Die Düsseldorfer Feministin Mithu Sanyal bereitete mit ihrer kulturwissenschaftlichen Abhandlung über das weibliche Genital im Jahr 2009 den Boden: Auf 240 Seiten präsentiert Sanyal ihren Leser*innen eine detaillierte, gut recherchierte Kulturgeschichte der Vulva. Ausgehend von der, immer noch in Alltag und Medizin vorherrschenden Begriffsarmut und damit verbundenen sprachlichen Unsichtbarmachung des weiblichen Geschlechts (Kapitel Naming and Shaming) nimmt die Autorin mit auf eine Reise durch Jahrtausende an Kulturgeschichte: von den mythologisch aufgeladenen Vulven der Steinzeit und Antike, deren Neukonstruktionen im Zuge der aufkommenden patriarchalen, monotheistischen Religionen bis zu denen der Riot Grrrls der Gegenwart. Dabei wird auf überraschende, unterhaltsame und leider oft ernüchternde Art und Weise deutlich, wie eng die Deutung des weiblichen Genitals mit der Konstruktion des weiblichen Geschlechts als lediglich mangelhafte (was eben jenen vermeintlichen Mangel an Penis meint) Version des Männlichen verbunden ist. Gegen diese Erkenntnis bringt Sanyal eine mächtige Gegenerzählung in Stellung und schenkt der Vulva damit eine ganz eigene Signifikanz.
Leicht und vor allem sehr, sehr witzig aufbereitet lassen sich viele Inhalte Sanyals im Comic Der Ursprung der Welt der schwedischen Politikwissenschaftlerin und Zeichnerin Liv Strömquist wiederfinden. Aufgrund der völlig anderen Form stört die weitestgehende inhaltliche Überschneidung beider Publikationen jedoch nicht. Die 140 Seiten lassen sich gut in einem Rutsch lesen, und bilden den leichtesten und unterhaltsamsten Einstieg ins Thema. Strömquist kontrastiert auf leichte Art kulturhistorische Fakten mit persönlichen Erfahrungen. Gerade in der Aufbereitung qua der popkulturell höchst zeitgemäßen, und damit nach großer Verbreitung schreienden Vermittlungsform des Comics liegt das Verdienst der Autorin. So verzeiht mensch ihr auch gerne, dass eventuell ein wenig viele der Bildrahmen dann doch nur mit großlettrigem Text gefüllt sind, anstatt mit den zwar etwas grobschlächtigen, aber dennoch liebevoll gezeichneten Szenerien Strömquists. Ein Buch, ideal zum Selberlesen und dann Weiterverschenken. Und zwar nicht nur an die jungen, hungrigen Feminist*innen, sondern ebenso gut an die Generation der Mütter und Großmütter – und natürlich auch Väter und Großväter.
Mithu Sanyals Buch Vulva haben ganz offensichtlich auch die beiden Filmemacher*innen Ulrike Zimmermann und Claudia Richarz gelesen, wiederholen sich doch in ihrem Film Vulva 3.0 - Zwischen Tabu und Tuning ebenfalls viele der von Sanyal kompilierten Thesen, Anekdoten und Überraschungen. Das macht Sinn, und stört auch nach der Lektüre von Sanyals Vulva nicht weiter, fängt der Film doch recht schnell an, seine eigene Perspektive auf das Thema zu entwickeln: Es geht um das schwierige, viel zu oft von Scham und Ekel begleitete Verhältnis zur eigenen Vulva, fragwürdige Schönheitsideale und eine Industrie, die sich mit Skalpell und Laser bewaffnet, mittels Schamlippenverkleinerungen dem paradoxen Postulat von Sichtbarkeit und gleichzeitiger Unsichtbarkeit des weiblichen Genitals widmet.
Diesen Trend kontrastieren die Filmemacher*innen mit Bildern des zivilgesellschaftlichen Engagements gegen Genitalverstümmelung in Ländern des Globalen Südens. Dabei wird deutlich, wie scheinbar widerspruchsfrei beide Praxen der realen Genitalverstümmelung durch ihr jeweilig anderes kulturelles Framing in Deutschland verhandelt werden können: Selbstverständlich wird die Beschneidung in afrikanischen Ländern aufs Schärfste verurteilt, reflexhaft wird dass weiße Subjekt zwecks Rettung der Schwarzen Frau angerufen, während es der hiesigen plastischen Chirurgie lediglich darum geht, den gesellschaftlich erzeugten «Leidensdruck der Frauen mit sichtbaren inneren Schamlippen zu reduzieren». Darin erschüttert der Film gewiss, macht gleichzeitig aber jede Menge Hoffnung, indem er gleichsam eine ganze Reihe unglaublich großartiger, emanzipierter Frauen vor die Kamera bringt (Jawahir Cumar, Laura Méritt, Mithu Sanyal, Angelika Beck, Daniela Stegemann und viele mehr). Allein für diese Interv