Nachdem die etablierten Grünen es nicht mehr schaffen, ernsthaft eine politische Opposition einzunehmen? Diese neue Bewegung ist gar nicht so leicht zu fassen und deshalb geben sich die Aktiven auch den Namen «Degrowth-in-Bewegungen», bewusst im Plural gesetzt und auf Postwachstum ausgerichtet. Wir haben mit zwei Organisator*innen eines kommenden Festivals gesprochen, welches sich im Degrowth-Ansatz verortet.
¿Im Juni findet das Festival Move Utopia statt, das ihr mit organisiert. Wer seid ihr?
Lotte: Ich bin die letzten drei Jahre bei Living Utopia aktiv gewesen. Da habe ich zum Beispiel zwei Utopivals mit organisiert, Mitmach-Kongresse zum Thema «Wie stellen wir uns die Gesellschaft von morgen vor?» Die Kriterien waren dann, dass die Projekte und die Versorgung möglichst ökologisch, vegan und geldfrei ablaufen. Zum Beispiel wurden Lebensmittelbetriebe gefragt, ob sie Sachen spenden wollen, die sonst weggeschmissen werden, womit wir auch auf den Überfluss aufmerksam machen. Oder wir fragen Workshopleiter*innen an, ob sie ihren Beitrag schenken wollen, statt Honorare zu nehmen. Daraus sind dann Projekte entstanden wie die Tage der Utopie oder das Alternative Winterzusammenkommen. Im Prinzip geht es darum, Sharing-Räume zu schaffen, wo Dinge und Talente ohne Geld geteilt werden können. Das ist so die Bewegung, aus der ich komme.
Malo: Ich bin bei der Degrowth-Konferenz mit eingestiegen und habe dann die Summer Schools bei den Klimacamps der letzten zwei Jahre mit organisiert. Move ist im Prinzip ein Resultat von verschiedenen Veranstaltungen in der Vergangenheit. Einzelakteur*innen wie zum Beispiel Andrea Vetter, die schon den Kongress Jenseits des Wachstums?! 2011 in Berlin oder die Degrowth-Konferenz 2014 in Leipzig mit organisiert haben, sind jetzt auch wieder dabei. Oder Tobi Rossvog, der zwei Utopivals und das Utopikon mit organisiert hat. Christopher Laumanns vom Konzeptwerk Neue Ökonomie beschäftigt sich mit der Frage, wie eine neue linke Erzählung aussehen kann, also die Frage: Wie können wir die Scherben zusammenfügen? Move ist der Ort, an dem die Akteur*innen der verschiedenen Bewegungen zusammenkommen sollen, um diese Frage zu bearbeiten!
¿Was ist euer gemeinsames Ziel, was treibt euch an?
Lotte: Im Untertitel des Festivals heißt es ja «– für eine Welt nach Bedürfnissen und Fähigkeiten», womit angedeutet wird, dass hier eine Bewegung zusammentritt, die Tauschlogik überwinden möchte, wie von Friederike Habermann angeregt.
«…wie es möglich ist, dass alle ihre Fähigkeiten einbringen und ihre Bedürfnisse befriedigen können.»
Malo: Das Motto ist global zu verstehen: Es geht um den Zusammenhang einer weltweiten Menschheit und der Natur als Gesamtsystem mit begrenzten Ressourcen und seinem Gleichgewicht. Uns allen ist bewusst, dass wir das so global wie möglich denken müssen. Bedürfnisse und Fähigkeiten bzw. Ressourcen und Grenzen anzuerkennen und danach zu schauen wie es möglich ist, dass alle ihre Fähigkeiten einbringen und ihre Bedürfnisse befriedigen können. Wir wollen nicht im Sozialreformismus hängen bleiben und nur oberflächlich die Symptome bekämpfen, sondern an die Wurzeln. Move will eine Plattform dafür sein.
¿An wen richtet ihr euch? Schreibt ihr bestimmte Gruppen gezielt an?
Lotte: Wir sind uns einig geworden, dass wir natürlich so offen wie möglich sein wollen, um ganz unterschiedliche Menschen anzusprechen. Andererseits können wir uns dabei auch «keinen Arm ausreißen». Daher mobilisieren wir mit unserer Öffentlichkeitsarbeit vorwiegend in unseren Netzwerken. Es gibt für Move schon jetzt an die 500 Interessierte. Die meisten davon kommen aus dem Degrowth-Kontext. Aus meinen Erfahrungen, so war es bei den vergangenen Projekten und so ist es auch bei Move, fühlen sich die Menschen aber nicht primär wegen der Theorien angezogen. Sondern es ist das Gefühl, die Akzeptanz und Bedingungslosigkeit mit der ihnen begegnet wird. Das hört sich vielleicht manchmal sehr hippiemäßig an (lacht). Aber gerade in Zeiten, wo die Neue Rechte mit Emotionen spielt und daran andockt, dass Menschen mit ihrer Wut, ihren Ängsten irgendwo hinwollen, sehe ich darin Hoffnung: Wenn bei uns ein Raum entsteht, indem es auch um Angenommen und Gehörtwerden geht, wenn Raum für Emotionen da ist. Daraus kann eine Stärke für die verschiedenen linken Bewegungen entstehen.
«…es ist das Gefühl, die Akzeptanz und Bedingungslosigkeit mit der ihnen begegnet wird. Das hört sich vielleicht manchmal sehr hippiemäßig an (lacht).»
Malo: Genau um diese Grundhaltung geht es uns: das Aufeinander-zu-Gehen. Denn Widerstand und zivilen Ungehorsam kriegen wir nur hin, wenn wir uns vertrauen. Bei Ende Gelände hatten wir zum Beispiel das Problem, dass sich manche wie Schafe fühlten, die irgendwo hingelenkt werden. Da braucht es Transparenz und Vertrauen in die Expert*innen, die die Strategien im Blick haben. Ohne die können keine Aktionen mit mehreren tausend Menschen gemacht werden, die wir brauchen, um erfolgreich zu blockieren.
¿Lassen sich diese Ansätze, nehmen wir mal das Beispiel Sharing, denn gesamtgesellschaftlich generalisieren?
Malo: Für uns lässt sich nichts generalisieren, sondern für uns gibt es verschiedene Strategien, um aus dem Dilemma und den Widersprüchen rauszukommen. Ich selber fühle mich hauptsächlich als Teil der feministischen und der entwicklungskritischen Bewegung. Entwicklungskritik geht davon aus: Der kapitalistische Westen hat einen Frame vom «guten Leben» geschaffen und die ganze Welt mit seiner Idee von Fortschritt, Entwicklung und Technologisierung kolonisiert. Bis hin zum westlichen Demokratie-Modell. Aber nicht nur Institutionen wurden kolonisiert, sondern – das meint die Rede von der «Kolonisierung des Geistes» – auch die bestehenden alternativen Konzepte auf Ebene von zwischenmenschlichem Leben, Organisationen, Entscheidungsfindung und Ressourcen wurden verdrängt. Dadurch konnte sich ein komplett zerstörerisches System, dessen Strategie die Ausbeutung des Menschen und des Planeten ist, ausbreiten. Wir wollen nicht zurück in die Steinzeit, was einem dann manchmal vorgeworfen wird. Wir wollen schauen, wie wir von den Strategien des Globalen Südens lernen können, wie ein wirklich nachhaltiges Leben aussehen kann.
¿Welche Rolle spielt die Kritik von Lohnarbeit bei euch?
Malo: Dafür sind Friederike Habermanns Arbeiten interessant, weil es bei ihr genau darum geht, Arbeit für sich selbst nach Bedürfnissen und Fähigkeiten zu entwickeln und zu sehen, wie man damit zur Gesellschaft beitragen kann. Bei der multi-sharing-Plattform Yunity geht es auch darum, kein Geld einzuführen, weil das immer mit einer Aufrechnung von Stunden einhergeht wie bei der Lohnarbeit, einem Aufwiegen von Zeit und Wert. Das entspricht eben nicht den Bedürfnissen und Fähigkeiten der Einzelnen.
¿Es gibt ja auch in der jetzigen Gesellschaft Formen, wie Arbeit anders betrieben werden kann, zum Beispiel in Kollektiven oder Kooperativen. Bezieht ihr das mit ein?
Malo: Ja, der Kollektiv-Gedanke wird von einem gewichtigen Teil unseres Orga-Teams vertreten. Ich lebe beispielsweise in einem Kollektivhaus, andere sind auch Teil bestimmter Kollektive oder sind dabei, welche aufzubauen. In unserem Team setzen wir den Gedanken zum Beispiel mit einem Solitopf um. Im Grunde geht es um eine gerechte Verteilung, die in allen Formen von Ressourcen herzustellen ist und die wir nicht nur fordern, sondern selbst auch umsetzen wollen. Im Orga-Team wie auch in unseren Privatleben.
Lotte: Ich habe gemerkt, dass die Frage nach bestimmten Konzepten gar nicht so zentral war. Weil es ein recht offenes Format ist, habe ich während der Orga-Plena oft das Gefühl, dass es um ein gemeinsames Gefühl geht: dass wir trotz der Unterschiedlichkeit in den verschiedenen Bewegungen zusammenfinden können.
¿Ansätze wie Urban Gardening oder Repair Cafés laufen schnell Gefahr, vereinnahmt zu werden. Nämlich von einem Diskurs der «sozialen Innovation», in dem versucht wird, den Kapitalismus ethisch korrekter und nach mehr Partizipation aussehen zu lassen. Macht ihr euch darüber Gedanken?
Malo: Das ist ein Thema, mit dem ein gewisser Teil unseres Orgakreises, zu dem ich mich zähle, Bauchschmerzen hat. Ich würde mich als Graswurzel-Aktivisten bezeichnen. Ich glaube nicht daran, dass wir die Wende über die Institutionen hinkriegen, sondern dass wir es selber anpacken müssen. Gleichzeitig müssen wir aber grundsätzlich genug sein. Das Mega-Spannungsfeld, in dem wir uns bewegen, ist, dass wir soziale Innovationen brauchen. In erster Linie geht es ums Selbermachen, zugleich müssen wir diese Innovationen jedoch auch einfordern. Ich glaube nicht an die offene Revolution, außer die Krisen werden noch extremer. Doch weil wir Alle einbeziehen wollen, sagen wir nicht: Reformismus an sich ist falsch. Weil wir dann diejenigen in der Mitte verlieren, die die Grundsätzlichkeit der Probleme noch nicht begreifen. Dabei wollen wir aber die Notwendigkeit von Widerstand, zum Beispiel beim Klimacamp oder Ende Gelände, weiterhin unterstreichen.
«Das wirft auch die Frage auf, welche Formate wir schaffen können, bei denen es nicht nur um den «Kopf» geht. Denn wir haben jede Menge Analysen und Konzepte, die aber oft wie vom Reißbrett wirken.»
¿Seht ihr in den Experimenten um Degrowth Potentiale, Widerstand gegen den erstarkenden Rechtspopulismus aufzubauen?
Malo: Viele, wie die AfD, versuchen bei den Menschen in der Mitte zu fischen, um stärker zu werden. Zu Move werden die kommen, die eh schon weiter links stehen. Ein Dilemma, warum die Neue Rechte eine Gefahr ist, ist die fehlende gemeinsame Erzählung sowie das fehlende Vertrauen zwischen den verschiedenen linken Bewegungen. Und da wollen wir ansetzen. Dafür muss aber auch der Klassismus innerhalb der Linken überwunden werden. Das wirft auch die Frage auf, welche Formate wir schaffen können, bei denen es nicht nur um den «Kopf» geht. Denn wir haben jede Menge Analysen und Konzepte, die aber oft wie vom Reißbrett wirken. Es braucht also dringend Begegnungsräume für die Menschen, in denen sie sich kennenlernen und Vertrauen entwickeln können.