Welche Rolle können wir als linksradikale Gruppe in dieser aufkeimenden Bewegung spielen? Wo können und wollen wir uns nützlich machen? Diese Fragen haben uns stets begleitet. Anfangs waren sie eng verbunden mit dem Vorwurf anderer uns gegenüber, nur Kampagnen-Hopping zu betreiben. Es ginge uns nicht um das Thema, sondern um eine Instrumentalisierung für unsere Zwecke. Die Erfahrung der gemeinsamen Arbeit, viele (Streit-) Gespräche und die schlichte Tatsache, dass wir immer noch dabei sind, haben diesen Vorwurf weitge- hend ausgeräumt. Die oben aufgeworfenen Fragen aber bleiben. Wir sind der Meinung, dass unsere Arbeit als Gruppe und die Arbeit Einzelner von uns in Basis­ initiativen keinen Gegensatz bilden dürfen. Wo wir Teil von Basisinitiativen sind, Teil der organi- sierten Mieter_innenschaft, sind wir dies nicht als IL-Delegierte. Diese Praxis ist aber auch kein Privatvergnügen, sondern Teil der stadtpolitischen Arbeit der IL Berlin insgesamt. Das Verhältnis dieser „Basisarbeit“1 zu der sonstigen Arbeit un- serer IL-AG und der Gesamt-IL ist aber bisher nicht konzeptualisiert – weder von uns, noch von anderen Gruppen in der IL. Höchste Zeit mit der Diskussion zu beginnen. 

Basisarbeit wird gemacht ...

Teile unserer Stadt-AG haben in den vergangenen Jahren erste Erfahrungen in Kämpfen mit von Verdrängung bedrohten Mieter_innen sammeln können. Es sind Kämpfe mit (anderen) Betroffenen, die sich selbst teilweise ausdrücklich als „unpolitisch“ oder als „nicht links“ verstehen, teilweise noch nie aktiv an politischen Auseinandersetzungen teilgenommen haben/teilnehmen konnten und die sich auf die Lösung der konkreten Probleme konzentrieren. Diese Kämpfe sind trotzdem (oder deshalb?) Momente, in denen das Bild einer anderen Stadt aufscheint. Gerade in der Erkämpfung von Sichtbarkeit durch Subalterne, die nicht nur ihre Rechte einfordern, sondern mit ihrer Erzählung und in ihrer Praxis eine andere Perspektive auf die Stadt eröffnen, wird der utopische Überschuss deutlich. Es geht nicht (nur) um eine Unterversorgung und materiellen Mangel. Es geht um einen anderen Blick auf das Zusammenleben in der Stadt. Die überlagernden Netzwerke, kollektiviertes Wissen und Erfahrungen zu verknüpfen, ist einer der interessantesten Aspekte der interventionistischen Basisarbeit. Das Klima allseitiger produktiver Ver- unsicherung, das in gegenseitigen Respekt und Interesse aufgelöst wird, machen diese Kämpfe aus. Altkluge Verweise auf „den Kapitalismus“ sind hier ebenso wenig gefragt wie Ausschlussklauseln und Vorverurteilungen der Beteiligten.

Für uns bedeutet das zum Beispiel, als (dort wohnende) Einzelpersonen, die Nachbar_innen von Kotti & Co in ihrem Kampf gegen unbezahlbare Mieten im Sozialen Wohnungsbau zu unterstützen, gemeinsam Erfahrungen zu sammeln und sich Wissen über die Zusammenhänge dieses bauwirtschaftlichen Subventionsmodells anzueignen. Nicht wegen linker Besserwisserei, sondern aus der inneren Logik der Auseinandersetzung kämpft Kotti & Co in­ zwischen für die Vergesellschaftung ihrer Häuser (Rekommunalisierung in Mieterselbstverwaltung, finanziert ohne Banken). Dass die Gruppe nach wie vor keine rote Fahne auf ihrer Dauerprotest-Hütte (Gecekondu) gehisst hat, sondern im Gegenteil „nur“ dem Inhalt nach links ist, verstehen wir als Stärke. Es beweist uns, dass sich hier nicht die Linksradikalen des Kiezes zur Nachbar- schaftsinitiative erklären, sondern Betroffene mit unterschiedlichen Erfahrungen, Biographien und Analysen zusammenkommen.

In solchen Auseinandersetzungen haben wir uns als Einzelpersonen und eher intuitiv als strategisch vorbesprochen bewegt. Als Avanti konnten wir uns dabei ein Stück weit auf unser Grundsatzpapier stützen. Dort heißt es: „[Für die gesellschaftliche Verankerung] ist unsere aktive Mitarbeit in verschiedenen sozialen Bewegungen, in Initiativen und Bündnissen unverzichtbar. Denn Ver- ankerung entsteht zuallererst in der praktischen Zusammenarbeit, durch gemeinsame Erfahrungen in politischen Kampagnen und Kämpfen. Wichtig für den Erfolg ist hierbei, dass unsere Mitarbeit und unsere Vorschläge geeignet sind, das gemeinsame Ziel der jeweiligen Bewegung voranzubringen und nicht etwa unser kurzfristiger Eigennutz im Vordergrund steht.“

Das Avanti-Grundsatzpapier ist mittlerweile Geschichte. Doch auch die IL muss sich die Frage ihrer gesellschaftlichen Verankerung stellen.

... aber wie?

Die IL tritt eindrucksvoll in bundesweiten und transnationalen Kampagnen wie Dresden nazifrei, Castor schottern oder Blockupy auf. Hier zeigt sich unsere Stärke in der strategischen Bündnisorientie- rung und die Fähigkeit, weit über den Tellerrand linksradikaler Szene hinaus sicht- und hörbar zu werden. Diese Kampagnenarbeit ist aber nur ein Teil der politischen Praxis der IL-Gruppen. Ob See Red in Düsseldorf, IL Hamburg und Frankfurt oder FelS (Für eine linke Strömung) in Berlin, ob Proteste von Flüchtlingen gegen ihre Zwangsräumung oder rassistische Polizeikontrollen, Proteste von Erwerbslosen gegen Jobcenter-Stress oder Proteste gegen Uni-Politik: Die lokalen Praxen sind vielfältig. Konzeptionell geht es jedoch in der linksradikalen Gruppe selten über den Allgemeinplatz hinaus, sich in „alltägliche Kämpfe“ begeben zu wollen. „Kämpfe zu unseren machen“ (gleichzeitig avantgardistisch wie naiv), sie auf ein „emanzipatorisches Moment“ zuspitzen, natürlich immer gegen die „bürgerliche Macht“. Das ist für uns kein Konzept interventionistischer Praxis in „Alltagskämpfen“ – die außerdem so alltäglich nicht sind. Sie sind mühsam und sehr zeitaufwendig herzustellen; teilweise unter höherem Aufwand, jedenfalls mit größerer persönlicher Verbindlichkeit als die strategische Bündnisarbeit mit organisierten Strukturen. Die Kämpfe sind so wenig „alltäglich“ wie die Bedingungen ihrer Entstehung; der Mut, die Initiative und die offenen Ohren hierfür begegnen uns nicht jeden Tag – insbesondere wenn radikale Linke mitmischen. Die von uns oft bemühten Allgemeinplätze beantworten weder, warum wir neben der Arbeit in Basisinitiativen noch eine IL brauchen, noch verraten sie uns andersherum, was die IL-Mitgliedschaft einiger ihrer Mitstreiter_innen einer Initiative nützen soll. Sie sagen nichts dazu, wie diejenigen, die den Spagat zwischen „Basisarbeit“ und IL konkret machen, daraus Stärke und nicht nur die Erschöpfung der Doppelbelas­tung ziehen können.

... und warum?

Zur Diskussion dieser Fragen lohnt sich der Blick über den Tellerrand des deutschsprachigen Raums. Es lohnt sich der Blick nach Nordafrika und den Nahen Osten, nach Spanien und Griechenland und nach Lateinamerika. Hier haben große Mobilisierungen die politischen Kräfteverhältnisse maßgeblich verändert. Teils ist der Ausgang nach wie vor unklar, teils haben aber auch reaktionäre Bewegungen die Chance genutzt. Bei aller Unterschiedlichkeit der einzelnen Beispiele führen uns diese Auseinandersetzungen vor Augen: Erfolg und Misserfolg einer radikalen Linken in diesen Situationen des kaum vor- hersehbaren und spontanen Aufstands hängen maßgeblich von ihrer Verankerung in den Klassen und sozialen Gruppen ab, die maßgebliche Träger_innen dieser Kämpfe sind. Dabei geht es nicht um sozialpädagogisch getarnte linke Drücker­kolonnen. Es geht um einen Lackmustest unserer steilen These, dass unsere Politik im Sinne derjenigen sei, deren Ausbeutung und Unterdrückung die Grundlage des Systems ist. Auch wenn die soziale Revolution in Deutschland auf sich warten lässt: Die Mobilisierungen gegen Atomstrom, gegen Niedriglöhne oder neoliberale Stadtpolitik haben konkrete Ergebnisse gehabt (teilweise bundesweit, teilweise auf Länderebene), die für einzelne Kapitalfraktionen durchaus schmerzhaft sind. In Spanien oder Griechenland sind wir bereit, solche Erfolge anzuerkennen – in Deutschland neigt die linksradikale Perspektive dahin, hier nur ein befriedetes Hinterland zu erkennen und die stattfindenden Auseinandersetzungen nicht zur Kenntnis zu nehmen – vielleicht, weil wir noch zu selten Teil dieser Kämpfe sind? Sicherlich ist der Austeritätsdiskurs oft erdrückend und die Kämpfe vereinzelt. Aber versteckt sich nicht genau hier eine Antwort auf die Frage, welchen Mehrwert wir in die Basiskämpfe bringen können?

Wie intervenieren?

Für die IL heißt „Intervention“ traditionell vor allem das Engagement in bestehenden politischen Auseinandersetzungen, meist auf Bündnisebene. Der Begriff ist verknüpft mit der Frage, wie sich bestimmte gesellschaftliche Diskurse von links zuspitzen lassen, wie die (radikale) Linke darin eine hör- und sichtbare Rolle spielen kann. Die politische Praxis mit und an der „Basis“ ist jedoch meistens sehr viel weniger und heterogener organisiert. Hier steht oft genug „Aufbauarbeit“, Mobi­lisierung, Aktivierung und Unterstützung der Be- troffenen im Vordergrund. Diese Basisarbeit inter­ veniert nicht in „bestehende Kämpfe“, sondern in bestehende soziale Konflikte, deren politische Dimension noch verborgen ist. Ob sich diese Konflikte in Protest, Wider­stand und (Selbst-)Organisierung ausdrücken, hängt auch von uns ab. Dies ist ein breiterer Begriff von Intervention als ihn die IL bisher diskutiert. In der Praxis ergeben sich hieraus weniger Deli-Treffen, sondern ein ziemlich entgrenzter Alltags-Aktivismus: vom Straßen- und Nachbarschaftsfest über gemeinsame (Familien-) Feiern und Infostände bis zur Hausversammlung und Kiezdemo. Ein organischer Teil solcher „Basis- arbeit“ zu werden, ist eine Herausforderung für uns als Organisation und für die involvierten Genoss_ innen. Die Diskussion um „Polit- vs. Sozialarbeit“ ist Ausdruck dieser Schwierigkeiten. Hier kommt unter anderem die eingangs angesprochene Konstruktion von „uns“ und „der Basis“ zum Tragen.

Mit welchem Recht?

Im Gegensatz zu vorherigen Generationen linker Organisierungen, die sich auf den Weg in die „Problemviertel“ und an die Fließbänder machten, brauchen wir heute nicht mehr überrascht sein, wenn unsere Welterklärungen auf wenig Interesse stoßen, wenn sie nicht an die Problemlagen der Betroffenen anknüpfen und zu ihrer Bewältigung beitragen. Linke, sich häufig aus ähnlichen Milieus rekrutierende Aktivist_innen, sind nicht die Ein- zigen, die eine Analyse der sie umgebenden Welt haben, die Handlungslogiken entwickeln, Erfahrungen sammeln, biografische Entwicklungen durchmachen und Strukturen der Aushandlung und Entscheidungsfindung erproben. Wenn Einzelpersonen oder Gruppen den Austausch mit von Zwangsräumung, Verdrängung oder Jobcenter-Stress Bedrohten suchen, treffen sie auf eine komplizierte Gemengelage, die sich nicht aus der theoretischen Analyse ableiten lässt. Auf die berechtigte Frage: „Was wollt ihr eigentlich hier und was habt ihr anzubieten?“ brauchen wir eine Antwort. Denn wir als Organisation, nicht die Betroffenen, sind in der Bringschuld.

In welchen Strukturen?

Die IL ist nicht in der Lage, die Partizipation von Betroffenen, sich aber bislang als „unpolitisch“ verstehenden Aktiven in ihrer Struktur zu gewährleisten. Ob das überhaupt ihr Anspruch ist oder sein sollte, lassen wir an dieser Stelle offen. Die Diskussion darüber hat gerade erst begonnen. Für den Moment aber bleibt festzuhalten: Die IL im engeren Sinne ist faktisch eine „Kader“-Organisation und wird dies auf absehbare Zeit auch bleiben. Wir sollten dennoch darüber nachden- ken, wie „ausgefranste Enden“ unserer Struktur aussehen könnten, die in der Lage wären, eine Verbindung herzustellen zwischen (konjunkturellen) Bewegungsstrukturen und kontinuierlicher Politarbeit, ohne dabei die Eingliederung und Entleerung in die eine oder andere Richtung zu betreiben. Und darüber, mit welchem Selbstver- ständnis wir uns in die Widersprüche der Alltags- erfahrung begeben.

Mit wie viel Pluralismus?

Wenn wir in der IL darüber streiten, in welchen Punkten Einigkeit bestehen muss und in welchen nicht, ist das eine andere Diskussion als in der Basisarbeit. Dort geht es um das Austragen politischer Konflikte, für die es gute und schlechte Argumente gibt, die aber vor einem relativ ähnlichen Hintergrund ausgetauscht werden. Hier geht es dagegen oft um die Vermittlung und Reflexion unterschiedlicher Klassen- und anderer Standpunkte. Das erfordert sowohl Mut als auch Zurückhaltung. Mut, weil sich Diskussionen ergeben, deren Matrix nicht die allgemeine Weltanschauung und Begrifflichkeiten der Linken sind und in denen die eigenen Argumente ihre Vermittelbarkeit und Richtigkeit erweisen müssen. Zurückhaltung, weil sich gerade in diesen Diskussionen zeigt, dass eine viel zu oft unreflektierte Selbstverständlichkeit der eigenen Perspektive nicht weniger klassenspezifisch ist, als diejenige der Diskussionspartner_innen. Als „linksradikale Tarnkappenbomber“ kommt man in dieser Form politischer Praxis, in der Authentizität eine große Rolle spielt – zum Glück – nicht weit. Die Situationen der konstruktiven Verunsicherung herzustellen, ist für alle Beteiligten ein Gewinn. Für uns erweist sich hier die Analyse des strukturellen Zusammenhangs der jeweiligen sozialen Kon- flikte mit den grundsätzlichen Kategorien dieser Gesellschaft als richtig oder falsch. Anders aus- gedrückt: Wenn wir unsere Sache gut machen und der Konflikt tatsächlich auf Größeres verweist, müssten diese Kategorien im Verlauf der Kämpfe aus ihrer inneren Logik dem Inhalt nach aufgerufen werden.

Wie weiter?

Die Frage nach interventionistischer Basisarbeit ist wichtig für die IL. Angetreten, um die Beschränkungen linksradikaler Selbst-Isolierung zu überwinden, ist die gesellschaftliche Verankerung einer unserer blinden Flecken. Eine Erweiterung der Vorstellung, was Intervention bedeutet und in welcher politischen Praxis sie sich umsetzt, ist nötig. Das schließt auch eine Debatte über unsere politischen Strukturen ein. Zur einen Seite: Wie können wir Genoss_innen, die sich in einen entgrenzten Alltagsaktivismus hinein begeben, der interventionistische Basisarbeit bedeutet, in unseren AGs und Ortsgruppen verankern? Zur anderen Seite: Wie können wir unsere organisatorischen Strukturen so öffnen, dass über diese einzelnen Genoss_innen hinaus Austausch und Lernen mit sich aktivierenden Betroffenen ermöglicht wird? Kurzum: Wem nützt bundesweite linksradikale Organisierung jenseits spektakulärer Kampagnenarbeit?