Mit dem sich abzeichnenden Klimawandel ist der „westliche Lebensstil“ in die Krise geraten. Jeder Mensch in einem Industrieland emittiert pro Jahr durchschnittlich 2,7 Tonnen CO2 allein für den Warenkonsum, weitere 1,5 Tonnen für Ernährung und 1,3 Tonnen für das Autofahren. „Klimagerecht“ nach dem gleichnamigen Konzept wären allenfalls zwei Tonnen CO2 pro Kopf und Jahr – für alles zusammen. Bei aller berechtigten Kritik an Politik und Wirtschaft führt daher kein Weg an einer radikalen Konsumkritik vorbei.
Zwischen den Stühlen
Doch der Diskurs um Klimawandel und Konsum wird dem Problem nicht gerecht: Die Business-as-usual-Fraktion weist Konsumkritik mit Verweis auf übergeordnete Zusammenhänge generell zurück, wahlweise mit den Parolen „ökologische Industriepolitik statt Verzicht“ (Sigmar Gabriel), „Stromkonzerne enteignen“ (attac) oder „Kapitalismus abschaffen“ (radikale Linke). Auf der anderen Seite propagieren besorgte Ökos wie neoliberale Umweltökonomen mit individuellem Emissionsrechner oder CO2-Kreditkarte das komplette Gegenteil: die CO2-Ich-AG. Schleichend übernehmen die LOHAS – die den „Lifestyle of Health and Sustainability“ praktizieren – die Meinungsführerschaft. Bionade avanciert zum „offiziellen Getränk für eine bessere Welt“. Internetportale feiern den Hybrid-Geländewagen von Lexus. Und auf der Cebit ist das „Ecobook“ von Acer der Star, dessen teilweise aus Bambus gefertigtes Gehäuse als Ausweis für den Green IT-Trend gilt. Folgerichtig stellt die Gesellschaft für Konsumforschung 2007 unter dem Titel „Klimawandel belebt Binnennachfrage“ fest: Aus Angst vor der Katastrophe gehen die Deutschen erstmal nachhaltig shoppen. Der herrschende Diskurs verkauft den richtigen Konsum offensiv als beste Maßnahme für den Klimaschutz. Zwischen diesen Stühlen eine emanzipatorische Konsumkritik anzusiedeln, erscheint nahezu aussichtslos, weswegen viele das Thema lieber links liegen lassen. Die beispielhafte Kritik einiger Leitbilder ergibt aber nützliche Bausteine für einen progressiven Konsumdiskurs, der letztlich zu einem kapitalismuskritischen Diskurs werden kann.
Prekarisierung versus Nachhaltigkeit
Es ist kein Zufall, dass der Begriff LOHAS ursprünglich aus dem Marketing kommt und sich auf die einkommensstarke und gebildete Schicht der „jungen Kreativen“ bezieht, denen ein Hang zu nachhaltigen und fairen Produkten bescheinigt wird. Denn die Idee, dass Klimaschutz ganz wesentlich aus anderem Konsum besteht, setzt hohe Anforderungen hinsichtlich Einkommen und Gestaltungsmöglichkeiten. Ihre Verallgemeinerung auf die gesamte Gesellschaft kann unter den gegenwärtigen Tendenzen sozialer Spaltung und Prekarisierung nicht funktionieren. Das Umweltbewusstsein sinkt in Deutschland seit den 1980er Jahren kontinuierlich - während soziale Ungleichheit und Unsicherheit rapide ansteigen. Wenn Existenzangst wächst, sinkt die Aufmerksamkeit für ökologische Probleme. Und mehr Geld für ökologisch verträgliche Produkte auszugeben, wäre nur unter Bedingungen relativer sozialer Gleichheit akzeptabel - Konsumkritik funktioniert nur in einem Klima sozialer Sicherheit.
Gesellschaftliche Strukturen werden in der öffentlichen Konsumdebatte ausgespart, wie das Beispiel Verkehr verdeutlicht: Wir alle sollen das Auto am besten ganz stehen lassen, das Konzept einer Aachener Stiftung fordert gar, ein individuelles jährliches Kohlenstoffbudget auf einer CO2-Kreditkarte, von dem beispielsweise bei jedem Tankvorgang ein Betrag abgebucht wird. Außen vor bleibt dabei, ob ich in Templin oder Berlin wohne, ob ich fünf oder fünfzig Kilometer zur Arbeit fahren muss, ob im Zuge der Bahnprivatisierung tausende Kilometer Schienen stillgelegt werden und die Ticketpreise steigen. Die Individualisierung des Problems wird damit total, gesellschaftliche Rahmenbedingungen für den „richtigen“ Konsum werden ausgeblendet. Aber nur wenn ich tatsächlich eine Wahlmöglichkeit habe, kann ich mich auch „richtig“ entscheiden. In vielen Fällen setzte dies einen starken öffentlichen Sektor voraus: beispielsweise mit kostenlosem ÖPNV oder einer demokratisierten Stromversorgung.
Nicht nur anders, sondern weniger
In vielen Bereichen wird es schlicht nicht ausreichen, einfach anders zu konsumieren. Die CO2-Intensität des Konsums ist in fast allen Industriegesellschaften seit 1990 deutlich zurückgegangen. Das heißt, die Menge CO2, die durch die Produktion eines Euros Bruttosozialprodukt freigesetzt wird, sinkt kontinuierlich. Der Haken ist nur: Die Gesamtemissionen steigen entweder an oder fallen deutlich geringer als die CO2-Intensität. Unser Konsum wird umweltfreundlicher, aber wir konsumieren gleichzeitig immer mehr, so dass unter dem Strich die Umwelt kaum entlastet wird. Dies gilt insbesondere für jenen Bereich des Konsums, der nicht der direkten Bedürfnisbefriedigung dient. 1997 betrug die durchschnittliche Lebensdauer eines PCs etwa sieben Jahre, heute sind es zwei. 2007 wurden in Deutschland 33 Millionen neue Handys verkauft. Da interessiert es nicht, ob einzelne Produkte etwas nachhaltiger produziert werden oder weniger Strom verbrauchen - helfen kann nur Verzicht.
Der Flugverkehr ist ein weiteres anschauliches Beispiel, wie weit die Debatte über Verzicht gehen müsste. Eine Flugreise in die Karibik verursacht ungefähr vier Tonnen CO2 pro Passagier: Wer das alle zwei Jahre macht, der braucht - überspitzt gesagt - zu Hause auch keine Energiesparlampe mehr einzudrehen. Technische Alternativen sind auf lange Sicht nicht zu erwarten, und Kompensationszahlungen à la Atmosfair sind individuell sinnvoll, aber gesellschaftlich keine Lösung. Menschen dürfen also schlicht nicht mehr so viel fliegen.
Aber wer entscheidet darüber, wer fliegen darf und wer nicht? Verzicht über teurere Preise zu forcieren, wäre ungerecht und undurchsetzbar. Der einzige Weg, wie weniger Fliegen akzeptabel gemacht werden kann, wäre eine demokratische Debatte darüber, wer zu welchem Zweck fliegen darf und wer nicht. Nicht ganz so extrem, aber ähnlich eindeutig ist das Beispiel Fleischkonsum, dessen Einschränkung dringend nötig, wohl aber nur über eine gesellschaftliche Debatte möglich wäre. Konsumkritik bedeutet nämlich auch die kollektive und demokratische Aushandlung einer Vorstellung vom guten Leben für alle.
Anerkennung jenseits des Konsums
Konsumkritik muss also nicht allein anderen Konsum, sondern vor allem auch weniger Konsum insgesamt beinhalten. Diese Einsicht legt die Axt an die Grundpfeiler des globalisierten Kapitalismus: das Wachstum der Weltwirtschaft. Konsumkritik wird auf diesem Wege zur Kapitalismuskritik. Die ökonomische Debatte darüber, ob es Wachstum ohne gesteigerten Ressourcenverbrauch überhaupt geben kann und ob ein Kapitalismus ohne Wachstum denkbar wäre, ist dabei aber noch gar nicht entscheidend. Lange vorher wird die Frage relevant, ob weniger Konsum gesellschaftlich überhaupt denkbar wäre. Denn in kapitalistischen Gesellschaften ist Konsum nicht länger ein Mittel zur Bedürfnisbefriedigung. Konsum ist ein zentrales Medium der Vergesellschaftung selbst.
„Im Lifestyle-Kapitalismus ist der Stil eines Menschen, seine Identität, unmittelbar verbunden mit den Dingen, die er konsumiert“, schreibt der Journalist Robert Misik. Wir kaufen nicht nur Dinge, sondern Sinn. Wenn das stimmt, dann hinterlässt die Forderung nach Konsumverzicht eine identitäre Leerstelle. Konsumkritik muss daher zwingend verbunden sein mit Vorstellungen von gesellschaftlicher Anerkennung jenseits des consumo ergo sum („Ich konsumiere, also bin ich.“). Mehr Partizipation am gesellschaftlichen Leben, ein bedingungsloses Grundeinkommen oder solidarisches Wirtschaften im Kleinen wie im Großen könnten Wege sein, die durch Konsumverzicht entstehende Lücke zu füllen.
Die schlechte Nachricht lautet also: Wir kommen um eine radikale Konsumkritik nicht herum, die insbesondere eine Debatte über Verzicht beinhaltet. Die gute Nachricht aber ist: Der Versuch lohnt sich. Ein radikaler konsumkritischer Diskurs ist eng verbunden mit eigentlich linken Forderungen: eine demokratische Gesellschaft, soziale Gerechtigkeit und Sicherheit, eine gute öffentliche Infrastruktur, ja letztlich Emanzipation von den kapitalistischen Verhältnissen selbst. Das sind nicht die schlechtesten Voraussetzungen, um aus dem konsumkritischen einen kapitalismuskritischen Diskurs zu machen.