Kurze Geschichte der südkoreanischen linken Bewegung

Nach der Zeit der studentisch geprägten Massenmobilisierungen in den 1980er und 1990er Jahren gelang die Gründung einer parlamentarischen Linkspartei, die Democratic Labor Party · 민주노동당. Die Anführer der studentischen Bewegung wurden zu „progressiven“ Politikern. Bei den Wahlen zwischen 2002 und 2004 schien die Democratic Labor Party mit 10 bis 12 Prozent der Stimmen die politische Landschaft Südkoreas, in der bisher nur Konservative und Liberale eine Rolle spielten, zu verändern. Aber die Experimente der Partei gingen sehr schnell und heftig schief; nicht durch Druck von außen, sondern durch innerparteiliche Konflikte. Bereits Ende der 1980er und Anfang der 1990er Jahre entstanden zwei prominente und konkurrierende Strömungen in der Studierendenbewegung. Zum einen die Linksnationalisten, welche von der nordkoreanischen Regierung abhängig und stark vom nordkoreanischen Hardcore- Stalinismus (Jucheismus) beeinflusst waren. Zum anderen die Sozialist*innen, welche sowohl der südkoreanischen Regierung als auch dem nordkoreanischen Diktator ablehnend gegenüberstanden und von verschiedenen linken Ideologien des Marxismus-Leninismus über den Reformsozialismus bis zum Ökologismus geprägt waren. Im Laufe der Entwicklung der Democratic Labor Party führten die Linksnationalisten in beinahe allen Verbänden heftige Machtkämpfe und übernahmen schließlich alle wichtigen Posten in der Partei. Sie betrieben anschließend ihre nordkoreaabhängige Politik, die Umfragewerte der Partei fielen rasant. 2007 spaltete sich die Democratic Labor Party und es entstanden neue linke Parteien – die sozialdemokratisch-linksliberale Justice Party, die linksnationalistisch-jucheistische Unified Progressive Party und die demokratisch-sozialistische Labor Party – sowie eine grüne Partei. Inzwischen waren die linken Parteien, in denen die älteren autoritären Kadergruppen alle Macht in ihren Händen haben, kein Bezugspunkt für die Jüngeren mehr, die unter dem über zehn Jahre andauernden neoliberalen Wirtschaftswandel litten. Wie die Bezeichnung von „Generazione 1000 euro“ in Europa bespricht man auch in Südkorea seit Ende der 2000er Jahre von der 880 000-Won-Generation (ca. 600 Euro). Sie sind größtenteils arbeitslos oder arbeiten prekär. Die Möglichkeit, dass die jüngere Generation ein besseres Leben als das ihrer Eltern genießen könnte, scheint beinahe verloren zu sein.

Trotzdem ist seit einigen Jahren in und um die Hauptstadt Seoul eine Konjunktur jüngerer und unabhängiger linker Bewegungen zu beobachten. Ihre Akteure sind weniger theorie- oder ideologieorientiert und organisieren sich meist autonom. Ein Entstehungsmoment dieser Bewegungen war die Massendemonstration 2008 gegen das Freihandelsabkommen FTA KOR-US. Damals haben die bislang von keiner Partei organisierten, relativ jungen Empörten, wenn man sie so nennen kann, monatelang auf der Straße demonstriert. Das kann man als eine Vorgeschichte der Indignados-Bewegung in Spanien oder Gezipark-Demonstration in der Türkei lesen. Obwohl es ihnen schlussendlich nicht gelang, eine so starke politische Macht aufzubauen und das Freihandelsabkommen zu untergraben, tauchen sie inzwischen bei verschiedenen politischen Konflikten auf und beginnen sich zu organisieren.

Kimyong Kim: ¿Warum habt ihr YLeft gegründet?

Sung-il Kim: Um das Jahr 2012 herum war die linke Bewegung sehr geschwächt. Die linken Parteien hatten aus verschiedenen Gründen versagt. Sowohl bei den Wahlen als auch innerhalb der sozialen Bewegungen hatten die alten Linken an Kraft und Einfluss verloren. Sie hatten vor allem ein Nachwuchsproblem und konnten Jüngere nicht dazu mobilisieren, sich innerhalb der Parteistrukturen zu engagieren. Gleichzeitig ist Ende der 2000er Jahre im Kontext der Proteste gegen das Freihandelsabkommen spontan eine neue Generation koreanischer Linker entstanden, die eine andere Sprache sprachen, sich kulturell von den alten Linken unterschieden und eine andere Ästhetik mitbrachten. Dazu zähle ich mich auch. Wie die jüngsten Massenproteste in mehreren Ländern war diese Bewegung eher unideologisch und parteifern organisiert. Die meisten Demonstrant*innen sind durch diese monatelangen Demonstrationen überhaupt erst politisiert worden. Danach gab es einige Anknüpfungspunkte für die Proteste, zum Beispiel Hausbesetzungen und der daran anschließende Kampf gegen die Räumungen oder unsere eigene Mayday-Demo, die eine Alternative zur traditionellen Mai-Demo darstellte, sich vor allem an jüngere prekäre Arbeiter*innen wandte und ein Existenzgeld forderte. Dadurch hat die junge Generation eine eigene politische Identität gebildet, künstlerisch, über Social Media organisiert, radikal, prekär … Irgendwann haben wir erkannt, dass wir unsere eigene politische Organisation gründen mussten. Das war Ende 2012, das Jahr der Präsidentschaftswahl, bei der die alten Linken ein vernichtendes Ergebnis erhalten hatten. Innerhalb von zwei Monaten ist es uns gelungen, hunderte Mitglieder zu organisieren.

¿Welche Aktionen macht ihr?

Im ersten Jahr befanden wir uns in einem Lernprozess. Wir haben Kampagnen gegen Militarismus, Repression und Atomenergie gemacht. Wir haben Soli-Veranstaltungen für Personen, die den Kriegsdienst verweigert haben, organisiert und gegen den Bau der Hochspannungsmasten in Milyang (südöstliche Region) ein Protestcamp. Anlässlich des Camps haben wir uns damit beschäftigt, warum im öffentlichen Diskurs Profite gegen Menschenrechte ausgespielt werden. Denn viele haben den protestierenden Anwohner*innen und Unterstützer*innen vorgeworfen, dass sie dem Wohlergehen des Landes schaden würden, indem sie die Stromversorgung für die Hauptstadt Seoul und Umgebung zu stören versuchten. Dabei ging es real nur um die Profite der Investor*innen! Nach der ungeheuerlichen Fährkatastrophe im April 2014, die fast 300 Menschen das Leben kostete, haben wir sofort begriffen, dass dieses Regime des Profits das Fährschiff versenkt hat. In den folgenden Monaten haben wir alle Kräfte auf den Massenprotest gegen die Regierung konzentriert. Von Mai bis Juni wurden 160 Aktivist*innen von uns bei den Demonstrationen wegen zivilem Ungehorsam festgenommen. „Menschen vor Profite“ war in diesem Kampf unser Slogan und dieser Schlachtruf wurde zu unserer Kernideologie. Sie ist nicht aus einer Theorie sondern aus unserer Praxis hervorgegangen.

¿Seid ihr eine autonome Aktivist*innengruppe? Oder wollt ihr eine neue Partei gründen?

Na ja, wir vereinen die beiden unterschiedlichen Charaktere einer Partei und der Autonomen. Unsere Organisationsstruktur ähnelt der der Parteien. Autonome Organisierungsstrukturen sind uns gewissermaßen fremd, nicht zuletzt wenn wir hunderte Leute organisieren wollen. Allerdings agieren wir in unseren Praxen viel autonomer als die alten Linken. Wir haben neben einer Mitgliedervollversammlung einen Vorsitzenden, der offiziell die ganze Organisation vertritt, einen Zentralrat, in dem die Ratsmitglieder über alle Projekte der Organisation beraten und über die wichtigsten Sachen abstimmen, wie bei einer Partei. Aber in der Praxis handeln die Aktivist*innen sehr autonom und basisdemokratisch. Eine hierarchische Ordnung und Kultur lehnen wir ab. Der Vorsitzende, also ich, wird gewöhnlich von den Mitgliedern kritisiert und sogar verarscht, das wurzelt tief in der heutigen jugendlichen Kultur in Südkorea. Zuweilen halten wir die Organe für eine reine Parodie der parteiinternen Struktur, auch wenn wir uns sehr ernsthaft mit ihnen beschäftigen und schließlich eine neuartige Linkspartei unserer Generation begründen wollen.

¿Es scheint, als wäre das Thema Generation und der Generationskonflikt in den koreanischen linken Bewegungen sehr wichtig.

Nicht nur. Das Wort „Generation“ taucht überall auf. Die südkoreanische Gesellschaft mithilfe der Konstruktion von Generationen zu erklären, ist derzeit serh verbreitet. Das beruht einerseits darauf, dass die südkoreanische Geschichte eine Geschichte der Umbrüche – eine Wiederholung von Diktatorisierung und Demokratisierung – ist. Gemeinsame Kämpfe gegen ein diktatorisches Regime werden in Korea lieber über die Generationszugehörigkeit erklärt als über Klassen. So wird die Auseinandersetzung zwischen den Konservativen und Progressiven oft als eine Gegenüberstellung zwischen verschiedenen Altersgruppen inszeniert. Ich mag das nicht so sehr. Aber „Generation“ ist sozusagen eine gängige Ideologie in der koreanischen Gesellschaft.

¿Wie versteht sich YL auf der globalen Ebene? Gibt es Organinisationen oder Gruppen, mit denen ihr zusammenarbeitet?

Einen ständigen Kontakt mit ausländischen Organisationen haben wir noch nicht. Aber wir haben großes Interesse an der internationalen Solidarität, so dass wir schon in unserer Gründungsphase mit dem japanischen Verein der zweiten Opfergeneration der Atombombe eine gemeinsame Kampagne gegen Atomkraftwerke durchgeführt haben. In der Tat fällt es jedoch sehr schwer, in Ostasien ein linkes Netzwerk der Solidarität zu bilden, obwohl es für unsere Zukunft nötig ist. Das liegt größtenteils an historischen Erfahrungen wie Kolonialisierung, Kriegen zwischen Nationen und so weiter. Außerdem ist Südkorea tatsächlich wie eine Insel. Man darf nicht durch den Norden der koreanischen Halbinsel nach China oder Russland fahren. In dieser geografischen Situation setzt man sich in Südkorea lediglich mit den inländischen Problemen auseinander, was wir auf jeden Fall überwinden müssen.

¿Was ist euer Standpunkt zu Nordkorea und zur Teilung Koreas?

Das heutige Nordkorea ist zweifellos ein Raum der Menschenverachtung und Irrationalität. Aber die Konservativen verhalten sich gegenüber Nordkorea auch total widersprüchlich. Sie möchten die Teilung und den Konflikt erhalten, um Nordkorea für ihre inländischen Zwecke instrumentalisieren zu können. Es gibt immer noch das Nationalsicherheitsgesetz, das in der Geschichte Südkoreas auch gegen all diejenigen missbraucht wurde, die gegen die konservativen oder diktatorischen Regierungen gekämpft haben. Eine vernünftige Diskussion zur Teilung und zu Nordkorea ist fast unmöglich. Im linken Milieu gibt es eine linksnationalistische Strömung, die die südkoreanische Gesellschaft nach dem Vorbild Nordkoreas verändern will. Was für eine Verrücktheit! Die beiden – Linksnationalisten und Konservative – teilen aber die Meinung, dass „Korea“ eine Nation und ein Staat sein muss. Wir sind dagegen. In unserem Selbstverständnis haben wir das so formuliert: „Bei den nationalistischen Vorstellungen der koreanischen Wiedervereinigung leugnen Ideologien die Realität und Existenz der Gegenpartei. Alle Varianten der Ein-Staat-Lösung müssen abgeschafft werden. Die Republik Korea (Süd) und die demokratische Volksrepublik Korea (Nord) müssen stattdessen als zwei unabhängigen Staaten ein Friedensabkommen schließen, um Abrüstung, Denuklearisierung und eine Beendigung des Konfliktes auf der koreanischen Halbinsel zu erreichen.“