Innerhalb der derzeitigen Konstellation entwickeln sich je nach gesellschaftlichen Bedingungen und Kräfteverhältnissen unterschiedliche Absetz- und Suchbewegungen, die sich zum Teil ergänzen, sich wechselseitig beeinflussen, aber auch konkurrieren oder sich sogar antagonistisch bekämpfen. Unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen und Klassenfraktionen formieren sich in der Auseinandersetzung mit anderen zu neuen gesellschaftlichen Blöcken, das heißt zu einer Konvergenz von gesellschaftlichen Gruppen oder von Fraktionen bestimmter Gruppen um konkrete strategische Projekte herum. Gemeinsame Interessen sind dabei nicht objektiv gegeben, sondern müssen erst systematisch erarbeitet werden. Solche gesellschaftlichen Blöcke versuchen ihre politischen Projekte hegemoniefähig zu machen, Bündnisse und Koalitionen zu bilden. Auch dabei gehen die unterschiedlichen Interessen und Strategien dem Kampf nicht voraus, sondern werden vor dem Hintergrund bestehender geschichtlicher Formen, Regulationsweisen, Individualitätsformen und Alltagspraxen erst in den Auseinandersetzungen mit anderen konstituiert. Damit ein solches Projekt hegemoniefähig werden kann, müssen sich die Bedürfnisse und Interessen der Subjekte darin mit Aussicht auf Realisierung redefinieren lassen, damit es von ihnen gewollt und aktiv angestrebt wird. Ohne das aktive Element der Zustimmung würde sich Hegemonie auf Zwang und Gewalt reduzieren. Zur Zeit gibt es einen herrschenden Block an der Macht, aber kein hegemoniales Projekt mehr.1

Unterschiedliche Fraktionen treiben in verschiedene Richtungen. Alles wird zugleich versucht: staatsinterventionistische Rettung der Banken und Sparvermögen trotz vermeintlich enger Haushaltsrestriktionen, Rettung der Automobilindustrie, aber bitte ohne Marktverzerrung, verstärkter Klimaschutz bei Rücknahme von Umweltgesetzgebungen, Abbau der Staatsschulden und Steuererleichterungen, soziale Erleichterungen und Stärkung der öffentlichen Dienste ohne Ausweitung der Schulden, Sicherung von Arbeitsplätzen bei Abbau von Arbeitsmarktinstrumenten, Regulierung der Banken ohne Einschränkung ihrer Profitabilität, Bekämpfung der Inflation und Förderung von ‚asset inflation‘ (Vermögenspreisinflation, die zur nächsten Spekulationsblase führt).

Kombinationen und Artikulationen

Keiner der gesellschaftlichen Blöcke um die entsprechenden Projekte (Restauration, Autoritärer Staatsinterventionismus, Varieties of ‚Postneoliberalism‘, ‚New Public Deal‘, ‚Green New Deal‘) herum ist bisher konsolidiert. Die Projekte sind stark umkämpft. Die neoliberalen Kräfte sind noch stark genug, um weitergehende Reformen und Transformationen zu blockieren. Die Projekte selbst sind widersprüchlich, beinhalten jeweils linke wie rechte Optionen. Es gibt Berührungspunkte und fließende Übergänge zwischen den jeweiligen Projekten. Entscheidend wird sein, wie sich die unterschiedlichen Projekte und die sie tragenden Gruppen wechselseitig artikulieren und kombinieren. Weniger die einzelnen Elemente selbst, als vielmehr ihre Artikulation macht den entscheidenden Unterschied: Ein neuer Staatsinterventionismus kann einerseits heißen, autoritär die Bedingungen der Kapitalakkumulation (auch gegen einzelne Fraktionen des Kapitals) und repressiv (auch mit beschränkten zusätzlichen sozialen Maßnahmen) gesellschaftliche Ordnung zu gewährleisten. Dies kann andererseits aber auch heißen, ein linkes Staatsprojekt zu realisieren, indem die Macht von Markt und Kapital eingeschränkt und der Staat selbst partizipativ umgebaut bzw. demokratisiert wird. Ein ‚New Public Deal‘ kann bedeuten, in einem solchen Staatsprojekt das Öffentliche als Bereich der Bereitstellung allgemein zugänglicher Reproduktionsbedingungen, die der marktwirtschaftlichen Logik entzogen sind, zu stärken und öffentliche Beschäftigung zu fördern. Er kann aber auch beinhalten, dass öffentliche Dienstleistungen zwar ausgeweitet, aber über PPPs (Public Private Partnerships) weiter zur Ware gemacht werden, der Zugang über höhere Gebühren reguliert und der Einfluss der Bevölkerung auf ihre KonsumentInnenfunktion beschränkt wird. Ein ‚Green New Deal‘ kann einer wirklichen Transformation der Produktions- und Lebensweise gleich kommen und sich an Reproduktion statt an Wachstum orientieren. Er kann die Logik der Kapitalakkumulation in Frage stellen oder letzterer einen neuen Schub verleihen und somit eine passive Revolution sein, die  zwar Konsensangebote an die Subalternen unterbreitet, die ungleichen Folgen eines grünen Kapitalismus und der ökologischen Krise aber letztlich autoritär bearbeitet. Nichts ist entschieden.

Interregnum

Angesichts der Blockierung innerhalb und der Ausfransung an den (globalen) Rändern des transnationalen Machtblocks andererseits sowie der unterschiedlichen, sich parallel entwickelnden umkämpften Projekte wird sich daraus voraussichtlich eine Konstellation des Übergangs ergeben. In diesem Interregnum kann sich die Krise über längere Zeit, vielleicht über ein Jahrzehnt hinziehen, bis sich aus der Konkurrenz der Bearbeitungs- und Lösungsversuche eine hegemoniale Richtung herauskristallisiert, die eine gewisse Bandbreite von differenten Wegen einschließt, jedoch Terrain und Entwicklungsrichtung der Varieties weitgehend bestimmt. ‚Postneoliberalismus‘ bezeichnet also keine neue Periode kapitalistischer Entwicklung, sondern vielmehr eine Übergangsperiode, in der vielfältige Suchprozesse stattfinden und in der um die zukünftige Gestaltung der Gesellschaft gestritten wird.

Revolutionäre Realpolitik einer sozialistischen Transformation

Revolutionäre Realpolitik (Luxemburg) hebt den falschen Gegensatz zwischen Reform und Revolution auf. Das Adjektiv bezieht sich auf den umwälzenden, also transformatorischen Charakter einer Politik, weniger auf den gewaltsamen Umschlagspunkt revolutionärer Machtergreifung. Einen solchen herbeizuwünschen oder herbeizureden führt zu nichts. Sich auf diesen Punkt zu konzentrieren hieße, sich politisch handlungsunfähig zu machen. Daher der Verweis auf Realismus: Agieren in Kenntnis der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse, aber in der Perspektive ihrer Verschiebung; Anknüpfen an die realen Bedingungen und Widersprüche in denen sich jede_r bewegen muss, die Sorgen und alltäglichen Interessen der Einzelnen; Ansetzen an den partikularen Interessen und Leidenschaften, sie aber ethisch-politisch im Sinne Gramscis zu reartikulieren und zu verallgemeinern, so dass die unmittelbaren Interessen der verschiedenen subalternen Gruppen überschritten und universell zu den Interessen anderer Gruppen und Klassenfraktionen werden können (Candeias 2008). Hier geht es im Sinne einer revolutionären oder radikal transformatorischen Realpolitik um das Ganze, um die Frage der gemeinsamen Verfügung über die unmittelbaren Lebensbedingungen, um die Gestaltung von Zukünften. Diese Ausrichtung aufs Ganze ist mehr als ein hübsches Fernziel. Sie ist vielmehr ein notwendiges Element, um die Verengung oder den Rückfall auf korporativistische, also enge Gruppeninteressen zu vermeiden, was zur Verschärfung der Subalternität führt, die immer dann droht, wenn Kämpfe oder Einzelreformen nicht als Hegemonialkonflikte um die gesellschaftliche Anordnung selbst begriffen werden. Dann passiert, wie so oft, eben die partikulare, kompromissförmige Integration in den herrschenden Block. Der Gesamtzusammenhang wird vom herrschenden Block an der Macht immer wieder parzelliert, um gesellschaftliche Probleme und Veränderungen zu entnennen, die Probleme und sozialen Gruppen zu vereinzeln. Ressortpolitiken dominieren auch das Denken in vielen linken Bewegungen, Parteien oder Gewerkschaften. Daher muss der Zusammenhang immer wieder verdeutlicht oder vielmehr erarbeitet werden: zwischen den multiplen Krisen, zwischen Finanz- und sozialer Krise, zwischen ökonomischer und ökologischer Krise, zwischen all diesen Krisen und der kapitalistischen Produktions- und Lebensweise.

Deutung der Krise

Der Kampf um die Deutung der Krise ist ein wesentlicher Aspekt, den organische Intellektuelle in ihren unterschiedlichen Positionen zu leisten haben. Darüber hinaus muss die Linke sich strategisch auf die veränderte Situation neu ausrichten. Die Kritik am Neoliberalismus genügt nicht mehr, wenn er selbst in der Krise ist. Die Kritik muss sowohl die restaurativen Tendenzen, wie die Möglichkeiten neuer passiver Revolutionen ins Auge fassen. Andernfalls werden, wie bereits geschehen, die Forderungen der Linken von den Regierenden überholt. Proteste und Kritik verbleiben oft bei einer einfachen Negation und sind daher relativ wirkungslos. Sie sind auf reine Ablehnung beschränkt, fordern implizit eine Rückkehr zum vergangenen Modell, zielen auf einen ‚sozialeren‘ Neoliberalismus oder Etatismus, wünschen sich eine bevorstehende Revolution herbei. Der Mangel an Perspektive sichert nach wie vor einen passiven Konsens. Die Anerkennung der Vorstellung, dass keine Alternativen zur jeweiligen Form der Vergesellschaftung existieren, ist dabei eines der entscheidenden Momente von Hegemonie. Alltägliche Handlungsfähigkeit bleibt in individuellen Strategien verhaftet, findet kaum Formen kollektiver Verallgemeinerung. Geboten sind daher eigene weitergehende transformatorische Entwürfe und Fantasien und zugleich – aus einer Minderheitenposition heraus – die Entwicklung realisierbarer Einstiegsprojekte. Solche Projekte, Reformen und damit zusammenhängende Kompromisse müssen unmittelbar die Handlungsfähigkeit der Einzelnen verbessern und zugleich eine Perspektive erkennbar werden lassen, die über das Gegebene hinaus weist, die unterschiedlichen Reformen und Kämpfe orientiert und zusammenbindet. Die Orientierung auf Handlungsfähigkeit bedeutet zugleich ein anderes Verständnis von Politik – denn umfassende gesellschaftliche Veränderung erschöpft sich nicht in ‚großer Politik‘, sie muss vielmehr im Alltag der Menschen ankommen, diesen selbst als Sphäre der Politik begreifen. Das zielt dann auf individuelle und kollektive Handlungsfähigkeit und die Frage der alltäglichen Organisierung. Sonst werden die linken Angebote zurecht nicht als wirkliche Alternativen angenommen. Für das konkrete Beispiel der Opelrettung etwa wäre es sinnvoll, staatliche Kapitalhilfen an Beteiligungen am Eigentum zu knüpfen (oder das Unternehmen vollständig zu sozialisieren), die Beteiligung an eine erweiterte Partizipation von Beschäftigten, Gewerkschaften und Region zu binden, zum Beispiel in regionalen Räten, die dann über konkrete Schritte einer Konversion des Automobilkonzerns in einen ökologisch orientierten Dienstleister für öffentliche Mobilität entscheiden.

Eingebettet in eine makroökonomische Orientierung würde Konversion bedeuten, unsere wachstumsorientierte kapitalistische Ökonomie in eine ‚Reproduktionsökonomie‘ zu transformieren, die sich zu beschränken weiß und zugleich neuen Reichtum schafft. Konzentrieren wir uns auf eine bedürfnisorientierte solidarische ‚Care Economy‘, in der Menschen füreinander sorgen –, öffentliche Gesundheit, Erziehung und Bildung, Forschung, soziale Dienste, Ernährung(ssouveränität), Pflege und Schutz unserer natürlichen Umwelten. Das sind zentrale Bedürfnisse, deren mangelhafte Befriedigung von allen beklagt wird.

Das wäre ein Beitrag zu einer wirklich ökologischen Produktions- und Lebensweise: die Arbeit mit Menschen und am Erhalt der Natur bringt wenig Umweltzerstörung mit sich. Die Krisen von Arbeit und Reproduktion könnten so bearbeitet werden – schon jetzt sind diese Arbeitsformen die einzigen Bereiche mit kontinuierlichem Beschäftigungsaufbau. Eine emanzipative Gestaltung der Geschlechterverhältnisse wäre so möglich; und die Entwicklung einer Praxis des „buen vivir“ („guten Lebens“), wie sie nicht nur in Lateinamerika erprobt wird. Damit geht eine Orientierung auf Binnenmarkt und -produktion einher. Die Tendenz zu Deglobalisierung und Regionalisierung der Wirtschaft trägt auch zum Abbau von Leistungsbilanzungleichgewichten und der Exportfixierung bei. Mit dem (nicht-warenförmigen) Ausbau des Öffentlichen werden Märkte und Privatisierung zurück gedrängt.

Die Reproduktionsarbeit im weiten Sinne ins Zentrum eines Transformationsprojektes zu stellen, ermöglicht eine Abkehr vom Fetisch des Wachstums – und stellt damit zugleich mittelfristig die kapitalistische Produktionsweise in Frage. Letztlich wird damit die Frage aufgeworfen, wer über den Einsatz der Ressourcen in der Gesellschaft entscheidet und welche Arbeiten gesellschaftlich notwendig sind. Dazu braucht es auch Elemente partizipativer Planungsprozesse. Es geht um eine radikale Demokratisierung von staatlichen wie ökonomischen Entscheidungen.

Subjekte der Transformation

Wir sind mit einer Vielzahl politischer Bewegungen und Forderungen konfrontiert, die nicht ineinander übersetzbar sind. Hito Steyerl folgert im Anschluss an Spivak: „In Bezug auf eine politische Subjektwerdung stellte sich diese Politik der Differenz als fatal heraus, da eine Kakophonie von Monaden entstand, die nichts mehr gemeinsam hatten und tendenziell in Konkurrenz zueinander standen“ oder sich wechselseitig ignorierten. In dieser Sprachlosigkeit eines Sprechens nur für seine eigenen partikularen, ja identitären Interessen ist eines besonders unsagbar geworden: „eine Solidarität jenseits von Identität“. Diversität wurde zu einer ausgeklügelten Machttechnik neoliberaler und imperialer Hegemonie verfeinert. Vielfach gespalten, mangelt es den Subalternen an einer gemeinsamen Sprache oder einem Verständnis gemeinsamer Interessen. Es genügt also nicht, die Zersplitterung zu analysieren und Differenzen herauszustreichen, um falsche Vereinheitlichung zu vermeiden. Ein produktiver Umgang mit Fragmentierungen und Differenzen ist erforderlich.

Für die Gewinnung von Handlungsfähigkeit ist es notwendig, aus Widerspruchskonstellationen, in denen sich alle bewegen müssen, eine Verallgemeinerung von Interessen zu erarbeiten, die Differenzen respektiert. Spezifische Interessen müssen neu verbunden und Solidarität entwickelt werden. Paradox mag dabei folgendes erscheinen: Die Markierung von Differenzen, sowohl diskursiv als auch organisatorisch, ist Voraussetzung der Verallgemeinerung. Um als gesellschaftliche Gruppe mit eigenen Interessen wahrgenommen zu werden, ist ein Bruch mit den geltenden Spielregeln korporatistischer Aushandlungsprozesse und politischer Repräsentation wahrscheinlich erfolgreicher, zumindest nicht ersetzbar. Die Formulierung und Artikulation partikularer Interessen sowie die Schaffung eigener Organisationen und Netze ist notwendig, um von dort aus überhaupt in eine Assoziation mit anderen Gruppen und Klassenfraktionen treten zu können und in der Auseinandersetzung das Gemeinsame nicht zu finden, sondern zu produzieren. Die ‚Multitude‘ kommt nicht von selbst zusammen, die Mosaik-Linke ist fragmentiert. Verallgemeinerung meint neben dem Entwickeln gemeinsamer Interessen auch Verallgemeinerung von Erfahrungen und Anerkennung (und Unterstützung) nicht gemeinsamer Forderungen, etwa nach Legalisierung von Migrant_innen, ebenso wie unterschiedlicher (politischer) Kulturen und Organisationsformen. Es gilt also, produktiv mit den Gefahren von Zersplitterung wie falscher, weil Differenzen negierender Vereinheitlichung umzugehen – das Bild der Assoziation in einer Bewegung der Bewegungen ist dabei sicher tragfähiger als das der ‚großen‘ einheitlichen Kraft.

Bewegung und Staat

Notwendig ist auch ein strategisches Verhältnis zwischen Bewegungen und Staat. Eine Art hollowaysche Distanzierung vom Staat mißversteht ihn als geschlossenen Herrschaftsapparat und isoliert die Bewegung auf dem Feld der Zivilgesellschaft. Bekanntermaßen besteht zwischen beiden jedoch ein enges Wechselverhältnis. Es gibt kein Außerhalb des Staates. Vor allem aber ist der Staat im engeren Sinne selbst ein widersprüchliches Kampffeld und seine Form Ergebnis der Verdichtung gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse. Sinnvolle Reformen eines linken Staatsprojektes sind nicht einfach abzulehnen oder irrelevant, nur weil sie auf einem vermachteten Terrain stattfinden. Linke Bewegungspolitik kann linksinstitutioneller Politik nicht teilnahmslos gegenüberstehen, sie muss vielmehr den Dialog suchen, Druck entfalten, sich einlassen. Dies erfordert allerdings die Sicherung der Autonomie der Bewegungen, das heißt die Schaffung eigener Institutionen und einer eigenständigen ‚moralischen Ökonomie‘ (Thompson) bzw. solidarischer Ökonomien. Die brasilianische Landlosenbewegung Movimento dos Trabalhadores Sem Terra (MST) gibt sich zum Beispiel nicht damit zufrieden, Forderungen an die Regierung zu stellen. Sie unterstützt die Politik des Präsidenten Lula kritisch – sofern diese aber erlahmt, erhöht die MST die Zahl der Landbesetzungen, um auf diese Weise Tatsachen zu schaffen und weiteren Druck aufzubauen. Die MST rekurriert auf staatliche Politik, aber nur insofern es um die Absicherung und Erweiterung von Handlungsspielräumen für die Bewegung und die Aneignung von Lebens- und Arbeitsbedingungen geht (etwa Landrechte). Landbesetzungen sind der Motor der Organisierung, eine gemeinschaftliche Produktionsweise bildet die ökonomische Grundlage, eigene Schulen und Ausbildungsstätten sichern politische, organisatorische und produktive Entwicklung. Die MST versucht eine weitestgehende Selbständigkeit zu gewinnen, ohne der Illusion einer Autonomie jenseits des Staates zu erliegen. „In and against the state“, hatte es John Holloway einmal formuliert (bevor er sich vom ersten Teil des Slogans verabschiedete). Die Entwicklung eines kritischen strategischen Verhältnisses zwischen Bewegung und Staat ist sehr anspruchsvoll und geht über das Problem der Formierung einer Mosaik-Linken hinaus.

Daher bedarf es außerdem neuer vermittelnder Institutionen, die nach und nach dazu in der Lage sind, den Staat in die Zivilgesellschaft zu absorbieren: ‚consultas populares‘, partizipative Haushalte/Demokratie, ‚peoples planning processes‘, Räte vor allem auf der betrieblichen, kommunalen und regionalen Ebene (und darüber hinaus). Solche partizipativen Institutionen zur Dezentralisierung und Demokratisierung von Macht sind allerdings nur effektiv, wenn wirklich etwas zu entscheiden ist, speziell in Bezug auf die Sozialisierung der Investitionsfunktion: Wofür und wo wollen wir unsere gesellschaftlichen Ressourcen einsetzen? Dies sollte keine Aufgabe des Staates sein, schon gar nicht privat-kapitalistischer Unternehmen.

Solche Ansätze sozialistischer Transformation sind in kleinen Schritten bereits jetzt realisierbar und weisen zugleich über sich hinaus, ziehen weitere Schritte nach sich. Bedingungen für zumindest partielle Schritte nach links sind jedoch günstig in Momenten wie diesen, in denen der aktive Konsens erodiert ist und Brüche zwischen den Gruppen im herrschenden Machtblock seine Handlungsfähigkeit blockieren oder reduzieren und die Suche nach neuen gesellschaftlichen Koalitionen begonnen hat. Kein Zweifel sollte allerdings daran bestehen, dass Transformation keine gleitenden Übergänge meint. Die molekularen Verschiebungen führen letztlich zum Bruch. Umso erfolgreicher solche Strategien sind, desto krisenhafter wird die kapitalistische Entwicklung, desto heftiger wird die Gegenwehr. Letztlich führt eine sozialistische Transformationsstrategie im Sinne revolutionärer Realpolitik zur Frage der Revolution – sofern die Strategie erfolgreich ist.

„Es war dies Sache eines jeden von uns, das Divergierende zu einer Einheit zu bringen.“
Peter Weiss
(1975/1983, 204)