Dass dem Ausbrennen, dem Erlöschen des eigenen Antriebs zur Arbeit, eine Erfahrung des persönlichen Scheiterns zugrunde liegt, scheint unmittelbar plausibel. Wer nicht weitermachen kann, befindet sich in einer existenziellen Krise. Ihm oder ihr muss geholfen werden, er oder sie muss sich – schon im eigenen Interesse an Zufriedenheit und Selbstwertschätzung – mit allen nur denkbaren Mitteln wieder fit machen für Arbeit, Gesellschaft, Privatleben. Wem das auf längere Sicht nicht gelingt, der oder die hat ein Problem. Nicht nur ein ökonomisches. So weit, so einfach die übliche Sicht der Dinge.
Scheitern kann so manches: Ehen, Regierungen, Unternehmungen. Kurz: Projekte. Die Annahme, auch Personen könnten scheitern, basiert selbst auf der Annahme, auch Personen seien Projekte. Ihr Leben sollte, mit anderen Worten, als je eigenes »gelingen«. In einer kapitalistischen Arbeitsgesellschaft, zumal unter (post-)neoliberalen Vorzeichen, bemisst sich das Gelingen allerdings nicht im luftleeren Raum. Einkommen, Anerkennung und Karriere bilden den Maßstab. Gemessen an der Menschheitsgeschichte ist die Verknüpfung von Glück und Markterfolg relativ jung. In unserem Selbstverständnis ist sie jedoch längst tief verankert. Auch kritischen Geistern ist es deshalb nur unter einigen Anstrengungen möglich, sie, und sei es nur momentweise, gedanklich auszusetzen.
Und was gelingen kann, kann eben auch misslingen. Weil es sich dabei nicht um ein bloßes Unglück handelt, ist Scheitern an Bedingungen geknüpft. Zum einen muss es ungewollt sein, muss also erlitten werden. Zum anderen verweist Scheitern als Verb immer auf ein Objekt: Man scheitert nicht einfach so, sondern an etwas. Wo vom eigenen oder fremden Scheitern die Rede ist, ist immer dies im Spiel: eine schmerzhafte Beziehung zwischen Subjekt und Objekt, die auf sozial geteilte Vorstellungen vom gelingenden Leben zurückverweist.
Schlechte Bedingungen für gute Leute
Zurück zur Erschöpfung. Die ist im Zusammenhang mit der Frage nach dem individuellen Scheitern deshalb so interessant, weil sie dafür einerseits so fraglos beispielhaft scheint und andererseits inzwischen massenhaft auftritt, also kaum Ergebnis individueller »falscher« Lebensentscheidungen sein kann. Fachlich siedelt sie deshalb exakt auf der Grenze zwischen Psychologie und Soziologie. Befragen wir zunächst die Psychologie. Die sucht – und findet – die Ursachen für Gefühlsstörungen aller Art normalerweise im vereinzelten Subjekt dieser Gefühle. An der Erschöpfung gerät dieser Zugriff ins Wanken.
Dass sich die Frage nach den Ursachen der Massenerschöpfung aus rein individualpsychologischer Sicht so ganz leicht nicht beantworten lässt, ist nämlich auch für PsychiaterInnen offenkundig. Burnout sei, so erklärt etwa Volker Faust von der Arbeitsgemeinschaft Psychosoziale Gesundheit, »die Folge von schlechten Bedingungen, unter denen viele gute Leute tätig sind.« Zu diesen Bedingungen zählen: Zeitdruck, übles Betriebsklima, Nacht- und Schichtarbeit, zuviel Verantwortung, fehlende Kommunikation, unüberschaubare Arbeitsabläufe, Angst vor Arbeitsplatzverlust und vieles mehr. Wer also ist hier krank? Die Beschäftigten – oder »der Betrieb«?
Doch obwohl Professor Faust so eindringlich auf die Arbeitsbedingungen hinweist, ist für ihn auch klar: Dabei handelt es sich erstmal nur um »äußere« Belastungen. Zu »inneren« werden sie erst, wenn ihnen die Menschen keine »Grenzen setzen«, wenn sie sich die von außen eintreffenden Anforderungen ungefiltert einverleiben. Aus ursprünglich guten Eigenschaften werden so am Ende schlechte: »Einsatz, Initiative und Engagement« machen – geschuldet der mangelnden Grenzziehung seitens der Subjekte – über kurz oder lang »erschöpft, verbittert, ausgebrannt«. Weil wir aber ja genau das sein sollen – und häufig auch sein wollen – einsatzfreudig, initiativ und engagiert, ist kaum noch jemand vor Erschöpfung gefeit: »Ein wenig Burnout«, so Faust, »ist wohl in uns allen.«
Erschöpftes Selbst im Teufelskreis
Das sieht man auch aus gesellschaftstheoretischer Perspektive nicht wesentlich anders. Die bekannteste Diagnose in diesem Zusammenhang stammt von Alain Ehrenberg, der mit seiner Untersuchung zum »erschöpften Selbst« zeigen will, dass depressive Verstimmungen, Erschöpfung und Verzweiflung keine Unregelmäßigkeiten, sondern so etwas wie der unvermeidliche Schatten des karriere- und selbstverwirklichungssüchtigen Selbst der kapitalistischen Moderne um die Jahrtausendwende sind. Arbeitsbedingungen und Managementstrukturen spielen für Ehrenberg allerdings keine besonders große Rolle. Ihn interessiert eher ein allgemeines Modell des Subjekts, das humanwissenschaftliche Theorien, politische Programme und alltägliche Selbstverständnisse von Menschen miteinander verbindet.
In diesem Modell gilt hypothetisch – und irrealer Weise –, dass prinzipiell alles möglich ist. Und dass es ausschließlich in der Verantwortung der Einzelnen liegt, aus der Fülle der Möglichkeiten das je eigene »gelingende« Leben zu stricken. Ehrenberg hält diese Behauptung nicht für richtig, sondern für mächtig. Sie wirkt wie eine innere Stimme, die den Unzufriedenen allerorten hämisch einflüstert, dass es anders hätte kommen können, wenn sie nur die richtige Wahl getroffen hätten. Unter der Last der Verantwortung brechen die solcherart malträtierten Selbste oft zusammen.
Anders als bei Faust bildet die Überidentifikation mit Leistung, Erfolg, Karriere bei Ehrenberg keinen zweifelhaften Schutzwall gegen betriebliche und gesellschaftliche Anforderungen, sondern entspricht ihnen exakt.
Kurz: Das erschöpfte Subjekt scheitert an unrealisierbaren gesellschaftlichen Anforderungen, die ihm suggerieren, er oder sie könne die Grenzen der je eigenen Subjektivität unendlich in Richtung Glück, Erfolg, Leistung erweitern. Die unvermeidliche Konfrontation mit den eigenen Grenzen (der Leistungs- und/oder Glücksfähigkeit) produziert Leid, das den Druck, sich erfolgreich selbst zu formen, noch erhöht: ein Teufelskreis. Der zermürbende Konflikt zwischen (äußerer) Norm und (innerer) Verzweiflung kann nur noch dadurch gelöst werden, dass Subjekte lernen, zwischen Außen und Innen wieder klarere Grenzen zu ziehen, sich ihr je ganz Eigenes zurückzuerobern und vor betrieblichen wie normativen, kurz: gesellschaftlichen Zugriffen zu sichern.
Was aber wäre das – das »Eigene« im Menschen? Faust empfiehlt nachdrücklich die Pflege von Hobbys, als eine Art verwertungsfreien Schutzraum im eigenen Leben. Ehrenberg empfiehlt gar nichts, denn er ist kein Therapeut. Geheimnisvoll aber beruft er am sich Ende seines Buches auf das »Irreduzible« im Menschen, das niemals vollständig zugerichtet werden kann.
Erfolg macht nicht immer glücklich
In zahllosen Netzforen erzählen Burnoutbetroffene ihre Geschichte. Neben vielen anderen findet sich dort auch der Bericht eines Musikers, nennen wir ihn Dixie. Unter der Überschrift »Ich tue, was ich hasse, mit Erfolg« legt er los: »Schon mit 16 ›brannte‹ ich für meine Sache: Die Band.« Unbezahlte Praktika in einer der weltgrößten Plattenfirma folgten; kein Problem, denn »es ging ja um die Sache«. Allerdings merkt Dixie schnell, dass er lieber gute Musik machen als schlechte verkaufen will. Doch der Konkurrenzdruck ist enorm, Hunderte von Demobändern verschwinden antwortlos bei unzähligen Labels. Als Produktmanager hingegen macht Dixie eine steile Karriere und verdient viel Geld. Inzwischen habe er seit dreizehn Jahren keinen Urlaub mehr gemacht. Soziale Beziehungen hat er nicht, und wo er sie doch noch hat, möchte er sie »eher los sein«. Alle Burnout-Symptome treffen auf ihn zu. »Alles in allem fühle ich mich wie in einer Sackgasse und weiß nicht, wie ich weitermachen soll.«
Dixies Sehnsucht nach Musik ist geblieben. Seine Fähigkeit, Musik zu machen, ist jedoch verschüttet. Sein Fazit: »Ich mag meinen Job nicht, weil mein Wertesystem von unserem ›Produkt‹ überhaupt nicht angesprochen wird. Ich verabscheue diese flache Art von Entertainment, die wir erschaffen.« Zwar sei alles »sehr ›hip‹ und innovativ.« Aber eben nicht wirklich gut: »Es geht um ›die Sache‹ – leider nicht um eine, die ich auch gut finden würde.«
Dixie hat immerhin den Vorteil, dass er genau weiß, was ihm fehlt: die Möglichkeit, von seiner Musik zu leben. Phasen ohne Job und Perspektive auf gesicherte Existenz sitzen ihm wie eine ständige Drohung im Nacken. So sieht er keinen anderen Ausweg für sich, als den ungeliebten Kaufmannsjob weiterzumachen.
In dieser Geschichte tauchen einige Merkmale auf, die in vielen solcher Geschichten auftauchen: Prekäre Arbeitsbedingungen oder die Angst davor, finanzielle Not oder die Angst davor, unbefriedigende soziale Beziehungen, auf der anderen Seite eine eigentlich hohe intrinsische Motivation für die »Sache« und ein starker Wunsch, das eigene (Arbeits-)Leben nach den eigenen Maßstäben zu gestalten.
Klar ist gleichzeitig auch: Dixie möchte sich nicht vorrangig »selbst« verwirklichen, sondern er möchte Spaß an der Arbeit haben und ein Produkt herstellen, dass er seinem »Wertesystem« entspricht. Genauer: Seine Selbstverwirklichung ist von dem gesellschaftlichen Sinn, den er dieser Tätigkeit zuschreibt, nicht zu trennen. An einer starken Grenzziehung gegenüber dem gesellschaftlichen Außen ist ihm also nicht nur nicht gelegen, es würde ihn wahrscheinlich noch kränker machen, legte er sich jetzt ein schönes Hobby zu oder suchte im Verborgenen nach seinem »Irreduziblen«. Er ist aber auch Realist, der weiß, dass er ohne Geld in einer Markt- und Konkurrenzgesellschaft nicht leben kann. Krank macht ihn, dass er seine Produktivität nicht ins gesellschaftliche »Reich der Zwecke« (Kant) einbringen kann, sondern unter fremdbestimmten Bedingungen und zu schwankendem Kurs verkaufen muss. Krank macht ihn, mit anderen Worten, nicht er selbst, sondern der alltägliche kapitalistische Terror.
Krise des sozialen Sinns
Wer oder was scheitert hier? Zuallererst das kapitalistische Versprechen, Selbsterhaltung und Selbstverwirklichung zusammenbringen; aus der eigenen Person, strengt man sich nur genug an, ein glückliches Investitionsprojekt machen zu können. Alle drei Experten zusammengenommen, Faust, Ehrenberg und Dixie, ließe sich auch sagen, dass die Erschöpfung in der Tat Indiz eines stillschweigend umkämpften Grenzziehungsprozesses ist. Jedoch nicht zwischen einem imaginären »Inneren« und einem entfremdeten »Außen« des Subjekts, sondern zwischen den Produzenten gesellschaftlichen Reichtums und den Formen seiner kapitalistischen Aneignung und Verwertung. Je stärker dabei die Befriedigung von Grundbedürfnissen (nach Existenz, Sicherheit, Planbarkeit) durch »Sinnbedürfnisse« (die nicht nur das jeweils produzierte Produkt, sondern beispielsweise auch Vorstellungen über den Umgang mit Kolleginnen, Kunden, anderen Menschen einschließen können) gefährdet werden (und umgekehrt), umso höher das Erschöpfungsrisiko. Allgemeiner gesagt, stellen kapitalistische Arbeitsbedingungen im Verein mit spätbürgerlichen Glücksversprechen etwas in Aussicht, das sie strukturell nicht einlösen können: die Möglichkeit der Verwirklichung seiner selbst als kreatives und selbstbestimmtes Subjekt, ohne dass ich dafür meine (soziale, ökonomische) Existenz aufs Spiel setze.
Nicht alles, was scheitert, muss betrauert werden. Und so ist auch die Erschöpfung nicht nur ein Drama. Gerade in ihrer Massenhaftigkeit öffnet sie den Blick auf ein untergründiges Begehren – nach einer Existenzweise, die das eigene Überleben nicht an den eigenen Verkauf koppelt und in der das Eigene und das Gesellschaftliche, das Innen und das Außen keine so starken Gegensätze bilden, dass ich bei Strafe meines seelischen Gleichgewichts Gartenzäune um das eigene prekäre Selbst ziehen muss. Könnte die Erschöpfung sprechen, sagte sie vielleicht, ich habe eine Ahnung davon, dass das Leben doch mehr ist als ein am Markt zu realisierendes Projekt. Mehr und zugleich weniger. Unberechenbarer und rätselhafter. Spektakulärer und basaler. Überraschender und gewöhnlicher. Sie würde uns erklären, dass es nicht immer angenehm, aber eben doch möglich ist, dieser Idee von Leben treu zu bleiben – auch in Momenten der Verzweiflung.