1) Love Counts.

Im Anfang war die Zahl, und die Zahl war bei Gott, und die Zahl war Gott, sie war im Anfang bei Gott. In der Liebe hab ich mich stets verrechnet, so dass aus Etwas Nichts geworden ist. Über die Jahre war ich mit einer mittleren Anzahl von Leuten zusammen. Wie Schwermetalle haben sich die Rückstände dieser Liebesgeschichten in meinem Körper angesammelt; Erinnerungen an Dinge, Sätze, Kleidungsstücke, die in Wohnungen deponiert und in Kartons oder Tragetaschen wieder abgeholt wurden. Kann mich an die Badezimmer erinnern, ein umfunktioniertes Zigarettenregal, einen Aufkleber auf einem Spiegel (reclaim your face), eine insektenhaft gesprungene Kachel und an gute Momente ganz für mich auf der Wannenkante, während in meinem Mund die Zahnbürste selbsttätig rotierte und jemand im Bett schon auf mich wartete.

Aller Anfang ist gut, sonst würde man nicht anfangen. Der Kunststoff- und Metallanteil in mir wächst ständig, nach jeder gescheiterten Hoffnung musste ich Dinge an meinem Körper reparieren oder austauschen (look at me, son: a kind of Frankenstein’s daughter). Liebten wir einander nicht genug, oder nicht aus den richtigen Gründen? Spielen die Gründe in der Liebe vielleicht die entscheidende Rolle? Keine Ahnung. Wenn ich ein hübscheres Gesicht hätte, hätte ich mehr Auswahl. Du mochtest, wie ich aussehe, besonders mein Hals und mein Arsch hatten es dir angetan. Ich hatte nichts dagegen. Ich war verrückt nach dir, nie war ich nach jemandem so verrückt wie nach dir, Eric. Wir stehen oben auf einem Hoteldach und rauchen und es ist der absolute Beginn von allem, die große Stadt tief unter uns, der Himmel unendlich, die Sonne gerade erst geschaffen, der helle Wahnsinn. Du: Glaube, das ist es. Ich: Kann nicht sein. Du: Nimm noch mal meinen Schwanz in den Mund. Ich hatte absolut nichts dagegen und lernte viel Neues, zum Beispiel dass es immer noch tiefer geht und man nur von Milchkaffee, Sex und Zigaretten leben kann. Dein Glaube zog mich mit und ich konnte weder richtig essen noch arbeiten, bis ich mich halbwegs wieder gefangen hatte, das Herz moderater schlug und du zu mir zogst.

Gefühl: wie angekommen, close, easy, waren glücklich, alles leicht, alles lösbar. Bis sich ein Problem ergab, das sich als zentral herausstellen sollte. Fast schien es, als sei unsere Beziehung nur um der Entdeckung dieses einen Problems willen eingerichtet worden. Wir kreisten darum wie zwei Monde um einen Planeten, die Anziehungskraft des Problems hielt uns zusammen. Wir drehten und wendeten es, bis wir nicht mehr weiter wussten. Freunde wurden zu Rate gezogen, hinein in die Umlaufbahn des Problems, nach und nach ein ganzes Team von Freunden, das die Chancen und Risiken mit mir durchrechnete. Mit den Ergebnissen nahm ich die Verhandlungen neu auf, es wurde Abend, und Nacht, wir redeten, zu viele Drinks, redeten und schliefen schließlich ein, eng ineinander verzahnt in jener seltsamen Weisheit völliger körperlicher Erschöpfung und diese Momente kurz vorm Einschlafen waren die besten. Am Morgen in der Küche ging es von vorne los. Wir kamen einfach nicht dahinter. Da war eine seltsame Schieflage an uns, irgendein Mangel, und zugleich war dieser Mangel nun das, was uns so fieberhaft zusammenhielt. Ich glaube, als Paar waren wir vor allem eines: typisch.

In langen Testserien von Beziehungen, die, dem Stoffkreislauf unterworfen, zunehmend von ihren technischen Problemen lebten, war die Knappheit von irgendwas unser Antrieb und jedes Paar ein Hybrid, ein Duo perfekter, nervöser Motoren, denen nie der Saft ausging, doch unsern Kosenamen so langsam die Luft. Es war hoffnungslos. Es änderte sich nichts, bis es zu Ende war. So viele soziale Experimente über all die Jahre. Bis in deinen Gefühlen eine Generation die nächste ablöst, hast du noch eine Liebschaft in den Sand gesetzt. Zurzeit bin ich etwas antriebslos in dieser Sache, mein Körper scheint die Rückstände weiterer Geschichten nicht speichern zu wollen. In der Liebe hab ich mich stets verrechnet. Zum Glück gibt die Forschung nie auf, nur für jetzt, für diesen Moment, hab ich’s aufgegeben. Zum Glück gibt es noch andere Sachen als die Liebe. Und zum Glück hab ich Zugang zu exzellenten Computern.

2) The Institute.

Im Anfang war die Zahl, und die Zahl war bei Gott, und die Zahl war Gott. Gott ist die absolute Mathematik, wie hätte er sonst das Nichts und das Wiedernichts so zusammenrechnen können, dass es etwas ergab, den ersten Tag und alle folgenden?, da muss einer schon ein geschickter Rechner sein, ein absolut geschickter Rechner. Der Theorieanteil in mir wächst ständig. Auf dem Weg zum Institut hab ich mir ein perfektes Sandwich gekauft: schöne Schichten von Salaten, mondgelbem Käse, rubinroten Tomaten, hellen und dunklen Saucen, zubereitet von unsichtbarer Hand. Neuerdings kaufe ich es jeden Morgen. Ich esse es nicht sofort; denn dieses Sandwich ist der Dreh- und Angelpunkt meines Vormittags, sein Sinn und seine Schwerkraft. Ich habe schon viele Sandwiches wie dieses gegessen. Nein, keines war wie du.

16: the number of my lovers (you included, Eric). 96: the number of my eyes. Die Zahl deiner Augen muss mit der Zahl der Dinge schritthalten. Der Dinge sind viele. Mit schmalem Koffer schlängele ich mich an Autos vorbei, biege und beuge mich um Mülltonnen, Werbetafeln, konjugiere mich um die Dinge herum (so wie gestern noch um die Männer). Eher ändere ich mich, als dass ich sie ändere. Ich hänge an den Dingen. Ich reinige sie, zähle sie, ordne sie, der Begriff der Wirtschaftsordnung umfasst theoretische Vorstellungen über die grundlegende Regulierung und Steuerung des Austauschprozesses, ich vermesse, verehre, fürchte sie. Siebenmal kontrolliere ich die Dingschalter, bevor ich aus meiner Wohnung gehe. Und dann noch mal zurückgehe, um sie auf frischer Tat zu ertappen (hinterrücks betrügen dich die Dinge).

Ich führe ein indirektes Leben. Deine neue Flamme wirkt nett, offen. Ich weiß nicht, ob sie mir die Wahrheit gesagt hat, aber anscheinend geht es dir gut. Auf diese Information hin hatte ich eine Monatsaffäre. Aus Gründen des sozialen Ausgleichs. Und aus Aberglaube. Viele Wissenschaftler sind abergläubisch. Weil die Wahrheit so heikel ist; sie kann dir schon aus Prinzip keine Treue versprechen, that’s fallibilism, baby. Die Wahrheit ist ein Lover, der nach einer heißen Nacht nicht mal aus Höflichkeit noch zum Frühstück bleiben würde. Diese Welt ist seltsam. Ich denke, die Welt kam so: Am ersten Tag schuf Gott die Menschen. Am zweiten schnitt er den meisten von ihnen den Kopf ab, und das waren die Dinge. Wenn du den Dingen alle Unterschiede abschneidest, hast du das Geld. Wenn du eine Walnuss in zwei Teile schneidest, hast du zwei Hälften einer Walnuss, aber kein Paar. Paare sind heikel, Maschinen zur Vernichtung von Information, lernen sie einander bis zur Unkenntlichkeit gut kennen. Schau dir nur mal an, wie du gehst, sagtest du, du bist komplett unromantisch. Wieso?, wie gehe ich denn? Ich wusste nicht, was du von mir wolltest. Ich wollte vor allem nicht allein einschlafen.

Ich war schon immer eher eifersüchtig, aber nie so wie bei dir. Diffuser Mann, in einem Atemzug konntest du von der Ewigkeit reden und von Hormonen. Ich kam einfach nicht dahinter, du warst gleichzeitig ein Romantiker und ein User. In Gesprächen zerfielst du mir wie ein Ball aus Sand unter dem Leib eines Käfers. Du erzähltest einen ganz schönen Haufen Mist. Und ich schwankte zwischen der Lust, doch noch einen Treuedreh für uns zu finden, völligem Überdruss und dem Gefühl, alle meine Berechnungen liefen unter falschem Vorzeichen ab. Wir wetteiferten um die Hegemonie in der Wohnung. Du räumtest Dinge an den falschen Platz, ich stellte sie zurück an den richtigen und verdächtigte dich, in allen Dingen so untreu zu sein. Ab und zu hab ich dein Handy kontrolliert. Nichts. Aber ich möchte nicht in einem Moment verlassen werden, wo ich nicht damit rechne (vorbereitet sein), und hab dich ein, zwei Mal betrogen (was in der Hinterhand haben). All das ist vernünftig. Aufklärung ist der Ausgang aus der selbstverschuldeten Unsicherheit, Romantik ist der Versuch, sich seines Verstandes wieder zu entledigen. Ich denke, im Vergleich zur Aufklärung war die Romantik ganz klar eine Subprime-Epoche.

3) The Need of Competition.

Ob die Liebe aktuell gescheitert ist? Keine Ahnung, bin Wissenschaftler, nicht Journalist; Tagespolitik interessiert mich nicht. Du hingegen brauchtest die News; nur im Bett sollten die Hormone für immer überirdisch bleiben. Die Schere quietscht, ich schneide die Zeit aus, schrieb Ende der Zwanziger Franz Pfemfert in der Zeitschrift Aktion. Ein Mann, ein Blatt. Eine Frau, 96 Blätter, bin ich die überhistorische Forschung. Ich mag das Quietschen der Schere. Oder mag ich bloß die Metapher? Einst entwickelte ich Maschinen, jetzt sind es Metaphern. Ist nicht schon der Gebrauch von Metaphern heillos romantisch? Maschinen sind Menschen ohne Metaphern. Und ohne Angst, ohne Eifersucht.

Der achte Tag. Das Institut ist in dieser Woche fast verwaist. Sehr gut. Das perfekte Sandwich lächelt mich an, mein Kragen strahlt wie der Fortschritt, doch aus den Kopfhörern kommen die späten Fünfziger; mein bester Freund, der Kapuzentyp, hat sie mir gegeben (Algis mag die Songs auch). Jene mit Gesinnung warf dem Kapuzentyp einmal vor, er flüchte sich musikalisch in die Vergangenheit. Doch er entgegnete, es gäbe eine Rückwärtsromantik, die nicht die Sehnsucht nach der Vergangenheit sei, sondern die Sehnsucht nach einer Vergangenheit, die noch an die Zukunft glaubte, und damit sei es letztlich eine Sehnsucht nach der Zukunft. Der Kapuzentyp kann manchmal spitzfindiger sein als unser gemeinsamer Freund, der Spitzfindige. Und wenn der Kapuzentyp sie verteidigt, ist vielleicht etwas dran, an der Romantik.

Die Schere quietscht elektronisch, ich schneide ein Bild aus, Affe mit Schneeball von Mitsuaki Iwago. Der Affe trägt den großen Schneeball in beiden Armen durch die weiße Fläche auf uns zu. Ich mag dieses Foto, warum ist es so traurig? Weil der Affe ein so trauriges Gesicht macht? Weil eine seiner Zehen abseits von den anderen in die Kälte herausgestreckt ist wie der Fühler einer Schnecke? Weil er seine fremde Last trägt wie einen Schatz? Weil auch ich an Dingen trage, die ich nicht verstehe, und Mitleid habe mit dem Lastträger in mir? Die Schere quietscht. Die Traurigkeit ist eine Wissenschaft für sich. Ich bin maßgeblich an ihrer Weiterentwicklung beteiligt. Ziel?, Nobelpreis für Traurigkeit? Come on, girl, lass dich nicht so hängen.

Das Sandwich liegt auf seinem Teller auf der Fensterbank, frisch und unberührt wie die Jungfrau Maria. Es hat sich nicht verändert seit dem Vormittag, die Farben leuchtend, keinerlei Anzeichen des Verfalls. Offenbar hat das Biest vor, mich zu übertreffen, aber ich werde ihm und dem Kollegen einen Strich durch die Rechnung machen. Zwischen den Feiertagen ist der zu seiner Familie gefahren und ich kann mir einen Wissensvorsprung verschaffen. Wir brauchen den Wettbewerb. Der Wettbewerb ist ein Verfahren zur Entdeckung von Tatsachen, die ohne sein Bestehen entweder unbekannt blieben oder doch zumindest nicht genutzt werden würden, sagt von Hayek. Um sie zu nutzen, muss man den Tatsachen auf die Sprünge helfen. Die soziale Ungleichheit fördert die Konkurrenz und damit den Fortschritt, sagt der Institutsleiter, der ein begeisterter Verfechter der sozialen Ungleichheit ist.

Es war jedes Mal ein Schock, wenn ich vom Job in die Wohnung zurückkam. Nach und nach holtest du alle deine Sachen ab. Wolltest du mich quälen, mir deine Überlegenheit Stück für Stück vor Augen führen? Wie auch immer, mit jedem neuen Leerraum wuchs das Volumen meines Scheiterns. Am Anfang war die Traurigkeit ein Berg. Der Berg lag da, im letzten Licht des Tages, sah fern, wählte Nummern, aß das Gelieferte, schwieg, schlief. Das ging einige Zeit so. Dann war die Traurigkeit ein Messer. Das Messer rasierte dem Berg den Wald von den Beinen, stellte die übrig gebliebenen Möbel um und setzte sich mit Walkman frisch an den Schreibtisch, um ein paar Dinge zu verdichten. Occam’s razor, Occam’s compressor. Das MP3-Format sei der Tod der Musik, sagtest du mal (das hattest du gelesen), irgendwann würde mir auffallen, dass ich von den Kompressionen aus dem Hause Fraunhofer Kopfschmerzen bekäme. Ich, retour: Und das sagt einer, der alle Metaphysik romantisch in 16 Zentimetern Schwanz komprimiert, na, schon Kopfschmerzen da unten? (so cool ich im Job bin, so uncool war ich bei dir). Pech in der Liebe, Glück im Handel, meint der Institutsleiter, der uns zeigt, wie wir den romantischen Herdentrieb der Börsenanalysten für unsere Zwecke ausnutzen.

Mein Fachbereich: Sprachökonomie. Arbeitsgebiet: die Ordnungspolitik der Sprache und ihre globale Implementierung. Die ideale Sprache des Positivismus zog eine Mauer hoch zwischen Physik und Metaphysik und war staatlich quasi durchgeregelt (redet Tatsachen, Leute!, no nonsense, keine Ausflüchte, wir kontrollieren das). Die ideale Sprache hat sich nicht durchgesetzt, zu viel Plan, zu wenig Moment, zu wenig subjektiver Faktor und keine Chance gegen den Rest der Welt. Die normale Sprache ist das alltägliche Ringen um Ausdruck. Ich schreibe das Institut in Marktlücken hinein. Ist literarischer Wettbewerb ein Verfahren zur Entdeckung von Sätzen, die ohne ihn unbekannt bleiben würden?, oder ist die pure Entdeckerfreude einfach nur langsamer?, sollte man vielleicht alle Sätze zufällig beim Spazierengehen entdecken?, was würde man finden? Wer kann das wissen. Gäbe es auch nur einen der Sätze hier ohne den Wettbewerb? Schulterzucken. Kann grad nicht weiterdenken. Du fehlst mir so. Das Sandwich blickt mich von seinem Teller aus an, fresh, cool.

4) Apartment Blues.

1849 gab Thomas Carlyle der Ökonomie den Namen Dismal Science, traurige Wissenschaft. Ich male mir aus, um wie viel besser deine neue Flamme ist (besser am Tisch & besser im Bett). Still so jealous, meint Algis Budrys (der hier im Institut die Reinigungsmaschine durch die Flure fährt), so eifersüchtig, als hätte man euch einander nicht aus den Rippen geschnitten. Was meint er damit? Er startet zu einer neuen Runde. Hier im Institut habe er den Blues bekommen, sagt er, but it’s not that bad, Julia. Niemand außer mir und dem Pförtner hört ihn singen. Ich liebe es, ihm zuzuhören, dem Mann, der auf seiner Maschine sitzend wohl irgendwie die Zeit überbrückt bis die Zukunft ihn eingeholt hat:

I’m a bumblebee in the anthill of stock exchange
Lot of storytelling with bull and bear at the gate
I’ve got ants in my pants, but no more futures to trade
I’m a bumblebee in the anthill of stock exchange

And a moth in the wardrobe of separated hopes
Lot of coat-hangers, who’ve never seen
That truth, love and friendship are somewhere between
I’m a moth in the wardrobe of separated hopes

Menschen sind schon seltsam. Früher schrieb Algis Science-Fiction, weil er sich nach der Gegenwart sehnte, und jetzt macht er Oldschool-Blues, weil er sich nach der Zukunft sehnt. Ist es eigentlich wichtig, warum man etwas tut, warum man Forschung betreibt?, wichtig, die richtigen Dinge auch aus den richtigen Gründen zu tun, oder machen die falschen Gründe keinerlei Unterschied für das Ergebnis? Sindbad der Seefahrer reiste, weil er das Erzählen liebte. Wollte ich dich haben, weil ich dich liebte? Oder weil ich sie experimentell nachweisen wollte, die Möglichkeit der Liebe? Auf dem Weg rüber zur Kaffeeküche begegne ich in der Spiegelwand einer Gestalt: Sindbad der Lastträger. Der Kopf ist ihm schwer. Oder ist es das Herz, das ihm schwer ist? Das Rad ist noch nicht erfunden. Oder ist es die Straße, die noch nicht erfunden ist? Oder irgendwas dazwischen? Seltsamer Mangel an allem heute, diese Zeit ist irgendwie an einem toten Punkt.

Nur Romantik kann die Menschen bewegen, vorwärts oder rückwärts, schrieb Pfemfert in der Aktion. Und Nâzim Hikmet, der seinem Roman aus irgendeinem Grund den Titel Die Romantiker gab, hat seinen Mitgefangenen Lesen und Schreiben beigebracht. Nicht, damit sie seinen Roman lesen oder damit er ein edler Mensch sein konnte. Einfach so. Weil es gut war. Eins der schönsten Dinge, die ich je im Fernsehen sah, war eine alte Frau in einer östlichen Stadt, die zum Ende ihres Lebens noch Lesen lernte. Gemeinsam mit anderen Frauen in den Bänken sitzend, war ihr Blick weit geöffnet, als wäre sie bei der Erschaffung der Welt dabei, und so war es auch, denn diese Frau wollte nicht etwas, sondern alles, die ganze Sprache, die ganze Welt, und ich fühlte eine große Zuneigung für diese Frau und wünschte, ich hätte dabei sein können, bei ihrem Lesen, das so anders war als meines. Ich benutze das Lesen, sie brauchte es.

Du fehlst mir. Die Bedeutung von allem besteht in der Art seines Gebrauchs. Der eine Gebrauch unterscheidet sich vom anderen wie der Sinn von der Funktion, das Bedürfnis vom Bedarf, das Erzählen und Zuhören vom Güteraustausch zum gegenseitigen Vorteil. Der Gebrauch der Romantik führt in die Rhetorik, die Romantik des Gebrauchs führt vielleicht hinaus aus der Traurigkeit. Zu riskant? Möchte ich noch mal jemanden so sehr brauchen wie dich, Eric, mir noch mal die Hoffnung machen, dass es dieses Mal nicht zu wenig sein wird? Ist Liebe überhaupt möglich? Weiß nicht, rechne noch, Affe mit Taschenrechner.

Algis Budrys kommt auf seiner Maschine bei mir am Schreibtisch vorbei. Es ist gut, dass er kommt, denn ich komme nicht weiter, habe eine Frage auf dem Herzen: Hör zu, Algis, ich denke, ich wollte beweisen, dass ich gut genug für ihn bin, aber ich war es nur fast, der Anfang war Wahnsinn, aber am Ende war es eben nur fast Liebe, ist es nicht so? Algis sieht zum Teller mit dem Sandwich rüber: Hast vorhin nicht zugehört, hm, bist weiterhin ein Apartment?, oder ein Sandwich wie dieses? Er lacht. Lacht meine Eifersucht aus: Ja, wenn du ein besseres Sandwich gewesen wärst… Ich: Ich hätte cooler sein können. Du lebst, sagt er (jetzt ärgerlich), und glaub mir, schneller als du denkst ist das vorbei und dann kannst du … cool sein; wieso vertraust eigentlich gerade du der Grammatik?, Substantive, Adjektive, diese verdammten Immobilien eures Redens über euch selbst, hör zu, wenn du weiterhin so redest, wirst du scheitern, und zwar in jeder Beziehung. Verdammt, Algis, dann sag mir doch, wie soll ich denn reden? Er: Hier kannst du nicht auf andere Gedanken kommen – komm her, Julia, come on, aufsteigen. Was?, jetzt?, aber ich arbeite. Wieso nicht jetzt? – Okay, wieso nicht genau hier einen Cut und was anderes machen. Diese Reinigungsmaschine hier ist gar kein übler Anfang, denke ich, für ein Scifi-Roadmovie vielleicht (der Kapuzentyp wäre begeistert). Also gut, die Story heißt Something in the ground und beginnt folgendermaßen: I took a seat and Algis started the engine with an incredible sound.

We’re bugs in dismal grammar’s house of love
We’ve been jealous women and jealous men
Building solitary somethings as high as we can
But now we’re bugs in dismal grammar’s house of – love