Biodiversität und Klimawandel
Verändern sich klimatische Begebenheiten, übt das Druck auf Ökosysteme und die darin lebenden Menschen aus. Dürren, Wüstenbildung, Überschwemmungen und Erosionen betreffen Menschen direkt und führen zum Verlust von biologischer Vielfalt. Gehen Wälder verloren, bedeutet das nicht nur weniger Sauerstoff und -senken, sondern auch den Verlust des jeweils vorhandenen genetischen Reichtums. Tritt dann extensive Viehwirtschaft an die Stelle der Wälder, werden also Bäume und biologische Vielfalt gegen Rinder ausgetauscht, entsteht ein Kreislauf, der den Klimawandel beschleunigt – denn gerade Rinder stoßen viel Methangas aus, welches zusätzlich zum Treibhauseffekt beiträgt. Ähnliche Auswirkungen hat die Schaffung von Anbauflächen für Agrobrennstoffe. Nach Schätzungen der Welternährungsorganisation FAO ist damit zu rechnen, dass in wenigen Jahrzehnten bis zu 75 Prozent nutzpflanzengenetische Diversität für die Menschheit verloren sein wird.
Ökonomie und biologische Vielfalt
Das Leben auf der Erde braucht Vielfalt. Wenn Ernten etwa aufgrund eines Käferbefalls komplett ausfallen und es keine alternative, resistente Saat mehr gibt, werden wir nur schwer überleben. Innerhalb einer Welt, deren oberster Maßstab der ökonomische Profit ist, wird etwas erst dann als schützenswert angesehen, wenn es einen monetären Wert zugesprochen bekommt. Diese Ansicht ist nicht vereinbar mit einem Lebensgedanken, der über das Ende der eigenen Marktteilhabe hinaus denkt, der Generations-, Umwelt- und Ressourcengerechtigkeit höher setzt als kurzfristige Profitmaximierung. Und selbst das Argument, die Kosten des Verlustes werden um ein Vielfaches höher sein als die Kosten zum Erhalt der Biodiversität, bleibt einer ökonomischen Sicht verhaftet. Dass der Verlust von biologischer Vielfalt ökologisch und ökonomisch eine Bedrohung bedeutet, ist unumstritten. Biodiversität ist jedoch mehr als ihr zu errechnender Marktwert. Biodiversität nicht anzuerkennen, bedeutet den Lebensgemeinschaften, die in ihren Lebensformen auf Vielfalt angewiesen sind, ihre Existenzgrundlage zu entziehen.
Biodiversität und Gender
Die meisten Konzepte, die den Wert der Biodiversität messen wollen, entbehren jeglicher sozialen Dimension. Fragen nach Geschlechtergerechtigkeit werden meist ganz ausgelassen. Die von Macht- und Abhängigkeitsverhältnissen durchdrungene Beziehung zwischen den Geschlechtern und ihr Einfluss auf die Nutzung, den Zugang und die Kontrolle über natürliche Ressourcen wird kaum analysiert. In vielen Regionen dieser Erde wird das Überleben durch Subsistenzwirtschaft und die Produktion für lokale Märkte gesichert. Es sind hauptsächlich Frauen, die für die Versorgung ihrer Familien mit Grundnahrungsmitteln verantwortlich sind. In Gesellschaften, in denen der Alltag durch eine geschlechtsspezifische Trennung von Arbeit, Zuständigkeiten und Räumen gekennzeichnet ist, ist auch das Wissen unterschiedlich verteilt. Damit geht häufig eine unterschiedliche, geschlechtsspezifische Bewertung dieses Wissens einher.
Deutlich wird dies etwa am Beispiel der Hausgärten. Während meiner Forschung in Bomboiza, Ecuador konnte ich sehen, dass Hausgärten, aus denen Familien Grundnahrungsmittel und Medizinalpflanzen beziehen, oft alleinige Aufgabe von Frauen sind. Die Frauen entscheiden, was angepflanzt wird und was mit den Ernteerträgen passiert. Entscheiden sich jedoch die Männer für den gewinnbringenden Anbau von Monokulturen, sind mit diesen Frauen-Bereichen auch Räume von biologischer Vielfalt und dem Wissen um sie bedroht. Denn die Hausgärten liefern nicht nur einen wesentlichen Beitrag zur Ernährungs- und Existenzsicherung der Familie, sondern dienen auch als Aufbewahrungsort für Biodiversität. Wie Frauen aus dem Süden immer wieder berichten, sind Männer eher bereit, die Subsistenzproduktion zugunsten einer globalen marktorientierten Produktion einzuschränken oder sogar aufzugeben.
Ein weiterer Bereich, der Aufschluss über den Zusammenhang von Biodiversität und Gender gibt, ist das Kunsthandwerk. Die Shuars in Ecuador stellen ihren traditionellen Schmuck aus Samen und Pflanzen her. Das Wissen über die Vielfalt der verwendeten Pflanzen haben vor allem ältere Frauen. Sie pflegen die benötigten Samen, pflanzen Bäume und Sträucher. Die Frauen bewahren dieses Wissen, geben es an die nächste Frauengeneration weiter und sorgen so für den Erhalt der vorhandenen biologischen Vielfalt. Solange Hausgärten und Kunsthandwerk ihre Bedeutung behalten, sichert das wiederum den Frauen eine starke soziale Stellung innerhalb ihrer Gemeinschaft. Wird der natürlichen Vielfalt ihre Bedeutung zur Lebenssicherung jedoch abgesprochen, verliert das spezifische Wissen der Frauen an Bedeutung. Auf diese Weise verschwindet die Biodiversität sowohl konkret durch Monokulturen als auch im Bewusstsein der Menschen. Biodiversität, traditionelles Wissen und Gender sind also in einem Kreislauf verbunden.
Biodiversität, Gender und Macht
Armut manifestiert sich durch die eingeschränkte Teilhabe an finanziellen, ökonomischen sowie natürlichen Ressourcen. Ganz grundsätzlich drängt der verweigerte Zugang zu lebensnotwendigen Ressourcen Frauen in Abhängigkeit von ihren Männern. Besonders deutlich wird dies, wenn der Begriff Armut auch auf Dimensionen wie mangelnde soziale Handlungsspielräume, fehlende Rechte und nicht vorhandene gesellschaftliche Einflussmöglichkeiten bezogen wird. Verfügen Frauen auf der einen Seite über Wissen um Biodiversität und schützen diese, haben sie auf der anderen Seite eingeschränkte beziehungsweise kaum vorhandene Möglichkeiten, ihr Wissen und ihre Interessen politisch einzubringen.
In Zeiten, in denen Biodiversität zur Handelsware erklärt und das Recht auf Nahrung durch Patente geregelt wird, ist politische Teilhabe bestimmend. Die Konvention über die Biologische Vielfalt fordert zwar die Beteiligung von Frauen bei ihrer Umsetzung, doch dazu fehlen ihnen häufig die politischen und ökonomischen Handlungsräume. Indigene Frauen besitzen großes Wissen über Biodiversität, wenn es aber um den Verkauf dieses Wissens geht, etwa beim Handel mit Heilpflanzen, werden die Verhandlungen von Männern geführt. Frauen dürfen oft kein Land besitzen und sind auch deshalb finanziell an ihre Männer gebunden.
Genderpolitik statt Romantik
Nicht selten stößt man auf ein romantisierendes Bild der „naturschützenden Indianerin“, indem eine natürliche Verbindung von indigenen Frauen und nachhaltiger Nutzung von Ressourcen gemalt wird. Diese „Feminisierung der Umweltverantwortung“, wie die entwicklungspolitische Gutachterin Christa Wichterich solche Zuschreibungen nennt, verbessert weder die Lebenssituation von Frauen noch erweitert sie weibliche Mitgestaltungsmöglichkeiten. Sie überträgt den Frauen die Verantwortung für den Schutz der biologischen Vielfalt und ignoriert dabei, dass die Frauen vom Verlust der Biodiversität und den Folgen des Klimawandels in besonderem Maße betroffen sind. Für den Schutz der Biodiversität sind Fragen der Geschlechtergerechtigkeit entscheidend. Wer entscheidet in einer Dorfgemeinde darüber, was auf den Feldern angebaut wird? Wer verhandelt auf den großen internationalen Konferenzen? Wer hat die Möglichkeit, Biodiversität zu verkaufen und daraus Gewinn zu machen? Wer kann überhaupt von der gerechten Verteilung aller aus ihrem Nutzen entstandenen Vorteile profitieren?