Man braucht für Sex kein Geld, keine Schönheit, keine ‹Bikinifigur›, keine Bildung. All die Dinge, die sonst im Leben wichtig sind, um ein gutes Leben zu haben. Beim Sex reicht der Körper aus. Oberflächlich betrachtet stimmen diese Aussagen. In Wahrheit aber braucht es viel mehr für Sex. Gehen wir davon aus, dass sich Kapitalismus auf unser Leben auswirkt, braucht man Geld um Sex haben zu können. Restaurantbesuche, Rosen, Reisen, die Dreifaltigkeit auf dem Weg zum Sex. Hat man vergessen, Verhütungsmittel beim Amt kostenlos abzuholen, muss man dafür zahlen, Alkohol, um sich etwas aufzulockern, gehört öfters auch zum Ritual. Ohne Knete, kein Sex. Dazu kommt vermutlich, dass Sex meistens im privaten Raum stattfindet und oft auch dort erwünscht ist. Die meisten Menschen, die einen niedrigen sozioökonomischen Status haben, also überwiegend Angehörige ethnischer Minderheiten und/oder Menschen aus bildungsfernen Milieus, können sich diesen Raum nicht leisten. Geschwister teilen sich ein Zimmer, Eltern(teile) schlafen im Wohnzimmer, so dass es keinen Rückzugsraum gibt, weder für Sex mit sich selbst noch mit jemand anderes.

Normabweichungen erschweren ‹weiche Knie›

Mein erster Lösungsvorschlag ist hier: Sex haben mit jemandem, der einen höheren Status und somit vermutlich auch mehr Raum hat. Also melde ich mich auf einem Datingportal an. Hier könnten sich kosmopolitische Klubgänger, Start-Up-Gründer mit den eigenen Wohnungen finden. Aus meinem nicht-virtuellen Leben weiß ich: Diese Männer haben meistens Angst mich anzusprechen, weil ich einen türkischen Migrationshintergrund habe. Der könnte aus ihrer Perspektive für Probleme sorgen. Mit der Familie und so, wird mir erklärt. Also nenne ich mich Penelope und verstecke somit meine Identität. Die Unprivilegiertheit wird paradoxerweise größer, wenn man versucht sie zu mindern. Hat man aber am Ende Sex, so wiegt es vielleicht das Ganze auf, denke ich mir.

«Aus meinem nicht-virtuellen Leben weiß ich: Diese Männer haben meistens Angst mich anzusprechen, weil ich einen türkischen Migrationshintergrund habe. Der könnte aus ihrer Perspektive für Probleme sorgen. Mit der Familie und so, wird mir erklärt.»

Ich werde in kurzer Zeit von vielen Männern angeschrieben. Mit dem einen schreibe ich länger, er erzählt mir, dass er neu in der Stadt ist und als Software-Developer arbeitet. Status Check. Er fragt mich irgendwann, wo ich herkomme. Ich lasse ihn die Antwort auf diese unkonkrete Frage raten. Lateinamerikanische Länder werden aufgezählt, Südeuropäische, Balkan. Ich löse das Rätsel auf: «Ich bin Türkin». Ich kürze ‹Deutsche mit türkischem Migrationshintergrund› ab. So genau muss man sich ja nicht kennenlernen, um Sex zu haben. Schön oberflächlich bleiben. Seine darauffolgende Antwort führt dazu, dass ich mich sofort von der Seite abmelde und mich schlafen lege. Ich möchte seine Antwort vergessen, alles ungeschehen machen. Mein Experiment aus meinem Gedächtnis löschen. Am nächsten Morgen ist die Antwort «Also bist du ein Döner» das Erste, was mir in den Sinn kommt.

Meine Erfahrung entspricht der von vielen Menschen, die wenig Geld haben, einen Migrationshintergrund haben, der nicht angesagt ist, von People of Color oder von Menschen mit Behinderung. Sie sind alle auf irgendeine Art und Weise außerhalb der Norm und hier nur exemplarisch ausgewählt. Dadurch haben Sie es schwerer, mit anderen Menschen intim zu werden. Sie gelten als unattraktiver, erleben Diskriminierung von Menschen, die sie begehren und mögen. Sie müssen, um Verletzungen zu vermeiden, auch den Kontakt zu Menschen vermeiden. Sie werden öfter als Objekte betrachtet.

Die Wahrheit der Privilegierten

Das privilegierte Gegenüber hingegen bleibt Subjekt, ist entrüstet, wenn es Kritik an diskriminierenden Äußerungen gibt und distanziert sich meistens von allein. Es geht dabei immer davon aus, dass die Erfahrungen, die es macht, individuelle sind und die Entscheidungen, die es trifft ebensolche. Die optimale Welt, eine Welt, in der das Private nicht politisch und somit auch nicht normativ ist, ist aus dieser Perspektive Realität. Es ist sich der Privilegien nicht bewusst und nimmt sich als blind und fühlend wahr. Eine systematische Benachteiligung im Bereich des Begehrens ist für das privilegierte Gegenüber unvorstellbar, aber leider wahr.