Shut down Paganí – Ein Erfolg der Flüchtlinge

Das Grenzcamp 2009 war ein Erfolg, so lautet der Grundtenor vieler deutscher Antira-Gruppen im Rückblick. Gefeiert wurde, dass die katastrophalen humanitären Zustände im Internierungslager Paganí auf der griechischen Insel Lesbos an die Öffentlichkeit gebracht wurden. Dass schon während des Camps zahlreiche Insassen ihre Entlassung erreicht hatten und nicht zuletzt, dass das Lager mittlerweile zumindest vorübergehend geschlossen wurde. Dieser Erfolg basiert allerdings wesentlich auf Flüchtlingsprotesten – von Hungerstreiks bis brennenden Zellen –, die schon vor dem Grenzcamp begonnen hatten und auch danach fortgesetzt wurden. Das Camp selbst litt dagegen an internen Differenzen, undurchsichtiger Kommunikation und offenbarte teilweise eine paternalistische Sichtweise auf die Flüchtlinge.

Offiziell sollte das Grenzcamp am 25. August starten, doch schon eine Woche vorher überschlugen sich die Ereignisse in Mytilini. Am 18. August traten 150 jugendliche Insassen von Paganí in Hungerstreik, vierzig von ihnen erreichten einige Tage später ihre Freilassung. Auf diese Ausgangslage reagierten Aktivist_innen, die zum Aufbau des Camps früher angereist waren und unterstützten die Proteste. Auf Initiative der Flüchtlinge gelang es ihnen, eine Kamera in das Lager zu schmuggeln. Das Filmmaterial, in dem die Insassen ihre Lebensbedingungen in Paganí dokumentieren und politische Forderungen stellen, sollte später ein entscheidendes Druckmittel werden und wurde bei zahlreichen Fernsehsendern ausgestrahlt.

Ein furioser Start – schon vor dem Camp waren die wesentlichen Schritte getan, um das Lager Paganí zu schließen. Doch nicht alle Teilnehmer_innen schienen mit der Richtung, die das Camp nahm, einverstanden zu sein. Im Plenum wurde darüber debattiert, ob das Camp die 40 aus Paganí entlassenen Jugendlichen ohne Schlafplatz aufnehmen wolle. Die Gegner_innen führten an, dass sich durch die Anwesenheit von Flüchtlingen Sozialarbeit anstatt sozialer Proteste entwickeln könnte. Schon in diesem frühen Stadium des Camps zeigte sich eine grundlegende Uneinigkeit der verschiedenen Gruppierungen über die angestrebten Aktionsformen. Die Debatte offenbarte einiges über den selbst zugeschriebenen, erhöhten Status der Teilnehmer_innen mit Papieren: Die Flüchtlinge wurden als hilfsbedürftige Opfer wahrgenommen und nicht als politische Akteur_innen. Als Kompromiss aus dieser Debatte wurde ein zweiter Standort des Camps beschlossen, der Infopunkt in Mytilini.

Dieses Welcome Center, zentral an der Hafenpromenade von Mytilini gelegen, wurde im Nachhinein vielfach gelobt. Tatsächlich war es die Visitenkarte des Camps: Das große Zirkuszelt war für die lokale Bevölkerung, Touristen und die Presse nicht zu übersehen. Der Infopunkt diente als Anlaufstelle sowohl für frisch angekommene Flüchtlinge als auch für Aktivist_innen. An diesem Ort kamen sie in Verbindung, die Kategorien vermischten sich. Übersetzer_innen, die selbst papierlos waren, unterstützten den Infopunkt während der gesamten Zeit und stellten damit eine Kontinuität innerhalb der wechselnden Schichten dar. Auf dem abgelegenen Campingplatz in Karamidos, zwanzig Kilometer außerhalb der Stadt, wo das eigentliche Camp stattfand, erhielt sich dagegen lange Zeit eine Trennung zwischen den ‹politischen› Aktivist_innen und den ‹hilfsbedürftigen› Flüchtlingen, die nicht in die Plena einbezogen wurden.

Kommunikation und Differenzen

Zerstrittenheit dominierte im Inneren. Griechische Anarchist_ innen boykottierten das Camp, das von einer eher gemäßigten Fraktion, dem Netzwerk für politische und soziale Rechte (Diktio), organisiert wurde. Dadurch gab es wenig Unterstützung von griechischer Seite, mehrheitlich waren die Teilnehmer_innen deutsch oder österreichisch. Die Camp-Plena waren geprägt von Diskussionen um die Frage der Aktionsformen. Autonome Gruppen warfen den Organisator_ innen vor, dass ihr Schwerpunkt auf Verhandlungen lag, während direkte Aktionen ausgebremst wurden, weil sie den Flüchtlingen schaden würden und der lokalen Bevölkerung nicht vermittelbar seien. Unzufriedenheit entstand bei vielen Teilnehmer_innen durch die Wissenshierarchien auf dem Camp. Wichtige Informationen wurden oft nur informell weitergegeben. Wer gerade welche Verhandlungen führte, war nicht transparent, da es keine Rücksprachen auf dem Plenum gab. Empörung löste das Verhandlungsteam aus, als herauskam, dass es die Flüchtlinge in Paganí aufgefordert hatte, ihre Revolten einzustellen, da dies strategisch kontraproduktiv für seine Verhandlungen sei. Der Kritik stellten sich die Betreffenden nicht. Wie viele direkte Aktionen überhaupt möglich gewesen wären, angesichts der massiven Repressionen durch Athener ‹Riot Cops›, bleibt offen. Heikel ist aber, dass diese Debatten auf paternalistische Weise über die Köpfe der Flüchtlinge hinweg geführt wurden, während sie selbst nicht nach ihren politischen Forderungen gefragt wurden.

Nach und nach zogen sich mehrere Gruppen aus dem Plenum zurück, nicht einmal ein gemeinsames Abschlussplenum kam zustande. Erst nach dem offiziellen Ende des Camps verbesserte sich die Stimmung. Die Trennung zwischen Aktivist_innen und Flüchtlingen löste sich auf, als im kleineren Kreis die politische Arbeit noch einige Tage an den Bedürfnissen der Flüchtlinge orientiert fortgesetzt wurde. Dies war nötig geworden, weil die Aktivist_innen es versäumt hatten, den Flüchtlingen, die eingeladen wurden, das Ende des Camps am 31. August ausreichend deutlich zu kommunizieren.

Trotz der inneren Differenzen, Widersprüche und Problematiken des Camps gelang es, internationale Aufmerksamkeit auf die Flüchtlingsproteste auf Lesbos zu lenken und dadurch Repressionen oder ein einfaches Totschweigen zu verhindern. Ein Teil der Flüchtlinge, die sich zur Zeit des Grenzcamps auf den Weg machten, sind mittlerweile in Deutschland angekommen und erhalten dort Unterstützung von Antira-Gruppen. In diesem Sinn war das Camp ein Erfolg, auch wenn ein kritischer Beigeschmack bleibt.

Emina Kirsch

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Mikro-Transformationen mit Resonanz

Griechenland gilt im konservativen Sicherheitsdiskurs als extrem poröse Außengrenze. Jährlich versuchen bis zu 100000 Migrant_innen und Flüchtlinge vorwiegend aus Pakistan, Afghanistan, Irak und Iran, die EU über Griechenland zu erreichen und viele landen auf den Inseln nahe der türkischen Küste – darunter Lesbos. Die Türkei hat bislang bilaterale Rücknahmeabkommen von Flüchtlingen nicht unterzeichnet.

Das No-Border-Camp 2009 hatte deshalb diesen Ort ausgesucht und sich vorgenommen, das Internierungslager Paganí sowie die für Flüchtlinge lebensgefährlichen Aktivitäten der Grenzsicherungsagentur Frontex zu thematisieren und anzugreifen.

Das Internierungslager, dessen menschenunwürdige Bedingungen traurige Berühmtheit erlangten, ist nun geschlossen. Dort wurden, wie es gängige Praxis in vielen europäischen Ländern ist, Migrant_innen registriert und oft monatelang festgehalten – ohne Registrierungspapiere können sie die Insel nur mit großen Schwierigkeiten Richtung Zentraleuropa verlassen.

In der Folge stetiger Öffentlichkeitsarbeit im Zusammenhang mit dem Camp, immer wieder aufflammender Revolten und der mitunter auch starken Kritik der eigenen Bevölkerung, sahen sich die örtlichen Autoritäten auf Lesbos zur Schließung gezwungen. Aktivist_ innen des No-Border-Camps können sich dies als Teilerfolg gutschreiben, der nicht zuletzt auf einer funktionierenden Kommunikation zwischen ihnen und Migrant_innen beruht.

Politbörse Infopunkt

Der von der Camp-Community betreute Infopunkt in der Inselhauptstadt Mytilini bildete neben dem Camp selbst den politisch aussagekräftigsten Teil der No-Border-Aktivitäten. Hier fand der Kontakt zur lokalen Bevölkerung und zu Flüchtlingen statt, hier entwickelten sich Gespräche und Diskussionen mit Anwohner_innen und Migrant_innen. Der Ort war perfekt – am Hafen und gleichzeitig im Stadtzentrum direkt neben der Präfektur gelegen.

Die mitunter unübersichtliche Gemengelage stellte sich als sehr fruchtbar heraus, und der Infopunkt wurde Ausgangsort konkreter politischer Aktivitäten. So wurden von dort aus beispielsweise Reisepapiere für eine Gruppe von 20 Personen erstritten, die so die Internierung in Paganí umgehen konnten. Auch vereinfachte die Nähe zur zentralen Fähranlegestelle die Unterstützung der An- und Abreise von Migrant_innen.

Das Camp selbst war gekennzeichnet durch eine perfekte Lage, eine wirklich gut kochende und organisierte Vokü, eine funktionierende Infrastruktur – und lange Diskussionen im Plenum, die zunächst keine greifbaren Ergebnisse brachten.

Die Kommunikation unter den Camp-Community-Gruppen, insbesondere der in starker Zahl vertretenen deutschen (circa 60 Prozent der Teilnehmenden), ließ zu wünschen übrig. Es gab zu wenig etablierte und kontinuierlich funktionierende Treffen. Auch das gemeinsame Plenum erfüllte diese Funktion nur unzureichend, obwohl es rein sprachlich mit Englisch recht glatt ging. In gewisser Hinsicht handelt es sich bei den Kommunikationsproblemen der Camp-Community natürlich um übliche Schwierigkeiten eines Organisierungsprozesses innerhalb einer sehr heterogenen Masse. Das ist nicht unbedingt effektiv, gehört aber zum eigenen Selbstverständnis.

Bei den Ereignissen rund um das Internierungslager spielte die Camp-Community eine wichtige Rolle, denn die andauernde Anwesenheit erhöhte den Druck auf die lokalen Behörden so weit, dass das Lager noch während des Camps teilweise geöffnet wurde. Es war zudem ein wichtiger politischer Erfolg, dass es einer vom Camp initiierten Demo gelang, mit einer Abordnung direkt zu den Leuten in Paganí durchgelassen zu werden. Auch das erhöhte den Druck auf die Autoritäten. Weniger glücklich verliefen die Versuche, inhaltlich in Form von Workshops weiterzukommen. Und auch das erklärte Ziel, die EU-Grenzschutztruppe Frontex zu attackieren, gelang sowohl auf theoretischer als auch auf aktionistischer Ebene nur bedingt.

Die Militanzdebatte

Nicht unerwähnt bleiben soll an dieser Stelle die Debatte um militante Aktionen und deren Sinn. Außerplanmäßige Aktionen kamen kaum zu Stande, wohl aus Vorsicht, da man nicht genau wusste, was die anderen Genoss_innen wollten. Unter aktionistisch Orientierten sorgte dies für Unmut. Für sie blieb als Trostpflaster nur die Besetzung des Dachs des Internierungslagers, die allerdings nach dem ‹offiziellen› Camp-Ende stattfand. Andere militante Aktionen, wie die versuchte Besetzung der Präfektur, scheiterten an mangelnder Entschlossenheit. Dass in der Folge und im Rückzug vor den stürmenden Bullen auch das vorrangig von Flüchtlingen benutzte Infozelt als Deckung benutzt wurde, offenbarte mangelnde Übersicht und eine fehlende Sensibilität gegenüber den Vorsichtsmaßnahmen, die eine Zusammenarbeit mit Migrant_innen erforderlich macht.

Weniger Probleme mit der Militanzfrage hatten die aus Athen entsandten ‹Riot-Cops›. Ihre Taktik bestand darin, durch Fascho- Parolen, obszöne Gesten und Brutalität Eindruck zu schinden. Vielleicht hätte ihnen Prügel gut getan.

Frischer Wind in der Migrationspolitik

Dem Zusammenwirken von Camp-Community und Migrant_innen gelang also nicht alles, aber einiges. Das ist auch an den lebendigen Folgeaktivitäten zu sehen, die sich vielfach auf die Situation in Griechenland beziehen: Es wurden Revolten in Paganí unterstützt – Flüchtlinge traten in Hungerstreiks und legten Feuer in Zellen. Diese Aktionen und häufige Ausbruchversuche konnten auch mit Repression nicht eingedämmt werden, die entsprechende Berichterstattung war von der griechischen Regierung nicht mehr zu ignorieren und trug ein Übriges zur Schließung von Paganí bei.

Nicht zuletzt seit Lesbos 2009 ist die EU-Verordnung Dublin II, die vorschreibt, dass Flüchtlinge in dem EU-Land Asyl beantragen müssen, das sie als erstes betreten, und dass sie von anderen EU-Staaten in dieses ‹Ersteintrittsland› zurückgeschickt werden können, verstärkt zum Ziel migrationspolitischer Kampagnen geworden, die in Nürnberg, Berlin und zuletzt im Dezember zur Innenministerkonferenz in Bremen gegen diese Rückschiebungen Aktionen machten. Das Camp auf Lesbos 2009 hat auch dafür den nötigen Rückenwind erzeugt.

Winnie Medina