Bei einer linken Diskussionsveranstaltung in Berlin. Die Veranstalter*innen diskutieren, dass der Konsum von sexuellen Dienstleistungen nur eingeschränkt vergleichbar mit anderem Konsum sei, denn sexuelle Dienstleistungen würden unter Verhältnissen von sexueller Ausbeutung hergestellt. Diese sei nicht vergleichbar mit der Ausbeutung, die bei der Herstellung anderer Dienstleistungen und Konsumgüter betrieben wird. Gleichzeitig sagen sie immer wieder, dass sie Sexarbeiter*innen unterstützen wollen und dass Sexarbeit Arbeit ist.

Das war 2016 und ich war ganz schön eingeschüchtert von der Diskussion. Ich war froh, dass eine andere Sexarbeiterin mehrmals das Wort ergriff, um zu erklären, wie schlimm das neue Prostituiertenschutzgesetz für uns werden würde. Sie versuchte, mit den Anliegen der Sexarbeiter*innen Raum einzunehmen in einer Diskussionsrunde, in der keine Sexarbeiter*innen vorkamen. Stattdessen linke Feminist*innen, die sich kritisch mit etwas befassen wollten, das sie weit weg von sich selbst sahen.

Die Diskussion um die Freier ist eine ideologische Annäherung an das Schwedische Modell, das Freier bestraft und somit Sexarbeit an sich kriminalisiert. Die Freier sind allerdings häufig unser geringstes Problem.

Genoss*innen, die für die Veranstaltung in Freierforen recherchiert hatten, hatten festgestellt, dass dort ein verachtungsvoller, sexistischer, ekliger Tonfall herrscht. In solchen Foren steht die lesbare Eskalation von Frauenhass, Entitlement und Hurenstigma. Der Alltag sieht allerdings anders aus. Die meisten Freier sind Alltagssexisten, Rassisten, Transfeinde. Sie hassen uns so sehr und so wenig, wie ihr uns hasst. Sie verachten uns so sehr und so wenig, wie ihr uns verachtet.

Objektivierte Körper von Sexarbeiter*innen

Die Menge an Kulturerzeugnissen von Büchern bis Badetüchern, Filmen bis Feuerzeugen, in denen andere über Sexwork und über uns Sexarbeiter*innen sprechen, uns abbilden, über uns urteilen, ist groß. Es gibt nur wenig, das von uns selbst gemacht ist.

In einer Doku, die ich bei Arte gesehen habe, ging es um Maler im Paris des 19. Jahrhunderts, die am liebsten Prostituierte malten. Diese Männer konnten als Künstler Aufsehen erregen, indem sie das Leben und die Alltagskämpfe anderer abbildeten. Sie zeigten das Leben der Prostituierten, das aus Grenzüberschreitungen bestand, überschritten jene Grenzen aber nie selbst. Sie blieben Freier.

Die Körper von Sexarbeiter*innen werden entweder entpolitisiert oder objektifiziert oder beides zugleich; dadurch gelingt es einem Unbeteiligten, deren Grenzüberschreitung als eine eigene zu vermarkten. Die Maler hielten ihr eigenes Leben für nicht berichtenswert, die Sexarbeit machte es erst interessant. Damals und dort wurden die Sexarbeiter*innen der Stadt mit Foto, Adresse, Arbeitspraxis und Stammkund*innen registriert. Ab dem ersten Januar 2018 werden wir hier und heute gezwungen, einen Hurenschein bei uns zu tragen, der unsere Privatsphäre und unsere Sicherheit auf ähnliche Weise wie damals aufs Spiel setzt.

Ein Übel namens Sexarbeit

Eine Genossin sagt: „Wir unterstützen Sexarbeiter*innen, da sie Arbeiter*innen sind. Genauso wie alle Lohnarbeit wird auch Sexarbeit nach der Revolution nicht mehr existieren, aber bis dahin müssen wir für bessere Arbeitsbedingungen der Sexarbeiter*innen kämpfen.“ Sexarbeit ist offenbar ein Übel, mit dem wir umgehen müssen.

Den Status von feministischer, politischer Kunst erhalten meist nur Produkte, die von weißen cis Sexworker*innen gemacht sind. Zum Beispiel die Bücher von Jacqueline Frances. Sie ist Stripperin, ein Beruf, der von der Gesellschaft ein kleines bisschen weniger verachtet wird als die Arbeit im Bordell oder auf dem Straßenstrich. Frances kann eine Story erzählen, die für andere greifbar und nachvollziehbar ist. Ich fand es schön, ihre Bücher zu lesen. Ich habe mich aber auch klein und unsichtbar dabei gefühlt. Sie distanziert sich von Full-Service-Stripper*innen (die Sex verkaufen), zum Beispiel mit dem Hashtag #slutswhowontfuckyou - Schlampen, die dich nicht ficken werden. Ist es also schlechter, wenn eine Schlampe fickt, als wenn sie nicht fickt? Es gibt eine Huren-Hierarchie: Sie ist in der respektableren Ecke der Branche, und Feminist*innen mögen sie.

Geld verdienen für die Kommune

Und was war mit Uschi Obermaier? Sie verkaufte Fotos von ihrem Körper an das Magazin Stern. Es heißt, damit sei der Niedergang der Kommune Eins besiegelt gewesen. Aber warum verkaufte sie ihre Bilder an den Stern? Sie brauchte Geld, für ihre Kommune. Sie bekam zehntausend Mark dafür, die sie in die Kasse des Kollektivs einspeiste. Zehntausend Mark für ein Shooting, dahinter steckt Verhandlungsgeschick. Uschi hatte die Möglichkeit, ihre Genoss*innen mit ihrer Sexarbeit zu unterstützen und sie tat es. Sie war es nicht, die die Kommune Eins verriet. Sie hielt sie am Leben.

Uschi Obermaier, eine weitere Sexarbeiterin, die die Gehirnwülste von Männern, die ihr nahestehen, Kraft ihres Körpers genährt und am Leben erhalten hat. Dafür wird sie bis heute sexistisch und hurenfeindlich beschämt.

Die Aktivistin und Schriftstellerin Amber Hollibaugh schreibt auch vom Leben in zwei Welten: Sex mit linken Typen haben, damit sie deren Diskussionen aufschnappen und sich das eine oder andere Buch ausleihen kann. Sex mit irgendwelchen Typen haben, damit sie in kurzer Zeit viel Geld verdienen kann, weil sie ihre politische Arbeit nicht schafft, wenn sie einem anderen Job nachgehen würde.

Suchst du einen Job?

Ich erzähle einer Genossin, womit ich mein Geld verdiene. Sie selbst arbeitet als Kellnerin. Ein paar Wochen später schreibt sie mir: Bei uns in der Kneipe wird in der Küche ein Job frei, vielleicht wäre das was für dich? Ich antworte: Danke, ich suche keinen Job. Soll ich das Angebot an Freund*innen weiterleiten, die was suchen? Sie sagt: Nein, es ist noch nicht offiziell, ich wollte dir nur schon mal Bescheid sagen. Erst lache ich darüber, aber später merke ich, dass sie mich verletzt hat.

Beim Global Network of Sexwork Projects, wird die Geschichte vom S.t.a.r.-Haus nacherzählt (Übersetzung von mir): „Im Nachklang der Stonewall Riots 1969 gründeten die transgender Sexworker Sylvia Rivera und Marsha P. Johnson S.t.a.r. - Street Transvestite Action Revolutionaries. Sylvia und Marsha mussten feststellen, dass die Bedürfnisse der transgender Jugendlichen, die auf der Straße leben, von anderen schwul-lesbischen Gruppen nicht berücksichtigt wurden. Sie gründeten S.t.a.r., um diese Lücke zu füllen.“

S.t.a.r. öffnete das erste S.t.a.r.-Haus in einem abgestellten Wohnwagen auf einem Parkplatz in Greenwich Village. Es diente als Unterkunft und soziales Zentrum für trans Sexworker und andere Lgbt-Jugendliche auf der Straße. Eines Tages wurde der Wohnwagen jedoch abgeschleppt, während 20 Jugendliche darin schliefen, und sie beschlossen, ein stabileres Zuhause für S.t.a.r. zu suchen. Sie bezahlten die Miete für das Haus, indem sie nachts anschaffen gingen. Sie wollten das oberste Stockwerk zu Unterrichtszwecken nutzen, um den Jugendlichen tagsüber Lesen und Schreiben beizubringen. Das S.t.a.r. House war die erste Lgbt-Jugendunterkunft in Nordamerika. Es war die erste Organisation in den Usa, die von trans Frauen of Color geleitet wurde. Es war die erste trans Sexworker-Organisation.

Die feministische Rapperin Sookee macht auf ihrem Album „Mortem und Makeup“ einen Song über Sexarbeit, und zwar über den Sohn einer Sexarbeiterin; er ist ein richtig liebenswerter Bursche, respektiert seine Mutter und Frauen generell. Der Song heißt Hurensohn. Ich höre ihn mir manchmal an, weil er so schaurig schön schmerzt, wie, wenn man an einer eitrigen Wunde herumpult. Auf dem selben Album erzählt sie davon, wie sie früher nur durch Sexiness und kurze Röcke in ihrer Clique punkten konnte und ansonsten unsichtbar war. Ich verstehe nicht, was das soll. Wieso erzählt sie Geschichten, die nicht ihre sind? Wieso erzählt sie nicht, wann und wieso sie in ihrem Leben sexuelle Dienstleistungen eingetauscht hat für etwas, das sie brauchte?

Sexarbeit als queere Praxis?

Sex ist Arbeit und entlohnte Sexarbeit ist mit der queeren und linken Geschichte untrennbar verwoben. Viele queere Personen halten sich und dadurch auch ihre Community mit Sexwork am Leben. Manche begreifen bezahlten Sex an sich bereits als queer, da er der Vorstellung von gratis Sex innerhalb der heterosexuellen Ehe konträr zu sein scheint.

«Sexarbeit war bis 1997 verpflichtender Vertragsbestandteil der bürgerlichen Ehe in Deutschland.»

Sexarbeit war bis 1997 verpflichtender Vertragsbestandteil der bürgerlichen Ehe in Deutschland. Denn erst seit 1997 ist die Vergewaltigung in der Ehe eine Straftat und nicht mehr das Recht eines Ehepartners auf den Körper des Anderen.

Zum Schluss zitiere ich einen Redebeitrag, der im August 2017 im Zuge eines Protests gegen die Afd gehalten wurde. Die Afd wollte Anwohner*innen der Berliner Kurfürstenstraße gegen den dortigen Straßenstrich mobilisieren. “Wir möchten hier noch anmerken, dass die Solidarität mit den Sexarbeiter*innenkämpfen bisher ausgeblieben ist. Die Ablehnung von Sexarbeit und Stigmatisierung von Huren gibt es nicht nur in der Afd, sie ist ein bürgerliches Phänomen, das sich in allen Parteien findet. Vor allem antifaschistische, feministische und andere linksradikale Bewegungen haben es verpasst, 2016 und 2017 Seite an Seite mit den organisierten Sexworkern gegen das Gesetz zu kämpfen. Aus Sexarbeiter*innenperspektive gesprochen: Es hat erst die Afd gebraucht, um euch zu zeigen, dass wir ähnliche Kämpfe führen. Eine Lösung für die Kurfürstenstraße kann nur gemeinsam mit den Sexarbeiter*innen auf dem Straßenstrich gefunden werden und solange sie als Kriminelle stigmatisiert oder als Opfer entmündigt werden, ist dies nicht möglich.“

Niemand hat Sex außerhalb des Kapitalismus, aber darüber wollen Viele gern hinwegsehen. Bei Sex und Liebe denken sie, das ist so ursprünglich, das gehört mir, egal wie entfremdet ich sonst bin. Aber das ist nicht wahr und wir Sexworker stoßen sie darauf, mit unserer bloßen Existenz, und das mögen sie nicht.

Denn vielleicht machen wir sie darauf aufmerksam, dass auch ihr Sex und auch ihre Liebe innerhalb der Verwertungslogik stattfinden.