Romin Khan: ¿ Du bist Filmemacher und auch sozialer Aktivist ...
Ich wurde 1976 politisch aktiv, als 13-Jähriger. Ich wollte immer nach Südafrika zurückkehren, denn ich bin in Kapstadt geboren. Doch meine Familie musste das Land verlassen, weil mein Vater als Kommunist verfolgt wurde. Wir lebten im britischen Exil und ich wollte aktiv an den Kämpfen in Südafrika teilnehmen. Ich stieß auf die Socialist Workers Party, die indische MigrantInnen unterstützte. Dieser Kampf gegen Rassismus ähnelte für mich dem Kampf, den wir in Südafrika führten: Der Slogan »Brixton, Soweto – One struggle, one fight« klang in meinen Ohren richtig. Ich engagierte mich auch in der Anti-Nazi League und in der SchülerInnenvereinigung.
Zwei Tage bevor Nelson Mandela 1990 aus dem Gefängnis entlassen wurde, kehrte ich dann nach Südafrika zurück.
¿ Im Mai 2008 kam es über ganz Südafrika verteilt zu Angriffen auf afrikanische EinwanderInnen. 60 Menschen sind dabei umgekommen, über 200.000 sind in ihre Herkunftsländer zurückgekehrt. Die damit verbundene humanitäre Katastrophe ist noch lange nicht überwunden.
Du hast damals zusammen mit ein paar anderen die Gruppe Filmmakers Against Racism gegründet und eine Reihe von Dokumentarfilmen und Spots über die rassistische Gewalt und Xenophobie in Südafrika gedreht. Wie kam es zu diesem Projekt?
Wir wollten als Filmemacher intervenieren. Wir entschieden uns dafür, keine Statements abzugeben, Presseerklärungen zu schreiben und so weiter, sondern das zu machen, was wir am besten können: Filme.
¿ Es gab sicher viele Diskussionen darum, was zu den rassistischen Angriffen geführt hat…
Das war natürlich eine strukturelle Sache: der brutalisierende Charakter des Neoliberalismus, der die Menschen enthumanisiert, die tiefe Armut, also quasi das ABC der Grundlage für Rassismus.
Armut existiert an vielen Orten. Hier kam hinzu, dass der ANC, die regierende Partei, in einer enormen Krise ist und auf ethnischen Chauvinismus zurückgegriffen hat. Die Mobilisierungskampagnen für die Kandidaten basierten immer auf ethnischer Zugehörigkeit. Aber wenn du dem Chauvinismus deinen kleinen Finger reichst, bist du verloren: Du hast dem Rassismus die Tür geöffnet. Und so sind dann auch über Jahre gewachsene ethnische Vorbehalte und xenophobe Gefühle explodiert. Die Krise der politischen Führung hat ein Vakuum erzeugt, das von einer Welle von Xenophobie gefüllt wird. Die Linke und die sozialen Bewegungen haben es nicht geschafft, eine wirkliche Alternative zum ANC aufzubauen.
Xenophobe Einstellungen finden sich in vielen Bewegungen, auch in den Gewerkschaften und im ANC. Der Führungsspitze dieser Organisationen ist das bewusst, daher gehen sie nicht hart gegen Rassisten vor, um die Unterstützung der Leute nicht zu verlieren.
¿ Die Befreiungsbewegung ist also gescheitert?
Ja. Die nationale Befreiungsbewegung vertritt die afrikanische Middle Class, und diese repräsentiert nur einen sehr kleinen Teil der Bevölkerung. Um diese verhältnismäßig kleine Basis nicht vor den Kopf zu stoßen, wird eine Politik gegen die Interessen der Armen und der Arbeiterklasse gemacht. Denn der ANC ist mit Washington und Westeuropa ins Bett gestiegen und musste dementsprechend handeln, er musste Verordnungen erlassen, die die Arbeitsverhältnisse flexibilisierten und die Deregulierung vorantrieben. Ja, diese Politik ist gescheitert.
¿ Du würdest also sagen, dass die Wut der Menschen von oben fehlgeleitet wurde? Die Frage ist doch, warum sich der Zorn nicht gegen die reichen Weißen richtete?
Die Angriffe richteten sich eben gegen die Verletzlichsten. Wenn du ganz unten bist, gibt es nur wenige Ziele, die du anpeilen kannst, du kannst nur wenige verletzen und schädigen, und das waren dann die Illegalen.
¿ Südafrika hat ja eine lange Tradition im Überwinden von rassistischen Trennungen. Warum wurde nicht daran angeknüpft?
Unsere Bewegungen waren schon immer sehr abhängig von Führungsfiguren, gebildeten Männer und Frauen, die zumeist aus der Mittelkasse kamen. Und die wollten nach 20 Jahren politischer Arbeit jetzt mal ein Haus haben, einen Job und sich um ihre Rente, um sich selber kümmern. Sie sind in den Staatsapparat oder die Wirtschaft gegangen. Da ging ein institutionelles Gedächtnis, wie man mobilisiert und organisiert, verloren.
Es war ein langer Kampf, unter den sehr verschiedenen Gruppen in Südafrika eine nationale Identität aufzubauen, die darauf abzielt, dass Diversität die Stärke Südafrikas ist. Es ist nicht leicht, die Menschen dazu zu bringen, das wirklich zu akzeptieren. Die meisten glauben immer noch, dass die ethnische Diversität die Schwäche Südafrikas ist. In der Architektur dieses Landes sind die Risse zwischen den ethnischen Gruppen, die Hierarchien im Bildungssystem und unter den Arbeitskräften immer noch sehr sichtbar. Nur eine kleine Elite kann von einer vollwertigen Staatsbürgerschaft profitieren und hat Zugang zu dem, was Südafrika bieten kann.
¿ Wie kannst du mit deinen Filmen zu einer Veränderung beitragen?
Man muss das Konzept von politischen Debatten fördern. Die Filme zeigen beispielhaft, wie gute Diskussionen geführt werden können, mit Respekt zwischen den Kontrahenten. Sie zeigen eine Pluralität der Stimmen auf. Das zentrale Ziel des Projektes ist zu zeigen, dass Rassismus nicht toleriert wird. Es darf nicht zugelassen werden, dass rassistische Bigotterie, Chauvinismus, Rassismus in politischen Attacken auftauchen. Die Filme können helfen, da Grenzen aufzubauen.
¿ Auch in der Nähe von Wohnheimen Zulu sprechender BinnenmigrantInnen kam es zu Angriffen auf AusländerInnen. Vielfach wurde von dem Aufschwung einer männlich dominierten Zulu-Kultur, eines wiedererstarkenden Zulu-Nationalismus gesprochen, der in seiner Gewalt auch vor anderen SüdafrikanerInnen nicht halt macht. Wie siehst du dieses Problem?
Zulu-Nationalismus ist tatsächlich wieder aufgeflammt, und zwar inmitten des Kampfes zwischen Zuma und Mbeki während des Präsidentschaftswahlkampfes. Diese nationalistischen Gefühle wurden aktiv mobilisiert. Die Leute dachten plötzlich, das ist ok, dieses Verhalten wird toleriert, es ist normal. Erschreckend war, dass es so wenig bedurfte, um den ethnischen Chauvinismus hervorzuholen. Angeheizt wurde das natürlich durch ökonomische und soziale Faktoren.
¿ In den Filmen gewinnt man den Eindruck, dass die Kultur der Befreiung sich in eine Kultur der Unterdrückung umgewandelt hat. Mein Eindruck war bisher, dass die Menschen sich auch unter den widrigsten Umständen ein politisches Bewusstsein aus der langen Geschichte von Befreiungskämpfen bewahren, das solche Gewaltausbrüche verhindern würde.
Die verschiedenen politischen und kulturellen Einflüsse vermischen sich. Es ist chaotisch in den informellen Siedlungen, den Siedlungen aus tausenden von Wellblechhütten, wo diejenigen stranden, die vom Land in die Städte gekommen sind und die massiv mit Arbeitslosigkeit konfrontiert sind. Dort wird unsere Kampfgeschichte genutzt, um Menschenrechte zu verletzen.
¿ Das bestätigt meinen Eindruck, dass es sich um einen Konflikt von MigrantInnen gegen MigrantInnen handelt. Denn die armen SüdafrikanerInnen in den informellen Siedlungen haben ja selber eine Migrationsgeschichte, sind nicht in die Städte integriert und bleiben ausgeschlossen.
Die Armen sind nicht in der Lage, an den Dienstleistungen der Stadt zu partizipieren. Gesundheit, Transport, Bildung – das ist für sie nicht erreichbar. Ihnen wird gesagt, sie hätten einen Anspruch auf die vollständigen verfassungsmäßigen Rechte, aber sie merken nichts davon. Durch die enttäuschten Erwartungen verschärft sich ihre Krise. Und es wird noch dramatischer, wenn du sechs Millionen MigrantInnen hinzutust, von denen viele nach Südafrika fliehen, weil in ihren Herkunftsländern so viel Scheiße los ist, dass sie alles akzeptieren. Sie sind bereit, für lächerliche Tageslöhne zu arbeiten, denn inzwischen gibt es eine regelrechte Reservearmee an billiger Arbeitskraft.