Die Debatte um Kunst – und Kultur im weiteren Sinne – ist in der historischen Linken dennoch immer wieder, teilweise mit Heftigkeit, ausgebrochen. Der Streit um Avantgarde versus Realismus, der in den späten 1930er in der Exilzeitschrift Das Wort geführt wurde und der als ‹Expressionismusdebatte› in die Kulturgeschichte eingegangen ist, zeichnet die Fragestellung vor, die in den darauf folgenden Jahrzehnten in der Linken immer wieder aufgegriffen wurde: Kann Kunst eine emanzipatorische Transformation von Gesellschaft antizipieren und wenn ja, wie muss diese Kunst dann aussehen?
Die Veranstaltung Gegen Ohne Für. Kunst, Avantgarde & Emanzipation am 19.09.2009 in Hamburg, hat diese Frage aufgegriffen. Im Ankündigungstext erschien dazu der Rat Bert Brechts an kommunistische Maler_innen: «Wenn ihr gefragt werdet, ob ihr Kommunisten seid, so ist es besser, wenn ihr zum Beweis eure Bilder als eure Parteibücher vorzeigen könnt.» Damit ist das Problem, woran ein Bild oder ein Text sich als kommunistisch zu erkennen gibt, nicht aus der Welt. Hier wird aber bereits angedeutet, dass sich der politische Gehalt von Kunst im Kunstwerk selbst zeigen muss und ein bloß diskursiver Verweis auf eine politische Tendenz oder Autorität, sei es eine Partei oder eine Idee, nicht ausreicht. Wenn ‹kommunistisch› als Aufhebungsbewegung historisch geschaffener Zwänge verstanden wird, als Realisierung menschlicher Freiheit, kurz als Emanzipation, dann muss Kunst auf eine bestimmte Art und Weise diese Befreiung vorweg nehmen. Darin läge ihr utopisches Moment begründet.
Autonomie der Kunst in der warenproduzierenden Gesellschaft
Ausgehend von den aktuellen Diskussionen soll nun der Versuch erneut aufgenommen werden, das Freiheitspotenzial von Kunst zu bestimmen, also deren Möglichkeiten, Freiheit zu realisieren oder zumindest zu antizipieren.
Die Autonomie der Kunst ist das Ergebnis der sich in der Neuzeit entwickelnden bürgerlichen Gesellschaft. Künstlerische Gestaltung war nicht mehr von Aufträgen der Kirche und des Adels abhängig, sondern musste sich auf dem entstehenden Kunstmarkt behaupten. An die Stelle des Produzierens für konkrete Auftraggeber_innen trat das Produzieren für einen abstrakten Kunstmarkt. Themen und Formen konnten nun frei gewählt werden und mussten sich nicht mehr dem sakralen Ritus oder herrschaftlicher Repräsentation unterordnen. Die daraus entstandene Freiheit der Kunst ist damit Bestandteil einer spezifischen Form bürgerlicher Vergesellschaftung.
Die Autonomie der Kunst zeigt sich im freien Umgang mit dem künstlerischen Material (zum Beispiel Farbe, Klänge, Worte). Dadurch unterscheidet sie sich vom alltäglichen symbolischen Handeln, der auf Warentausch und ‹gesunden Menschenverstand› gerichteten, zweckmäßigen Kommunikation. Sie ist der Bereich der Zwecklosigkeit in einer von Zwecken bestimmten Welt und bleibt dennoch Teil dieser Wirklichkeit, aus der sie ihr Material erhält. Diese Ambivalenz ermöglicht der Kunst eine gewisse Distanz zur bürgerlichen Welt, in der ihr ‹Narrenfreiheit› gewährt wird, weil sie Salons mit interessanten Werken schmücken soll und ihre Folgenlosigkeit sie doch harmlos macht.
Aber die Freiheit bleibt Schein. Statt Freiheit zu realisieren, muss das ästhetische Produkt auf dem bürgerlichen Kunstmarkt einen Tauschwert als ‹Werk› erzielen – auch wenn ihm kein direkter Gebrauchswert zukommt, muss es konsumiert werden, um sich als Kunstwerk zu konstituieren. Ein Bild das nicht angeschaut wird, ist keine Kunst, denn diese ist eben nicht ontologisch zu bestimmen, sondern beschreibt ein gesellschaftliches Verhältnis. Dieser ambivalente Charakter des Kunstwerks, als gleichzeitig autonomer und gesellschaftlicher Gegenstand, hat auch heute noch Gültigkeit.
Die künstlerischen Avantgarden zu Beginn des 20. Jahrhunderts stellten diese Freiheit auf die Probe. Die Radikalität der modernen Avantgarde resultierte aus dem Versuch, die Freiheit der Kunst in eine freiheitliche Lebenspraxis umzusetzen und umgekehrt das gesellschaftliche Leben mit künstlerischen Mitteln zu reflektieren. Der Club Dada und die russischen Konstruktivist_innen nahmen Bezug auf die revolutionären Prozesse in Europa, jedoch nicht inhaltlich, sondern durch formale Mittel. Die Montage etwa entfaltete nicht nur die Widersprüche der Kunst und der Welt, sondern zeigte auch eine Veränderung des Subjekts an, wenn John Heartfield und George Grosz sich nicht mehr als Künstler, sondern als Monteure verstanden wissen wollten.
Die Versuche, den Widerspruch von Kunst und Leben aufzulösen, haben sich mittlerweile längst im zeitgenössischen Spektakel der Kulturindustrie eingelöst, jedoch in regressiver Weise. Schock, Skandal, Konfrontation und die Inszenierung von Revolte sind von Futurismus, Dada und Surrealismus als künstlerisches Mittel genutzt worden; heute werden sie als Werbestrategien verwendet. Auch neue Techniken wie Fotomontage und Collage gehören längst zum ästhetischen Standard der (post-)modernen Kulturindustrie.
Ob neokonstruktivistische Videoclips von Franz Ferdinand oder der Cabaret-Mythos der goldenen Zwanziger im ästhetischen Konzept der Dresden Dolls – die Dynamik der Kulturindustrie hat alles als Zitat integriert. Damit einher geht die Rehabilitierung von Künstler_innen wie Fillipo Tommaso Marinetti und Leni Riefenstahl. Allerorten wurde dieses Jahr das 100jährige Jubiläum des Futuristischen Manifests gefeiert und dessen Verfasser Marinetti gleich mit. Sein Text preist Stärke, Härte, Männlichkeit, Geschwindigkeit als Ausdrucksformen und Krieg als ästhetische Erfahrung. Angesichts der Ohnmacht künstlerischer Gestaltungsmittel muss es für Marinetti eine schiere Freude gewesen sein, als der Erste Weltkrieg losbrach und die Welt durch zu Kunst erklärte Granaten und Schrapnelle in ein Gesamtkunstwerk verwandelte. Wozu braucht es dann noch Kunst, wenn sie nicht nur ohnmächtig ist, sondern auch an Intensität die moderne Lebenswelt nicht einholen kann? Später war Marinetti Kulturminister des faschistischen Italiens. Wenn heute der Futurismus als Aufbruch der Moderne gefeiert wird, dann wird zwar die Hinwendung zum Faschismus erwähnt, dessen ästhetische Errungenschaften werden aber gleichzeitig verteidigt. Was letztlich nichts anderes heißt, als dass von einem faschistischen Kult der Härte und einer Glorifizierung des Schreckens nur mehr die avancierte Form und die leere Radikalität der Gewalt übrig bleibt. Der Faschismus, um ein Zitat von Walter Benjamin aufzugreifen, betreibt die ‹Ästhetisierung der Politik›, die sich unter den Bedingungen der Kulturindustrie auf das ganze Leben ausdehnt. Es wird gerne behauptet, die Avantgarde sei gescheitert, da es ihr nicht gelang, den Widerspruch von Kunst und Leben aufzuheben. Hinsichtlich der Ästhetisierung der Lebenswelt war sie, rückblickend betrachtet, allerdings durchaus erfolgreich.
Kulturindustrie und das Utopische in der Kunst
Es stellt sich nun die Frage, wie die Erfahrung des Widerspruchs von Freiheit und Zwang in der kulturindustriellen Kunstproduktion und -rezeption einen politischen und ästhetischen Platz findet und wie der Ästhetisierung des Lebens in der Popkultur begegnet werden kann.
Es ist auf der Veranstaltung in Hamburg darauf hingewiesen worden, dass die Linke zur Kunst ein instrumentelles Verhältnis habe: Die Flugblätter und Publikationen sollen chic sein, ein Konzert dient der Propagandierung von Inhalten und ein Bild muss ein explizit politisches Thema haben; kurz, es gehe eben um Agit-Prop, in der die Form Vehikel für den Klartext sei, und weniger um einen formalen Umgang mit dem Material. Die beliebten Methoden der Kommunikationsguerilla – Verfremdung, Umdeutung, Montage – knüpfen an die künstlerischen und ästhetischen Experimente der modernen Avantgarde an. Dass diese Methoden von rechten Gruppierungen ebenso wie von Werbeagenturen angewandt werden können, liegt darin begründet, dass sie als formal-ästhetische Taktiken nicht in einem Zusammenhang mit ihren Inhalten stehen. Kommunikationsguerilla- Aktionen zeigen zum Teil wenig Reflexion der Mittel. Wenn Form und Inhalt nicht in ein Verhältnis zu einander gesetzt werden, wird beides beliebig und austauschbar.
Street-Art und Adbusting greifen Reklame nicht unbedingt als falsches Versprechen an, sondern vor allem als ästhetisches Ärgernis, dem die eigene Ästhetik der Dissidenz entgegen gesetzt wird, die sich für subversiv hält – und unter anderem durch Banksy doch längst schon in etablierten Kunstgalerien hängt. Dadurch arbeitet die politische Praxis jedoch an der Ästhetisierung der Lebenswelt mit. Hier muss leider festgestellt werden, dass die ‹Linke› als subkultureller Bereich der Gesellschaft der fortschreitenden Ästhetisierung der Lebenswelt nicht entkommt. Dafür braucht keine ‹Poplinke› verantwortlich gemacht zu werden, die Partymachen als subversive Politik deklariert. Vielmehr liegt es in der Dynamik der Kulturindustrie begründet, alles, auch dissidente Strömungen, zu integrieren. Es zeigt sich darin die Ohnmacht der link(sradikal)en Kulturproduzent_ innen, der Ästhetisierung der Politik eine, von Benjamin als kommunistische Gegenstrategie verstandene, «Politisierung der Kunst» entgegen zu setzen.
Das Problem mit popkultureller Subversion ist, dass ihr Erfolg zugleich ihr Scheitern ist. Unter anderem hat gerade Punk gezeigt, dass jede noch so radikale Haltung ihre Nische im kulturellen Markt bekommen kann, wenn sie nur ordentlich ästhetisch aufmöbelt wird.
Guy Debord, der mit dem Rapport zur Konstruktion von Situationen und der Gesellschaft des Spektakels der politischen und ästhetischen Praxis der Situationistischen Internationalen (S.I.) ein theoretisches Konzept gegeben hat, schreibt: «Der Dadaismus wollte die Kunst wegschaffen, ohne sie zu verwirklichen; und der Surrealismus wollte die Kunst verwirklichen, ohne sie wegzuschaffen.» Er erkennt das Problem in der dialektischen Bewegung der Aufhebung, die sowohl das bewahrende, wie das überwindende Element zusammen denken muss. Diese Aufhebung wollte die S.I. vornehmen und machte den Schritt von der künstlerischen Praxis zum politischen Kampf und ging in ihm auf. Genau daran, dass sie sich schließlich nur noch um Politik und nicht mehr um Kunst kümmern wollte, zerbrach sie aber auch – was angesichts der Revolutionserwartungen von 1968 nicht verwundern mag. Mit dem Niedergang der Protestbewegung der 1960er löste sich die S.I. in den politischen und subkulturellen Milieus der Folgezeit auf. Die ‹Pro-Situ›-Strömungen trennten sich in militante Politik und Popkultur, ohne ihre Verkettungen völlig abzustreifen. So konnte in den 1990ern die Revolution auf den Alben von Rage Against The Machine wieder neu und fresh erscheinen – auch wenn der olle Che dafür herhalten musste – und linke Aktivist_innen diskutierten darüber, welche Songs auf der nächsten Demo vom Lautsprecherwagen abgespielt werden sollen – Slime oder Blumfeld? Die gegenseitige Durchdringung von politischer und künstlerischer Praxis hat zur Ästhetisierung der Politik ebenso geführt, wie zur Politiksimulation in der Kulturindustrie.
Da die Aufhebung von Kunst und Leben historisch betrachtet nur auf regressive Weise zu haben war, muss die Widersprüchlichkeit der Kunst in ihr selbst thematisiert werden. Dies versucht der Neoismus, der deutlich gemacht hat, dass das Konzept der Avantgarde unter den Bedingungen der Kulturindustrie nicht mehr haltbar ist. Nichts ist mehr zwischen der Behauptung des Neuen und der Vehemenz des -ismus. Selbstwidersprüchlich wird das Plagiat – also die Aneignung des Alten – zum künstlerischen Mittel erklärt. So kann eine Reflexion über die Bedingungen der künstlerischen Produktion einen Ausdruck in den ästhetischen Gebilden finden. Der Neoismus erzählt die Geschichte der Avantgarde als Farce ihrer Wiederholung. Eine der aufsehenerregendsten neoistischen Aktionen war der Kunststreik in London Anfang der 1990er Jahre: Drei Jahre lang wurde keine Kunst produziert. Eine radikale Weigerung, überhaupt noch etwas zur Ästhetisierung der popkulturellen Lebenswelt beizutragen. Da die Künstler_innen dadurch nicht gesellschaftliche Wertschöpfung verhindern, folglich auch keinen politischen Druck erzeugen können, verdeutlicht diese Aktion die Ohnmacht der Kunst und gleichzeitig die Absurdität der Kulturindustrie, wenn am Ende die Einrichtung des Streikbüros als Kunstinstallation verkauft wird.
Das utopische Moment der Kunst findet sich im Ausdruck nicht realisierter Freiheit, die nach Verwirklichung verlangt. Es bleibt damit negativ, nicht auf etwas in einer fernen Zukunft gerichtet, sondern als Folie einer gegenwärtigen Praxis – gegen und für etwas. Dabei ohne die Macht, tatsächlich etwas zu verändern. Die Zustände, in denen der Mensch ein geknechtetes Wesen ist, wird die Kunst wohl nicht abschaffen. Dies ist Aufgabe einer politischen Praxis. Als vorgeblich realisierte popkulturelle Lebenspraxis dient Kunst der Verschleierung gesellschaftlicher Widersprüche. Aber als Experimentierfeld des Möglichen und mit dem Mittel der Selbstreflexion können diese Widersprüche entfaltet werden. Darin, wie es mit seinen Selbstwidersprüchen umgeht und die eigene Verflochtenheit in eine historische gesellschaftliche Realität reflektiert, zeigt sich die politische Radikalität eines Kunstwerks und dadurch kann es über die gesellschaftliche Wirklichkeit hinaus weisen.