Heute, Anfang 2017, hat sich die Situation weiter verschärft. Anders als im Oktober 2014, als die erste Pegida-Kundgebung stattfand und ihre wöchentliche Wiederholung lostrat, erscheinen heute jeden Montag «nur noch» ein- bis dreitausend Rassist*innen. Doch die Kontinuität zählt. Sie ziehen weiter gegen Geflüchtete, «den» Islam und Aufklärung über geschlechtliche und sexuelle Vielfalt an Schulen durch Dresdens Straßen. Wir sind es mittlerweile gewohnt, von brennenden Geflüchtetenunterkünften zu lesen. Die AfD zog im vergangenen Jahr mit Wahlforderungen nach einem Ende der «zügellosen Masseneinwanderung» und des «gesellschaftspolitischen Experiments der Gender-Ideologie» in fünf weitere Landesparlamente ein – zweimal sogar als zweitstärkste Kraft.

Wie aber ist diese Entwicklung einzuschätzen? Die seit 2002 durchgeführten Mitte-Studien von Forscher*innen der Universität Leipzig zeigen, dass es ein seit Jahren konstantes autoritäres Potential in der deutschen Gesellschaft gibt, das sich nun öffentlichkeitswirksam artikuliert und in der AfD seinen parteipolitischen Ausdruck gefunden hat. Zugenommen hätten vor allem Ressentiments gegen einzelne Gruppen, etwa gegen Geflüchtete und Muslime. Auch die erstmals abgefragte Abwertung von Homosexualität ist auffallend weit verbreitet. Es ist also kein fundamentaler Wandel in der politischen Einstellung eines Großteils der Gesellschaft, den wir erleben, sondern vielmehr die zunehmende Sagbarkeit und Sichtbarkeit vormals tabuisierter, rassistischer, sozialchauvinistischer und antifeministischer Positionen, die bereits seit langem in der Gesellschaft verbreitet sind.

Den Nährboden für diese Entwicklung bildet ein Konglomerat aus neoliberaler Deregulierung und demokratischen Defiziten, aus gesellschaftlicher Entsolidarisierung und Vereinzelung. Sie können auch als Erwiderung auf die feministischen und antirassistischen Errungenschaften der vergangenen Jahre erklärt werden, die männliche, heterosexuelle und weiße Privilegien in Frage stellen. Diese werden von einigen als Statusbedrohung in einer zunehmend als krisenhaft wahrgenommenen Situation empfunden. Die sogenannte Neue Rechte nutzt diese Situation zu ihrem Vorteil. Es handelt sich dabei um eine politische Strömung innerhalb der radikalen Rechten, die deren Positionen in der Gesamtgesellschaft platzieren will – um über die kulturelle zur politischen Hegemonie zu gelangen.

...und was hat das ganze nun mit Feminismus zu tun?

Die Neue Rechte wendet die aktuelle(n) Krise(n) identitätspolitisch. Statt einer fundierten Kritik an wirtschaftlicher Deregulierung, dem Abbau des Sozialstaats und Arbeitnehmer*innenrechten, an Konkurrenz und Leistungsdruck spricht sie von einem «kulturellen Niedergang», der die Gesellschaft seit Jahren schrittweise zerstöre. «Masseneinwanderung» und «der» Feminismus hätten diese beliebig, maß- und regellos gemacht. Das berechtigte Empfinden von sozialer Unsicherheit und Isolation wird damit auf den vermeintlichen «Verlust von Identität» zurückgeführt. Dieses Narrativ ist in seiner Wirkmächtigkeit nicht zu unterschätzen. Was die Neurechten anbieten, sind keine rationalen oder komplexen Antworten auf materielle Probleme, dafür aber das Gefühl von Zugehörigkeit und eindeutiger Identität. Der neoliberalen Vereinzelung setzen sie ein völkisches «Wir»– die Einheit in der Volksgemeinschaft – entgegen.

Die neurechte Volksgemeinschaft wird als Abstammungs- und Zeugungsgemeinschaft auf Basis des «Volkskörpers» imaginiert. Zentraler Ort der Reproduktion und Erhaltung dieses Volkskörpers ist die heterosexuelle, cis-geschlechtliche, weiße Mehrkinderfamilie. Ihre Aufgaben sind vielfältig: Da ist die biologische Reproduktion des Volkskörpers, im Sinne einer quantitativen Vermehrung und qualitativen Erhaltung des «deutschen Volkes». In Zeiten sinkender Geburtenraten bei weißen deutschen (cis-)Frauen und gestiegener Einwanderung aus muslimisch geprägten Ländern fürchtet die Neue Rechte um den biologischen Fortbestand des «deutschen Volkes». Im Grundsatzprogramm der AfD findet sich diese Perspektive in Forderungen wie «Mehr Kinder statt Masseneinwanderung» oder «Willkommenskultur für Neu- und Ungeborene». Da ist zum anderen aber auch die kulturelle Reproduktion des Volkskörpers. Sprache, Traditionen und Tugenden sollen in der heterosexuellen Kleinfamilie erlernt und über Generationen weitergegeben werden. Ein klar definiertes System aus ethnopluralistischer Zugehörigkeit, Vorstellungen über das «richtige» Leben, binären und heteronormativen Geschlechterzuweisungen gibt eindeutige Identitäten vor – als DeutscheR, als bestimmtes Familienmitglied, als (cis-)Frau oder als (cis-)Mann – und weist zum anderen klare Rollen in der sozialen Ordnung und damit verbundene Aufgabensphären zu.

Ethnopluralismus

...ist ein Konzept des Begründers der Neuen Rechten in Frankreich, Alain de Benoist. Im Sinne eines «Rassismus ohne Rassen» wird dabei der «Rasse»-Begriff durch jenen der «Kultur» oder «Ethnie» ersetzt. So gehen Ethnopluralist*innen von in sich homogenen «Kulturen» bzw. «Ethnien» aus, die zwar (theoretisch) gleichwertig seien, sich zur Wahrung der jeweiligen «kulturellen Identität» jedoch nicht vermischen dürften. Auf dieser Basis wird Migration als Bedrohung für Identität und Frieden abgelehnt.

(Queer-)feministische Arbeit entzieht diesen starren und restriktiven Vorstellungen von Geschlecht und Familie ihre Basis. Die Infragestellung von Geschlecht als «natürlichem Faktum», Aufklärung über sexuelle und geschlechtliche Vielfalt an Schulen, der Kampf für die staatliche Anerkennung nicht-heterosexueller Paare und für das Recht auf körperliche und sexuelle Selbstbestimmung sind nur einige der vielfältigen Arbeitsfelder (queer-)feministischer Theorie und Praxis und untergraben allesamt das Fundament der «Volksgemeinschaft». Ein nicht unwesentlicher Teil des neurechten Spektrums hat sich deshalb dem Kampf gegen (queer-)feministische Errungenschaften verschrieben. In Publikationen, Vorträgen, Videos und auf Demos zeichnen sie ein (aus ihrer Sicht) dystopisches Bild einer geschlechtslosen und daher halt- und ordnungslosen Gesellschaft, die vorangetrieben werde durch feministische Lobbygruppen und einen omnipotenten Staatsfeminismus – kurz, die dem Untergang geweiht sei.

«Gleichzeitig gibt es immer wieder neurechte Versuche, den Feminismus-Begriff in rassistischer und anti-emanzipatorischer Weise zu vereinnahmen.»

Gleichzeitig gibt es immer wieder neurechte Versuche, den Feminismus-Begriff in rassistischer und anti-emanzipatorischer Weise zu vereinnahmen. Feminismus bedeutet dann eine Fokussierung auf weiße, ableisierte (cis-)Frauen, etwa zur Untermauerung rassistischer Forderungen. Themen sind hier beispielsweise die Kritik am vermeintlich «fehlenden Schutz» weißer deutscher (cis-)Frauen vor Schwarzen, (cis-)männlichen Sexualstraftätern oder auch die vermeintliche Diskriminierung von Vollzeit-Müttern. Geschlecht wird im neurechten Weltbild naturalisiert und Mutterschaft als Ziel eines jeden (cis-)weiblichen Lebens gesetzt. Mit Selbstverwirklichung und Gleichberechtigung aller Geschlechter hat das wenig zu tun.

Was tun?

Die Neue Rechte greift nach gesellschaftlicher Hegemonie. Sie verschiebt den gesamtgesellschaftlichen Diskurs nach rechts, ringt um Deutungshoheit und Definitionsmacht – mit dem Ziel einer rassistisch und patriarchal durchstrukturierten Volksgemeinschaft. In diesen Zeiten braucht es klare Antworten – und zwar grenzenlos feministisch.

So ist es erstens sinnvoll, Aufklärung über antifeministische Mythen zu betreiben. Wir sollten gesamtgesellschaftlich verständlich erklären, dass es beispielsweise in feministischen Kämpfen nicht darum geht, heterosexuelle Kleinfamilien oder die Identifikation als cis-Person zu verbieten – sondern darum, allen Menschen die Möglichkeit zu geben, zu sein, zu leben und zu lieben wie sie sind oder sein wollen. Diese Aufklärungsarbeit bringt zwei Vorteile: Zum einen entzieht sie der Neuen Rechten ihre Erklärung für die aktuellen Krisen. Zum anderen orientiert sie sich mehr in Richtung der gesamtgesellschaftlichen Debatten und versucht für möglichst viele Menschen verständlich zu sein. Die Beteiligung am gesamtgesellschaftlichen Diskurs ist wichtig, um die Gesellschaft nachhaltig verändern zu können. Besonders in Zeiten einer Diskursverschiebung nach rechts braucht es außerdem mehr feministisch-antirassistische Positionen im öffentlichen Raum, die der rechten Stimmungsmache etwas entgegensetzen.

«Feminismus bedeutet das Ringen um politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Gleichberechtigung aller Geschlechter, unabhängig von race, ­sozialer Herkunft oder (Dis-)Ableisierung.»

Dies bringt mich zu meinem zweiten Punkt: der Verteidigung eines emanzipatorischen Feminismus-Begriffs. Um für weite Teile der Gesellschaft verständlich zu sein, braucht es eine klare Abgrenzung von rechten Aneignungen des Feminismus-Begriffs und auch von rassistischen Ausfällen vermeintlicher Vertreter*innen des Feminismus wie Alice Schwarzer. Es muss klarwerden, dass Feminismus das Ringen um politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Gleichberechtigung aller Geschlechter, unabhängig von race, sozialer Herkunft oder (Dis-)Ableisierung bedeutet! Dabei darf es aber nicht bei der Verteidigung des Status Quo bleiben. Die Auseinandersetzung mit den anti-emanzipatorischen Forderungen der Neuen Rechten kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir noch immer in einer Gesellschaft leben, in der patriarchale und rassistische Strukturen dominieren. Es gilt also, weiterhin feministische Forderungen zu erheben und für einebefreite Gesellschaft einzutreten – ob auf der Straße oder am Arbeitsplatz, mit Debatten, Veranstaltungen oder Aktionen.

Diese und weitere Antworten werden bereits tagtäglich von zahllosen Einzelpersonen, Gruppen und Initiativen gegeben. Es gibt Vorträge, Podiumsdiskussionen, Texte, Demos und Aktionen, es gibt Online-Blogs und Erklärvideos, Lesekreise und Workshops. Es passiert eine Menge. Allerdings ist diese vielfältige Arbeit nicht immer sichtbar. Unterschiedliche Gruppen und Einzelpersonen sprechen verschiedene Spektren an, je nach thematischer Schwerpunktsetzung, Aktionsform oder örtlichen Gegebenheiten. Das Internet bietet hier einen Resonanzraum, in dem mehr und unterschiedliche Personen erreicht werden können. Netzfeminist*innen haben das schon vor Jahren erkannt.

Seit Anfang dieses Jahres gibt es deshalb die Plattform Feminism Unlimited (feminism-unlimited.org). Ihr Ziel ist es, die vielfältigen Ausdrucks- und Aktionsformen feministischer Praxis einer größeren Öffentlichkeit zugänglich zu machen – durch die Dokumentation auf einer gemeinsamen Plattform. Es geht dabei nicht darum, gemeinsame Texte zu verfassen, auf die sich alle Beteiligten einigen müssen – sondern darum, solidarisch miteinander zu debattieren und Widersprüche auch aushalten zu können. Das Projekt ist offen für interessierte Gruppen und Einzelpersonen – ob für einzelne Beiträge, Veranstaltungsankündigungen, Audiomitschnitte von Vorträgen oder kontinuierliche Mitarbeit. Der rechten Diskursverschiebung setzen wir so unsere feministischen Antworten entgegen – vielfältig, solidarisch und sichtbar.