Meistens haben sie es auf die Finanzmärkte abgesehen, die im Gegensatz zu einem „normalen“ Kapitalismus scheinbar kein Interesse am „Allgemeinwohl“ haben. Neu diskutiert werden Kapitalismus und dessen Kritik mit dem offensiven Auftreten der „Antiglobalisierungsbewegung“. Vor allem mit Attac.

Attac gründete sich in Frankreich offiziell Anfang 1998, fand mit dem „Netzwerk zur demokratischen Kontrolle der Finanzmärkte“ sein deutsches Pendant und stand für „Action pour une taxe Tobin d'aide aux citoyens“ (Aktion für eine Tobin-Steuer als Hilfe für die BürgerInnen), meint aber „sowohl in Frankreich als auch hier längst über den Fokus auf die Devisentransaktionssteuer („Tobin-Steuer“) hinausgewachsen“ zu sein, weshalb wohl der Name des Stichwortgebers einer allgemeineren Formulierung weichen musste: „Association pour une Taxation des Transactions financières pour l'Aide aux Citoyens“ (Vereinigung für eine Besteuerung von Finanztransaktionen zum Wohle der BürgerInnen). Für eine Auseinandersetzung ist es wichtig zu wissen, dass Attac Deutschland zunächst aus einem Zusammenschluss verschiedener NGOs entstanden ist und erst im Zuge der Bewegungskonjunktur der Globalisierungskritiker stark angewachsen ist. Attac ist zum Auffangbecken für politisch Tatendurstige geworden, die anscheinend anderswo – z.B. in der radikalen Linken – keine entsprechenden Anknüpfungspunkte gefunden haben.

Kapitalismus und Krise

Eine der hervorstechendsten Entwicklungen seit den 1970er Jahren ist die Herausbildung eines globalen Finanzmarktes und die damit einhergehenden quantitativen Veränderungen im Zuge von De-Regulierung und Liberalisierung von Kapitalbewegungen. Auf diese hat es die Gruppe Attac abgesehen. Auch wenn die geforderte Tobin-Tax nicht die einzige Forderung ist, ist die „fünfte Gewalt“, wie die Finanzmärkte genannt werden, Dreh- und Angelpunkt der Theorie und Praxis. In den Finanzmärkten bzw. in deren Repräsentanten wird die Macht gesehen, die Politik im Allgemeinen und nationalstaatliche Politik im Besonderen in die Mangel nimmt und die zunehmend alle Lebensbereiche durchdringt. Sie machen auch die scheinbare neue Qualität des Kapitalismus aus, welchen es zu zähmen gelte. Zum anderen wird in den Finanzmärkten das Moment des Kapitalismus gesehen, welches im Alltagsverstand der Menschen präsent ist. Darauf bauen ihre Kampagnen. JedeR, so die These, fühlt sich von den allgegenwärtigen Finanzmärkten betroffen und lasse sich über diese mobilisieren.

Peter Wahl, der eher dem linken Spektrum bei Attac zuzuordnen ist, lehnt in einer Auseinandersetzung mit dem BUKO (Bundeskongress entwicklungspolitischer Aktionsgruppen) die Notwendigkeit eines „elaborierten Krisen- und Kapitalismusbegriff“ für Attac ab. „Vage Gefühle“, „spontane Kritik“ und „emotionale Empörung“ seien ausreichend. Das ist aber nur die eine Seite der Medaille, denn selbst wenn man dem zustimmen würde, liegen implizit bestimmte Vorstellung von Krise und Kapitalismus zugrunde. Das wird offensichtlich, wenn der Ökonom Jörg Huffschmid, Gründungsmitglied bei Attac Deutschland, als theoretischer Stichwortgeber fungiert. So schreibt er in einem von Attac vertriebenen Faltblatt, dass das „wesentliche Problem moderner kapitalistischer Systeme“ in der „ständigen Produktion eines Kapitalüberschusses“ liege, „der wegen unzureichender Binnennachfrage nicht mehr rentabel investiert werden kann.“ Damit wird die Anarchie des Marktes, eine ständige Disproportion von Produktion und Konsumtion für alles Übel im Kapitalismus verantwortlicht gemacht (Unterkonsumtionstheorie). Dem liegt die Fehlannahme zugrunde, dass nur Konsumgüter nachgefragt werden könnten. Nachfragen nach Produktionsmittel werden nur als „Input“ für die Produktion von Konsumgütern wahrgenommen. Aber die Nachfrage nach Produktionsmitteln, die wiederum Produktionsmittel produzieren, ist für die kapitalistische Produktionsweise konstitutiv, da sie auf dem ständigen Zwang zu Produktivkraftentwicklung beruht und damit dem Einsatz neuer Produktionstechniken und -technologien. Produktive Investitionen unterliegen wiederum dem kapitalistischen Verwertungszwang. Investiert wird, wenn es eine Aussicht auf Verwertung gibt. Damit ist man bereits mitten in der Frage nach der Dynamik des kapitalistischen Akkumulationsprozesses und dem Verhältnis von Produktivkapital und Geldkapital. Produktion im Kapitalismus ist immer Spekulation auf eine möglichst gute Profitrate. Auch bei der Investition in produktives Kapital bleibt unklar, ob es sich nach den Erwartungen verwertet. Das wusste selbst der keiner kommunistischen Umtriebe verdächtige Keynes: „We simply do not know“. Weiter schreibt Huffschmid in einer Beilage zur tageszeitung, dass sich die Tobin-Tax darauf richte, „die verkehrten Verhältnisse wieder vom Kopf auf die Füße zu stellen: nicht die Finanzanleger sollen die Ziele der Wirtschaft und der Wirtschaftspolitik bestimmen, sondern demokratische Wirtschaftspolitik, die sich an den Bedürfnissen der Menschen orientiert“. Dann würden die Finanzmärkte auch „eine sinnvolle und wichtige Rolle spielen können“. Diese sei die Finanzierung von Produktion, die natürlich dem „Allgemeinwohl“ zugute kommt. Heutige Finanzinstrumente seien zu „reinen Wetten geworden“. Offensichtlich sind die verkehrten gesellschaftlichen Verhältnisse, die sich in der scheinbaren Natürlichkeit dieser Verhältnisse ausdrückt, bei Attac nicht mehr umzuwerfen, sondern „vernünftig“ und „demokratisch“ einzurichten. Das bedeutet, jegliche Form der Ausbeutung und Herrschaft in der kapitalistischen Produktion auszublenden und als gottgegeben hinzunehmen. Daran schließt das implizite Verständnis an, dass Kapitalismus irgendetwas mit „Allgemeinwohl“ zu tun habe und bürgerliche Demokratie als solche gar nicht so schlecht sei. Dem schließt sich auch die Vorstellung an, über die Verwendung des Ertrags aus der Tobin-Tax könne demokratisch entschieden werde. Verteilung von und Zugang zu gesellschaftlichem Reichtum findet nur im Nachhinein über den lieben Staat statt, und die zu Grunde liegenden Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnisse werden somit hingenommen. Weiter wird „eine völlig neue Qualität internationaler Wirtschaft“ suggeriert. Ein entfesselter Markt und die „Diktatur der Finanzmärkte“ stehen einem imaginierten gebändigten Kapitalismus gegenüber. Nicht nur, dass auf jegliche radikale Kritik an Kapitalismus und ihm spezifischen Politikformen (Staat) verzichtet wird. Warum es einen neuen Kapitalismus geben soll, bleibt im Dunkeln. Die suggerierte neue Qualität des Kapitalismus wird immer wieder mit den enormen Summen belegt, die sich täglich über den Erdball bewegen. Anstatt von einer quantitativen Beschreibung auf qualitative Veränderungen zu schließen, gilt es vielmehr, die beobachteten quantitativen Entwicklungen mit qualitativen Unterschieden zwischen verschiedenen Märkten zu begründen. Charakteristisch für Finanzmärkte ist nicht eine grundlegend andere Funktionsweise von Kapitalismus, sondern zum einen die Eigenschaften der getauschten Waren: Zeit, Erwartung, Risiko, etc. Zum anderen dominiert auf dem Finanzsektor nicht nur die nicht-zeitgleiche Zahlung, sondern es werden sogar Zeit-Kontrakte gehandelt.

Des Weiteren werden die für den Kapitalismus immer schon strukturellen Determinanten für die Verteilung des Geldkapitals auf die verschiedenen Anlagesphären bei dieser Analyse ausgeblendet. Eine wesentliche Determinante für produktive Investitionen ist die Erwartung höherer Einsparung von variablem Kapital (Arbeitskräften) als Kosten für investiertes konstantes Kapital (Maschinen). Hier verschieben sich die Entscheidungsoptionen, wenn massiv Löhne gedrückt werden, oder durch Klassenkämpfe Löhne steigen. Was bei Attac in den Vordergrund rückt, war ebenso schon immer strukturelle Determinante im kapitalistischen Reproduktionsprozess: das Finanzsystem. Die zu erwartende Profitrate misst sich mit einem gegebenen Zinsfuß. Sie stehen sozusagen in Konkurrenz zueinander. Natürlich ist der Kapitalismus nicht einfach immer derselbe. Das Neue ist u.a., dass die Finanzmärkte im sich globalisierenden Kapitalverhältnis am ehesten einen globalen Markt darstellen. Dies bedeutet, dass Geldkapitalströme und die Durchschnittsprofitrate keinen nationalstaatlichen Rahmen mehr haben. Für die Verwertung von vorgeschossenem Geldkapital werden jetzt globale Standards gesetzt. Mit dieser Entwicklung und den enormen Massen an Kapital sind die Auswirkungen von Krisen und ist die Anfälligkeit zwar gestiegen, was aber nicht bedeutet, dass ein „normaler“ Kapitalismus, den Attac ständig suggeriert, eine krisenfreie Veranstaltung ist. Es ist gerade sein wesentliches Kennzeichen, dass sich Akkumulation krisenhaft entwickelt und sich über Krisen immer wieder Dynamik gewaltsam herstellt.

Strategische Affirmation

Nicht nur, dass Politik und Ökonomie analog zu Finanzsystem und produktivem Kapital einander äußerlich erscheinen, geht bei Attac jedes kritische Verständnis von bürgerlich-parlamentarischer Demokratie abhanden. Politik müsse den globalisierten Märkten „nachwachsen“ oder diese müssten wieder auf den Boden der FDGO (Freiheitlich-Demokratische-Grundordnung) geholt werden. Mit ihrem ganzen öffentlichen Auftreten wirken sie, auch wenn sie es immer wieder zurückweisen, nur als die Interessenvertretung der Tobin-Tax. In öffentlichen Auseinandersetzungen weisen sie die Kritik immer zurück, die sich allein an dieser Steuer aufhält. Es sei klar, dass diese nicht so viel bringen würde und dass es sich eher um ein taktisches Verhältnis handele. Hier trifft der vom BUKO erhobene Vorwurf, Attac verkaufe die Leute, die sie gewinnen wolle, für dumm. Bei Attac geht es ständig um alternative politische Entscheidungen, darum, den „Verlierer parlamentarische Demokratie“ (Wahl) wieder zu bestärken. So ist es auch nicht verwunderlich, dass sowohl der ehemalige französische Innenminister und stolzes Attac-Mitglied Chevènement öffentlich als Star auftreten kann, als auch der ehemalige deutsche Finanzminister Lafontaine auf dem bundesdeutschen Attac-Kongress in Berlin. Die Grundlage für eine Zusammenarbeit mit Funktionären, die u.a. auch für Abschiebungen mit Todesfolge und keynesianischer Wirtschaftspolitik stehen, bleibt ungeklärt.

In Auseinandersetzungen um die Strategie bei Attac wird gerne auf Anschlussfähigkeit und Alltagsverstand verwiesen. In Anlehnung an Gramsci muss der Alltagsverstand einer Kritik unterzogen werden, da er selbst Teil der Verhältnisse ist und somit nicht automatisch oder generell Grundlage für eine andere Politik. Dem aber verweigern sich Attac. Da ihre Kapitalismuskritik innerhalb der Kategorien den Verhältnissen verhaftet bleibt, verwehren sie sich selbst die Möglichkeit dessen, was sie selbst einfordern: eine andere Welt. Mit Kampagnen wie „Stopp Steuerflucht“ leisten sie einer Vorstellung von einem gerechten Kapitalismus und einer personifizierender Kritik Vorschub. Ebenso wird mit der Kampagne „Weg mit der Riester-Rente!“ an einem Alltagsverstand angeschlossen, der den gerechten Lohn langer harter und produktiver Arbeit von bösen raffgierigen Spekulanten in Gefahr sieht. Auch wenn es unabdingbar ist, an der alltäglichen Lebenserfahrung anzusetzen, gilt es doch die Grammatik des Alltagsverstandes ernst zu nehmen, um nicht Bewusstseinsformen zu reproduzieren, die mit einer emanzipatorischen Politik nicht zu vereinbaren sind. Weiter kann behauptet werden, dass Attac mit ihrer Strategie dem Begriff des „senso comune“ alle Ehre machen. Mit dem italienischen Original ist noch eher das Konsensuale zu erkennen. Hegemonietheoretisch tragen sie dazu bei, einen herrschaftlichen Konsenses zu organisieren. Die Bestrebungen von internationalen Organisationen und Regierungen, neue Formen der Regulierung oder Organisation zu etablieren, findet in Attac ein williges Pendant. So wird aus Sand im Getriebe schnell Schmieröl in der Verwertung.

Kritik der kritischen Kritik

Natürlich kann man an Attac und ihren Positionen das pflegen, was Freud den „kleinen Narzissmus der Differenz“ genannt hat. Die „Antideutschen Kommunisten“ aus Berlin wähnen hinter dem „frisch-fröhlichem Geplapper“ etwas, was Attac verbergen wolle. Es hätte den „Zweck“, die eigene Ohnmacht zu verdecken. Dagegen fordern sie ein, sich in die „schärfste Opposition nicht nur zu den Herrschenden, sondern auch zu den stumpfsinnig vorsichhinwurstelnden Massen“ zu begeben. Dazu hätten die GlobalisierungsgegnerInnen keinen Mut. Diesen wird allgemein Antisemitismus vorgeworfen und es wird die Argumentation von Silvio Berlusconi aufgenommen, der behauptet, die GlobalisierungsgegnerInnen hätten eine Interessensidentität mit den Tätern der Anschläge vom 11. September: Darin fänden sie nämlich das Spiegelbild ihres Kampfes, so die wackeren Kommunisten. Wenn die vorgetragene Kritik wenigstens geistreich wäre, könnte man sie noch von den „intellektualistischen Elementen“ reinigen, wie Gramsci es formuliert. Dem ist aber leider nicht so. Udo Wolter hat dagegen in einer Sondernummer des iz3w die nicht unbegründete Befürchtung, dass sich „linke Irrtümer“ mit dem Erstarken des Antikapitalismus wiederholen. Personifizierende Kritik, eine strukturell offene Flanke zum Antisemitismus, vereinfachende dichotome Gegensätze und Antiamerikanismus. Ob hier allerdings die alleinige Arbeit am Begriff hilft, wie es Wolter einfordert, ist fraglich. Natürlich gilt es, „falsche Kategorien“ der Gegenbewegung zu kapitalistischer Herrschaft zu thematisieren. Ebenso kommt man nicht um eine Kritik der „objektiven Gedankenformen“ (Marx) herum. Aber diese Kritik fällt erst dann auf keine tauben Ohren mehr, wenn es eine „simple Kapitalismuskritik“ (G. Hanloser, jungle world 28/01) gibt, also einen antikapitalistischen Alltagsverstand und eine gesellschaftliche Kraft, die radikale Kritik wieder auf die gesellschaftliche Agenda bringt. Und ob diese sich über begriffliche Schärfe herstellen lässt, ist mehr als fraglich.

Was tun?

Die Kritik an Attac soll v.a. als Aufforderung an uns alle verstanden werden, uns wieder eine radikale Kapitalismus- und Staatskritik anzueignen, sie hegemoniefähig zu machen – durchaus auch in Diskussionen mit Attac. Die Linke muss ihre Defensive und ihr teilweises Versagen auf dem ökonomiekritischen Feld in den letzten 20 Jahre aufarbeiten. In der Theorie wie in der Praxis! Dabei ist aber das wichtig, was Poulantzas den Kampf auf Distanz zum Staat bezeichnet hat. Da er den Begriff des Staates in einem sehr weiten Sinn gebraucht, geht es darum, gegen alle Formen der Politik Widerstand zu leisten, die Herrschaft und Ausbeutung in einem komplexen Ensemble von Institutionen, Organisationen und Kräften reproduzieren. Das bedeutet zum einen, jeder Professionalisierung und Institutionalisierung kritisch zu begegnen. Institutionalisierung ist auf der einen Seite notwendig, nicht nur um Geschichte einer sozialer Bewegungen zu materialisieren, sondern auch, um Kontinuität einer Praxis bewahren zu können. Auf der anderen Seite gibt es keine Institutionen außerhalb der die Gesellschaft konstituierenden Herrschaft- und Machtverhältnisse. Des Weiteren muss es darum gehen, Widerstand und vor allem politische Organisierung wieder in allen Bereiche des Alltags zu verankern und voranzutreiben. In der Alltagspraxis finden die Auseinandersetzungen um den Alltagsverstand statt, hier werden kollektive Wahrnehmungen und Interpretationen von gesellschaftlicher Wirklichkeit geprägt. Diese ist weder einfach gegeben, noch kann sie einfach über aufklärerische Flugblätter verbreitet werden.