Moritz Strickert: Wie ist eure Gruppe entstanden und was bedeutet es, mit Menschen ohne sicheren Aufenthaltsstatus zu arbeiten?

Dago Bailon: Wir haben im Jahre 2011 begonnen uns zu organisieren, da wir feststellten, dass keine Organisation existierte, die sich auf die Bedürfnisse von Menschen fokussierte, die sich gleichermaßen als Lgbt* und als Migrant*innen identifizieren. Wir haben uns organisiert, indem wir Double coming out-Foren angeboten haben, in denen Menschen über ihre Erfahrungen als Lgbt* berichten konnten und zugleich auch ihre Erfahrungen als Papierlose thematisierten. Dann sprachen wir über die Gemeinsamkeiten und taten dies sowohl mit Lgbt* als auch mit migrantischen Organisationen, weil unser Ziel darin bestand, eine Brücke zwischen den beiden Bewegungen zu schaffen. Wir stellten 2011 fest, dass ein Mangel an nicht-weißen Vorbildern herrschte. Oftmals waren wir nicht in der Lage, uns mit den gegenwärtigen Bewegungen zu identifizieren. Es gab viele Themen und Probleme, die nicht angesprochen wurden. Deshalb schufen wir eine basisdemokratische Organisation.

Eine wichtige Erfahrung unserer Arbeit war, dass ehrenamtliches Arbeiten manchmal schwierig für Menschen ist, die bereits zwei oder drei Jobs haben, sodass wir diese Personen nicht bezüglich ihrer Mitarbeit anfragen können. Aus diesem Grund bieten wir Stipendien an, damit die Menschen mit diesem Geld in ihrer Wohnung bleiben können oder ihre Wasser- und Stromrechnung bezahlen können. Eine Sache, die sehr gut funktioniert hat, ist die Schaffung eines sicheren Raumes, in dem unsere Identitäten respektiert werden und wir über unsere Gefühle sprechen können, wo Leute wissen, dass sie selbst federführend sind und Projekte eigenständig entwickeln können.

¿Könntest du kurz die Ziele der Gruppe Trans Queer Pueblo vorstellen?

Wir denken es ist notwendig, dass unsere Community ihre Rechte kennt und versteht, wie alternative Strukturen aufgebaut werden können, die nicht notwendigerweise von staatlichen Strukturen abhängig sind, da die gegenwärtige Regierung nicht unbedingt auf unserer Seite ist. Wir arbeiten auf sechs verschiedenen Gebieten: Das erste ist ökonomische Gerechtigkeit, das zweite Community-Verteidigung. Das bedeutet: Die Menschen, die sich als Lgbt* identifizieren, aus Abschiebezentren herauszubekommen und auf ihren Bleiberechtsstatus einzuwirken. Drittens Familienakzeptanz, was die Bereitstellung von Mitteln für die Eltern von papierlosen Lgbt*-Personen bedeutet, sodass sie ihre Kinder unterstützen können. Viertens Gesundheitsgerechtigkeit: Menschen ohne Papiere haben seit 2004 keinen Zugang zu behördlichen Dienstleistungen oder zu ärztlicher Versorgung. Deshalb haben wir eine kostenlose Klinik für Lgbt*-Migrant*innen eröffnet. Das fünfte Element ist unmittelbar politischer Natur: Wir versuchen einen Raum für Papierlose zu schaffen, wo sie politisch aktiv werden und ihrer Stimme Gehör verschaffen können. Schließlich gibt es auch noch ein Kunstprogramm.

¿Wer sind eure Verbündeten bei eurer Arbeit?

Wir arbeiten in der Hauptsache mit queeren und migrantischen Communities. Für uns ist es wichtig zu verstehen, dass weder die Linke noch die Rechte Dinge tut, die für unsere Community das Richtige sind. Präsident Obama, ein Präsident der Linken, hat nichts für Lgbt* und migrantische Communities getan. Vielmehr war er der Präsident mit den meisten Abschiebungen und hat eine Abschiebemaschinerie geschaffen, die er an Trump übergeben hat. Wir stellen sicher, dass wir mit lokalen Communities arbeiten, um Strukturen zu schaffen, die weder abhängig von der Linken noch von der Rechten sind, da unsere Bedürfnisse manchmal Parteigrenzen transzendieren. Wir müssen sicherstellen, dass unsere Leute hier und am Leben bleiben.

«Für uns ist es wichtig zu verstehen, dass weder die Linke noch die Rechte Dinge tut, die für unsere Community das Richtige sind. Präsident Obama, ein Präsident der Linken, hat nichts für Lgbt* und migrantische Communities getan.»

¿Wie würdest du euer Verhältnis zum Rest der queeren bzw. migrantischen Communities beschreiben?

Es ist in Ordnung, aber ich denke, dass noch viel Arbeit getan werden muss. Organisationen, die mit migrantischen Communities arbeiten, sind hauptsächlich religiös. Das bedeutet, dass eine Menge an Homo- und Trans*phobie dort präsent ist. Ebenso existiert Misogynie – auch bei nicht-religiösen Organisationen. Es dauert oft eine Weile bis Menschen, die mit uns zusammen arbeiten wollen, verdaut haben, dass wir verschieden sind, Trans*frauen und -männer, queere feminine Körper, sehr butche Lesben. Wir bauen diese Brücke Stein für Stein, was noch einige Zeit dauern wird. Auf der Lgbt*-Seite verhält es sich so, dass Nicht-weiße lange als machtlos angesehen worden sind. Es verändert ihre Weltsicht, wenn ein kleiner, nicht-weißer Mann den Raum betritt und ihnen sagt, was zu tun wäre oder wenn eine Trans*frau of Color dies tut. Aber wir arbeiten mit verschiedenen Organisationen auf beiden Seiten und wir haben Verbündete, die unsere Probleme verstehen und die bereit sind uns zu unterstützen.

¿Ich habe gelesen, dass eure Gruppe den letzten Phoenix Pride kurzzeitig unterbrochen hat. Könntest du mir ein wenig darüber erzählen?

Wir haben den Phoenix Pride im letzten April unterbrochen, da die Pride zu kommerziell geworden ist und keinen Standpunkt bezüglich sozialer Gerechtigkeit und Geschlechterfragen eingenommen hat. Was dort passierte ist, dass diese Organisationen von unseren Queer of Color-Körpern profitieren, ohne jedoch wirklich etwas tun zu müssen. Sie sagen, dass sie die Lgbt*-Community repräsentieren, wenn jedoch eine Trans*frau in einem Abschiebezentrum ist, sind sie nicht bereit sie in ihrem Fall zu unterstützen. Sie sagen, dass sie sich für Lgbt*-Belange einsetzen, aber wenn es Bedarf an Gesundheitsversorgung gibt, beziehen sie keinen Standpunkt, da dies zu politisch ist. Wir sehen als Organisation, dass die Pride-Paraden generell ihre wahre Bedeutung verloren haben. Hier in den Vereinigten Staaten begann es als riot gegen die Polizei, weil die Menschen genug von ihr hatten. Nun verwandelt es sich in ein kommerzielles Event, bei dem diese Organisationen Gleichberechtigung für einen Tag verkaufen und damit Profit erzielen. Bezüglich People of Color, als Teil der Lgbt*-Community, waren sie sich unserer Bedürfnisse nicht bewusst. Für viele Personen, insbesondere in Arizona, ist es sehr angstauslösend, dass die Polizei dort anwesend ist und setzt Papierlose zugleich der Gefahr von Abschiebungen aus. Das ist nicht in Ordnung für uns. Pride begann als gegen die Polizei gerichteter Aufstand und es ist nicht richtig, nun die Polizei dort mit einem eigenen Festwagen zu haben. Unsere erste Forderung war, dass die Polizei von Phoenix nicht mehr teilnimmt. Die Polizei in Phoenix zeichnet sich durch die Verursachung der größten Pro-Kopf-Todeszahl in den gesamten Vereinigten Staaten aus. Dies bedeutet, dass wir es mit einer Einheit zu tun haben, die sehr gewalttätig ist.

Pride begann als gegen die Polizei gerichteter Aufstand und es ist nicht richtig, nun die Polizei dort mit einem eigenen Festwagen zu haben.

Außerdem wollten wir die Pride dazu bewegen, den Bürgermeister der Stadt zu drängen «Order 4.48» zu beenden. Dies ist eine Anordnung, die es der Polizei erlaubt, als Immigrationsfahndung zu fungieren. Außerdem wollten wir ein Gesetz abschaffen, welches dazu führt, dass Trans*frauen wegen der vermeintlichen Absicht, sich zu prostituieren, kriminalisiert werden. Es gibt Razzien in den Rotlichtdistrikten, bei denen die Polizei diejenigen festnimmt, die angeblich die Intention gehabt hätten, sich zu prostituieren. Dies ist sehr vage, sodass darunter auch das Heranwinken eines Taxis oder das Herunterlaufen einer Straße fallen kann. Wir wollen dies stoppen, da diese Razzien Trans*frauen ohne Papiere der Gefahr einer Abschiebung aussetzen. Außerdem forderten wir ein Komitee für People of Color, um relevante Themen bei der Pride mit einzuschließen und die Sicherheit von People of Color zu berücksichtigen.

¿Was waren die Reaktionen während und nach der Pride?

Als wir die Parade stoppten, gab es viele gewalttätige Reaktionen von den Zuschauer*innen. Ich denke, das ist ein Ausdruck davon, dass viele nicht wussten warum die Pride begonnen hatte und sie uns als Leute ansahen, die ihre Unterhaltung ruinierten. Was wir wirklich tun wollten, war die Leute zu informieren und ihnen zu sagen: «Hey, das ist, warum der Pride begonnen hat. Lasst uns ein wenig Geschichte zusammen lernen.», das passierte nicht. Menschen wurden wütend, Schilder zerrissen, Unflätigkeiten gerufen und sie sagten, dass sie uns abschieben wollen. Im Nachgang sind wir nun in Gesprächen mit der Pride-Organisation, um zu schauen, ob sie ein oder zwei von unseren Forderungen erfüllen können. Wir sind mit ihnen seit zwei Monaten in Kontakt, aber es geht langsam voran, weil die Pride-Organisator*innen uns nicht wirklich verstehen. Es ist noch viel Aufklärung in Bezug auf People of Color Themen notwendig, damit wir die Pride in eine Richtung bewegen können, in der sie sicher für alle ist.

¿Ihr bietet sogenannte Know your Rights Forums an, vielleicht könntest du mir ein bisschen mehr darüber erzählen?

Ein Teil unseres Community-Verteidigungsprogramms ist, es sicherzustellen, dass alle die Mittel haben sich zu verteidigen, wenn es zu Razzien kommt oder wenn sie von der Polizei gestoppt werden. Was wir innerhalb dieser Trainings versuchen, ist, den Leuten ihre verfassungsmäßigen Rechte beispielsweise innerhalb von Polizeikontrollen und deren Anwendung näher zu bringen, denn viele sprechen ausschließlich Spanisch. Außerdem helfen wir ihnen einen Notfallplan für den Fall einer Abschiebung aufzustellen. Wir haben gesehen, dass es mit Gesetzen wie «1070», welches 2010 in Arizona implementiert wurde und welches der Polizei erlaubt als Immigrationsfahndung tätig zu werden, zu einer Reihe von Razzien kam. Bei diesen wurden Kinder alleine zuhause zurückgelassen, da ihre Mütter und Väter in den Abschiebeprozess kamen, während jene in der Schule waren. Durch unsere Unterstützung bei Notfallplänen können Eltern, die beide keine Papiere haben, das Sorgerecht für die Kinder bei einer Person lassen, die ein*e Bürger*in der Usa ist, für den Fall, dass sie abgeschoben werden. Darüber hinaus sprechen wir darüber, was zu tun ist, wenn die eigenen Rechte nicht respektiert werden. Ich denke, dass wir sehr viel grundlose Polizeigewalt und Tötungen von People of Color gesehen haben. Wir sagen ihnen: Wenn die Polizei eure Rechte nicht respektiert, könnt ihr Facebook Live nutzen, Dinge aufnehmen, sicherstellen, dass wir Beweise haben, um ein Verfahren einzuleiten.

«Was wir innerhalb dieser Trainings versuchen, ist, den Leuten ihre verfassungsmäßigen Rechte beispielsweise innerhalb von Polizeikontrollen und deren Anwendung näher zu bringen, denn viele sprechen ausschließlich Spanisch.»

¿Konntet ihr schon Veränderungen im Zuge der Trump-Präsidentschaft beobachten?

Präsident Trump hat die Beendigung des Daca Programms (Deferred Action for Childhood Arrivals), das Schutz vor Abschiebung und Zugang zu einer Arbeitserlaubnis ermöglichte, angeordnet. Dies ist für viele unserer Mitglieder, die keinen sicheren Aufenthaltsstatus haben, sehr beängstigend. Als Lgbt* bedeutet die Gefahr einer Abschiebung, die Gefahr zu sterben. Einige fliehen aus ihrem Heimatland, in dem Lgbt* sein eine Todesstrafe darstellt. Gegenwärtig stellen wir sicher, dass wir für diejenigen, die in der Lage sind, ihr Daca für zwei Jahre zu verlängern, Stipendien bereitstellen. Dass es jemanden gibt, der oder die ihnen bei ihrem Papierkram hilft und Ressourcen bereitstellt. Denjenigen Lgbt*, die ihre Gesundheitsversorgung verlieren könnten, helfen wir Zugang zu einer kostenlosen Klinik zu bekommen.

¿Gibt es einen großen Bedarf an Safer Sex Aufklärung und Gesundheitsberatung im Allgemeinen?

Im Wesentlichen bieten wir medizinische Grundversorgung an. Die Zahl an Hiv-Infektionen, insbesondere unter Latinomännern, steigt. Dies hat auch mit der nicht zielgruppengerechten Vermittlung durch die Hiv-Organisationen zu tun. Wir arbeiten zurzeit daran, wie sicher zu stellen ist, dass Sexualaufklärung auf Spanisch stattfindet. In einer Art und Weise, die verständlich für diese Communities ist und ebenfalls berücksichtigt, dass einige Communities Lgbt*-Identitäten immer noch nicht verstehen. Lange Zeit gab es keine Ressourcen für Communities of Color und es war schwierig sich auf Hiv oder anderes testen zu lassen.

¿Wie unterstützt ihr Menschen innerhalb von Abschiebezentren?

Dieses Programm wird von Karyna Jaramillo geleitet, die selbst in so einem Zentrum war und dort sexuelle Übergriffe und verbale Attacken erlebt hat. Dadurch erkannte sie die Notwendigkeit eines solchen Projekts. Wir bieten moralische Unterstützung an, was bedeutet, dass wir drei Mal monatlich Besuche in Abschiebezentren anbieten. Wir haben Freiwillige, die sich mit den Betroffenen unterhalten, weil einige dieser Menschen, die Lgbt* sind, nicht notwendigerweise Familienangehörige haben, die sie besuchen können. Wir stellen darüber hinaus juristische Unterstützung, bringen sie in Kontakt mit Anwält*innen oder Organisationen, die in der Lage sind, sie in ihrem Fall zu unterstützen. Wir haben gesehen, dass die Verteidigung gegen Abschiebungen an familiären Bindungen hängt. Das bedeutet, dass Familienmitglieder ihre Lieben als vermisst melden müssen. Viele Lgbt*s haben jedoch niemanden hier.

Wir begannen mit der Arbeit im Jahre 2014, nachdem die Trans*frau Mary Chuy Leal Gamino von ihrem Zellennachbarn vergewaltigt und dann von den Zentrums-Angestellten gedrängt wurde, ein Papier zu unterschreiben, dass der Sex konsensual stattgefunden hätte. Als sie dies verweigerte, wurde sie in Einzelhaft gesteckt. Sie wandte sich an uns und wir waren in der Lage, sie mittels einer Kampagne zu befreien. Die Sache mit privaten Haftanstalten ist, dass es sehr viel Missbrauch, Belästigungen und physische Gewalt gibt, die sich gegen Mitglieder unserer Community richtet. Dies geschieht, weil sie privatwirtschaftlich betrieben werden. Es sind zahlreiche Bestimmungen dahingehend erschienen, wie Lgbt* behandelt werden sollten, welche jedoch keine Richtlinien, sondern nur Vorschläge sind. Wenn sich nur diese Leitlinien ändern, ändert sich nichts innerhalb der Anstalten.

¿Was sind eure Ziele für die Zukunft?

Eines unserer größten Ziele ist es, autonome Strukturen für unsere Community aufzubauen. Angebote, die nicht auf die Unterstützung von Behörden bzw. von staatlicher Seite angewiesen sind, sondern sich auf unsere Community stützen. Wir wollen sicherstellen, dass wir weiterhin Ressourcen haben, wer auch immer Präsident ist und dass unser Gelingen nicht von einer Person abhängig ist.