Die neoliberalen Predigten von Selbstverantwortung, Leistungsbereitschaft, der Sorge um sich (und niemand anderen) sind immer begleitet (gewesen?) von der Bedrohung, an ihnen zu scheitern und dafür auch noch individuell verantwortlich gemacht zu werden. Als Person mit allen Denkweisen, Emotionen, Handlungsgewohnheiten in ein hegemoniales Projekt wie den Neoliberalismus eingebunden zu sein bedeutet, sich umfassend vermarkt- und verwertbar zu machen. So sehr sich die Anforderungen ausweiten, die unterschiedlichsten Aspekte der eigenen Persönlichkeit zu bearbeiten, so hoch ist die existenzielle Bedrohung, aus sozialen Zusammenhängen heraus zu fallen. Ausgehend von der Neuorganisation der Arbeitsformen der »hochtechnologischen Produktionsweise« (Haug) werden auch im Alltag Geschmack, Gewohnheiten, Denkweisen und Gefühle erneuert. Antonio Gramsci spricht deswegen auch von der »Lebensweise«, die entsprechend der Produktionsweise ständig erneuert werden muss. Diese »Lebensweise« hat zwar eigene Dynamiken und eine eigene Zeitlichkeit, die sie von der Produktionsweise unterscheiden, politisch aber sind beide Teil des gleichen Projekts.
So wurden in der Durchsetzung von Fabrikarbeit nicht allein die Arbeitsabläufe in der Fabrik mit moralischen Kampagnen bearbeitet, sondern auch die alltäglichen Gewohnheiten der Arbeitenden wie ihr Alkoholkonsum und ihre sexuellen Gewohnheiten. Denn die relativ hohen Löhne, die ein Mittel der Organisation von Zustimmung zur rigiden Fabrikdisziplin waren, reichten allein nicht aus. Fit am Fließband war schließlich nur, wer sein Geld nicht fürs Saufen oder käuflichen Sex verschleuderte.
In der Herstellung neuer »Lebensweisen« spielen deshalb nach wie vor Kampagnen um die »angemessene Lebensführung« eine zentrale Rolle. Die nahe gelegten sinnvollen oder ›vernünftigen‹ Weisen des Umgangs mit sich und den eigenen Ressourcen, Körpern, Wünschen und Begehren sollen rückgebunden werden an die Bedingungen der Produktion und eingefasst werden in immer wieder neue Konsummuster. Die Umarbeitung von Lebensweisen erfolgt vor allem durch Konsensproduktion: ›Hergestellt‹ werden: Subjekte, die in Aussehen, Gewohnheiten, Gesten, Stil usw. den zeitgenössischen Anforderungen gerecht werden oder wenigstens nahe kommen.
Darin steckt eine Auseinandersetzung mit der Frage, was als ›normal‹ und als zeitgenössisch gilt. Ein prominenter Ort, Menschen mit einer Mischung aus Zwang und Konsens in ein hegemoniales Projekt einzubinden, sind die so genannten Makeover-Shows.
»I want to be made!«
Als Makeover-Shows werden Sendeformate bezeichnet, in deren Zentrum die Veränderung von Menschen und/oder ihrem Umfeld steht. In unterschiedlichen Sendungen geht es dabei um Aussehen, Gewicht, Figur, Fitness, Ernährung, Gesundheit oder um Dinge wie Wohnung, Garten, Job, Hobby, Schulabschluss, Ausbildung oder Kindeserziehung. Für nahezu jeden Aspekt des alltäglichen Lebens gibt es eigene Formate. Entweder werden sie als ganze Sendungen produziert, oder sie sind Elemente in Lifestylemagazinen wie taff!, red!, oder explosiv. Diese Shows versuchen, eine zeitgenössische Lebensweise über die Verbindung des Wunsches nach individuellem Glück mit dem Zwang zur Selbstführung und veränderten Konsummustern herzustellen. In The Biggest Loser wird im Rahmen von Kooperation und Konkurrenz versucht, dass eigene Gewicht und das des Teams so zu reduzieren, dass am Ende die eigene Gruppe Vorteile erspielt und man als einzelne/r Chancen auf die Siegprämie behält. In The Swan, das sich an weiße Frauen aus der unteren Mittelschicht wendet, gibt es das Komplettprogramm von Facelifting über professionelle Zahnbehandlung, psychologische Beratung und Umstyling zur neuen glamourösen Existenz (McRobbie). In Celebrity Rehab können sich Stars aus den 1980er und 1990er Jahren vom Drogenwrack zu »erneuertem« Glanz therapieren lassen. Die Kochprofis sind zuständig für die Umarbeitung von Kochklitschen zu konkurrenzfähigen und qualitativ höherwertigen Imbissen, Popstars für die Bearbeitung von HobbysängerInnen zu Stars, Wohnen nach Wunsch für das Ersetzen der Eichenschrankwand durch stylische Katalogmöbel, und die bekannte Super-Nanny hilft Eltern, mit Techniken von Autorität, Belohnungsverfahren und der Regulation von Bedürfnisbildung den unkontrollierten Wünschen der Kinder zu begegnen und prekäre Zustände erzieherisch in den Griff zu bekommen. Manche der Shows wie The Swan oder Celebrity Rehab erscheinen gegenüber Shows wie Wohnen nach Wunsch als besonders eingreifend. Sie unterscheiden sich nach ihrem »Gegenstand« und den in ihnen vermittelten Denkweisen und Handlungsmöglichkeiten. Je nach Art und Umfang der gewünschten Veränderung reicht die Intervention der ModeratorInnen von Kommentaren und Beratung bis zum Hinzunehmen von ExpertInnen und/oder medizinischem, technischem, pädagogischem und psychologischem Fachpersonal. Gemeinsam ist ihnen jedoch, dass sie alle auf die Herausbildung einer für alle verbindlichen neuen Lebensweise orientiert sind.
Bist du nicht willig ...
Der Ausgangspunkt der Shows ist immer eine Art Bestandsaufnahme, die mit der Delegitimation eines als unerträglich und veraltet beschriebenen Zustands einhergeht. Eine kompetente Stil- und Lebensberatung wird als notwendige Bedingung für die erwartete Verwandlung angeführt. Die Palette der pädagogischen Mittel reicht von ermahnenden Hinweisen bis hin zu offenem Hohn, Auslachen und entsprechenden Gesten. Das Ziel ist es, »Geschmack zu haben« und »Stil zu entwickeln« und zwar so, dass alle es sehen können, was Beliebtheit und Erfolg verspricht. Mit der Aneignung bestimmter Formen von »kulturellem Kapital« (Bourdieu) und sozialen Kompetenzen ist die Erwartung auf eine deutliche Verbesserung von Status und Lebenschancen verbunden. Die Menschen sollen sich nicht nur ökonomisch, sondern auch kulturell, um ihren Standort sorgen, sich einzigartig machen und im Kampf um symbolischen Profit, Anerkennung und Respekt weit vorne mit dabei sein. Dem Druck ökonomischer Konkurrenz wird die Notwendigkeit kultureller Distinktion und der Arbeit an einer angemessenen Lebensweise zur Seite gestellt.
Die gewünschte Art der Veränderung wird mit den KandidatInnen zusammen und im Anschluss an ihre Interessen und Wünsche formuliert. Nicht selten werden Begehren erst produziert, indem sie als verfügbare Ware ins Blickfeld rücken. Dabei reicht das Spektrum vom konkreten Wunsch die Wohnung neu einzurichten bis zum Bedürfnis, die eigene Person in ihrer Gesamtheit neu auszurichten. Ziel ist es, mit Gewohnheiten zu brechen um »nicht ständig die gleichen Fehler zu machen«, wie zwischen zwei Diäten in alte Essgewohnheiten zurückzufallen, zur Tilgung offener Kredite immer wieder neue Schulden zu machen oder Hartz IV zu beantragen, auch wenn man es aus Angst vor der Behörde immer wieder aufschiebt. Der Weg zum Ziel wird von verschiedenen ExpertInnen oder (als solche auftretenden) ModeratorInnen geplant und festgelegt. Diese ExpertInnen agieren im Sinne eines definierten zeitgenössischen Geschmacks, sind selbst aber als Teil der sozialen Hierarchie in die Auseinandersetzungen um die legitimen Formen von Geschmack und Stil verstrickt. Insofern erfüllen sie eine erzieherische Funktion, bewegen sich im Veränderungsprozess als legitimes Führungspersonal durch die Lebenswelten der KandidatInnen und nehmen diese dabei an die Hand. Sie ermahnen oder beglückwünschen, erinnern an gemachte Fortschritte oder intervenieren, wenn jemand droht, nicht mehr mitmachen zu wollen oder zu können. Der Punkt der ›Führung‹ und Anleitung ist zentral, weil die von den Leuten erwünschten Ziele nicht selten mit enormen Anstrengungen verbunden sind. KandidatInnen überlegen es sich oft anders, sind schlicht am Ende ihrer Kräfte oder wollen abbrechen. Häufig entscheiden sich die KandidatInnen ›falsch‹ - also nicht im Sinne des gewünschten Endergebnisses – wenn sie immer wieder ihren alten gewohnten Präferenzen folgen. An diesem Punkt werden oftmals Begleitpersonen der KandidatInnen eingebunden, die nach der Wandlung die eindeutige Verbesserung feststellen und bestätigen. Dies sorgt auch bei den nicht immer überzeugten KandidatInnen für Zustimmung, Einsicht, Versicherung und Rückhalt sorgen. Die Versprechen auf Zufriedenheit, Glück, Erfolg und Schönheit rechtfertigen dabei alle Anstrengungen und Übergriffe von Seiten der ModeratorInnen. Die öffentliche Verunglimpfung von Menschen ohne anerkannten Geschmack oder Stil durch anerkannte ExpertInnen bringt eine scheinbar belustigende Dimension in die Shows. Mit einer Mischung aus Nötigung, Bestechung und Konsens, die sie wiederum mit Hilfe von Ironie und Autorität regulieren, das heißt mittels symbolischer Gewalt, wird rückwirkend Legitimation für die gewählten Eingriffe und Übergriffe geschaffen. Die ModeratorInnen versuchen, ihre eigenen partikularen Geschmacksurteile, die lediglich Ausdruck einer Position im Kampf um Hegemonie sind, als allgemein auszugeben. Sie stellen so ihren Geschmack als universellen Ziel- und Referenzpunkt dar, zu dem die Teilnehmenden in Beziehung gesetzt werden. Ihre Kenntnisse rechtfertigen dann wiederum ihre Position als auf diesem Gebiet ›Führende‹. Als »organische Intellektuelle« (Gramsci) der neoliberalen Selbstführungsprämissen nehmen die ModeratorInnen und ExpertInnen damit eine zentrale Position ein.
Diese Formen symbolischer Gewalt, die der Festschreibung sozialer Ungleichheit dienen, stellen den Versuch einer von Prozessen der Prekarisierung betroffenen Mittelklasse dar, sich fortwährend auf dem Feld der Kultur als prädestiniertes Führungspersonal zu etablieren bzw. zu halten. Wenn ganze Gruppen von Leuten als unzeitgemäß, unangemessen oder unbearbeitet definiert werden, können sie unter der Prämisse von neuen Vorgaben und Anforderungen bearbeitet werden. Gleichzeitig positionieren sich diejenigen, die sich problemlos im Rahmen des »guten Geschmacks« bewegen, über den sichtbaren Beweis ihrer stilistischen Kompetenz als »Zeitgenossinnen und -genossen«. Der Versuch, sich in diesen Umbrüchen zurechtzufinden, wird begleitet von der permanenten Bedrohung, daran zu scheitern, also vor den Augen »aller« anderen als veralteter Depp dazustehen, der den Anschluss verpasst hat, stur an »alten Mustern« festhält, keinen Geschmack, kein Sinn für Stil und Glamour hat und so zum Relikt einer längst überholten Lebensweise wird. Mit dem Hinweis, dass es noch viel Zeit, Tränen und Schweiß braucht, um ZeitgenossIn zu sein und nicht den Anschluss verpasst zu haben, haben die ModeratorInnen neben der »gewaltlosen Gewalt« von Lästern, ironischen Kommentaren und abwertenden Blicken zusätzlich den stummen Zwang der aktuellen Verwertungslogik auf ihrer Seite. Wenn die Leute an der (Selbst-)Bearbeitung scheitern, heißt das oft im Klartext: das eigene Restaurant geht pleite, die Beziehung wird nicht länger halten, das Kind wird keinen höheren Bildungsabschluss bekommen, das Bewerbungsgespräch wird daneben gehen und auf der Straße wird man wohl eher zum Gespött als zum Star. Mit dieser Zukunftsaussicht direkt oder indirekt zu drohen, ist das Mittel, um neben der Überzeugungsarbeit auch zu zeigen, dass die KandidatInnen es sich gern anders überlegen können, aber einen hohen Preis dafür zu zahlen haben. Dagegen geraten solidarische Formen des Umgangs mit knappen Ressourcen, kollektive Bedürfnisbefriedigung oder politische Aktivität in der individuellen Perspektive des »Jede/r kann es schaffen« völlig aus dem Blick.
Die verstärkte ökonomische Unsicherheit wird im Modus kultureller Hervorhebung lebbar gemacht. Es bleibt offen inwieweit sich die durch die Krise verschärfenden Widersprüche in verstärkten kulturellen Grenzziehungen artikulieren und soziale Widersprüche lebbar machen, ohne sie zu lösen. Die aktuellen Debatten um das Scheitern des neoliberalen Projekts berücksichtigen die Veränderungen im Kulturellen, besonders im Populären und Alltäglichen nur unzureichend. Im Kontext der Krisenprozesse stellt sich damit die Frage nach den kulturellen Bearbeitungsformen sozialer Ungleichheit. Dass der Neoliberalismus seine Hegemonie verloren hat gilt offensichtlich nicht für den Bereich der »Lebensweise«. Diskussionen über den weiteren Verlauf der Krise scheinen weitgehend unabhängig von jenen populären Diskursen zu verlaufen, in denen und durch die der Neoliberalismus zu einem konsensfähigen Projekt werden konnte. Ob er gar mithilfe solcher fortgesetzten »alltäglichen Klassenkämpfe« weiterhin bestimmend sein wird, ist unklar. Für die unterschiedlichen Krisenlösungen ist allerdings relevant, ob sie an Alltagserfahrungen der Menschen anschließen und so Zustimmung für ein neues kapitalistisches Projekt (wie beispielsweise. den »Green New Deal«) organisieren können. Weitergehend bedeutet das, systematisch über »kulturelle Periodisierung« (Demirovic) nachzudenken und die soziale Bindekraft neoliberaler Ideologie in die Beurteilung seines (Nicht-)Verschwindens einzubeziehen. Denn im treibenden Beat der neoliberalen Selbstverwirklichungsparty schwingt immer auch die Frage mit, wie heftig der Kater ausfallen wird.