Heteronormierung

Während Heteronormierung oft klare Identitäten einfordert, verneint sie, dass jeder Mensch eher ein Mix ist: niemals stimmig, widersprüchlich und immer im Fluss. Sexualität und Geschlecht sind dynamische Größen. Die Einordnung aller Menschen in eine Welt heterosexueller, zweigeschlechtlicher Normalität erzeugt zugleich sowohl eine Einfalt wie auch eine Vielfalt sexueller Zuordnungen. Innerhalb der Norm ist Sexualität zumeist auf Geschlechtsverkehr «unten vorn» in der Fortpflanzungs­tradition fixiert. Sexualität wird dann nur auf eine Weise gespielt. Es hat feste Regeln eingeschrieben in die Identitäten der Spielenden. Das Bild von Natürlichkeit dieser einen Sexualität ist in den Identitäten von Mann und Frau fest verwurzelt.

«Sexualität funktioniert als eine Hierarchie von erlaubten, umstrittenen und absolut tabuisierten Formen von Sex. Teil dieser Hierarchie ist, dass herkömmlicher Sex als unproblematisch gilt und dass sich Perverse aufwendig erklären müssen.»

Ausnahmen bestätigen die Regel: Außerhalb der Norm lizenziert und katalogisiert sie alle anderen Identitäten und labelt sie mit dem Stempel der Anormalität. Sexualität funktioniert als eine Hierarchie von erlaubten, umstrittenen und absolut tabuisierten Formen von Sex. Teil dieser Hierarchie ist, dass herkömmlicher Sex als unproblematisch gilt und dass sich Perverse aufwendig erklären müssen.

Gute, normale, natürliche und gesegnete Sexualität sei demnach: heterosexuell, zweigeschlechtlich, ehelich, monogam, zeugungsfähig, nicht käuflich, in Paaren, in einer Beziehung, innerhalb derselben Generation, privat, ohne Pornographie, nur mit dem Körper und vanilla. Schlechte, abnorme, unnatürliche und verfluchte Sexualität sei im Gegensatz dazu: homo-, inter- & bisexuell, trans*, unehelich, promiskuitiv, unfruchtbar, käuflich, allein oder in Gruppen, beliebig, zwischen den Generationen, öffentlich, mit Pornographie, künstlichen Objekten oder sadomasochistisch.

Subkulturen, Selbstzuordnung und Norm

Wir werden also dazu angehalten innerhalb des heteronormativen Koordinatensystems zu denken, zu fühlen, zu handeln – mit durchaus beachtlichen Erfolgen. Perverse Formen sexuellen und geschlechtlichen Seins müssen für ihren Freiraum leider selber sorgen. Hut ab, mittlerweile gibt es beachtliche Subkulturen. Aber Subkulturen sind genauso nur Notlösungen, wie die Selbstzuordnung, die der Zwangszuordnung entgegenstehen will. Nützlich zweifellos. Unverzichtbar. Wie sollte ein «bisexueller», «dominanter» «Mann» seinem Gegenüber mitteilen, wie er sich fühlt, wer & was er sein will - ohne Zuordnungen und Identitäten zu benutzen. Diese lassen aber vieles aus, können Grauzonen nicht ausdrücken und erzählen einiges mit, von dem nie die Rede ist. Notlösungen eben.

Sadomasochismus ist, ebenso wie zum Beispiel die schwul-lesbische Kultur oder wie migrantische Kulturen, auf der einen Seite Option auf ein verändertes Leben durch das Nicht-Eingefahrensein in ein Normensystem und auf der anderen Seite immer mit der Sehnsucht befrachtet, auch Norm sein zu wollen und als solche anerkannt zu werden. Man soll sich erklären vor anderen. Die Frage sollte vielmehr lauten: Wer sich hier für was, vor wem erklären muss. Wir wollen nicht mehr thematisieren, warum pervers eigentlich ganz normal ist, sondern wie & warum die Sexualität ein- und ausgrenzend ist.

Vom geheimen Leben und dem öffentlichen Bild

Das meist medial vermittelte Bild von Sadomasochismus ist daneben schwammig und erinnert eher an einen schlechten Film, als an die Realität. Es ist nicht besonders populär, sich beim Lesen einer Homepage, eines Buches, beim Besuchen eines (einschlägigen) Ladens oder einer Gesprächsgruppe beobachten zu lassen. Das Reden über SM in der U-Bahn oder vor Freunden ist keinesfalls selbstverständlich. Perverse Sexualitäten werden im Geheimen, im Verschwiegenen ausgekundschaftet. Sie im privaten und öffentlichen Alltag zu handhaben, bedeutet meist für jede*n einzelne*n harte Arbeit. Oft beantwortet man Fragen und begegnet Vorurteilen oder muss mit Irrationalitäten umgehen, die mit Reden nicht zu meistern sind. Wenn von diesen Menschen dann Freundschaften, Gruppenzugehörigkeit, Job, Geborgenheit und Ruf abhängen, dann überlegt man es sich, einfach so darüber zu reden.

«Sexualität ist Privatsache. Es wird erwartet, dass man mit Fragen über perverse Sexualität ebenfalls nicht öffentlich umgeht.»

Sexualität ist Privatsache. Es wird erwartet, dass man mit Fragen über perverse Sexualität ebenfalls nicht öffentlich umgeht. Die Trennung von Sexualität und Politik wird fortgeschrieben. Gleichzeitig bekommt jede*r die (neoliberale) Verfügung über das eigene sexuelle Kapital und ist dafür selbstverantwortlich. Du hast einen Körper und du sollst ihn genießen! Langweiliges Ficken ist nicht, einmal mit Plüschhandschellen ist Minimum. Im heteronormativen Sinne wird SM meist nur zu einem kreativen Zusatz: Es macht den Sex noch cremiger als herkömmliche Sexualpraktiken.

Schwule SMler tauchen ab und an als Ledermänner auf, lesbischer SM wird kaum repräsentiert. Meist zirkulieren nur zwei Charaktere in den Journalen und Talkshows, welche das Bild des heterosexuellen Sadomasochismus prägen: die Domina, gern auch die professionelle, und der Sklave, der sich schlagen und unterdrücken lässt. Es scheint, dass die Verdrehung der gesellschaftlichen Verhältnisse das Exotisch-Interessante ist: «Guck mal, da haut die Frau den Mann». Das Gegenbild, der schlagende, männliche ‹Dom› und seine unterwürfige Frau, der in der hetero-SM-Szene mindestens genauso häufig ist, scheint zu normal. Dieses Diskursmuster findet sich in gespiegelter Form in der Linken wieder. Hier wird heterosexuellen männlichen ‹Doms› und weiblichen ‹Subs› vorgeworfen, gesellschaftliche Muster zu verstärken.

Macht

Die Ablehnung gegenüber SM speist sich auch daraus, dass Gewalt, Macht und Sexualität in der Gesellschaft und auch in der Linken oft als Besitz oder Eigenschaft von Subjekten gedacht werden und nicht als Beziehung, die immer wieder aktualisiert werden muss. Macht als Beziehung und nicht als Eigenschaft ist bei SM auf dem Tisch. SM inszeniert Machtverhältnisse als menschengemachte, in denen Macht nicht statisch einer Person anhaftet, sondern die erst in sich ständig wiederholenden Interaktionen zur Konvention wird. Machtverhältnisse können so im SM problematisiert und angeeignet werden. Im Gegensatz zum SM-Spiel wird in gesellschaftlichen Machtverhältnissen oft nicht die Sprache der Gewalt verwendet. Machtverhältnisse setzen sich durch, gerade weil sie für legitim gehalten werden. Demgegenüber müssen Machtverhältnisse im sadomasochistischen Spiel ausdrückliche Herrschaftsrollen haben, damit Lust aus ihnen gezogen wird.

SM ist aber keine Einführung in die kritische Gesellschaftstheorie, oftmals gehen SMler*innen anders damit um. Doms bezeichnen sich beispielsweise als naturdominant, Subs als natursubmissiv. Brüche und Veränderbarkeit werden so nivelliert. Macht erscheint wieder als Besitz und Nicht-Besitz, Identitäten als natürlich festgeschrieben. Eine durch die SM-Inszenierung vermittelte kritische Auseinandersetzung mit Macht, Herrschaft und Gewalt ist jedenfalls machbar - here we go.