Der Herauslösungsprozeß aus den bisherigen Politikformen, der nach dieser Erkenntnis in der deutschen Linken ein gesetzt hat, ist jedoch erschreckend geschichts- und phantasielos. Nur selten findet ein bewußt erlebter, selbstkritischer Bruch und Aufbruch statt. Meistens beschränkt sich die Veränderung auf individuell unterschiedlich abrupt verlaufendes Abgrenzen vom bisher Vertretenen.

„Die „Aufbrüche zu neuen Ufern“ gleichen einem frustrierenden Kreuzen am Fluß, wo die Bewohnerinnen des Südufers ans Nordufer wechseln, während die Bewohnerinnen des Nordens in den Süden übersiedeln.“

Was jedoch noch viel schlimmer ist: Die Umbrüche folgen keinerlei kollektiver Diskussion. Sie sind individuell bestimmt und damit völlig widersprüchlich. Die „Aufbrüche zu neuen Ufern“ gleichen einem frustrierenden Kreuzen am Fluß, wo die Bewohnerinnen des Südufers ans Nordufer wechseln, während die Bewohnerinnen des Nordens in den Süden übersiedeln.

So sind ehemalige Linkssozialistinnen wie Konkret-Herausgeber Hermann Gremliza, die sich Ende der 70er Jahre als Gegner des bewaffneten Kampfs begriffen und reformgezielte Politik machten, zu Vertretern einer radikalen Strategie gegen die Restgesellschaft geworden. Sie, die lange in kommunistischen Gruppen, bei den Grünen und sogar in der SPD für eine mehrheitsfähige Linke gearbeitet haben, hängen inzwischen dem RAF-Konzept der zwangsläufig isolierten „radikalen und kompromißlosen Minderheit in den Metropolen“ an. Diejenigen, die 20 Jahre für solche Politik standen und dafür im Knast gelandet sind, versuchten – zumindest bis zum Bruch der Gefangenengruppe –, sich den sozialen Bewegungen anzunähern. Eine „Rückkehr in die Gesellschaft“ wurde seit dem letzten Hungerstreik 1989 von vielen RAF–Gefangenen (keineswegs nur von den Cellern) propagiert. Die in Lübeck inhaftierten Frauen propagierten beispielsweise, die Linke solle sich Basisinitiativen wie der Hamburger Bürgervereinigung für eine verkehrsberuhigte Stresemannstraße zuwenden, was draußen nur auf Kopfschütteln stieß. AntiimperialistInnen, die diese Wendung als reformistisch begriffen, kehrten sich den Autonomen und Häuserkämpfen zu, von denen sich andere gerade abwendeten. Oder aber sie machten gleich den Brückenschlag ins orthodox-kommunistische Lager und verbrüderten sich mit den DDR-Bonzen um Mielke und Honecker.

Autonome wollen sich auf einmal straffer organisieren, was ehemalige KB-Mitglieder inzwischen ablehnen, während erstere nicht verstehen können, warum sich ehemalige Kommunistinnen so hart von der PDS abgrenzen.

Die Sinnlosigkeit solcher intern beschränkter Kreuzbewegungen, die wie ein Zick-zack von einem Pol gängiger linker Politik zum anderen führen, ist erschlagend. Eine „Synthese auf höherer Ebene“, d.h. ein Ergebnis, das die bisher von der Linken gemachten unterschiedlichen Erfahrungen berücksichtigt, kommt nur selten zustande. Man tauscht das als unsinnig Erachtete dualistisch gegen das vermeintliche Gegenteil ein. Dialektik findet nicht statt.

Auch die neue DDR-Linke kann nicht von sich behaupten, sich bisher unter Berücksichtigung der Geschichte entwickelt zu haben. Auch wenn es inzwischen einigen Austausch mit Westlinken gibt, z.B in Form von Geschichtsveranstaltungen, beharren immer noch viel zu viele darauf, alle Erfahrungen selber machen zu müssen. Die traurigen Entwicklungen der ehemaligen DDR-Linksopposition zu Jugendsenatoren (der Berliner Thomas Krüger z.B. war früher ein Anarcho) oder 150%igen Autonomen sprechen für sich. Weder die Grenzen des Parlamentarismus noch die der Basisbewegung werden erkannt. Gelernt wird nicht. Man grenzt sich ab.

Drei Hauptströmungen

Wenn man einmal diejenigen, die tatsächlich zu Nation und „Zivilgesellschaft“ zurückgekehrt sind, außen vorläßt, greift die radikale Linke bei ihren Umbrüchen vor allem auf die Reproduktion von drei Mustern gängiger linker Politik zurück: auf eine Ideologie der radikalen Kritik, die damit kokettiert, die „Kraft der Negation“ zu sein, auf das autonome Bewegungskonzept und auf die marxistisch-leninistischen Proletariats- und Imperialismustheorien. Alle drei sind ganz erheblich verbraucht, vor allem jedoch ist ein gemeinsamer Grundzug unübersehbar: die Kommunikationsunfähigkeit.

  • Konstituierend für die autonome Politik war in den letzten Jahren die subkulturelle Selbstdefinierung. Nicht die politische Übereinstimmung mit anderen, sondern die Merkmale, die einer kulturellen Bewegung eigen sind, bestimmten vorrangig, was „Szene“ war: Kneipe, Kleidung, Sprachgebrauch, Wohnform. Umrissen wurde das Ganze als „Identität“. Zwangsläufig ergab sich daraus ein Abgrenzungscharakter der Bewegung gegenüber der Gesellschaft. Was als anders, „normal“, empfunden wurde, lehnte man ab. Gesellschaftliche Relevanz, also die Ausbreitung emanzipatorischer Ideen in der Gesellschaft war damit jedoch nur noch dann möglich, wenn die Subkultur von Außenstehenden als interessant betrachtet wurde und viele sich ihr anschlossen.

    Solch ein Modecharakter von Aufbruchsbewegungen ist politisch relativ beliebig (auch die Skins sind eine typische subkulturelle Aufbruchsbewegung) und zudem höchst vergänglich. Punk is zwar not dead, aber er ist uninteressant geworden.

    Die autonome Bewegung vertiefte damit aus eigenem Antrieb ihre Isolation. Man bildete sich ein, „radikal außerhalb der verhaßten Gesellschaft zu stehen“ und erklärte „den Rest“ zu feindlichem Terrain, gegenüber dem – wie es in Antiimp-Deutsch heißen würde – „ein klarer Trennungsstrich zu ziehen ist“. Annäherung fand man nur zu den kulturell scheinbar nahestehendsten Gruppen. Momentan ist es z.B. echt „trendy“, an die angeblich vorhandene „linke Kulturszene“ Anschluß zu finden, die Springerstiefel mit umgedrehten Baseball-Kappen zu kombinieren und Hiphop zu hören. Es ist zwar positiv, aus dem eigenen Kultursumpf Ausbruchsversuche zu starten, nur sollten diese nicht gleich in der nächsten Streichholzschachtel enden.

  • Die radikalkritische Position, wie sie meinungsmachende Teile der Linken z.B. in den Zeitschriften Konkret, Bahamas und 17°C vertreten, unterscheidet sich zumindest im Wunsch nach Abgrenzung nicht besonders von der beschriebenen autonomen Ideologie. Auf intellektuell ausgearbeitetem Niveau wird das radikale Herausfallen aus der Gesellschaft eingefordert. Konstituierend ist hier die Fähigkeit zum intellektuellen Diskurs und nicht so sehr subkulturelle Oberflächlichkeiten.

    Auch hier bleibt das Bemühen zwecklos. Der radikale Diskurs ist allzu häufig nur konsequenzloser Gestus. Damit ist nicht gemeint, daß Texte, Zeitschriften oder politisches Handeln ständig Lösungsmöglichkeiten aufzeigen müßten. Der Hamburger DJ und 17°C-Autor Günter Jacob stellte in der vorletzten Heaven sent, einer wenig bekannten Frankfurter Kulturzeitung, mit Recht fest, daß man von Texten nicht ständig „Politikfähigkeit“ erwarten dürfe. Wer immer Handlungsperspektiven und Lösungen sucht, ist bei Realo-Grünen am besten aufgehoben. In falschen Verhältnissen kann es nicht unbegrenzt „richtige“ Teillösungen geben.

    Die Sehnsucht nach „den positiven Vorschlägen“ führt letzten Endes auch zur Kulturpolitik der SED, die alles als „skeptizistisch“ denunzierte, was die offizielle Linie in Frage stellte.

    Radikale Gesellschaftskritik spielt eine unverzichtbare Rolle für eine relevante Linke. Kritisches Bewußtsein über Diskurse (institutionell verfestigter Sprachgebrauch) und gesellschaftliche Denkstrukturen zu entwickeln, ist nicht nur abgehobene Sesselfurzerei. Auch als Korrektiv für die Linke selbst (z.B in der Antisemitismus-Diskussion) sind die Radikalkritikerinnen bedeutend. So haben die Beiträge in konkret oder 17° auf jeden Fall Sensibilitäten geschärft.

    Unpolitisch wird diese Position jedoch, wo sie es sich in ihrem Gestus bequem macht. Nichts, aber auch wirklich gar nichts bewegt es, wenn die „Wohlfahrtsausschüsse“ – ein popkultureller, politischer Zusammenschluß im Umkreis unter anderem der 17°C – in Dresden mit Wandparolen dem „Bomber Harris“ huldigen. Der britische Luftwaffengeneral hatte im 2.Weltkrieg die sächsische Stadt in Schutt und Asche legen lassen. Die Botschaft der aus Westdeutschland angereisten Linksradikalen an den rassistischen Mob, daß alldiejenigen, die die in Deutschland lebende Bevölkerung angreifen, Freunde sein müssen, hat mit Widerstand gegen die Rechtsentwicklung nichts mehr zu tun. Im Gegenteil sie übernimmt die Funktion einer self-fulfilling prophecy, einer sich selbst bewahrheitenden Prophezeiung.

    Eine Linke, die sich verächtlich und undifferenziert über die Menschen im eigenen Land äußert, kann in den Augen der Bevölkerung keine gesellschaftliche Alternative darstellen, sie verstärkt mit ihrer Angebotslosigkeit den vorhandenen Rechtstrend und trägt damit dazu bei, daß sich die anfangs gemachte Analyse auch tatsächlich bestätigt.

    Hinter solchen Politikformen steckt ein elitäres Bewußtsein „revolutionärer Avantgarden“ gegenüber „zurückgebliebenen“ (bzw. deformierten oder rassistischen) Bevölkerungen, wie es in der Sowjetunion gerade kläglich gescheitert ist. Revolutionäre Prozesse sind demnach nur als Zwangsprojekte gegen die Bevölkerung möglich. Konkret-Gremliza hält mit dieser seiner Vorstellung ja auch nicht hinter dem Berg. Oft genug hat er, das enfant terrible des BRD-Journalismus, betont, daß die SED die bestmögliche Politik gemacht habe, denn Deutsche könne man vom Antifaschismus nicht überzeugen, sondern sie nur dazu zwingen.

    Dabei leugnen die Radikalkritikerinnen nicht einmal, daß auch die Bevölkerung hier ausgebeutet wird. Verschiedene Autorinnen in der konkret, als auch Günter Jacob in der 17°C haben ausführlich dargelegt, daß auch Metropolengesellschaften weiterhin Klassengesellschaften sind. Sie halten nur einfach die Distanz zum „Pöbel“ für geboten.1 Der abgrenzende Gestus erweist sich als identitätsstiftende Exklusivität.

  • Der Rückgriff auf marxistisch-leninistische Erklärungsmuster hat mit den Selbstisolationsstrategien autonomer und radikaler Linker in dieser Hinsicht wenig zu tun. Die Auftrennung in „die Gesellschaft und der Rest“ („für den Rest“ ist der Untertitel der 17°) weicht hier einem eher unreflektierten Verhältnis gegenüber den als „historischen Subjekten“ Auserkorenen. Diese – egal, ob sie nun klassisch als „Werktätige“/ Lohnabhängige oder antiimperialistisch als „weltweite Befreiungsbewegungen“ daherkommen – werden durch objektive Analyse zu handhabbaren Paketen geschnürt und dann wahlweise agitiert, geführt oder nur beobachtet.

    Gemein hat diese Position aber mit den beiden oben angeführten Beispielen, daß auch hier ein respektvoller Umgang mit den Menschen ausgeschlossen ist. Die Angesprochenen (z.B „die Arbeiter“, „die Ausgebeuteten im Trikont“…) werden als Objekte oder als Mythen abgehandelt. Ein offenes und deshalb kritisches Verhältnis gegenüber ihnen bleibt unmöglich. Die Gemeinsamkeit des Anliegens, die verbindende Sehnsucht nach Befreiung wird nicht wirklich entwickelt, Die Verbindung bleibt kommunikationslos, formal und deswegen ohne emanzipatorische Sprengkraft.2

Die tribalistische Linke

Es ist auch in der Linken ein längst anerkanntes Phänomen, daß die modernen Gesellschaften von einer Ausdifferenzierung der Lebenswelten, Individualisierung und „Tribalismus“3 geprägt sind. Nicht die Überwindung des Kapitalismus und das Verschwinden von Klassenverhältnissen ist für diese Entwicklung verantwortlich, wie uns Soziologen wie Ulrich Beck glaubhaft machen möchten, sondern dessen Entwicklung. Günter Jacob hat in seinem Text „Kapitalismus und Lebenswelt“4 beschrieben, wie der Markt, auf dem sich selbst die ausgebeuteten Lohnabhängigen als freie Subjekte gegenübertreten, eine entfremdete Individualität erzwingt, die sich vorrangig durch gegenseitige Konkurrenz auszeichnet.

Die Entwicklung der Individualität im Kapitalismus ist höchst widersprüchlich. Einerseits schuf der Fordismus5 das gesellschaftliche Massensubjekt: Die Serienfertigung in den Großfabriken entqualifizierte die Arbeiterinnen zu auswechselbaren FließbandbedienerInnen und normierte die Konsummodelle.6 Andererseits jedoch schuf der Kapitalismus mit der Transformation der engen feudalen/patriarchalen Abhängigkeitsverhältnisse und einer immer ausdifferenzierteren Arbeitsteilung erst die deutliche Tendenz zur Individualität. Durch die Freisetzung der Sklaven und Knechte zu „freien“ Lohnarbeiterinnen wurde die Suche nach einem „individuellen“ Weg jenseits von Großfamilien und Dorfstrukturen erst massenhaft denkbar. Diejenigen, die sich als selbständige Individuen auf dem Arbeitsmarkt feilboten, trugen somit sowohl die Merkmale des gesellschaftlichen Vermassungs-, als auch ihres Individualisierungsprozesses in sich.

Für das Individuum moderner kapitalistischer Gesellschaften ist diese Ambivalenz nach wie vor charakteristisch: Einerseits Massensubjekt, strebt der/die Einzelne immer nach konkurrenzartiger individueller Profilierung gegenüber der Gesellschaft, was sich unter anderem in der hektischen Suche nach Exklusivität, z.B. in Moden, niederschlägt.

Der „Tribalismus“, d.h. der Zerfall der Gesellschaft in „Mikro-Szenen“, ist die logische Konsequenz dieser Entwicklung. Über die Abgrenzung zum Rest versuchen sich kapitalistische Individuen unterschiedlichster Klassen und Schichten selbst zu definieren und finden sich dabei immer wieder mit anderen in kulturellen „Communities“ zusammen.

Die politische Kultur der Linken reproduziert dieses gesellschaftliche Schema. Mehr noch: Die Linke übernahm in dem forcierten, „postmodernen“ Individualisierungsprozeß7 seit Mitte der 60er Jahre vielfach sogar die Vorreiterrolle. Der Ausbruch der 68erInnen aus der miefigen Massenkultur der Adenauer-Ära, in der alles untersagt war, was gesellschaftlicher Norm widersprach, brachte den definitiven Durchbruch der „Beliebigkeit“. Neue kulturelle Phänomene wurden nicht mehr daran gemessen, ob sie emanzipatorische Werte in sich trugen, sondern daran, ob sie mit gängigen Vorstellungen, mit „Tabus“, brachen. Das ermöglichte „Identität“ über die Abgrenzung von der Masse und zumindest kurzfristig ein Gefühl der Veränderung.

Die Freiheiten für Lesben und Schwule, die jugendkulturellen Spielräume oder einfach die Toleranz gegenüber sogenannten „Minderheiten“ sind somit genauso Folgeerscheinung der 68er-Bewegung wie es die Zeitgeist-Magazine Wiener und Tempo sind. Von der Linken wäre deshalb eine differenziertere Haltung gegenüber den (sub-) kulturellen Entwicklungen zu erwarten.

Statt aus dieser Erkenntnis heraus den kulturellen Umbruch kritisch zu beeinflussen, machte es sich die Linke jedoch in der subkulturellen Nische bequem. Ganz Massensubjekt verschaffen auch wir Durchschnittslinke uns unsere individuelle „Identität“ über konkurrenzförmige Abgrenzung gegenüber der Gesellschaft. Die entstehende „politisch“ definierte Community gewährleistet mit ihren sicheren Außengrenzen (in mancher Hinsicht durchaus vergleichbar mit der Opel-Manta-Szene) Gemeinschaftlichkeit und individuelles Profil für die/den Einzelne/n. Das Feindverhältnis zum bürgerlichen Staat untermauert diese „Identität“ und gibt den einzelnen Teilnehmerinnen sogar noch das Gefühl besonderer Bedeutung.

Dieses Bemühen um individuelles Profil in einer genormten Massengesellschaft äußert sich darüber hinaus in der Distanzierung der Linken untereinander. Jede Kleinstgruppe muß, um den eigenen Existenzsinn sichtbar vor sich zu haben, die Differenz gegenüber anderen Kleinstgruppen herausarbeiten. Dort, wo dies inhaltlich nicht zu begründen ist, erfüllen „persönliche Differenzen“ die Aufgabe, identitätsstiftende Trennlinien vorzugeben. Das „Innen“- und „Außen“-Gefühl wird somit zum eigentlich verbindenden Charakteristikum der gesamten Linken, angefangen von kommunistischen Splitterparteien über die Antiimps bis hin zu den RadikalkritikerInnen und der autonomen Szene.

Günter Jacob vertrat auf seiner Veranstaltung im Februar in Berlin die These, die Marginalität der radikalen Linken könne durch theoretische Arbeit und bessere Fundierung ihrer Positionen aufgehoben werden. Ich glaube dagegen, daß die Theoriemodelle, die aus der marxistischen und feministischen Denktradition herkommen, nach wie vor die größte Erklärungsfähigkeit für die gesellschaftliche Wirklichkeit besitzen. Die Tatsache, daß sie dennoch in der Öffentlichkeit nur marginal beachtet werden, liegt (neben dem offensichtlichen Sieg kapitalistischer Konkurrenz- und Marktideologie) vor allem darin begründet, daß solche Positionen mit der Bevölkerungsmehrheit fast nicht in Berührung geraten, weil sich die (nach wie vor existente!) radikale Linke in die Isolation zurückgezogen hat. Das wiederum hat nur noch beschränkt mit der überdurchschnittlich starken reaktionären und faschistoiden Prägung der Gesellschaft, hingegen sehr viel mit der Kommunikationsunfähigkeit der Linken (bzw. mit der allgemein gesellschaftlich durchgesetzten Kommunikationslosigkeit) zu tun.

Die Borniertheit und Arroganz gegenüber „dem Rest“ bringt es an den Tag. Es existiert praktisch kein Interesse an Auseinandersetzung. Die Berührung mit kulturell anders sozialisierten Subjekten wird regelrecht vermieden, um in einem Anpassungsprozeß nicht an eigenem Profil zu verlieren. Solange diese Verhaltensstruktur nicht aufgebrochen wird, bleibt auch jede theoretische Arbeit oder bessere Organisierung linksradikaler Politik zwecklos. Zuallererst gilt es, die vorgegebene gesellschaftliche Tendenz zur identitätsstiftenden „Individualisierung“ und Tribalisierung durchbrechen. Erst dann kann eine für jedes revolutionäre Projekt unverzichtbare Kultur der Solidarität wieder Fuß fassen.

Substantiell hierfür ist das Verständnis, daß ein revolutionäres Projekt niemals einfach historisch vorgegebenes, überzustülpendes Muster sein kann. Eine Befreiung, bei und in der Menschen nicht selber zu Akteurinnen werden, muß sich so entwickeln wie die russische Revolution: ein gigantisches Entwicklungsprojekt im „Namen der Menschlichkeit“ mit herrschender Klasse und sozialen Komponenten. Wenn es eine Lehre aus dem Realsozialismus gibt, dann die, daß ein revolutionärer Prozeß immer notwendig ein gemeinsames und in weiten Teilen offenes Projekt von handelnden, sich entwickelnden und entdeckenden Subjekten darstellen muß.

Dies stellt hohe Anforderungen an neue, linke Politik- und Kulturformen. Es bedeutet nämlich nicht weniger, als daß in den Prozeß Erfahrungen von verschiedensten Seiten eingebracht werden müssen, daß also der pauschal als „spießig“ oder „kaputt“ abqualifizierte Lebensalltag anderer Menschen bereichernde Elemente in sich tragen kann. Nach wie vor gilt z.B die WG und die „freie, nicht-bürgerliche“ Beziehung als Maßstab linksradikaler „Identität“ – zumindest verbal. Der Ausbruch aus der Kleinfamilie wird als Akt der Befreiung gewertet. Auch wenn natürlich richtig ist, daß Kleinfamilienstrukturen patriarchalisch und in vielen Fällen offen gewalttätig sind, bewegt sich eine solche „Messung“ von Befreiung völlig auf der Oberfläche. Das Aufbrechen sexistischer Arbeitsteilungen, hierarchischer Verhältnisse oder konkurrenzbedingter Entsolidarisierung kann – je nach Rahmenbedingungen – in den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Bereichen vorangehen. Emanzipation ist Prozeß, niemals Zustand oder ein zu erreichendes Niveau. Von daher kann es ebenso eine gewisse Befreiung gegen die bürgerlich-patriarchalische Familie, wie in ihr geben.

Dieser Einwand ist deswegen so wichtig, weil ein revolutionärer Prozeß von den vorgefundenen Verhältnissen auszugehen hat. Einer Immigrantenfamilie mit engen familiären Bindungen oder einem durch Sozialisierung stark von Eifersucht geprägten Menschen kann man nicht ständig stereotyp mit dem Argument begegnen, daß Familien hierarchisch sind und Eifersucht dem besitzorientierten Denken entspringt. Wenn der Prozeß der Befreiung das eigentlich Zentrale revolutionärer Politik ist, dann heißt das auch, daß immer wieder Formen, die man vom analytischen Standpunkt aus richtig als herrschaftssichernde erkennt (die Familie, die Schule, die Gewerkschaft…) als Terrain der Umwälzung akzeptiert werden müssen. Parallel sind auch jene Formen, die gängiger Weise als emanzipatorische Errungenschaften gelten (der Kinderladen, die WG, der Kollektivbetrieb) nicht mehr als ein Terrain, das es durch Bewegung zu nutzen gilt.

Assimilationsfähigkeit

Die Forderung nach einer Ausweitung revolutionärer Politik auf die Gesellschaft (die die bisherigen Arranca-Nummem durchzieht) läuft also darauf hinaus, sich auf andere soziale Situationen einzulassen. Gemeinsamer Prozeß mit anderen Menschen ist nicht denkbar ohne eine prinzipielle Offenheit, ohne eine gewisse Assimilationsbereitschaft8. Genau daran jedoch ist die BRD-Linke regelmäßig gescheitert.

Einerseits kann kein gemeinsamer Prozeß zustande kommen, wenn man nicht bereit ist, auch von der anderen Seite Verhaltens- und Kulturformen anzunehmen. Andererseits droht diese Annäherung natürlich ständig, eigene wichtige Standpunkte zu vernichten. Die aus dem Aufbruch der 67/68er Bewegung kommenden K-Gruppen beispielsweise verloren durch ihren Proletkult und ihre Anpassungsbereitschaft (Kader, die in die Fabrik gingen, schnitten ihre Haare kurz) das revolutionärste und ausstrahlendste, was die Bewegung zu bieten hatte: die Rebellion gegen den Adenauer-Mief. Aber auch an aktuelleren Beispielen wird dies klar: die Berliner Immigrantinnen-Selbstorganisierung Antifasist Genclik, die als einer der ganz wenigen konsequenten Ansätze relevante Politik außerhalb von Subkulturszenen machte, begann bei ihrer Annäherung an die Jugendbanden sich diesen in mancher Hinsicht stärker anzugleichen, als dies umgekehrt der Fall war. Einzelne von Genclik übernahmen Verhaltensstrukturen von den Bandenjugendlichen, die mit dem eigentlichen Anliegen der Selbstorganisierung relativ wenig zu tun hatten. Oder um ein drittes Beispiel zu nennen: Bei einem Streitgespräch über Chiapas mit Soziologinnen wurde mir vor kurzer Zeit an meinem eigenen Verhalten klar, wie schnell man sich bei der Bereitschaft, sich auf andere Argumentmuster einzulassen, selbst in diesen Mustern wiederfindet. Es erfordert eine gewaltige Kraftanstrengung, den „Wissenschafts“-Standpunkt über die Subjekte hinweg nicht selber einzunehmen.

Trotz dieser Gefahren bleibt richtig, daß es keine Ausweitung des revolutionären Prozesses ohne den permanten Dialog und d.h. ohne eine gewisse Assimilationsbereitschaft gibt. Das große Kunststück beispielsweise in der Arbeit mit proletarischen Jugendlichen besteht darin, diese eigene Assimilation kritisch (und d.h. mit anderen zusammen) zu beobachten. Es muß beispielsweise gelingen, der offenen Homophobie, die z.B. unter türkischen Jugendlichen (aber nicht nur dort) der Normalfall ist, widersprechen zu können, ohne den Jugendlichen prinzipielle Ablehnung entgegenschlagen zu lassen.

Sinnvoll ist es in diesem Zusammenhang, sich die in den 60ern und 70ern geführte Diskussion um die „Assimilierung von Intellektuellen“ kritisch wiederanzueignen. Amilcar Cabral, Führer der Befreiungsbewegung in Guinea-Bissäo/Westafrika, schuf damals das schöne Wort vom „Klassenselbstmord der kleinbürgerlichen Intellektuellen“. Und in der lateinamerikanischen Befreiungspädagogik sprach Freire (tief beeinflußt von christlicher Ethik) vorn „Ostern der Revolutionäre“, die „sterben, um wiedergeboren zu werden“, also ihre bisherige Individualität im kollektiven Prozeß „aufheben“ (ganz im Hegelschen Sinne dreifach gemeint von „bewahren“, „auf ein höheres Niveau bringen“ und „vernichten“). Die Anregungen aus der Diskussion gilt es mit Vorsicht zu genießen:

  1. liegt der These des Klassenselbstmordes eine eindeutige Klassentheorie zugrunde, auf die wir nicht zurückgreifen können; es ist völlig eindeutig, daß die „Arbeiterklasse“ im traditionellen Sinne nicht das soziale Subjekt ist, das die Emanzipation der Menschheit verwirklichen wird. Die obengenannten Erfahrungen mit dem Proletkult der K-Gruppen sind ebenfalls ein Beispiel dafür, daß solche traditionelle Assimilation vor allem in den Metropolen nicht funktioniert. Die rassistischen, wohlstandschauvinistischen Kulturformen sind in den objektiv ausgebeuteten Klassen so groß wie in den ausbeutenden. Es gibt also kein einfaches „Hinüberwechseln“ ins richtige Lager.
  2. sind die Reste der radikalen Linken mit dem Begriff „Intellektuelle“ sicherlich nicht zu fassen. Sie zeichnen sich ja nicht durch ihre Tätigkeiten innerhalb der Gesellschaft, sondern vor allen durch bestimmte Kulturformen und einen vagen politische Konsens aus.
  3. beinhaltet der christlich inspirierte Schritt des „sich-der-Gemeinschaft-zurVerfügung-Stellens“ eine asketische Selbstverleugnung. Die eigenen Bedürfnisse werden verdrängt. Selbstdisziplinierung im Namen eines höheren Ziels ist aber auch immer tragendes Element der Herrschaftssicherung gewesen.

Unter diesen Vorbehalten ist die Auseinandersetzung um eine kulturelle Assimiliation in der politischen Arbeit sinnvoll. Es kann keinen gemeinsamen Prozeß geben, in dem nicht beide Seiten bereit sind, voneinander zu lernen, eigene Vorstellungen und Verhaltensformen aufzugeben und sich einander anzupassen.

Eine Gesellschaft ohne soziales Subjekt

Die Frage, warum solch ein offensives Heraustreten aus dem eigenen kulturellen Rahmen notwendig ist (man könnte ja auch vertreten, die unterschiedlichen sozialen Gruppen kommen von selbst in Kämpfen zueinander), ergibt sich aus der Betrachtung der gesellschaftlichen Realität.

Der kapitalistische Entwicklungsprozeß hat nämlich zumindest in den Metropolen zum Verlust „natürlicher“ sozialer Subjekte geführt. Keine gesellschaftliche Gruppe wird heute durch äußere Bedingungen zum solidarischen Kampfsubjekt zusammengeschweißt, wie es z.B bei der Fabrikarbeiterschaft oder den Bewohnerinnen der proletarischen Viertel früher der Fall war. Selbst soziale Bewegungen für sog. „Minderheitenrechte“ konstituieren sich nicht mehr selbsttätig. Die soziale Situation von Schwulen beispielsweise ist derart ausdifferenziert, daß gemeinsames Handeln immer weniger vorstellbar scheint. Hinzu kommt der oben beschriebene gesellschaftliche Profilierungsdruck, der dazu führt, daß sich „Identität“ vor allem in Abgrenzung zu den eigentlich nächsten, anderen, herausbildet.

Wenn man davon ausgeht, wie es Thompson in „The making of the working dass“ beschrieben hat, daß soziale Subjekte nie ausschließlich von den Verhältnissen gemacht werden, sondern sich auch durch Theorie- und Kulturbildung selber konstituieren9, dann wird offensichtlich, daß die herausragende Aufgabe der Linken heute nicht die Suche nach dem revolutionären Subjekt, sondern dessen Herausbildung ist. Erst durch das bewußte Handeln, gleichsam wie sozialer Klebstoff durch Kommunikation die Vermittlung von eigenen und anderen Subjektivitäten voranzutreiben, kann sich wieder ein soziales Subjekt („ein Club der Verdrängten“, wie es die Antirassistische Initiative-Berlin genannt hat) herausbilden, das in der Lage wäre, die gesellschaftlichen Machtverhältnisse zu verschieben.

Die zentrale Aufgabe revolutionärer Politik besteht also darin, den Dialog zwischen den unterschiedlichen unterdrückten Gruppen, Sektoren und Klassen zu forcieren. Dies geschieht nicht unter Aufgabe der eigenen Subjektivität (als eine Selbstaufgabe im Dienst der Menschheit), sondern aus dem eigenen Interesse: Unser Leben wird solange nicht befreit sein, solange andere unterdrückt werden, solange die gesellschaftlichen Verhältnisse nicht gesprengt sind. Die Solidarität mit anderen und das Interesse am Entstehen eines gemeinsamen Projektes, in dem sich die jeweils eigene Subjektivität verändert und sogar auflöst, folgt also einer egoistischen Motivation.

Zwar gibt es hierzu immer alternative Optionen eigenmotivierten Verhaltens, aber unsere Aufgabe ist es, die gesellschaftlich-solidarische Option wieder vorstellbar zu machen. Es muß mit der politischen Arbeit offensichtlich werden, daß es für den individuellen Vorteil von Nutzen ist, wenn das Kollektiv profitiert. Im Kern zeigt sich das beim Entstehen jeder politischen oder sozialen Gruppe: Zwar beinhaltet größere Verbindlichkeit zunächst den Verlust individueller Freiheit und lustbestimmter Entscheidungsmöglichkeit, aber bereits mittelfristig ermöglicht diese Verbindlichkeit dem Kollektiv gegenüber größere Entfaltungsmöglichkeiten und soziale Absicherung. Diese Erfahrung muß als solidarische Kultur wieder spürbar werden, ansonsten wird jede politische Neuorientierung scheitern müssen.

Materielle Analyse

Ohne handfeste materielle Ausbeutungsanalyse muß eine solche Betonung der politischen Kommunikation letztendlich jedoch in dem christlichen Diskurs der gegenseitigen Hilfsbereitschaft münden. Schließlich ist auch der gescheiterte Kandidat für den Volksgemeinschaftsvorsitz Bruder Johannes für den sozialen Dialog zwischen den unterschiedlichen Gruppen, und nichts repräsentiert den sozialen Klebstoff stärker als seine „Volkspartei“, die SPD.

Dabei ist es nicht ganz einfach, eine materialistische Fundierung zu finden. Es ist schließlich das große Dilemma der Neuen Linken nach 68 gewesen, daß ihr mit dem Entfremdungsbegriff – wonach in den Metropolen nicht vorrangig die materielle Ausbeutung, sondern das psycho-soziale Elend der von Manipulation, Fabrikisierung des Alltags und zwischenmenschlicher Kälte beherrschten Subjekte das Unterdrückungsverhältnis ausdrücke – die Grenzen verschwammen10. In diesem Sinne waren alle, vom Kapitalisten bis zur Sozialhilfeempfängerin „entfremdet“, also irgendwie unterdrückt.

Ein soziales Subjekt für eine revolutionäre Veränderung kann sich aber nicht vom Unternehmer bis hin zur Arbeitslosen konstituieren. Ein solches Bündnis könnte bestenfalls Für eine vage „menschliche Erneuerung der Gesellschaft“ eintreten. Ein radikaler Bruch mit kapitalistischer Realität ist hiervon niemals zu erwarten.

Eine handfeste Analyse der Unterdrückungsverhältnisse ist also unabdingbar, wobei zwei Entwicklungen dies einfacher erscheinen lassen als vor zwei Jahrzehnten:

  • Seit der Krise des keynesianistischen Sozialpaktmodells Mitte der 70er Jahre kehrt überall in den kapitalistischen Staaten mit unterschiedlicher Geschwindigkeit das eindeutig antagonistische „Wolfsgesetz“ zurück. Der stärkste soll sich durchsetzen. Dieses Prinzip wird – wenn überhaupt – nur partiell durchbrochen: Die schlanke Produktion aus Japan gewährt einem Anteil von 15% Stammarbeiterinnen soziale Absicherung, der Rest muß sich weitgehend „entgarantiert“ behaupten.
    (Auch das Konzept der nach innen solidarischen „Volksgemeinschaft“ baut auf dem Prinzip der bedingungslosen Konkurrenz auf. Zwar wird nach innen dem „lebenswerten und deutschen“ Teil der Bevölkerung Sozialpartnerschaft angeboten, aber nach außen wird aggressive Ausgrenzung bis hin zur Vernichtung gepredigt.)
  • Die ausführliche Debatte um Unterdrückungsverhältnisse jenseits des Kapital-Arbeit-Widerspruchs, sprich feministische und antirassistische Theorien, haben gezeigt, daß materielle Analysen sich nicht auf das Lohnverhältnis beschränken dürfen. Zwar gibt es bis heute keinen befriedigenden Ansatz, in dem die facettenreichen Unterdrückungsformen schlüssig zusammengefaßt wären (so erscheint z.B der Ansatz im Stil des Drei zu Eins-Papiers von Klaus Viehmann patriarchale, rassistische und kapitalistische Unterdrückungsformen zu einem Netz zu verknüpfen, zumindest in seiner Rezeption als vereinfacht), aber die Richtung ist vorgegeben.

Durch die beiden genannten Faktoren ist das Subjekt revolutionärer Veränderung einigermaßen klar umrissen: Alle diejenigen, denen das wachsende materielle und psychische Leid, das ihnen in den verschiedenen Unterdrückungsverhältnissen angetan wird, nicht durch große materielle Vorteile oder durch gesellschaftliche Machtpositionen aufgewogen wird, stehen potentiell antagonistisch zur herrschenden Gesellschaftsstruktur. Die bestehenden Formen der Unterdrückung sind dabei nicht hierarchisch zu werten. Es gibt kein Hauptsubjekt. Allerdings ist davon auszugehen, daß Widerstand eher von den Rändern, den sogenannten Marginalisierten, als von der „Mitte“ ausgehen wird11. Nicht der vom Sozialabbau betroffene und gewerkschaftlich organisierte Busfahrer wird als erster vehement widersprechen (selbst wenn die sozialen Widersprüche zunehmen und der Pakt zwischen Unternehmen und Belegschaften längst aufgekündigt ist, ist die Kultur des deutschen Malochers noch auf lange Sicht sozialpartnerschaftlich geprägt). Wie in Paris werden es die wortwörtlich herausgedrängten Jugendlichen der banlieues, oft Immigrantinnen, oder andere Randgruppen sein.

Theoretische Arbeit und Organisation

Nur unter diesen Voraussetzungen machen Überlegungen über politische Strategien und Strukturen Sinn. Der auf dem konkret-Kongreß präsentierte Vorschlag Karl-Heinz Roths, „proletarische Zirkel“ zu bilden (eine sicherlich nicht gerade geglückte Formulierung), würde zu geschichtlichen Wiederholungen führen müssen, wenn die Kommunikationsunfähigkeit der Linken nicht aufgehoben wird. Ein Annäherungsversuch an das „Proletariat“, bei dem das Selbstverständnis vorherrscht, selber bereits über alle notwendigen Kenntnisse zu verfügen, muß genauso scheitern wie die klassisch-autonome Verhaltensform des Laissez-Faire und der subkulturellen Arroganz. Respekt und gegenseitiges Vertrauen lassen sich nur über freundschaftliche Offenheit und gegenseitige Assimilationsleistungen herstellen.

Ähnliches gilt auch für die von der Antifa M und FelS 1991 entfachte Organisationsdiskussion. Das Entstehen eines identitätsspendenden Parteibewußtseins, bei dem klare Grenzen aufzeigen, wer drinnen und wer draußen ist, wäre eine Katastrophe. Das Ersetzen der Subkultur durch die Organisation macht die Linke nicht handlungsfähiger und relevanter.

Auf dieser Grundlage ergeben sich dann allerdings doch einige weitere Elemente einer politischen Strategie:

  1. Die allmähliche Rückkehr des Wolfsgesetzes macht es unbedingt notwendig, daß sich die Linke der sozialen Frage in ihrer Ganzheit zuwendet. Sie darf sich dabei nicht auf klassische Themen wie Arbeitslosigkeit und Lohngerechtigkeit beschränken, denn das soziale Umbauprojekt erfaßt alle Unterdrückungsverhältnisse. Die Verschärfung des faschistischen Terrors, die Zurückdrängung von Frauen in den Haushalt, die Reorganisierung von proletarischen Vierteln (die Stadtplanung erfaßt erst jetzt die ehemalige DDR), die Entgarantisierung und eine Brutalisierung der Konkurrenzlogik gehören zu dieser Entwicklung genauso wie die staatliche, rassistische Ausgrenzung von Immigrantinnen zu Illegalen. Genau diese Komplexität macht es jedoch so schwer vorstellbar, wo sinnvoll angesetzt werden kann. Es gibt zwar noch einige übrig gebliebene Basisinitiativen sowie fortschrittliche Sektoren in den Gewerkschaften, die sich dem sozialen Umbauprojekt entgegenstellen möchten, aber die letzten, eigentlich extrem wichtigen Tarifkonflikte haben auch gezeigt, wie wenig Ansprechpartnerinnen es für radikal-oppositionelle Politik gibt. Ausgehen muß die Verankerung linker Politik in der sozialen Wirklichkeit, also von eigener Stärke und vorhandener politischer Praxis. Bei dem Schielen auf irgendwelche vielleicht entstehenden proletarischen Grüppchen und Bewegungen ist meist der Wunsch Mutter/Vater des Gedankens, eine Strategie läßt sich darauf nicht aufbauen. Nichts spricht jedoch dagegen, daß sich z.B Antifa-Gruppen bei Fortführung ihres politischen Arbeitsschwerpunkts auf soziale Fragen beziehen, sich dabei inhaltlich „ausweiten“ und dabei das kapitalistische Umbauprojekt zum Thema machen. Genausowenig spricht dagegen, sich als Gruppe nicht nur politisch mit Demonstrationen auf der Straße zu Wort zu melden, sondern auch sozial präsent zu sein, z.B. in Form eines nicht-szeneorientierten Treffpunkts.

    Ein wesentliches Ziel der Arbeit im sozialen Bereich muß dabei sein, konkrete Lösungen anzustreben. Der Revolutionsdiskurs prallt auch an den diskriminiertesten Immigrantenjugendlichen weitgehend ab. Das Interesse – gerade in härter werdenden Zeiten – ist es, durchzukommen. Das Streben nach der Sicherheit von einem Schul-, Ausbildungs oder Arbeitsplatz bzw. einer individuellen Sozialhilfeabsicherung ist dabei absolut legitim und politisch. Es kann keine revolutionäre Politik geben, die sich mit diesen konkreten Problemen nicht auseinandersetzt.
  2. Damit lauert auf die Linke die reformistische Gefahr. Wer es sich in der Arbeit mit Antifa-Jugendlichen oder im Stadtteil auch zum Thema macht, Arbeitslosen bei der Job- oder Schulsuche zu helfen, begibt sich auf das glatte Parkett der Sozialarbeit. Dabei stimmt natürlich, daß durch lösungsorientierte Ansätze der vom Kapitalismus geschaffene Müll beseitigt wird. Trotzdem ist die Verachtung radikaler Linker eigentlich nur ideologisch begründet. Die Praxis zeigt nämlich, daß ein revolutionärer Prozeß ohne solche Arbeit nicht vorstellbar ist:

    Erstens wird ein revolutionärer Standpunkt nur dann ernst genommen, wenn zu merken ist, daß dahinter auch ehrliche Solidarität steckt. Wer sich für die konkrete Angst der Leute nicht interessiert, hat ihnen in einem längeren Prozeß von Befreiung schon gar nichts zu sagen. Eine echte Verankerung revolutionärer sozialistischer Politik ist überhaupt nur möglich, wenn solches konkretes Engagement vorhanden ist.

    Zweitens schaffen häufig nur konkrete Verbesserungen die Grundlage für Kämpfe; der Widerstand von Asylbewerberinnen gegen das neue Versorgungsgesetz war nur dort möglich, wo es in den Heimen einigermaßen gewachsene soziale Strukturen gab. Bei der Politik der Innenministerien, die Bewerberinnen häufig zu verlegen, gab es diese Strukturen vor allem dort, wo sich Bewerberinnen und SozialarbeiterInnen gegen Verlegungen wehren konnten.

    Was abgelehnt werden muß, ist nicht das Prinzip, lösungsorientiert in soziale Konflikte einzugreifen, sondern die Methodologie herrschender, institutionalisierter Sozialarbeit. Ihr geht es um Beschwichtigung, um Verhinderung von Konflikten und um soziale Kontrolle. Demgegenüber müßte die radikale Linke ein Konzept revolutionärer Arbeit in und an der Gesellschaft entwickeln, in dem konkrete Lösungen nicht alternativ zu gesellschaftlichen Veränderungen und Kämpfen stehen, sondern als Vorstufen hierzu begriffen werden.

    Solche Arbeit ist im Rahmen von Jobs wie von selbstbestimmten Projekten möglich. Beides hat enge Grenzen: Wer auf einer bezahlten Stelle Systemopposition betreibt, riskiert permanent die Entlassung. Bei unabhängigen, nicht fremdfinanzierten Projekten hingegen behindert die Geldknappheit häufig die Arbeit. Beides führt zur Aufweichung von Standpunkten, bei beidem ist ein hoher Anpassungsdruck vorhanden. Wie schon gesagt, mahnt der „Marsch durch die Institutionen“, der viele 68erInnen selber zu Teilen des Machtapparates machte, sich auf dem glatten Parkett selbstkritisch und vor allem „sozial kontrolliert“, d.h. organisiert, zu bewegen.
  3. Wer sich in Gegenden begibt, wo der Reformismus lauert, muß wissen, was sie/er will, welche Gefahren sie/ihn erwarten und wie sie/er ihnen begegnet. Ohne Theoretische Arbeit ist dabei nichts zu holen. Die von radikalen Linken betriebene Abgrenzung von der Gesellschaft hat häufig ja vor allem mit der Unsicherheit zu tun, sich nicht behaupten zu können. In diesem Sinne hätte G. Jacob unbedingt Recht: Statt so viel über ihre Identität zu reden, muß die revolutionäre Linke Klarheit über ihr Projekt besitzen. Dabei ist theoretische Arbeit auf keinen Fall nur Vorarbeit für Praxis. Theoretische Arbeit kann nicht danach beurteilt werden, ob sie konkrete praktische Antworten liefert. Viel eher geht es bei Theorie um die Schulung eines differenzierten, weitsichtigen Blicks, der einer/m hilft, Situationen zu begreifen. Was jedoch von jeder/m Linken zu erwarten wäre, ist, daß sie/er außer der theoretischen Arbeit auch praktische leistet. Ansonsten entfernt sich das Denken fast unweigerlich in immer höheren Abstraktionspirouetten aus der erlebten Welt der Mehrheit.
  4. Bedarf der Weg in die „reformismusumlauerten Regionen“, wie schon angedeutet, des sozialen Korrektivs: Das brasilianische PT-Mitglied Paulo Freire hat einmal treffend festgestellt, daß niemand emanzipatorisch wirken oder Bildungsarbeit betreiben kann, der nicht auch gleichzeitig in eine Bewegung oder Organisation eingebunden ist. Individuell kann niemand längerfristig unter „normalen gesellschaftlichen Bedingungen“ politisch arbeiten, ohne von der integrativen Kraft des Systems aufgesaugt zu werden. Die Szene oder das Reproduktionsumfeld sind aus den oben genannten Gründen keine ausreichende Grundlage für offene, revolutionäre Politik.

    Das ist das Hauptargument für politische Organisationen, die perspektivisch der Zusammenschluß von möglichst vielen Akteurinnen der Veränderung sein müssen. Nur über solche verbindlichen Organisationsformen wird der Austausch über gesellschaftliche Praxis, die Verbindung unterschiedlicher sozialer Subjekte und die Weiterentwicklung von theoretischen Grundlagen möglich sein. Zudem sind Organisationen substantiell für das Entwickeln solidarischer Kulturformen.

    Allein um bestehende Politikformen effizienter zu machen sind Organisationen keine echte Bereicherung. Das Alte würde nur neu verpackt und stringenter gemacht, z.T. mit katastrophalen Folgen. Nichts ist penetranter, als wenn sich Innen-/Außen-Mentalitäten sektiererisch an der Organisations- oder Gruppenzugehörigkeit festmachen.

    Für offene, wirklich innerhalb der Gesellschaft intervenierende revolutionäre Politik sind Organisationen und darin festorganisierte Gruppen vor Ort jedoch unverzichtbar. Was im gesellschaftlichen Alltag wirklich bedrohlich lauert, ist Beliebigkeit, Bequemlichkeit und der Frieden mit den Verhältnissen. Allein machen sie uns ein. Handlungsfähige Gruppen mit eigenem politischen Profil, d.h. einer wahrnehmbaren Praxis, sind Voraussetzung für jede Arbeit. Ansonsten bleibt jede Einmischung planlose Handwerkelei am Bestehenden.