Es gibt jedoch Dinge, die die politische Ökonomie nicht erklären kann. In diesem Fall ist es die Anziehungskraft von Trump selbst, dem Individuum, der Person. Wie konnte ein so herausgeputzter, inkohärenter und prahlerischer Typ dieses Level an Popularität erreichen? Wen spricht dieser Zirkus an? In einer Reaktion, die zunächst abwegig scheint, hat der Musikautor Simon Reynolds vorgeschlagen, eine spezifische Episode der 1970er Rockmusik anzuschauen, damit wir die Anziehungskraft von Trump besser verstehen können: Glam Rock.

Trotz der Absurdität, Trump als Glam Rock-Politiker zu bezeichnen, macht es bei nüchterner Betrachtung einen gewissen Sinn. Trump ist zuallererst ein celebrity und Glam Rock war ein Schlüsselmoment in der Ausformung von celebrity culture. Als Musiker wie Mark Bolan und David Bowie ihr Make-up und glitzernde, goldene Spandex-Hosen anlegten, markierte das einen bedeutenden Wandel in der Mode. Durch die Verbindung des Glamours mit Okkultem in Personen wie Ziggy Stardust verkomplizierten sie jedoch die bis dahin bekannte Darstellung von Berühmtsein an sich.

Warum wir Soziopath*innen lieben

In einem Artikel für den Guardian führt Reynolds die These von Trump als Glam Rocker mit drei Hauptargumenten aus. Zunächst argumentiert er: Trumps Anziehungskraft wird zumeist als Zeichen des Untergangs eines geschwächten, steuerlosen Amerikas betrachtet. Aber wir müssen uns auch die Bewunderung, die Aufrichtung an der stolzierenden Figur Trump ansehen, die in ihrem Reichtum schwelgt und frei ist zu tun und zu sagen, was auch immer sie möchte. Trump ist eine erstrebenswerte Figur und zugleich ein Sprachrohr für Ressentiments und Verbitterung.

«Die erfolgreichsten Ikonen stehen für eine bestimmte ­soziale Phantasie und können uns daher viel über die Gesellschaften erzählen, aus denen sie hervorgehen.»

Diese Idee einer bewundernden Projektion ist entscheidend für das Verständnis der Beziehung zwischen Ikone und Fan oder Anführer*in und Anhänger*in. Es beschreibt die Art, nach der Ikonen als Blue Screens wirken, auf welche die Fans ihre eigenen Bedürfnisse projizieren. Die erfolgreichsten Ikonen stehen für eine bestimmte soziale Phantasie und können uns daher viel über die Gesellschaften erzählen, aus denen sie hervorgehen. Welche Phantasie also repräsentiert Trump? Ich möchte behaupten, dass wir Reynolds Kritik damit erweitern können, dass wir sagen, Trump repräsentiert die Phantasie einer soziopathischen Version von Freiheit.

In seinem Buch Why We Love Sociopaths argumentiert Adam Kotsko nämlich, dass die überwältigende Popularität von Soziopath*innen im gegenwärtigen Fernsehen, von Tony Soprano über Jack Bauer bis zu den Kandidat*innen von The Apprentice, eine obskure soziale Phantasie davon enthüllen, was es bedeutet, frei zu sein. Die Hypothese ist, «dass uns die Soziopath*innen, die wir im TV sehen, erlauben in einer Art Gedankenexperiment zu schwelgen, basierend auf der Frage: Was wäre, wenn ich wirklich und wahrhaftig keinen Scheiß auf irgendjemanden geben würde? Und die Antwort, die sie geben? Dann wäre ich mächtig und frei.»

Dabei ist sich Kotsko darüber im Klaren, dass sich der so phantasierte Soziopath der gegenwärtigen Kultur deutlich von dem oft traurigeren und eingeschränkteren Leben von tatsächlich existierenden, klinisch diagnostizierten Soziopath*innen unterscheidet.

Ist das nicht für viele Menschen in den USA Teil von Trumps Attraktivität? Die fehlende Empathie, die sich auf sein Geld gründet, befreit ihn von den Regeln und Grenzen menschlichen Anstands, in welchen der Rest von uns gefangen ist. Ist nicht das soziopathische Schauspiel der Grausamkeiten die Hauptattraktion in der Realityshow The Apprentice, bei der Trump der Juror war? Natürlich sind Verrat, soziale Grausamkeit und Mobbing in der gegenwärtigen Kultur dominant. Was Trump allerdings diesem Mix hinzufügt, ist die schillernde Vulgarität seiner demonstrativen Zurschaustellung von Reichtum und Macht. Eben dadurch verbindet ihn Reynolds mit Glam. Aber Trumps Glamour hatte bisher immer einen Gestus von freudloser, aufgeblasener Verzweiflung. Mehr der tote Elvis auf der Toilette als Roxy Music zu ihren Hochzeiten.

We Are the Champions

Reynolds zweites Argument für Trump als Glam Rocker ist deren geteilte Megalomanie. Trump und die Glam Rocker teilen die Besessenheit für Ruhm und den rücksichtslosen Antrieb, die Aufmerksamkeit aller Welt zu erobern und zu verschlingen. Trump spielt tatsächlich bei seinen Versammlungen We Are the Champions von Queen (eine Band, die mit den Anfängen des Glam verbunden wird), weil sich in dem triumphalen Refrain – no time for losers – seine wirtschafts-darwinistische Weltsicht kristallisiert.

Während alle Ikonen und Anführer*innen Aufmerksamkeit wollen, wollen manche Aufmerksamkeit, um ein bestimmtes Anliegen voranzutreiben. Trump und den Glam Rocker*innen wird stattdessen vorgeworfen, Aufmerksamkeit um der Aufmerksamkeit willen zu wollen. Trump ist umgeben von bekennenden weißen Nationalist*innen und theokratischen wahren Gläubigen, aber der Mann selber scheint angetrieben von einem Bedürfnis nach Aufmerksamkeit und Bestätigung.

Selbstdekonstruktion in der Pose

Das bringt uns zum abschließenden Charakteristikum mit dem Reynolds Trump an Glam bindet: seine Inkonsistenz. Es ist Bowies Leistung gewesen, weitere Persona von sich zu erschaffen, um dem wankelmütigen Schwankungen des Pop einen Schritt voraus zu sein und kreativ inspiriert zu bleiben. Ohne feste politische Prinzipien ist Trumps einzige Konsistenz die der Geschäftstüchtigkeit und Effekthascherei: Die Fähigkeit sein öffentliches Leben als Drama darzustellen.

Natürlich ist das mehrdeutige Spiel zwischen Authentizität und Künstlichkeit zentral für die Anziehungskraft von Popkultur. Glam Rock ist das Genre, das dieses Spiel ins Extrem treibt. Aber an diesem Punkt ist Reynolds Artikel in seiner Analyse nur halb gar. Er muss die Künstlichkeit von Glam herunterspielen, um sie für Trump plausibel zu machen. Tatsächlich geht Reynolds in seinem Buch Shock and Awe Glam Rock and its legacy, from the Seventies to the Twenty-First Century viel weiter. Nämlich, indem er Aspekte von Glam enthüllt, die zu einem erweiterten Potential von Glam Rock Politik jenseits von Trump führen könnten.

Glam Rock hat als Fälschung Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Die Glamkünstler*innen waren despotisch und haben das Publikum dominiert (so wie es alle wahren Entertainer*innen tun). Aber sie haben sich auch einer Art spöttischen Selbstdekonstruktion ihrer eigenen Persönlichkeiten und Posen hingegeben und die Absurdität der Darstellung in die Höhe getrieben. So wurde die Figur, die auf der Bühne oder auf Platte erschien, nicht als reale, sondern als eine konstruierte Person wahrgenommen, die nicht notwendigerweise in einem Zusammenhang mit dem tatsächlichen Selbst der Darsteller*in oder ihrem Sein im Alltag stand.

«Trumps Inkonsistenz ist faul und sorglos; das ist etwas vollkommen anderes als ­die Neuschöpfungen des Glam Rock.»

Trumps Inkonsistenz ist faul und sorglos; das ist etwas vollkommen anderes als die Neuschöpfungen des Glam Rock. Ich kann nicht sehen, dass sich hier ein echter, differenzierterer Trump hinter seiner Maske verbirgt. Es ist Trump durch und durch; ein hohles Gefäß, gemacht aus Unreife und Unsicherheit, verkleidet mit einem soziopathischen Glanz.

Antiglamouröse Linke und die Aneignung eines partizipativen Glam

Im Gegensatz zu Trump hält Reynolds Jeremy Corbyn hoch als «den wahren Anti-Glam-Anführer unserer Zeit (…) instinktiv gegen und grundsätzlich unfähig zu politischem Theater». Corbyns Masche ist Ernsthaftigkeit, wie der Reporter Gary Young scharfsinnig argumentiert: Die Unterstützer*innen von Corbyn kommen nicht zu seinen Veranstaltungen um «unterhalten zu werden», sondern «um ein grundlegendes Gefühl von Anstand durch ihre Politik zurück zu bekommen». Das ist ein Ansatz, der auf die Sehnsucht der Linken setzt, als vernünftig und ehrlich angesehen zu werden. In mancher Hinsicht spielt diese moralische Selbstgefälligkeit den Ressentiments in die Hände, die durch die britische Gesellschaft fließen. Ich befürchte, dass Corbyn die Imagination eines historischen Trostpflasters darstellt. Sein Anstand sagt: Wir mögen im Hier und Jetzt verlieren, doch die Geschichte wird uns freisprechen.

Eine andere Strategie präsentiert sich, wenn wir uns ansehen, wie Reynolds Glam Rock in Shock and Awe historisch einordnet. Darin sieht er Glam als ein Übergangsmoment in den Verschiebungen weg von einem 1960er-Gefühl, dass gegenkulturell strukturiert war. «Raue Ehrlichkeit und ein Appell an die Realität und das Natürliche waren die beeindruckendsten Waffen im Arsenal der Gegenkultur». Glam wird dargestellt als reaktionäre Bewegung die aufkam, als sich dieses Arsenal erschöpfte. «Es war ein Rückzug vom Politischen und von kollektiven Hoffnungen der Sechziger in einen Phantasietrip der individualisierten Flucht durch Ruhm.»

Unsere eigene historische Position ist deutlich anders. Wir leben in einer Welt, in der der individualisierte Eskapismus als die Norm erscheint: Prominenz ist Routine und beinahe banal, die Idee einer Gegenkultur jedoch scheint unerreichbar fern. Aber der Zusammenbruch des politischen Zentrums eröffnet auch neuen Raum für die Linke und es gibt einen Schimmer von Starkultur, die das reflektiert.

«Vielleicht könnten wir mit einer Neukonzipierung unserer Galionsfiguren als Kometen statt als Sterne beginnen. Denn schließlich erzeugen diese ihr Licht nicht selbst, sondern werden sichtbar gemacht: durch die sozialen Kräfte, die sie durchströmen.»

Aktive soziale Bewegungen wie Black Lives Matter habe einige Stars aus Pop und Sport animiert: zum Beispiel Beyoncés Auftritt beim 50. Superbowl oder Colin Kaepernicks (NFL-Quarterback) Weigerung, für die Nationalhymne aufzustehen. Unter diesen Umständen könnte Glam einmal mehr als Modell für den Übergang funktionieren, aber diesmal in die entgegengesetzte Richtung. Um uns zu helfen von individualisiertem Eskapismus hin zu kollektiver Beteiligung zu kommen. Das wäre eher eine Strategie Glam durchzudrücken als sich davon zurückzuziehen. Die offen konstruierte Natur von Glam-Ikonen mit ihrer «verspottenden Selbstdekonstruktion ihrer eigenen Persona und Posen» aufzunehmen, um eine radikal entmystifizierende politische Führung zu erschaffen. Vielleicht könnten wir mit einer Neukonzipierung unserer Galionsfiguren als Kometen statt als Sterne beginnen. Denn schließlich erzeugen diese ihr Licht nicht selbst, sondern werden sichtbar gemacht: durch die sozialen Kräfte, die sie durchströmen. Sie müssen sowohl eine bessere soziale Phantasie von Freiheit verkörpern, als auch ein anderes Konzept von Reichtum. Diese Neukonzeptionierung muss auf der Idee gründen, dass uns die Verbindung mit anderen zu mächtigeren Wesen macht, indem unsere Fähigkeit zu handeln gesteigert wird. Eine sozialistische Glam Rock-Ikone sollte uns das Gefühl vermitteln, dass sie aus einer besseren Welt eintrifft, die gleich hinter dem Horizont liegt. So wie Ziggy Stardust in den 1970ern wie der Besuch aus einer sexuell fluideren Zukunft erschien; eine Zukunft, der diese Figur tatsächlich zur Realität verholfen hat. Trump dagegen ist eine revanchistische Ikone, die danach strebt, die weiße, heterosexuelle und männliche Dominanz zu sichern.

Um ein solches Konzept in die Praxis umzusetzen, könnten die politische Führung und die Pressesprecher*innen ihren Glam durch das Einreißen der Vierten Wand erhöhen, also indem sie das Publikum direkt ansprechen oder in anderer Art die formenden Techniken der Medien offenbaren. Existierende Ikonen könnten die Künstlichkeit ihrer Figur enthüllen und ihre Persona töten, um die Mechanismen der Projektion als geteilte Täuschung zu offenbaren.

Letztendlich müssen wir den Star loswerden, während wir den Charakter behalten. Wir haben eine lange Geschichte von kollektiven Pseudonymen, auf die wir zurückgreifen können, solche wie Captain Swing, Ned Ludd und der Arme Konrad, die punktuell Einheit verkörperten, obwohl sie von verschiedenen Individuen dargestellt wurden. In jüngerer Zeit erfanden die italienischen Bewegungen San Precario, den heiligen Patron der prekären Arbeiter*innen. Er steht als Galionsfigur für die gleichen Bedingungen für Arbeiter*innen, die keinen gemeinsamen Arbeitsplatz teilen. Einen ähnlichen Nerv treffen die deutschen Prekären Superhelden. Sie stellen heraus, dass die wahren heroischen Anstrengungen in der gegenwärtigen Gesellschaft bei denen liegen, die zwischen zwei oder mehr Jobs balancieren müssen während sie noch ihre Kinder großziehen.

Glam Rock Socialism braucht Ikonen wie diese, um dem soziopathischen Mythos entgegenzuwirken, wir bräuchten keine anderen Menschen, kein Kollektiv. Wir brauchen Ikonen, die sich selbst als Mythos eines individuellen Genius abschaffen und dabei das Charisma von kollektiver Intelligenz ausstrahlen.