Die demokratische Öffentlichkeit gilt seit der Aufklärung als Sphäre von Vernunft und Geistigkeit. Bürgerlich-liberale Beobachter*innen der US-Wahl im letzten Jahr zeigten sich vor allem darüber schockiert, dass es 2016 in der Politik offenbar nicht mehr um Inhalte und vernünftige Entscheidungen ging. Aus einer linksradikalen Perspektive war zumindest das schon länger klar – eine Art «postfaktischen» Umgang mit der Welt attestierte die Linke den Herrschenden schon bevor «fake news» in aller Munde waren. Trotzdem herrscht noch immer Ratlosigkeit über die scheinbar um sich greifende Unvernunft: Der «kleine Mann», der Trump angeblich zum Sieg verholfen hat, sollte sich doch darüber im Klaren sein, dass der Milliardär seine Interessen nicht gut vertreten wird. Ganz zu schweigen von den 53 Prozent der weißen US-amerikanischen Frauen, die, so sie zur Wahl gingen, ihre Stimme ebenfalls dem notorischen Sexisten gaben, obwohl das ihrem Interesse eigentlich widersprechen müsste. Auf den ersten Blick erodiert hier also die Vernunft und macht den Weg frei für eine irrationale Politik, die wieder näher am emotionalen, angst- und klischeebesetzten Körper operiert.

Der Irrtum der Aufklärung

Der an der Freien Universität Berlin tätige Affektforscher Rainer Mühlhoff schüttelt auf die Frage nach einer Rückkehr des Körpers in die Politik den Kopf. War der Körper denn je außerhalb der Politik, fragt er zurück, oder ist Politik nicht immer ein Geschehen zwischen Körpern und die Trennung des «unvernünftigen» Körpers im Privaten vom «vernünftigen» Geist in der Politik schon immer eine Illusion – ein Irrtum der Aufklärung, der sich auf ebenso fragwürdige antike Vorbilder stützt? Der Körper als Konzept tauche beim Nachdenken über Politik auf zwei verschiedenen Ebenen auf, sagt dazu Prof. Dr. Claudia Bruns vom Institut für Kulturwissenschaft der Humboldt Universität Berlin. Sie beschäftigt sich aus einer historischen Perspektive mit Grenzziehungen zwischen Körpern – das können Staats-, Geschlechter- oder rassifizierte Grenzen sein. Für sie sind die zwei Ebenen des politischen Körpers einerseits die materiell-konkrete und andererseits die symbolische.

Materiell-konkrete Körper

Ganz konkret sind Körper also politisch, indem wir in erster Linie durch unsere physische Präsenz und Körperlichkeit in Gemeinschaft mit anderen Menschen sind, meint die Kulturwissenschaftlerin. Diese Ebene bezeichnet Bruns mit Bezugnahme auf Judith Butler als «grundlegende Verwiesenheit» der Körper aufeinander. Ein Körper allein kann nicht sein – dem wohnt auch eine emanzipatorische Dimension der Solidarität und Gewaltfreiheit inne. Gleichzeitig wird aber auf diese materiell-konkrete Art mit Körpern auch Macht ausgeübt und Herrschaft konstituiert. Wer schon einmal vor einer Polizeikette gestanden hat, weiß, dass Herrschaft in letzter Instanz immer auch über die Physis von Körpern funktioniert: Wenn ich jetzt einen Schritt nach vorne gehe, wird der/die Polizist*in mich in meiner körperlichen Integrität angreifen.

«Ganz konkret sind Körper also politisch, indem wir in erster Linie durch unsere physische Präsenz und Körperlichkeit in Gemeinschaft mit anderen Menschen sind.»

Der Schweizer Theaterautor und Regisseur Milo Rau fasst diesen Umstand in seinem aktuellen Stück Mitleid trocken mit der Aussage zusammen: In jedem Konflikt ginge es im Grunde nur darum, wer am Ende das Maschinengewehr in der Hand halte. Doch auch lange vor der bewaffneten Austragung politischer Konflikte wird Politik mit Körpern gemacht, wie vor allem Michel Foucault historisch analysiert hat: Das Geschäft des Regierens bestehe so gesehen in erster Linie im Ordnen und Trennen von Körpern in verschiedene Kategorien: Weibliche und männliche, weiße und Schwarze, gesunde und kranke oder normale und anormale Körper. Diese Auflösung der grundlegenden Verwiesenheit aller Körper aufeinander erleichtert das Ausüben von Herrschaft. Auf dieser Ebene kritisieren feministische Theorien schon seit Jahrzehnten den herrschenden Diskurs, der die Politik stark an männliche und weibliche Körper knüpft. Ob politische Diskussionen deshalb gewissermaßen vom Körper losgelöst geführt werden sollten, darüber gibt es auch hier Debatten. Eine mögliche Lösung des Dilemmas ist für viele eine Standpunkt-Theorie, in der jede*r aus ihrer oder seiner spezifischen, auch körperlichen, Position in der Gesellschaft argumentiert.

Symbolische Körper

Die zweite Ebene, auf der laut Claudia Bruns Körper in der Politik eine Rolle spielen, ist die symbolische. Kollektive werden nicht erst im Faschismus als «Volkskörper» imaginiert. Die Körper-Metapher, die für das Abgeschlossene, das Unversehrte und vor allem das Natürliche steht, eignete sich schon viel früher gut, um Politik zu machen. Eine der wohl bekanntesten dieser Metaphern ist das Titelbild von Thomas Hobbes staatstheoretischer Schrift Leviathan von 1651. Darauf ist ein Herrscher dargestellt, der mit erhobenem Schwert und Krummstab (Symbole für die weltliche und kirchliche Macht) über eine hügelige Landschaft blickt. Der Kopf des Souveräns ruht auf einem Körper, der auf den ersten Blick ein Kettenhemd zu tragen scheint.

«Die vom spanischen Habsburger Karl V. in Auftrag gegebene Karte ‹Europa Regina› hat Spanien als Kopf, Portugal als Krone, Frankreich und Deutschland als Brust sowie Italien und Dänemark als Arme.»

Erst bei genauerem Hinsehen entpuppen sich die Maschen des Hemds als tausende winzige Menschen – die Untertanen, die in den Gesellschaftsvertrag eingewilligt haben und so Teil des Staatskörpers werden. Dass sie aber nur Arme und Rumpf des Staats ausmachen ist entscheidend – sie werden nämlich von Hobbes als grundsätzlich unvernünftige Wesen dargestellt, die den vernünftigen Kopf des Herrschers benötigen, um nicht im Krieg «aller gegen alle» zu versinken, wie er es ausdrückt. (Auch der Ausdruck homo homini lupus – der Mensch ist ein Wolf für den Menschen – ist durch Hobbes berühmt geworden.) Der Leviathan, so Claudia Bruns, sei aber nicht das einzige Beispiel für symbolische Körper in der Politik – auch die christliche Kirche habe sich lange als Körper dargestellt, wobei Christus den Kopf und die Gläubigen den Körper symbolisieren. Auch auf Landkarten – ein Gebiet, zu dem die Kulturwissenschaftlerin speziell forscht – spielen symbolische Körper eine Rolle: Schon im alten Rom wurden unterworfene Provinzen als Frauenfiguren dargestellt und später, in der frühen Neuzeit, ganz Europa: Die vom spanischen Habsburger Karl V. in Auftrag gegebene Karte «Europa Regina» hat Spanien als Kopf, Portugal als Krone, Frankreich und Deutschland als Brust sowie Italien und Dänemark als Arme. Ihr Rock umspielt die Balkanhalbinsel und Osteuropa bis zum Schwarzen Meer. Erst der Ausschluss aus der tatsächlichen Politik macht es laut Claudia Bruns möglich, dass Frauenfiguren ganze Staaten symbolisieren und dabei für Reinheit und Mütterlichkeit stehen. Dabei ist wichtig, dass die Frauen keine tatsächliche Repräsentations- sondern nur eine metaphorische Funktion haben. Die Kulturwissenschaftlerin spannt diesen Bogen bis heute weiter: Symbolische und tatsächliche Körpergrenzen hätten auch im US-Wahlkampf eine entscheidende Rolle gespielt, sagt sie. Während Donald Trump übergriffig auftrat und darauf bestand, dass er es nicht nötig habe, die Körpergrenzen Anderer zu respektieren, musste Hillary Clinton ständig ihre eigene körperliche Integrität unter Beweis stellen – diese wurde vor allem anlässlich ihres Schwächeanfalls im Wahlkampf thematisiert.

Das bessere Argument und die Affekte

Die demokratische Öffentlichkeit, in der Körper und die Probleme, die sie mit sich bringen, nichts zu suchen haben und auf einer Ebene reiner Geistigkeit und Vernunft kommuniziert wird, stellt sich also in der historischen Betrachtung als alte Illusion heraus. Wie aber können wir den Aufstieg des Rechtspopulismus aufhalten, wenn nicht auf dieser angestammten Bühne des Diskurses, auf der die besten Argumente zählen? Anders gefragt: Wenn jemals nur die Argumente gezählt hätten, wäre die befreite Gesellschaft dann nicht schon längst Realität? Hier wird klar, dass das Problem des «postfaktischen Zeitalters» nicht mit einer Rückkehr zu den «echten» Fakten und der «richtigen» Vernunft zu lösen ist. Denn die echten Fakten sind allzu oft kapitalistische Sachzwänge und die richtige Vernunft eine ökonomisch geprägte Rationalität. Zu eng ist das Reden von der Vernunft mit versteckten Herrschaftsverhältnissen, die Aufklärung mit dem Aufstieg des Kapitalismus verbunden. Rainer Mühlhoff plädiert im Gegenzug dafür, zu erforschen in welchen Kräfteverhältnissen Subjekte produziert werden und wie sie zu Entscheidungen kommen – und das bedeutet für ihn, die affektive Eingebundenheit jedes Menschen zu erforschen, was nicht heißt, «Pegida-Versteher*in» zu werden. Stattdessen stellt der Sonderforschungsbereich Affective Societies, an dem Mühlhoff an der FU tätig ist, die Trennung zwischen «vernünftigem» Geist und «unvernünftigem» Körper infrage – denn diese Trennung wird, obwohl theoretisch längst überholt, noch heute immer wieder angewandt, wenn es um Politik geht. Um diese Dichotomie aufzulösen, greift der Affektforscher zurück auf die «monistische Ontologie» Baruch de Spinozas – was hier so hochtrabend klingt, meint schlicht die Annahme, dass es keinen getrennten Körper und Geist, sondern nur eine «Substanz» des Seins gibt. Spinoza, ein holländischer Philosoph des 17. Jahrhunderts, werde oft aus dem Kanon der Philosophiegeschichte verbannt, weil er eine so exzentrische Figur sei. Spinozas in Vielem sehr moderne Theorie versucht Mühlhoff nun auf politische Affizierungsprozesse anzuwenden – der «Affekt» sei nämlich das passende Konzept, zum Nachdenken über Prozesse, die weder rein diskursiv noch rein körperlich ablaufen. Abgegrenzt von «Gefühl» und «Emotion» meint «Affekt» eine noch nicht benannte, also vor-diskursive Regung. Wie aus Affekten schlussendlich Gefühle und (politische) Entscheidungen werden – da liegt das ganze Geheimnis, das gelüftet werden muss, wenn wir das Phänomen Rechtspopulismus verstehen und eindämmen wollen. Die Vorstellung von einer rein vernünftigen Öffentlichkeit würde nämlich Vieles verdrängen und nicht ohne den Gegenpol des irrationalen Privaten auskommen. So gesehen könnte man, so Rainer Mühlhoff, beim rowdyhaften Auftreten eines Donald Trump eher von einer Rückkehr des Privaten in die Öffentlichkeit als von einer Rückkehr des Körpers in die Politik sprechen.

Das denkende, handelnde und leidende Subjekt als Grenzphänomen zwischen Sprache und Körper

Neben vielen anderen Wegen antifaschistischer Arbeit gilt es in diesem Sinne, unser Verständnis von Politik, Vernunft und Affekten grundlegend zu überdenken, um zu verstehen, wie so etwas wie Habitus und Meinung überhaupt produziert werden. Es geht um eine Erforschung der Grenze und ihrer Durchlässigkeit – zwischen «Körper» und «Geist», zwischen «Privat» und «Politisch», zwischen «Vernunft» und «Unvernunft». Theorien, die an dieser Grenze operieren, sind wie die Baruch de Spinozas meist ungeliebte Kinder des akademischen Kanons. Zu nennen wäre auch Sigmund Freud, der Theoretiker dieser Grenze par excellence. Auch wenn Freud zugibt, die Vernunft genauso wenig erklären zu können wie die Unvernunft, gibt er uns ein wichtiges Werkzeug an die Hand: Das Wissen darum, dass Sprache und Körper einander gegenseitig beeinflussen und dass das denkende, handelnde und leidende Subjekt nur als Grenzphänomen zwischen beiden auftritt. «Symptome» (wie in diesem Fall der Rechtspopulismus) geben uns stets Hinweise auf Stellen, wo es zwischen Diskurs und Körper hakt und wo mit (psycho)analytischem Blick genauer hingesehen werden muss. Ziel ist dabei kein reibungsloser Ablauf, aber zumindest ein weniger leidendes Subjekt, das die es bestimmenden Mechanismen besser versteht. Hier setzen auch die politischen Theorien der Ljubljaner Schule für Psychoanalyse rund um Slavoj Žižek und seine weniger bekannten, aber genauso brillanten (und verständlicheren) Kolleg*innen Mladen Dolar und Alenka Zupanˇciˇc an. Sie betrachten die Gesellschaft mit den Ansätzen des französischen Psychoanalytikers Jaques Lacan, der in der Linken zu Unrecht oft wenig geschätzt wird. Zwar ist mit Lacan keine schnelle Befreiung zu machen, aber um zu verstehen, wie Subjekte und wie vor allem ihr Begehren entsteht, ist seine Theorie unabdingbar. Denn mit einer simplen Unterscheidung zwischen «uns Vernünftigen» und «euch Unvernünftigen» gibt es beim Thema Rechtspopulismus kein Vorankommen. Und noch einmal, es geht nicht darum, «Pegida-Versteher*in» zu werden, sondern darum, grundlegend an fatalen Missverständnissen der kapitalistischen Aufklärung zu arbeiten.