Bi-erasure (oder bi-invisibility oder invisi-bi-lity), das «Löschen» von Bisexualität, verstärkt ein schädliches binäres Denken, das an der Realität vorbeigeht. Die Welt wird in zwei monosexuelle Identitäten und zwei Geschlechter aufgeteilt. Entweder du stehst auf dein eigenes oder das andere Geschlecht. Bi-erasure ist dabei nicht immer böswillig gemeint. Vielmehr deutet ihre Allgegenwärtigkeit darauf hin, dass unsere Gesellschaft nicht aus ihren Denkmustern ausbrechen kann. Die vermeintliche Akzeptanz von Lgbtqia beschränkt sich meist auf schwule und lesbische Menschen, deren Sexualität als Spiegelbild von Heterosexualität verstanden werden kann. Der Rest des Regenbogens bleibt hingegen unsichtbar. Genau diese Unsichtbarkeit schadet bisexuellen Menschen langfristig.
Bi-Identitäten werden ausgeblendet
Selbst als bisexuelle Frau sehe ich oft Bisexualität nicht. Automatisch kategorisiere ich zwei händchenhaltende Frauen als eindeutig lesbisch. Der Mann, der eine Frau küsst, kann nur hetero sein. Es ist bedrückend zu merken, wie stark man binäre Denkmuster pflegt, selbst wenn diese die eigene Existenz ausblenden. Sowohl im zwischenmenschlichen Bereich als auch medial ist bi-erasure gang und gäbe. Sexualität außerhalb der monosexuellen Normalität wird routinemäßig ignoriert, besonders wenn sie nicht dem Kitzel eines männlichen heterosexuellen Publikums dienen kann.
Erst kürzlich habe ich mich über eine Biographie über Mary Wollstonecraft geärgert, deren innig romantische und teils tobend eifersüchtige Briefe an ihre Freundin Fanny Blood als ein Zeichen damals moderner Freundschaft gedeutet wurde. Es ist dieses ständige Hinterfragen und Leugnen sowie die generelle Unsichtbarkeit der eigenen sexuellen Existenz, die an einem nagen.
Feindseligkeiten aus verschiedenen Richtungen
Im Umgang mit anderen heißt es als bisexuelle Person Feindseligkeiten unterschiedlicher Fronten zu umgehen. Manchmal ist es einfacher sich als hetero, schwul oder lesbisch zu bezeichnen, da es uns davon erlöst, unsere Existenz legitimieren zu müssen. Besonders schmerzhaft ist es, von anderen queeren (das heißt Nicht-Hetero-) Personen ausgegrenzt und ausgeblendet zu werden sowie von queeren Organisationen, in denen alles mit «schwul-lesbisch» beschrieben wird. Auch wenn sexuelle Offenheit und Akzeptanz proklamiert wird, scheint es nicht möglich zu sein, auch in progressiven oder queeren Zirkeln, über das binäre Denken von Sexualität hinauszukommen. Man wird hetero oder homo geboren, aber als bisexuelle Person kannst und musst du dich dann doch entscheiden.
Die sexuelle Geschichte bisexueller Personen wird dabei gerne als Beweis für die eine oder andere Orientierung herangezogen. Beziehungen werden als Beweis gedeutet, man sei in Wirklichkeit hetero und versuche nur Aufmerksamkeit zu erheischen, oder man sei lesbisch/schwul, will es aber nicht zugeben. Oder Bisexualität wird als homogener Mittelpunkt zwischen zwei monosexuellen Polen missverstanden, wodurch jede*r Bisexualität gleich erlebt.
Vielen queeren Menschen scheint dabei nicht klar zu sein, dass es kein Trost ist, als hetero durchgehen zu können. Zwar entgeht man homophoben Anfeindungen, doch erlebte Erfahrungen und Gefühle, die ein wichtiger Teil des Selbstverständnisses sind, werden verborgen.
Bi-erasure schadet allen
Angesichts weitläufiger Bi-erasure ist der statistisch katastrophale Gesundheitszustand der bisexuellen Bevölkerung kaum eine Überraschung. Bisexuelle Menschen leiden häufiger an psychischen Krankheiten, erwägen öfter Suizid und berichten von einem höheren Drogenmissbrauch als monosexuelle Menschen. Bi-erasure schadet bisexuellen Menschen und dem Rest der Gesellschaft. Sie lässt den Glauben aufrecht erhalten, dass jede*r sexuelle Orientierung auf dieselbe Art erlebt und empfindet und dass soziales und biologisches Geschlecht essentielle Komponenten sexueller Anziehung sind.
Auch wenn Normalität immer öfter Homosexualität miteinschließt, resultiert die Anpassung der queeren Bewegung an bestehende normative Strukturen in neuem Leid. Sich selbst zu akzeptieren und authentisch leben zu können wird vielen Bisexuellen dadurch gesellschaftlich immer noch verweigert.