Asexualität ist eine sexuelle Orientierung, bei der eine Person keine sexuelle Anziehung gegenüber anderen Menschen fühlt bzw. kein Verlangen nach sexueller Interaktion hat. Zum asexuellen Spektrum zählen sich auch Menschen, die – aus unterschiedlichen Gründen – in den Graubereich fallen und dementsprechend Gray-Asexual sind: Sexuelle Anziehung ist nicht ausgeschlossen, aber zum Beispiel sehr selten oder nicht stark genug, um Sex zu wollen. Laut des National Survey of Sexual Attitudes and Lifestyle, der 2004 in Großbritannien durchgeführt wurde, bezeichnet sich ein Prozent der Bevölkerung als asexuell. Anzunehmen ist, dass die tatsächliche Anzahl höher ist, da der Begriff nicht weitreichend bekannt ist, auch wenn die Sichtbarkeit von asexuellen Menschen in den letzten Jahren vor allem online gewachsen ist.
Dazu kommen noch homo-, pan-, biromantisch etc., also je nachdem, zu welchen Menschen man sich sensuell hingezogen fühlt. Teil des Spektrums sind auch aromantische Menschen, die keine romantische Beziehung – und alles was damit einhergeht – anstreben. Happily solo! (Aromantische Realitäten vernachlässige ich in diesem Text, da es nicht auf mich zutrifft.)
Ich definiere mich als Gray-A, als Agender, homoromantisch und Teil queer-feministischer Szenen. Ich habe gehört, dass sexuelle Menschen manchmal andere sehen und denken, «Oh, wer bist du, wollen wir Sex miteinander haben?» - dieses Gefühl der sexuellen Anziehung kenne ich nicht bzw. kaum. Ich glaube, dass mir auch schon Blicke sexueller Anziehung auf Partys zugeworfen wurden. Diese Blicke verwirren mich, weil ich mit dem dahinterstehenden Wunsch nichts anfangen kann. Erst dachte ich, es wäre, weil ich von Cis-Männern fälschlicherweise als Hete gelesen werde. Dann habe ich gemerkt, dass es auch nicht passt, wenn ich von anderen Queers als Queer gelesen werde und diese Blicke bekomme.
Was ich dagegen kenne, ist romantische/sensuelle Anziehung. Also den Wunsch, einer Person körperlich nah zu sein, verliebt zu sein und einen Unterschied zu «rein» freundschaftlichen Gefühlen zu verspüren. Das kann länger anhaltend sein oder auch ein Crush (der für Sexuelle wahrscheinlich auch einen sexuellen Aspekt hat). Ähnlich zum Crush ist der Squish – das Gefühl, uuuunbedingt mit einer anderen Person befreundet sein zu wollen, aber ohne romantische Anziehung. Es kann für alle spannend sein, sich diesen Unterscheidungen zwischen den verschiedenen Anziehungen und dahinterstehenden Wünschen bewusst zu werden (Beispiel: friends «with benefits»).
Do not …
Asexualität bedeutet nicht: die Folge eines Traumas, enthaltsam zu sein, eine sexuelle «Störung» zu haben oder alle Menschen doof zu finden, die sexuell sind; für einzelne Menschen mag das eine oder andere zutreffen, aber nicht für asexuelle Menschen im Allgemeinen.
Das Thema Sex kommt nach dem «Outing» als asexuell schnell auf den Tisch. Fragen wie «Mastubierst du?», «Hast du trotzdem Sex?» etc. und dumme Sprüche wie «Du bist bloß verklemmt» sind Alltag, egal, ob man sich seit zwei Minuten kennt oder schon seit zwei Jahren. It‘s none of your business! Also denk erst nach, ob dich diese «heißen» Details etwas angehen und ob du dich nicht auch indirekt, zum Beispiel online, darüber informieren kannst.
Trotzdem generell hierzu: Asexualität muss nicht bedeuten, dass die asexuelle Person gar keinen Sex hat. Das variiert von Person zu Person. Manche masturbieren, andere wollen nie Sex (egal ob mit sich oder anderen) und wieder andere haben mehr Erfahrungen im sexuellen Bereich als du und auch Spaß dabei. Manche haben Sex der oder dem Partner*in zuliebe (mit Konsens), aber das ist dann genauso aufregend, wie miteinander einen Ball hin- und herzurollen. Die darin involvierten Körperteile «funktionieren», aber es gibt halt keine sexuelle Anziehung zu anderen Menschen. It‘s as easy as this.
… Do
In unserer hypersexualisierten Gesellschaft werden asexuelle Menschen schnell verurteilt und bleiben lieber unsichtbar, um keine dummen Sprüche – auch aus queeren Szenen – abzubekommen. Menschen, die sexuelle Anziehung verspüren, können eventuell nicht nachvollziehen, dass wir dieses Gefühl nicht kennen. Oder nur selten kennen bzw. kennen, aber dem nicht nachgehen. Deal with it und informiere dich, es gibt inzwischen viel dazu zu finden. Wir brauchen Verbündete, die sich selbst Wissen aneignen, uns zuhören, glauben und respektieren. Und auch anderen ihr Wissen weitergeben. Dazu gehört auch, das A in Lgbtiqa nicht immer mit ally (Verbündete*r) zu übersetzen, sondern als Asexuell zu benennen und uns als Teil queerer Szenen zu sehen. Frage nach, ob Nachfragen gerade passt. Manche Fragen hängen uns schon zum Hals raus oder gehen dich nix an.
Was noch immer fehlt, ist das Wissen um und die Sichtbarkeit von Menschen des asexuellen Spektrums. Auch jede einzelne Person des Spektrums kann immer nur für sich und nicht für alle sprechen. Wir sind genauso divers wie andere Gruppen auch – selbst wenn die geringe Sichtbarkeit von Asexualität bisher vor allem weiße Menschen trifft.
Beziehungen und so …
Als Partner*innen brauchen wir Menschen, die uns ernst nehmen, solidarisch mit uns sind, uns nicht unter Druck setzen und uns auf keinen Fall zu Sex überreden wollen. Klassischerweise drehen sich viele (Liebes-)Beziehungen um den Knackpunkt Sexualität. Vereinfacht dargestellt wird eine Liebesbeziehung oft erst als solche definiert, wenn beide Sex miteinander haben/haben wollen. Sobald er kein Bestandteil der Beziehung mehr ist, wird dies problematisiert oder sogar die Beziehung in Frage gestellt. Mit Sexualität wird oft auch der Bezug zueinander definiert: Liebesbeziehung versus friends «with benefits» versus «nur» (ohne Sex) ein*e Freund*in.
Wenn eine asexuelle und eine sexuelle Person eine Beziehung eingehen, ist von Anfang an auf dem Tisch, dass wahrscheinlich nicht alle Bedürfnisse von beiden zusammenpassen. Diese Situation eröffnet die Möglichkeit, Beziehungen neu zu definieren, wenn Sex kein vorausgesetzter Bestandteil ist. Mein subjektiver Eindruck von der asexuellen Community ist, dass hier tendenziell kreativer und offener mit der Gestaltung von Beziehungen umgegangen wird und dass auch die Grenzen zwischen Freund*innenschaft und Liebesbeziehungen fließender sind. Ein verbreitetes Konzept in der Community sind dementsprechend verschiedene Formen der Polyamorie. Unter diesen Oberbegriff fällt auch die Beziehungsanarchie, um die es im nächsten Abschnitt geht, weil ich Fan von ihr bin.
Beziehungsanarchie und (A)Sexualität
Schon bevor ich mich als Gray-A definiert habe, habe ich mich oft gefragt, warum Beziehungen öfters enden als Freund*innenschaften; warum Lover-Sein nicht ohne Sex sein kann; warum eine Beziehung erst dann «offen» ist, wenn Sex außer Haus okay ist; warum sich Eifersucht so oft um Sexualität dreht. Ich habe also schon vor vielen Jahren das Konzept Beziehungsanarchie für mich entdeckt, here we go:
Beziehungsanarchist*innen sehen verschiedene Formen von Nahbeziehungen als gleichwertig an. Es soll keine Höherbewertung von «Liebes»- über freundschaftliche Beziehungen geben. Vielmehr geht es um verschiedene Formen von Liebe und Beziehungen, die nicht in Konkurrenz miteinander stehen, da Liebe als unendlich angesehen wird. Es ist möglich, verbindliches Miteinander mit mehreren Menschen zu teilen. Dabei legen die Beteiligten jeweils – möglichst abseits von Normen und Erwartungen von Außen – fest, wie sie sich das Miteinander vorstellen. Sie kommunizieren über gegenseitige Erwartungen, aber auch über ihre Wünsche an andere Beziehungen, in denen sie sind. Wichtig ist, dass die Beziehungen mit dem Wissen und der Zustimmung aller, die daran beteiligt sind, geführt werden. Es geht um Respekt und Liebe füreinander anstatt um den Anspruch aufeinander. Es wird bewusst Verantwortung in den Bereichen füreinander genommen, in denen es für beide passt.
Be careful with each other so we can be dangerous together
Oder: Eine Auswahl an Fragen, die in asexuellen-sexuellen Nahbeziehungen auftauchen können:
- Was ist uns wichtig in dieser Beziehung? Wie können wir das erreichen?
- Wie drücken wir unsere Liebe und Zuneigung abseits von Sexualität aus?
- Spielt Sex in unserer Beziehung eine Rolle und wenn ja, welche?/ Wie können wir diese Bedeutung in einer anderen Art und Weise ausdrücken/ erfahren?
- Was soll Teil unserer Beziehung sein und was nicht?
- Wieviel Zeit wollen wir miteinander verbringen? Wie gehen wir mit begrenzter Zeit um, wenn es noch andere Beziehungen/ Projekte/ Leidenschaften gibt?
- Welche Verbindlichkeiten wünschen wir uns von der anderen Person? Sind wir im ernsthaften Krankheitsfall füreinander da?
- Welche gemeinsamen Projekte (Politgruppe, Kinder, Sozialleben, Finanzen) sind uns wichtig?
- Welche Art von Kontakt können wir uns miteinander vorstellen? Welche Berührungen wollen wir auf der emotionalen und der physischen Ebene?
- Wie kommunizieren wir gut miteinander und ohne Druck?
- Welche Erwartungen haben wir aneinander? Wollen wir die erfüllen? Und wenn ja, wie?
- Wie können wir unsere feministischen, antirassistischen, anarchistischen oder ähnlichen Ansätze gemeinsam in der Beziehung umsetzen?
So, wenn du jetzt bei den genannten Fragen eifrig genickt und zugestimmt hast, nice! Aber überlege auch nochmal, ob du das wirklich in deinen Beziehungen so machst. Ich mach‘s zum Beispiel nicht immer oder nicht so ausführlich. Anspruch versus Wirklichkeit halt! Fake it, till you make it.