die „Kräfte des Rausches für die Revolution“ zu gewinnen. Im politischen Bündnis der ästhetischen Avantgarden mit den lumpenproletarischen Ausgeschlossenen der Arbeiterbewegung sah Benjamin die Chance, das Bündnis zwischen Arbeiterbewegung und Rationalismus aufzubrechen, dessen Fortschrittsglaube für den Konformis-mus der Sozialdemokratie und damit letzt- endlich für die Niederlage gegenüber dem Faschismus verantwortlich sei: „Es gibt nichts, was die deutsche Arbeiterschaft in dem Grade korrumpiert hat wie die Meinung, sie schwimme mit dem Strom.“ Weitere Bausteine waren für ihn die pro-testantische Werkmoral mit ihrem rigiden Arbeitsethos und ein Vulgärmarxismus, der nur „die Fortschritte der Naturbeherrschung, nicht die Rückschritte der Gesellschaft wahr haben“ wolle. Dagegen setzte er auf die „schwachen messianischen Kräfte“, die diese Entwicklung unterbrechen können. In der These XIII heißt es: „Die Vorstellung eines Fortschritts des Menschengeschlechts in der Geschichte ist von der Vorstellung ihres eine homogene und leere Zeit durchlaufenden Fortgangs nicht abzulösen. Die Kritik an der Vorstellung dieses Fortgangs muss die Grundlage der Kritik an der Vorstellung des Fortschritts überhaupt bilden.“ Benjamins Bilder dieser Unterbrechung sind vielfältig: Dialektik im Stillstand, Notbremse, profane Erleuchtung, Choc, Aufschub und Erinnern, der Augenblick des Erwachens, das Jetzt der Erkennbarkeit, das Ausgehen von den Ex-tremen, Konfrontation und Konstellation. Es sind Bilder, in denen er die für ihn maßgeblichen, wenn auch gegenläufigen Strömungen eines schwachen jüdischen Messianismus und des Marxismus in Stellung brachte.

Der niedere Materialismus bei Bataille Unübersehbar sind die Gemeinsamkeiten zwischen Brecht und Benjamins Kritik an SPD und KPD und Batailles Kritik an PCF und Volksfront. Für Bataille ist eine kommunis-tische Bewegung, in die mit der Volksfront das Schwenken der Trikolore und Absingen der Marseillaise Einzug hielt, „todkrank“. An-fang der 1930er Jahre schließt er sich deshalb dem Cercle communiste démocratique um Boris Souvarine an, nach dessen Auflösung gründet er die Gruppe Contre Attaque, mit deren Namen er sich auf die Exil-Wochenschrift „Der Gegenangriff“ von Münzenberg, Herzfelde und Kisch bezieht.

Batailles Denken basiert auf einem radikalen Bruch mit jeder Form dialektischen Versöhnungs- Denkens. Er war Theoretiker der „Heterologie“, der „Logik des Anderen“. Darunter fasste er Phänomene, die aus der Welt des Rationalen ausgeschieden, doch für eine linke Politik wiederzugewinnen waren. Dabei ging es ihm um die Wiedereinführung eines profanen Göttlichen und Sakralen, das nicht transzendente Ewigkeit, sondern immanente Endlichkeit sein sollte: Glutkern des Lebens. Sein Emanzipationsbegriff ist aufs Engste mit dem Begriff der subjektiven Souveränität verbunden. Im Gegensatz zu landläufigen Interpretationen bedeutet ihm Souveränität aber gerade nicht Herrschaft oder Macht, sondern im Gegenteil „niederen Materialismus“: die Unterwanderung von Macht, Revolte gegen das Gesetz. Souverän ist, wer nicht Mittel zum Zweck, also zur Nützlichkeit ist.

Weil sich der Kommunismus mit seiner Orientierung an Disziplin, Arbeit und Ordnung am Ausscheiden der subjektiven Souveränität beteiligt habe, wollte Bataille das Element der Souveränität wieder in den Kommunismus einschreiben: ein Schritt, den er ausdrücklich als „Wiedergutmachung an Nietzsche“ begriff. Nicht Nietzsche, sondern das Einheits-denken Hegels habe den Kommunismus dem Faschismus gegenüber wehrlos gemacht: Wo dem Heterogenen kein positiver Ausweg mehr gelassen wird, tendiert es dazu, sich auf unheilvolle, unkontrollierbare Weise zu manifestieren und sich mit regressiven sozialen Kräften zu verbinden, die totalitäre Lösungen propagieren.

Mit diesem Ansatz konnte Bataille eine nicht-ökonomistische Faschismusanalyse vorlegen, die Massenzustimmung zum Faschismus nicht mit hilflosen Begriffen wie Manipulation, sondern aus einem Affekt erklärte, der sich auch daraus ergab, dass die Linke das Feld der Affektivität dem Faschismus überlassen hatte. Mit der Übernahme bürgerlicher Moral- vorstellungen und der Abgrenzung vom Lumpen- proletariat habe sich die Arbeiterbewegung von ihren ursprünglichen Quellen entfernt. Batailles „niederer Materialismus“ begriff Affektivität demgegenüber nicht als irrational, sondern als unhintergehbare Weise menschlicher Existenz. Darin ähnelt er dem „Materia- lismus der Niederen“ bei Brecht, der die Orientierung der Kommunisten an bürgerlichen Werten ähnlich fatal fand („Das ewig Bürgerliche kotzt mich an“) und ihr wie Bataille den Gott Nietzsches, Dionysos, zum Schutzpatron empfahl:

Ich bin der Glücksgott, Sammelnd um mich Ketzer / Auf Glück bedacht in diesem Jam-mertal! / Ein Agitator, Schmutzaufwirbler, Hetzer (…) / Ich bin der Gott der Niedrigkeit / Der Gaumen und der Hoden / Denn das Glück liegt nun einmal, tut mich leid / Ziemlich niedrig am Boden.

Gescheiterte

Wenn Benjamin Kafka einen Gescheiterten nannte, gilt das auch für ihn selbst wie für Bataille und Brecht. Sie alle haben die Aus-grenzung der „Kräfte des Rausches“, der Leiblichkeit des ganzen Menschen mit all seinen Begierden aus der Arbeiterbewegung nicht umkehren können, nicht deren Orientierung am Ideal des Stehkragenproletariers, nicht ihre Unterwerfung unter den bürgerlichen Humanismus. Zugleich haben sie nicht ändern können, dass die ästhetischen Avant-garden den Sicherheitsbedürfnissen der ArbeiterInnen oft verständnislos gegenüberstanden.

Für heute heißt das, dass ihre Lektion noch zu lernen bleibt: an einer Konstellation zu arbeiten, bei der ein Zusammenprall solch heterogener Elemente möglich ist.