In einer Runde BDSM-praktizierender Leute kann man ein Aufstellungsspiel machen. Wie sehr magst du es, Schmerzen zu empfangen? Hier ist null, da drüben hundert. Stell dich auf. Hier ist unterwürfig, dort drüben dominant. Wo verortest du dich im Moment? Wie lange bist du schon dabei? Sprich dich mit den anderen ab, bildet eine zeitliche Linie.

BDSM, wie ich es kenne, beruht auf dem Spüren eigener Bedürfnisse und Grenzen. Ich sage dir, was ich möchte, und wir können schauen, ob du etwas Ähnliches möchtest. Oder du sprichst mich mit einem Wunsch an und ich überlege, ob mir das gefallen könnte. Wir gehen zusammen in Aushandlung und entwerfen ein Spiel, das uns Lust macht.

Sicherlich gibt es für verschiedene Menschen verschiedene Räume, um Konsens (kennen) zu lernen. Für mich sind es vor allem queer-feministische BDSM-Veranstaltungen.

Ich ärgere mich über die Darstellung von BDSM als etwas Abartigem, als Spektakel oder als Mysterium. Ganz im Gegenteil ist Kink (ein anderer Ausdruck für BDSM) für mich ein Weg, Klarheit über meine Lust zu bekommen und meinen Partner*innen auf Augenhöhe zu begegnen; ein Weg, meine Lust aktiv zu gestalten, mich für Machtdynamiken zu entscheiden und Zärtlichkeit zu erfahren.

In meinem Kink gibt es Aspekte, die erst einmal nichts spektakuläres, reißerisches oder gefährliches haben: Ich will lernen, was mich anmacht. Ich will meine Sexualität mit Menschen teilen, die mich respektieren und mir liebevoll begegnen. Ich will hierbleiben können, wenn ich Sex habe, anstatt mit meinen Gefühlen auszuchecken.

Einige Fragen

Wie hast du gelernt zu begehren? Woher wusstest du, wie dein Begehren ist – genau so und nicht anders? War dein Begehren immer so, wie es jetzt war?

Wer weiß, was du möchtest? Magst du die Fantasie, dass jemand besser weiß, was du möchtest, als du es selbst weißt?

Magst du es, wenn du Sex hast? Magst du, wie du Sex hast? Hast du Sex, wenn du es möchtest? Was gibt es sonst noch für Gründe, Sex zu haben?

Findest du es schwierig, wenn Menschen nicht wissen, was sie wollen? Änderst du manchmal deine Meinung über sexuelle Begegnungen, die du hattest? Findest du es okay zu sagen, wenn sich was nicht stimmig anfühlt? Hast du Angst vor den Reaktionen auf dein «Nein» oder dein «Ich weiß nicht»?

Werden deine Grenzen respektiert? Nie, selten, manchmal, meistens, immer?

Welche Erfahrungen lassen dich vorsichtig werden? Was nimmt dir die Lust? Was brauchst du, um begehren zu können?

Als ich zehn war, legte ich einen runden, glatten Stein auf meine Haut. Er war von der Sonne gewärmt, staubig und trocken. Ich rieb den Stein über meine Haut, dazwischen war die weiche Unterhose. Diese Berührung erregte mich. Das ist einer der wenigen Momente, in denen ich mit meiner Erregung alleine war, spielerisch, unbeobachtet. Ich saß in einem Garten, der von drei Seiten einsehbar war, aber das machte mir nichts aus. Ich war ganz bei mir.

Ungefähr zur gleichen Zeit begann ich, Mädchenzeitschriften zu lesen. In ihnen ging es auch um Sex. Rückblickend erstaunt es mich, auf welche Art diese Zeitschriften zu mir sprachen, welche abgefahrenen Bilder sie in meinem Kopf hervorriefen und wie wenig es darum ging, für sich selbst herauszufinden, was Lust sein könnte. Der Sex, den ich da kennenlernte, lag weit entfernt von dem Erlebnis mit dem glatten, warmen Stein. Ich lernte, dass es Handlungen gibt, die einfach dazugehören. Ich erfuhr, dass Menschen auf verschiedene Dinge achten müssen, wenn sie Sex haben. So las ich zum Beispiel darüber, was «wir» beim Sex nicht wollen: einen Spiegel über dem Bett. Weil wir nicht sehen wollen, wie die Körper schwabbeln.

Ich verbinde diese Art von Regulierung mit einem Chor. Dieser Chor ist körperlos, kontrollierend, kommentierend. Alle Äußerungen über meinen Körper, meine Sexualität, meine Identität gehen in diesen Chor ein und können wiederholt werden, wann immer ich Sex habe. Der Chor war da, bevor ich die erste lustvolle Begegnung mit einer anderen Person hatte, und sagt mir immer noch, was ich tun sollte oder wie ich gerade aussehe bei dem, was ich tue.

Einige Antworten

Heute habe ich Begriffe, um diese Art von Erziehung zu beschreiben: Body und Fat Shaming, die Setzung von heterosexueller Anziehung als Norm, die Annahme, nur Sex im Rahmen einer Liebesbeziehung sei der richtige. Das sind nur einige Aspekte, die in meiner Erinnerung hervorkommen. Alle Bilder zu den Artikeln zeigten weiße Menschen, schlank, ableisiert (als nicht-behindert gedacht) und cis (nicht-trans).

Diese Bilder und Worte haben sich in mir festgesetzt, sind aber gleichzeitig nur Beispiele für den Strom an Informationen, die meine Lust umgeben, formen und regulieren. Auch in Zeitschriften für Erwachsene, in Filmen, Blogs oder Gesprächen wird dieser Raum der Normalität geschaffen, in dem eine bestimmte Art von Sexualität lebbar ist und als Norm gesetzt wird. Dies lässt wenig Raum zum Ausprobieren und Suchen. Konsens wird nicht praktiziert, nicht vorgelebt. Auch für das Umdrehen auf einem Weg, der doch nicht passt, gibt es wenig Szenarien. Mein Lernen von Sexualität als Teenager hatte viel mit Erwartungen von außen zu tun, mit Rollenbildern, mit Beschämung. Es gab schon früh einen Spalt zwischen meinem Empfinden und dem, was ich an Sexualität gelebt habe. Unsicherheit und Scham über meine eigene Lust waren immer wieder dabei. Sexualisierte Gewalt und die Vorurteile gegen BDSM haben es nicht einfacher gemacht, Kontakt zu meiner Lust zu bekommen. Das Spüren und Kommunizieren von Grenzen gehört zu den Dingen, die ich jetzt erst lerne. Das Wort Konsens (und die möglichen Formen, Konsens zu leben) lerne ich gerade erst kennen.

Konsens, BDSM und normaler Sex

Vor einem Jahr hatte ich auf Facebook eine Unterhaltung über Konsens. Konsens bedeutet, alles was passiert, passiert mit dem wissentlichen und wohlwollenden Einverständnis aller beteiligten Personen. Um zu verhandeln und Konsens zu erreichen, müssen sich die Beteiligten klar darüber sein, was sie möchten, und dies auch offen kommunizieren.

In der Unterhaltung kam der Einwand auf, Konsens sei kompliziert, wie solle das überhaupt aussehen? Ich verwies auf verschiedene BDSM-Szenen, in denen es sehr viel Wissen und Erfahrung zu Konsens gibt. Dieses Wissen gibt es sicherlich auch in anderen Kontexten, in kinky Communities hatte ich es selbst kennengelernt. Und dieses Wissen wird in Form von Büchern, Blogs, Workshops oder Gesprächen auch geteilt. Die Antwort darauf war, bei so extremen Sachen braucht man Konsens ja tatsächlich. Aber bei normalem Sex sollte Verhandeln nicht nötig sein.

Diese Aussage beschäftigt mich, weil in ihr so viele Annahmen stecken. Ich verstehe nicht, was normaler Sex sein soll und warum er angeblich ohne Konsens und ohne Verhandeln auskommt. Ich erinnere mich an die Mädchenzeitschriften und all die Regeln, die sie mir - direkt oder indirekt – kommunizierten. Ich denke an die Vorannahmen zu Cis- und Hetero-Sein, zu Aussehen und körperlichen Eigenheiten, zu romantischen und sexuellen Haltungen, alles, was in die Normalität mit einfließt und eine bestimmte Art von Begehren als richtig setzt. Ich denke an die Annahme, dass in einer liebevollen (sexuellen) Beziehung keine Grenzüberschreitungen vorkommen können.

«Der Entwurf von normalem Sex bedeutet für mich, möglichst wenig zu thematisieren, was gerade gemacht wird, um möglichst nicht darauf zu stoßen, wenn sich etwas nicht stimmig anfühlt.»

Ich versuche die vorbeifliegenden Nachrichten zu deuten:

Normaler Sex bedeutet, parat zu haben, was ich selbst möchte. Normaler Sex bedeutet, zu wissen, was die andere Person möchte, ohne gefragt zu haben. Normaler Sex bedeutet, ich muss nicht Ja oder Nein sagen. Normaler Sex bedeutet, zu machen, ohne zu wissen, ob es gewünscht ist. Normaler Sex heißt demnach auch, Verletzungen und Grenzüberschreitungen in Kauf zu nehmen. Normaler Sex bringt also lustvolle Begegnungen eher durch Raten und Zufall hervor?

Der Entwurf von normalem Sex bedeutet für mich, möglichst wenig zu thematisieren, was gerade gemacht wird, um möglichst nicht darauf zu stoßen, wenn sich etwas nicht stimmig anfühlt. Es erscheint wie eine Absicherung gegen Unsicherheiten oder Zeitdruck, Missverständnisse, Stimmungsänderungen oder Verletzungen. Damit wird aber auch Raum begrenzt, um darüber nachzuspüren und zu reden, was sich gut anfühlt und wo Grenzen sind.

In meiner Erinnerung ging es bei sogenanntem normalen Sex um ein Programm, das wir alle irgendwie, irgendwann gelernt hatten und nachahmten. Es ging um Durchhalten, Schweigen und Außer-sich-Sein. Gleichzeitig denke ich, dass es normalen Sex nicht gibt. Es gibt das Sollen um mich herum, in mir drin und in unserer Begegnung. Und es gibt das Wollen, zu dem ich nur Verbindung bekommen werde, wenn ich hinschaue, nachfrage, reinfühle.

Ich finde Konsens verhandeln kompliziert. Aber es zu lernen bedeutet für mich, nachhaltig Kontakt zu meiner eigenen Lust zu bekommen. Verhandeln setzt Wissen und Fähigkeiten voraus: Was will ich ausprobieren? Wo bin ich neugierig? Was kommt jetzt nicht in Frage, aber vielleicht später? Zum Verhandeln gehört Offenheit und ein Vorschuss an Vertrauen. Um verhandeln zu können, ist es gut, wenn ich bei mir bin und bei mir bleiben kann.

Aushandeln ist komplex und hat viele Aspekte. Vielleicht ist eine Person im Aushandeln sehr selbstbewusst und stellt die eigenen Bedürfnisse über die der anderen. Vielleicht möchte ich unbedingt mit dir nahe sein und dir gefallen, und stimme deshalb Dingen zu, die ich eigentlich nicht machen möchte. Vielleicht glaubst du, du müsstest das eben wollen, weil das zum Sex dazugehört. Vielleicht ist es mir lieber, einfach Ja zu sagen und die Sache durchzuziehen, damit ich nicht auf all die Verletzungen und Unsicherheiten schauen muss. Vielleicht ist dir Funktionieren lieber, weil es einfacher erscheint.

Einige Wünsche und eigene Räume

Komm mit mir in diesen Raum.

Lass mich dich sehen. Ich will mit dir gemeinsam Wunden heilen. Ich will dir begegnen, weil du dir das wünschst. Neugierig und sorgfältig suchen wir uns einen Ort. Jede Minute der gemeinsamen Zeit: ein Geschenk, das wir teilen.

Ich will vor dir auf die Knie gehen und durch dein Gewicht auf meinem Platz gehalten werden. Stell mir deinen Stiefel ganz sanft auf den Rücken, damit ich gegen den Boden ausatmen kann. Ich bin hier, und du bist hier. Darin ist Stille und das vorläufige Ende des Fragens. Vielleicht gehen wir weiter, wir entscheiden gemeinsam. Ich will dich herausfordern, sehen wie du mit dir ringst. Du darfst mir Angst machen, ich darf dir Angst machen. Ich will dir alles geben, was du haben möchtest. Du hältst mit deiner vollen Kraft dagegen. Das ist der Deal. Und wer auch immer stärker ist, es ist okay. Wer in wen eindringt, wer wen entkleidet- es gibt kein Skript. Wir erfinden selbst eines. Die Welt tritt zurück. We click and fall.

Ich verstehe mich als Teil einer queer-feministischen BDSM-Szene. Mit queer-feministisch meine ich einen Sammelbegriff für verschiedene Identitäten, Körper und Begegnungen. Diese Entwürfe grenzen sich von einer Hetero-Normalität ab und schaffen Räume, in denen alltägliche Begrenzungen des Zweigeschlechtersystems wegfallen (können).

«Die Erfahrung, in unterschiedlichem Ausmaß unter herrschenden Vorstellungen von Lust, Körper und Gender zu leiden, bringt ein starkes Gemeinschaftsgefühl mit sich.»

Ich treffe Menschen nun schon über mehrere Jahre hinweg auf Veranstaltungen in ganz Europa. Die Möglichkeit, zu diesen Veranstaltungen zu fahren, ist mit Geld, Zeit und Wissen verbunden. Prekäre Lebenssituationen werden manchmal mitgedacht, manchmal sind finanzielle Mittel aber auch die Voraussetzung dafür, dabei zu sein. Das zu thematisieren und nach solidarischen Ansätzen zu suchen, finde ich sehr wichtig. Ich fühle mich zu einer DIY-BDSM-Kultur hingezogen, bei der es darum geht, gemeinsam zu gestalten.

Queer-feministische BDSM-Kreise sind nicht frei von gesellschaftlichen Unterdrückungsformen. Aufgrund von Rassismus, Körpernormen, Eintrittspreisen oder räumlichen Bedingungen sind auch kinky-Räume ausschließend. Aber sie sind viel freier von (Hetero-)Sexismus, Transfeindlichkeit, Frauenhass als andere Räume, die ihre eigenen Ausschlüsse überhaupt nicht wahrnehmen.

Die Erfahrung, in unterschiedlichem Ausmaß unter herrschenden Vorstellungen von Lust, Körper und Gender zu leiden, bringt ein starkes Gemeinschaftsgefühl mit sich. Dieses erlebe ich als nicht-binäre/ transmännliche Person manchmal als bestärkend. Zu sehen, dass es verschiedene Körper gibt, die ebenso wie meiner oft missverstanden und ungefragt in eine von zwei Kategorien einsortiert werden, lindert das Gefühl, alleine zu sein.

Ich empfinde Liebe und Stolz für diese Räume, die (temporären) Gemeinschaften und ihre Umgangsweisen. Teil dieser Szene zu sein bedeutet für mich, einander nicht zu beurteilen und Veränderlichkeit von Körper und Sexualität zu schätzen. Der Rahmen zwischen uns ist nicht dadurch vorgegeben, dass wir voneinander annehmen, wir seien Männer oder Frauen. Es wird nicht angenommen, sexualisierte Gewalt sei die Ausnahme. Es wird nicht so getan, als sei unser Begehren schon immer da gewesen, unveränderlich oder natürlich. Eine solche Offenheit brauche ich, um Lust leben zu können.

Ein mögliches Setting

An den Wänden befinden sich Haken zum Fesseln, Peitschen und Flogger hängen ordentlich in einer Reihe. Es gibt Käfige, Schaukeln und Hundekörbchen. Das Licht ist gedimmt und endlich haben sich alle auf Minimal als Hintergrundmusik geeinigt. In der Ecke steht das Buffet mit Nudelsalat und Schokolade.

Da sitzen in einer Runde Menschen und verhandeln. Sie fragen einander zum Beispiel, magst du am Kopf angefasst werden? Hast du Lust, dass wir uns während des Spiels küssen? Kannst du reden, wenn du sehr erregt bist? Mit welchen Zeichen sollen wir «mehr, weiter» und «langsamer, nicht so doll» kommunizieren? Was brauchst du, um gut runterzukommen?

Ich habe in diesem angeblich extremen Setting gelernt, wie vorsichtig und aufrichtig Menschen miteinander sein können. Ich habe gelernt, dass trotzdem Sachen schiefgehen können. Grenzen können überschritten werden oder Missverständnisse aufkommen. Und dennoch gibt es Raum, um darüber zu sprechen, Bereitschaft, zu lernen und zu verstehen.

Das Schweigen, die Scham, das Weitermachen, auch wenn es sich nicht gut anfühlt – das darf angeschaut und auch abgelegt werden. Das funktioniert nicht immer, aber der Anspruch, bei sich zu bleiben und Lust gemeinsam zu gestalten, ist inzwischen mein eigener geworden, auch bei sexuellen Begegnungen außerhalb der kinky-Szene.

BDSM kann befreiend sein und mich in Verbindung mit Themen, Fantasien und Träumen bringen.

Es kann ganz machen, mich mit meinen Ängsten konfrontieren und mich wissen lassen, dass ich geliebt und begehrt werde. Mir Spielszenarien zu überlegen, ist aufregend und kreativ und manchmal überfordernd. Der Chor, der alles kommentiert, ist immer noch da. Aber daneben stehen jetzt andere Stimmen, die mich im Moment halten. Was möchte ich sein, wenn ich alles sein kann? Was sagt meine Fantasie zu meiner Lust? Wie sprechen mein Kopf, meine Hände und mein Herzschlag miteinander? Was ist Sex, wenn man ihn wegdenkt von vergeschlechtlichten Körperteilen, die sich aneinander reiben?

Das Geräusch deines Atems, wenn ich den Flogger vom Haken nehme, ist ein Höhepunkt für sich.

Alles ist wieder offen dafür, lustvoll miteinbezogen zu werden. Von vor zwanzig Jahren ziehen sich Fäden vom warmen Stein ins Jetzt. Und du drückst meine Hand, um zu sehen, ob ich da bin.