Ob etwas eine Vergewaltigung ist, hing laut Strafgesetz bis 2016 nicht davon ab, ob eine Person gerne jetzt, hier, von dieser anderen Person und auf diese Weise penetriert werden wollte. Es hing davon ab, ob sie sich genug gewehrt hat und das auch beweisen kann. Eine Kolumnistin hat es großartig auf den Punkt gebracht: Wenn meine Vagina ein Auto wäre, hätte sie mehr Rechte.

Feminist*innen und andere denkende und fühlende Menschen fordern seit vielen Jahren endlich eine klare Gesetzgebung, die festschreibt, dass das «Nein» gilt und ausreichen muss und dass das Bestimmungsrecht jedes Menschen über den eigenen Körper bei ihm selbst liegt. Wir erinnern uns: Vergewaltigung in der Ehe ist erst seit 1997 eine Straftat. Vorher konnte per Definition ein Geschlechtsverkehr innerhalb eines Eheverhältnisses keine Vergewaltigung sein. Eine Frau war sogar dazu angehalten, während ihrer «ehelichen Pflichten» weder Widerwillen noch Gleichgültigkeit zu zeigen.

Wer trägt die Verantwortung für Konsens?

Auch nach der Strafrechtsreform gilt: Die Verantwortung für (Nicht-)Konsens liegt bei der penetrierten Person, die deutlich genug ihren Unwillen zeigen muss, was im Zweifelsfall zu beweisen wäre. Die juristische Verantwortung liegt weiterhin nicht bei der Person, die jemand anderen penetrieren möchte. Da es hier statistisch und diskursiv meistens um heterosexuelle Interaktionen geht, wird also davon ausgegangen, dass Frauen Männern für Penetration zur Verfügung stehen, bis sie das Gegenteil beweisbar deutlich genug machen. Das ist quasi ein «Opt-Out»-Setting mit Hindernissen.

Erschwerend kommt hinzu, dass es einen weit verbreiteten Glauben daran gibt, dass «Frauen, wenn sie Nein sagen, eigentlich Ja meinen» und «ein bisschen Zieren» zum Flirten dazu gehöre. Eine Frau, die eigentlich will, darf eben nicht «leicht zu haben» sein. Da ich Workshops zu Sexualität und Einvernehmlichkeit gebe, in denen es auch Spiele zum Nein-Sagen gibt, stelle ich immer wieder fest, dass es den meisten weiblich sozialisierten Menschen ausgesprochen schwer fällt, Nein zu sagen, ohne dabei entschuldigend zu lächeln oder verniedlichende Gesten zu machen. Und das kann dann wiederum als Zustimmung interpretiert werden und wird es auch.

Wir merken, dass wir uns in tief verankerten heterosexistischen Welten befinden. Auch «emanzipative» Vorstellungen von freiwilligem Sex sind davon geprägt: Er findet zwischen Mann und Frau statt, wobei der Mann sowieso und immer oder zumindest öfter will und die Frau eigentlich nicht oder nur selten, weswegen ein guter Mann Rücksicht nimmt und eine emanzipierte Frau weiß, was sie will. Etwas abgewandelt finden sich ähnliche Vorstellungen auch in Lsbtq-Beziehungen wieder, in denen oft Vorstellungen von aktiven und passiven, «männlicheren» und «weiblicheren» Rollen wichtig sind. «Guter Sex» funktioniert in der Vorstellung vieler Menschen zudem wortlos: Man tastet sich so vor, in der Hoffnung, dass kein Nein kommt und dass es gefällt.

Ein Nein zu kriegen ist in dieser Vorstellung eine Demütigung oder Niederlage, wird auf jeden Fall aber als persönliche Ablehnung verstanden und soll nicht vorkommen. Kein Nein zu bekommen wird automatisch als Erlaubnis gesehen weiter zu machen, und die Verantwortung dafür, ein Nicht-Wollen auszudrücken, liegt bei der Person, die nicht will. «Nein heißt Nein» ist also das absolute Minimum, um eine letzte und absolute Grenze zu markieren.

Konsens ist Sex mit Opt-in-Setting

Das Zustimmungskonzept versucht, sexuelle Kommunikation und Aushandlungsprozesse sicherer und einvernehmlicher zu machen. Zustimmung für sexuelle Handlungen muss hiernach aktiv und verbal eingeholt werden, Intentionen und Wünsche werden transparent gemacht statt ausgetestet. Die andere Person hat die Möglichkeit, sich frei und informiert dafür oder dagegen zu entscheiden, etwas miteinander zu tun oder mit sich tun zu lassen. Wozu es keine explizite Zustimmung gibt, das geschieht nicht. Geschaffen wird hier also ein «Opt-In»-Setting.

Dass es für einen derartigen Umgang miteinander und mit Sexualität andere Fähigkeiten als für «das Wortlose Herantasten» braucht, ist offensichtlich. Dass den meisten von uns das nicht leicht fällt, auch. Denn, wenn wir zum Beispiel aktiv Zustimmung für etwas einholen wollen, das wir gerne tun würden, müssen wir erstens selbst wissen, was wir wollen und das zweitens verbalisieren können (wobei die wenigsten von uns schöne, und respektvolle Wörter für Genitalien und Sex zur Verfügung haben und auch gewohnt sind, sie selbstverständlich zu benutzen). Drittens müssen wir in der Lage sein, damit umzugehen, dass wir uns dabei transparent und verletzlich machen.

Kein Wunder also, dass viele Leute diesem Konzept sehr zögerlich bis ablehnend gegenüberstehen, auch wenn sie Sexualität einvernehmlich ausleben möchten. Auch wenn meine Wertschätzung für das Zustimmungskonzept groß ist, sehe ich doch einige Probleme, die ich aufzeigen möchte. Hierbei interessieren mich besonders Interaktionen zwischen Menschen, die sich gegenseitig wertschätzen und an Einvernehmlichkeit interessiert sind. Denn auch hier kann es Schwierigkeiten mit Konsens geben, die sich oft nicht einfach als Übergriff in Täter-Opfer-Strukturen aufteilen lassen.

«Das Zustimmungskonzept ist unter dem Namen «Consentual Sex» in US-Amerikanischen High-Schools zuerst formuliert und propagiert worden. Wenn wir uns heterosexuelle pubertierende High-School-Schüler*innen betrunken auf Partys vorstellen, ist das sicherlich erst mal eine gute Diskussionsgrundlage.»

Wenn man dieses Konzept genauer betrachtet, ist es leider auch von Vorstellungen von Heterosexualität geprägt: Es gibt eine aktive Person, die fragen muss, und eine passivere Person die gefragt werden muss, damit sie nicht zum Opfer wird. Das Zustimmungskonzept ist unter dem Namen «Consentual Sex» in US-amerikanischen High-Schools zuerst formuliert und propagiert worden. Wenn wir uns heterosexuelle pubertierende High-School-Schüler*innen betrunken auf Partys vorstellen, ist das sicherlich erst mal eine gute Diskussionsgrundlage.

Heterosexistische Bilder von Macht und Ohnmacht

Wenn wir an reflektierte Erwachsene denken, die nur möglicherweise, aber nicht notwendigerweise heterosexuell sind, wird das schon schwieriger. Immer noch ist es unabdinglich, abzuklären, ob die andere Person einverstanden ist, bevor man etwas mit ihr tut. Aber schon die Verknüpfung von aktiv-passiv und Macht funktioniert nicht mehr so leicht. Wenn es kein strukturelles Machtgefälle gibt, sind Aushandlungsprozesse anders. Wer aktiv ist, ist nicht automatisch mächtiger. Wer wertschätzend aktiv ist, macht Angebote und muss sich zeigen, während die «passive» Person auswählen kann. Aktiv und passiv sind auch nicht automatisch nach Geschlecht festgeschriebene Rollen, können wechseln und sind nicht zwangsläufig immer als Gegensatz-Paar vorhanden. Wer aktiv ist, weiß nicht zwangsläufig besser, was er oder sie will, sondern kann den Kontakt zu sich selbst im Anspruch verlieren, alles richtig machen oder anderen Personen gefallen zu wollen.

Ich sehe in einer Festschreibung von Verantwortung und Rollenverteilung die Gefahr einer Bestätigung von Rollenklischees. Wir gehen nämlich von einer aktiven Seite aus, die weiß, was sie will und das mit einer passiven Seite tut, die sie im Idealfall um Erlaubnis gefragt hat. Wenn sie das nicht tut, definieren wir, dass ein Übergriff passiert ist. Auf der einen Seite ist es wichtig, gerade an (cis-)Männer zu signalisieren, dass es übergriffig ist, nicht zu fragen, bevor man etwas mit dem Körper einer anderen Person tut. Andererseits verfestigt man damit wieder die Bilder von Macht, in denen die aktive Seite die Macht hat, jemand anderen zum Opfer zu machen. Dabei wird Opfer-Sein ein objektivierbarer Fakt über den die Handlung und Intention des Täters bestimmt, unabhängig davon, wie eine passive Person die Situation und sich selbst definiert oder ihre Handlungsmacht in der Situation wahrnimmt. Wieder findet eine Objektivierung und Bevormundung statt.

Leider macht diese Position es außerdem schwierig, in einen offenen Austausch über die Tücken der Kommunikation und der Komplexität von Sex zu kommen. Auch Situationen in denen Konsens trotz guten Willens nicht funktioniert hat, können so nicht gut aufgearbeitet werden. Menschen, denen es schwer fällt zu fragen oder generell zu verbalisieren und Menschen, denen es schwer fällt, Nein zu sagen, sehen sich so zusätzlich mit Anforderungen und Schuldzuweisungen von außen konfrontiert.

Reden macht nicht alles klarer

Es ist zwar notwendig, das Sprechen über Körper, Bedürfnisse und Begehren zu üben und zwar so lange und immer wieder, dass es eine Selbstverständlichkeit wird. Die Vorstellung jedoch, dass durch Sprache automatisch Kommunikation viel klarer und eindeutiger wird, halte ich leider aber für einen gefährlichen Trugschluss und einen akademischen Wunschtraum. Denn selbstverständlich kann jede*r jederzeit Ja zu etwas sagen, was sich eigentlich nicht gut anfühlt und zwar aus genau denselben Gründen, warum man etwas wortlos mitmachen oder über sich ergehen lassen kann: aus Unsicherheit oder Unerfahrenheit; aus Angst davor, jemanden zu verletzen, die Stimmung kaputt zu machen oder sich rechtfertigen zu müssen; aus dem Wunsch heraus, dem Selbstbild zu entsprechen oder cool gefunden zu werden; um darüber hinweg zu gehen, dass im Moment gar kein Gefühl da ist, aber die Hoffnung, dass es wieder kommt; um Bilder von «gutem Sex» zu erfüllen; um sich nicht verletzlich zu zeigen; um die Beziehung zu behalten; aus Neugier…. Es gibt sehr viele Gründe dafür, Ja zu etwas zu sagen, was sich nicht gut anfühlt. Auch ein Ja ist keine absolute Garantie für Konsens.

Die Vorstellung jedoch, dass durch Sprache automatisch Kommunikation viel klarer und eindeutiger wird, halte ich leider aber für einen gefährlichen Trugschluss und einen akademischen Wunschtraum.

Und während es gut ist, darauf hinzuweisen, dass es nicht ausreicht, sich auf non-verbale Kommunikation zu verlassen, ist das eine Ebene, ohne die es eben auch nicht geht. Wenn jemand Ja sagt, aber unentspannt und gestresst wirkt, kann die verbale Ebene nicht die einzige sein, auf die geachtet wird.

Für konsensuelles Miteinander ist es notwendig, auf verschiedenen Ebenen achtsam und wertschätzend zu kommunizieren und das zu üben. Erfreulicherweise ist für ein Gelingen dabei aber nicht Perfektion entscheidend, sondern vielmehr die Bereitschaft sich darauf einzulassen, es zu versuchen, denn schon das schafft Atmosphären, die ein konsensuelles Miteinander fördern.

Und dann ist es zwar so, dass Sprechen für viele Menschen Sex klarer und sicherer macht, Sprechen während des Sex‘ aber für einige Menschen wirklich gar nicht funktioniert. Achtung: Damit meine ich nicht das unbehagliche Gefühl, wenn Sprechen einfach neu, ungewohnt und «peinlich» ist! Manche Menschen bevorzugen non-verbale Kommunikation während des Sex, obwohl ihnen Sprechen nicht schwer fällt. Eine freie Wahl ist das natürlich nur dann, wenn Sprache eine wirkliche Möglichkeit ist, ansonsten ist es immer auch ein Ausweichen.

Wheel of Consent

Betty Martin, die in ihrem «Wheel of Consent»-Konzept großartig die Komplexität von Aktiv-Passiv-Dynamiken herausarbeitet, sagt über sich selbst: «Wenn ich weiß, was ich will, ist, nicht danach zu fragen, Feigheit». Allerdings muss es meiner Meinung nach auch einen liebevollen Umgang mit Feigheit geben dürfen. Ihr Konzept veranschaulicht, dass aktiv und passiv nicht zwangsläufig bestimmen, wer mächtiger ist und wer «mehr davon hat». Aktiv kann sowohl nehmend als auch gebend sein und passiv sowohl empfangend als auch zulassend. Auch hier lohnt es sich, klar zu kommunizieren, wer sich gerade wo sieht. Es gibt nämlich die Tendenz, dass in sexuellen Begegnungen alle Beteiligten das Gefühl haben, etwas für die andere Person zu tun oder mitzumachen, sich also selbst als gebend wahrnehmen. Dafür gehen sie eventuell auch über eigene Grenzen, ohne dass eine andere Person dafür überhaupt das Äquivalent an Hingabe oder Genuss spürt.

Auch Trauma spielt eine Rolle

Als letztes möchte ich noch auf den Aspekt Trauma eingehen. Jede dritte (cis-)Frau und jeder siebte (cis-)Mann hat laut offiziellen Statistiken in ihrem/seinem Leben sexualisierte Gewalt erlebt. (Zu Menschen, die nicht binären Kategorien angehören, sind mir leider keine Statistiken bekannt.) Die Wahrscheinlichkeit, dass wir in unserem Leben keinen Kontakt zu Menschen haben, die negative Erfahrungen mit Sexualität gemacht haben, ist also verschwindend gering. Gerade in linken, feministischen und queeren Kreisen gibt es dafür oft ein starkes Bewusstsein und den Wunsch «alles richtig» zu machen, um weder selbst übergriffig zu sein noch unangenehme Gefühle oder Erinnerungen hervorzurufen und es ist gut, dadurch zu versuchen, sicherere Orte zu schaffen.

Ich denke, dass das im Sex aber nicht wirklich auszuschließen ist. Ein Trigger kann so vieles und auch unvorhersehbar sein: Bestimmte Berührungen, ein ganz spezifischer Tonfall, ein Geruch und sogar eine gut gemeinte Frage, können Flashbacks auslösen. Was genau für jemanden ein Trigger ist, können andere nicht wissen. Außerdem fällt es gerade traumatisierten Menschen oft schwer, direkt zu merken und zu kommunizieren, wenn sich etwas unangenehm anfühlt oder zu viel ist. So kommt es leicht zu Situationen, in denen sich im Nachhinein das Gefühl zu einer Situation oder Handlung verändert, was natürlich für alle Beteiligten schwierig sein kann und Unsicherheit im Kontakt verursacht. Hier geht es auch darum, einen Rahmen zu schaffen, in dem damit liebevoll umgegangen werden kann.

Konsensuelle Atmosphären schaffen statt Regeln befolgen

Mein Vorschlag ist also, weiter zu reden, immer besser reden zu lernen, im Sex bewusst Opt-In statt Opt-Out-Situationen zu schaffen. Aber darüber hinaus im Privaten und im Politischen konsensuelle Atmosphären zu schaffen, also Atmosphären, in denen Menschen sich frei und sicher genug fühlen, Wünsche oder Abneigungen zu fühlen und zu äußern. Menschen, die sich grundsätzlich frei, willkommen und wertgeschätzt fühlen, trauen sich eher, sich mit Unsicherheiten und Tollpatschigkeit zu zeigen oder etwas anzusprechen, was sich erst im Nachhinein unangenehm angefühlt hat. Statt nur zu versuchen, Missverständnisse und unangenehme Erlebnisse zu vermeiden, ist es nötig, auch einen Raum zu schaffen, in dem klar ist, dass derartige Dinge trotz guten Willens passieren können und miteinander besprochen und im besten Falle aufgelöst werden können.

Wir können dazu beitragen, indem wir uns selbst verletzlich und unsicher zeigen, uns aber auch dort, wo wir wissen, was wir wollen, nicht klein machen, unser Nein und das der anderen als selbstverständlichen Teil sexueller Kommunikation wertschätzen, Jas suchen, klarer kommunizieren üben, und indem wir andere bestärken, die das gleiche probieren. So entsteht im besten Falle ein Raum, in dem Ja und Nein gleich wertvoll sind, Vielleicht-Zonen sicher ausgelotet werden können und der Kontakt auch Unperfektheiten und Missgeschicke aushalten kann.