Schaut man allerdings genauer hin, welche Überlegungen hierzu kursieren, kann man am Horizont eine beunruhigende Entdeckung machen: ein sich ausweitender Kontrollzwang, in dem sich Computernetzwerke und ökologische Korrektheit mit Überwachungsphantasien und dem Traum vom gläsernen Kunden kreuzen. Allen Strängen ist nämlich eines gemeinsam: Die Rettung der kapitalistischen Welt wird vor allem als ein Problem der Datenerfassung begriffen.
KlimaforscherInnen etwa weisen immer wieder darauf hin, das Datenmaterial, mit dem sie ihre Computermodelle füttern, sei noch viel zu lückenhaft. Zwar können sie dank mehrerer Erdbeobachtungssatelliten seit Anfang der 1990er Jahre den Anstieg des Meeresspiegels und das Schmelzen der polaren Eisschilde inzwischen genau nachvollziehen. Aber das Ozean-Messnetz auf der südlichen Halbkugel müsse dringend ausgebaut werden, um die Auswirkungen des Klimawandels auf die Weltmeere besser zu verstehen, mahnen die ForscherInnen.
Auch die Energieeffizienz wird zunehmend unter dieser Perspektive wahrgenommen. In den Medien werden seit einiger Zeit „Intelligente Stromzähler“ (smart meters) als technische Lösung für effizientere Stromnetze angepriesen. Diese sollen den Energieversorgern per Datenkabel melden, wie viel Energie ein Haushalt zu einem bestimmten Zeitpunkt tatsächlich benötigt. Damit soll die „letzte Meile“ der Energieversorgung in eine exakte Bedarfsplanung der Erzeuger einbezogen und Energieverschwendung verhindert werden.
Bis in die letzte private Nische
Das ist nur ein Beispiel für die Hoffnungen, die IngenieurInnen und WissenschaftlerInnen in den konsequenten Ausbau von Sensornetzwerken stecken, um mehr über Energieverbrauch, Schadstoffbelastung oder die Veränderung anderer relevanter Umweltparameter zu erfahren.Hier trifft sich die aktuelle Umweltdebatte mit der seit Jahren in der Computerindustrie beschworenen Vision des „Ubiquitous Computing“ – der allgegenwärtigen Verfügbarkeit von Computerdiensten. „Ein Planet voller verlinkter Chips sendet einen unaufhörlichen Strom kleiner Nachrichten aus, die sich zu einer Kaskade höchster Sensibilität verdichten“, beschrieb der kalifornische Internet-Guru Kevin Kelly das Konzept bereits 1997.
Das konnte man damals noch als Geschwafel der überdrehten „New Economy“ abtun. Doch der Aufbau eines planetaren Sensornetzes, dem nichts entgeht, das bis in die letzte private Nische vordringt, inspiriert längst auch die Sicherheitsorgane des Westens.Den expliziten Brückenschlag zwischen Terrorüberwachung und Ökologie lieferte vor einem Jahr eine Studie des US-Militärs. Ihr Titel: „Die nationale Sicherheit und die Bedrohung durch den Klimawandel“. Der könnte „Bedingungen schaffen, die den Krieg gegen den Terrorismus verlängern“, heißt es darin.
Diese Wendung hat es in sich, denn hier kommen zwei Themen zusammen, die von einem latenten Gefühl der Bedrohung geprägt sind. Beide haben das Zeug, Denunziation und Überwachung zu fördern, weil sie einem ähnlichen Denkmuster folgen: lückenlose Aufklärung im Kampf gegen einen diffusen Feind.
Verschmutzungsrecht als Konsumgut
Es gibt noch eine dritte Mitspielerin mit einer Leidenschaft fürs Datensammeln: die Privatwirtschaft. Aus den akribisch erhobenen Kundendaten – im Online-Handel oder über so genannte Kundenkarten – werden Verbraucherprofile erstellt, um noch mehr Ware zu verkaufen. Das überschreitet im Falle des „Scoring“, bei dem demografische Daten wie der Wohnort über den Bezahlmodus entscheiden, auch schon mal die Grenze der Legalität. Gemacht wird es trotzdem.Die technische Infrastruktur, mit der Verbraucherdaten verarbeitet werden, soll nun auch für die Reduzierung von CO2-Emissionen genutzt werden: mit der „CO2-Card“.
Basierend auf den Arbeiten britischer ÖkonomInnen des Londoner Instituts Lean Economy Connection, wird die Idee hierzulande von der Aachener Stiftung Kathy Beys verfochten. Das soll folgendermaßen gehen: Jedem Bürger und jeder Bürgerin wird ein CO2-Konto zugeteilt, auf dem sich ein Jahresguthaben von zwei Tonnen CO2 befindet. Das entspricht der Menge, die jede/r WesteuropäerIn maximal ausstoßen dürfte, um den Kohlendioxid-Gehalt der Atmosphäre nicht weiter zu steigern.
Jedes Mal, wenn Benzin getankt oder eine Fahrkarte gekauft wird, wird neben dem Geldbetrag auch automatisch der damit verbundene CO2-Wert vom persönlichen Klimakonto abgebucht. Ist das Konto leer, bleibt entweder auch der Tank des eigenen Autos leer, oder man kauft von anderen deren überschüssige Kohlendioxid-Guthaben. Diesen Vorgang wickelt eine neu zu schaffende Behörde ab, die natürlich mit Banken und Kreditkartenfirmen vernetzt sein muss. Hielt sich der Staat bislang zumindest aus dem alltäglichen Konsumrausch raus, wird er hier direkt eingebunden, eine weitere Zugriffsmöglichkeit auf die BürgerInnen geschaffen.
Es ist schon erstaunlich: Indem der Klimawandel zum Daten- und Sicherheitsproblem wird und gleichzeitig ein Verschmutzungs-"Recht“ zur konsumierbaren Ware, soll der Kapitalismus gerettet werden.Erleichtert wird diese Tendenz auch durch eine langsam einsetzende Selbstkontrolle von BürgerInnen, wenn persönliche CO2-Emissionen auf einmal mit Schuldgefühlen verknüpft sind. Sicher ist ein persönlicher Low-Carbon-Lifestyle zunächst einmal plausibel. Aber ist er nicht am Ende eine Symptombekämpfung? Das Online-Magazin WorldChanging hat diesen Zweifel noch radikaler formuliert: „Die ganze Idee, dass eine Änderung unseres Lebensstils in Richtung Nachhaltigkeit die Welt transformieren könnte, ist verfehlt.“ Wo es auf einen systemischen Umbau der Zivilisation ankomme, sei persönliche Tugendhaftigkeit reine Augenwischerei – und obendrein „nervig“.
Neuer moralinsaurer Muff
Gerade diese Tugendhaftigkeit ist geeignet, schleichend die Akzeptanz drastischer Überwachungsmaßnahmen von einer Seite auszuweiten, die BürgerrechtlerInnen bislang nicht im Blick hatten. Die Video-Überwachung des öffentlichen Raums wird inzwischen achselzuckend hingenommen. Sie diene ja nur der Erhöhung unserer Sicherheit. Es sei doch eine gute Sache, wenn Kriminelle schneller dingfest gemacht werden können, hört man selbst von gemäßigten ZeitgenossInnen.
Eine Überwachung im Namen der Umwelt wird auf noch weniger Widerstand treffen. Sie dient ja der Rettung der Erde. Dann können endlich die großen, aber auch die kleinen UmweltsünderInnen sofort erkannt werden. Dass in der Umweltbewegung auch ein potenziell totalitäres Element angelegt ist, darauf wurde schon in ihren Anfangstagen hingewiesen. Damals spukte die Idee einer wohlwollenden Öko-Diktatur durch wirre Köpfe. In der Gemengelage, die durch Klimawandelberichte und 9/11 entstanden ist, gewinnt die Vorstellung plötzlich wieder an Brisanz.
Angenommen, Datensammelei und Selbstkontrolle würden irgendwann tatsächlich die CO2-Emissionen der Industrieländer stabilisieren – was passiert danach? Ähnlich wie bei Steuern, die einmal eingeführt und nie wieder zurückgenommen werden, könnten sich kulturelle Verhaltensweisen einschleifen, die ebenfalls irreversibel werden. Die Fixierung auf das CO2-Äquivalent von allem und jedem hat das Zeug, einen neuen moralinsauren Muff hervorzubringen, dem die Ferne, das Fremde und das Ausschweifende von vorneherein verdächtig sind. Das wäre ganz im Sinne christlicher und anderer FundamentalistInnen.