Die Debatten darüber, wie es so weit kommen konnte, erscheinen endlos und eigennützig. Die Demokratische Partei erklärt sich zum Teil des Widerstands #TheResistance und weigert sich ihren eigenen Beitrag als Hauptursache anzuerkennen: Kriege in Syrien, Libyen und darüber hinaus, ein Putsch in Honduras, Jahrzehnte von Massenverhaftungen, neoliberalem Freihandel, Produktionsverlagerungen ins Ausland und Fabrikschließungen, nicht zuletzt der Auftakt zum Bau einer Grenzmauer zu Mexiko durch Bill Clinton zeigen allesamt, dass die Auswirkungen der Trump-Wahl zugleich ihre stärksten Ursachen sind. Die Unfähigkeit dies zu erkennen ist symptomatisch für eine weitergehende Unfähigkeit das Echo der radikalen Kraft zu hören, das die Kandidatur von Bernie Sanders ausmachte. So spielen die Demokraten Vogel Strauß, feiern den «tiefen Staat» und baden in krasser Russophobie, während das Wort «Widerstand» in ihrem Mund verfault.
Auf der Linken bringt eine bittere Debatte unterschwellige Spannungen an die Oberfläche: Manche fokussieren auf den offenen White Supremacy-Rassismus der Trump-Kampagne und erklären die Wahl als rein rassistisch motiviert. Diese Ansicht und ihre blinden Flecken zeigt exemplarisch die Beschreibung der Trump-Wahl als Whitelash (etwa: starke negative weiße Reaktion, A.d.Ü.) durch Van Jones, den Ex-Maoisten und jetzigen Lockvogel der Demokratischen Partei. Andere, die sich zuerst auf die Klassenanalyse stützen und oft Sanders-Unterstützer*innen sind, verweisen stattdessen auf die neoliberale Vernachlässigung eben jener Gebiete, die Clinton bei der Wahl die Unterstützung verweigert haben. Sie plädieren für eine sofortige Wiederbeschäftigung mit der weißen Arbeiter*innenklasse, wodurch die nicht-weißen Armen teilweise vernachlässigt werden.
«Rassismus und Klasse manifestieren sich als wirbelnde Verdichtung ihrer eigenen Wechselwirkungen und nicht als ordentliche Schnittmenge trennbarer Phänomene.»
In Wirklichkeit ist es eine dialektische Verflechtung von beidem. Rassismus und Klasse manifestieren sich als wirbelnde Verdichtung ihrer eigenen Wechselwirkungen und nicht als ordentliche Schnittmenge trennbarer Phänomene. Die Preisgabe der Armen durch den Neoliberalismus – Weiße eingeschlossen – war real, und Republikaner und Demokraten waren daran mitschuldig. Wie Mike Davis im Detail gezeigt hat, gab es in vielen der Countys, die 2012 Obama und dann 2016 Trump gewählt haben, vor kurzem Fabrikschließungen. Wenn sich, ohne jede andere Alternative, alle Stabilität verflüchtigt erscheint die Entscheidung für den von Davis so benannten «Cargo-Kult des Trump‘schen Endzeitglaubens» kaum noch verrückt: Man betet um Fabriken und Industrialisierung, ohne eine reale Hoffnung, dass sie je wirklich kommen.
Die neoliberale Verlassenheit muss allerdings im Kontext des Wiederauflebens des White Supremacy-Rassismus gesehen werden, der in den letzten Jahrzehnten bewusst und kontinuierlich wiederaufgebaut wurde. Im wichtigsten Buch des Jahres 2016 From #BlackLivesMatter to Black Liberation diagnostiziert Keeanga-Yamahtta Taylor den jahrzehntelangen Wandel zu einer diskriminierenden Logik, in der Wohlfahrtsleistungen für Arme in Almosen für Unwürdige umgewandelt wurden. Statt hier antirassistisch die Gerechtigkeit zu verteidigen, haben sich die Demokraten die Logik der White Supremacy und der Massenverhaftungen zu eigen gemacht. Vor allem durch die Strafrechtsreform 1994 unter Bill Clinton (crime bill), die auch von Hillary aktiv unterstützt wurde – und alle Armen im Stich gelassen hat. Es ist wenig überraschend, dass diese Vernachlässigung in weißen Gemeinschaften zu einem nostalgischen White Supremacy-Rassismus geführt hat, der untrennbar mit Trumps Rechtspopulismus verbunden ist.
Republikanisches Anti-Establishment
Der Erfolg von Trump lag in der, für etablierte Demokrat*innen und Republikaner*innen absolut unverständlichen, «Verbindung von zwei republikanischen Anti-Establishment-Aufständen», dem «weißen Nationalismus» einer rassistischen extremen Rechten einerseits und der radikal-religiösen Evangelikalen andererseits, so Davis. Beide haben in den letzten Jahren jeweils einen mächtigen Apparat aufgebaut: vom rechten Talk-Radio und dem Nachrichtenportal Breitbart, dessen Chef der Trump-Berater Steve Bannon ist, zu den wirtschaftlich und politisch mächtigen Megachurches. Auch wenn traditionelle Konservative und die republikanische Parteiführung bei der Aussicht auf eine Trump-Kandidatur in Panik gerieten und ihre Unterstützung zurückzogen, hat es Trump insgesamt an organisatorischer Unterstützung nicht gefehlt.
Es war dieser wenig sichtbare, aber organisch verwurzelte Apparat, der sich hier einschaltete, um Trumps rechtspopulistische Vision zu unterstützen und ihn in das Weiße Haus zu bringen. In diesem Prozess hat der seit langem in der US-Politik präsente «weiße Nationalismus», in der Form der sogenannten Alt-Right (alternative Rechte) eine gefährliche Runderneuerung erhalten. Auch wenn die Trump-Regierung und ihre Alt-Right-Unterstützer*innen direkte und öffentlich bekannte Verbindungen zu offen rassistischen und antisemtischen Organisationen wie dem Ku-Klux-Klan oder Webseiten wie The Daily Stormer haben, handelt es sich hier unter zwei Gesichtspunkten doch um ein trojanisches Pferd:
Einerseits benutzt die Alt-Right Rassismus und Frauen*feindlichkeit ironisch als Einstieg für junge, weiße, männliche Anwärter die später «richtig» dabei sein werden. Dieses Element stammt aus Online-Communities wie 4chan und den systematischen Mobbing-Kampagnen gegen Programmierer*innen von Computerspielen, die als «Gamer Gate» bekannt wurden. Tausende wurden so mit offenen Armen von einer neu gestärkten neonazistischen und «traditionellen» Rechten aufgenommen. Dass diese jungen, pornosüchtigen Misanthropen - angeführt vom Mitgründer des VICE-Magazins Gavin McInness - sich unter der Bezeichnung «proud boys» jetzt auf die Werte der traditionellen Familie besinnen wollen und angeblich auf Selbstbefriedigung verzichten (ich kann das nicht ganz glauben), ist nur eine der unaufgelösten Spannungen innerhalb der Alt-Right.
Durch eine behutsame Distanzierung von einigen der offensten faschistischen Elemente der rassistischen Rechten bietet die Alt-Right andererseits eine Politik in der brutaler Rassismus und gewalttätige Frauen*feindlichkeit gleichzeitig allgegenwärtig und weit von sich gewiesen werden können. Die symbiotische Beziehung zwischen der Alt-Right und traditionellen Konservativen bleibt jedoch hochgradig instabil. Das wurde am rapiden Absturz des Alt-Right-Provokateurs Milo Yiannopoulos deutlich, dessen Kommentare über Pädophilie die konservative Basis nicht mehr verkraften konnte. Und der «weiße Nationalist» Richard Spencer – bekannt durch einen wohlgezielten Faustschlag ins Gesicht, den er am Rande von Trumps Amtseinführung bekam – wurde bei der konservativen Konferenz CPAC rausgeworfen, kaum dass er dort angekommen war.
Zufall und Kontingenz
Allerdings hat Clinton nur um Haaresbreite verloren. Sie hätte auf verschiedene Art und Weise «gewinnen» können – allerdings ohne unser endgültiges Abrutschen in die Katastrophe aufzuhalten oder auch nur zu verlangsamen. Ihre Kampagnenstrategie war nicht aus Zufall falsch: Die Demokraten haben seit längerer Zeit bewusst die Städte umworben und das Land vernachlässigt. Sie verließ sich auf die blinde Unterstützung der Schwarzen Amerikaner*innen, die nie von ihrer Politik profitiert haben. Allerdings besagt ein Witz unter Verweis auf die crime bill von 1994: Wenn sie hätte gewinnen wollen, hätte sie ihre Wähler*innenbasis nicht massenhaft einsperren sollen.
«Wenn sie hätte gewinnen wollen, hätte sie ihre Wähler*innenbasis nicht massenhaft einsperren sollen.»
Wie alle guten Witze enthält auch dieser mehr Wahrheit als Lüge. Das Gesetz führte mit der three strikes-Regelung eine lebenslange Freiheitsstrafe für alle gewalttätigen Straftaten ein, auch wenn davor nur zwei nicht gewaltsame Drogendelikte begangen wurden. In der Folge verdoppelte sich die Gefängnispopulation unter Bill Clinton beinahe, von 1,3 auf 2 Millionen. Diese Inhaftierten können nicht wählen. Zu diesen Millionen kommen fast 6 Millionen, die ihr Wahlrecht nach einer strafgerichtlichen Verurteilung langfristig verloren haben, und die radikale und fortschreitende Unterdrückung des Wahlrechts von Millionen weiterer Wähler*innen. Seit der Supreme Court im Jahr 2013 den Voting Rights Act von 1965 als ein zentrales Element der Bürgerrechts-Gesetzgebung weitgehend außer Kraft gesetzt hatte, wurden in den Bundesstaaten Gesetze über die Identifikation von Wähler*innen eingeführt und andere gezielte Strategien zur Stimmunterdrückung. Diese waren besonders zu Trumps Vorteil – aber nicht, ohne die Strategien der Demokraten aufzugreifen.
Jeder dieser Faktoren hätte die Wahl in eine andere Richtung drehen können und nichts davon war reiner Zufall. All dies ist vielmehr Ausdruck der langsamen Katastrophe vergangener Jahrzehnte, an der beide Parteien mehr als mitschuldig waren. Wie Bertolt Brecht in dem Gedicht «Als der Faschismus immer stärker wurde in Deutschland» prophetisch sagte:
«Genossen, erkennt doch jetzt, dieses kleinere Übel, womit man
Jahre um Jahre von jeglichem Kampf euch fernhielt
Wird schon in nächster Zeit Duldung der Nazis bedeuten.»
Auch wenn nichts sicher ist: Es gibt gute Gründe anzunehmen, dass der Linkspopulismus von Bernie Sanders den Rechtspopulismus von Trump hätte schlagen können, indem er ihm in den entscheidenden Bundesstaaten, entscheidende Wähler*innengruppen abgenommen hätte. Dieser Punkt ist von einiger Bedeutung, und nicht nur im Sinne einer Nostalgie für das, was hätte sein können: Denn das bedeutet, dass die USA genauso gut einen erklärten Sozialisten hätte wählen können.
«Das ‹Ende der Geschichte›, gekrönt von einem Sieg des US-zentrierten Kapitalismus und der liberalen Demokratie, wurde abgelöst durch kraftvolle dialektische Brüche, Konflikte, und einen globalen Kampf gegen die neoliberale Austeritätspolitik.»
Noch wichtiger ist, dass dies die Notwendigkeit eines radikal linken Populismus aufzeigt. Die Möglichkeit von Gegensätzlichkeit liegt in der Natur eines radikal polarisierten historischen Moments – und dieser Moment ist global. Das «Ende der Geschichte», gekrönt von einem Sieg des US-zentrierten Kapitalismus und der liberalen Demokratie, wurde abgelöst durch kraftvolle dialektische Brüche, Konflikte, und einen globalen Kampf gegen die neoliberale Austeritätspolitik. Aber auf der anderen Seite dieser Brüche steht eine neu ermächtigte faschistische Rechte, die Europa wie die USA bedroht.
Das Nordamerikanische Freihandelsabkommen (NAFTA) hat Gemeinschaften südlich und nördlich der Grenze verwüstet, indem es mexikanische und mittelamerikanische Migrant*innnen in die USA trieb, wo sie als ein bequemer Vorwand für fremdenfeindliche Gegenreaktionen dienten. Nahezu das Gleiche könnte über die Eurozone gesagt werden. Tatsächlich hat Bill Clinton im Bewusstsein der Verwüstungen, die NAFTA unausweichlich mit sich bringen würde, 1995 mit dem Bau der Grenzmauer begonnen, die mehr als 20 Jahre später so zentral für den Wahlkampf von Trump werden sollte. Schließlich wurden die Kriege, die durch US-amerikanische und europäische Interventionen im Mittleren Osten und Nordafrika entfesselt wurden, zum Antrieb für die offene Islamfeindlichkeit von Trumps Einreiseverbot für Muslim*innen und für den Aufstieg einer gegen Einwanderung gerichteten Rechten, von der Goldenen Morgenröte in Griechenland über Marine Le Pen bis zum Brexit. Etablierte Politiker*innen wie Angela Merkel haben sich diesem anschwellenden Rassismus an den Hals geworfen und so dem Feuer nur neue Nahrung gegeben.
Und nun?
Die Linke – in Europa, den USA und überall – muss dringend eine überzeugende Argumentation entwickeln, die die vorherrschenden Mythen über Migrant*innen zerstört und eine alternative Erklärung für die Lebensrealität so vieler bietet. Dabei muss ein neuer, anderer Horizont entwickelt werden, der die Möglichkeit internationaler Solidarität beinhaltet, und die Möglichkeit einer gesellschaftlichen Integration, die nicht auf Kosten der Ärmsten und Verletzlichsten der Gesellschaft geht.
Täglich werden uns, mit Walter Benjamin gesprochen, unablässig Trümmer vor die Füße geschleudert. Zwischen ihnen zeigt sich ein radikales Potential als spontane Manifestation auf den Straßen. Trumps «Strategie der Spannung» ist, angetrieben von Steve Bannon, dem erklärten «Leninisten» der extremen Rechten, auf eine unerwartete Mobilisierung von Widerstand auf der Straße getroffen. Besonders bemerkenswert war die schnelle Mobilisierung gegen das Einreiseverbot für Muslim*innen, eine beispiellose Geste, die in den ganzen USA Flughäfen blockierte.
Diese außergewöhnliche Demonstration von Widerstand hat enttäuschte Liberale aufgeschreckt und mobilisiert: Viele von denen, die in die Flughäfen strömten, hatten so etwas vorher noch nie getan. Wir sollten auf diese neu Radikalisierten nicht herunterblicken, auch wenn es Abschiebungen und Islamophobie schon unter Obama gab. Stattdessen ist es heute unsere Aufgabe – die eines radikalen Populismus – oppositionelle Bewegungen hervorzurufen, die schließlich in eine Massenbewegung gegen Trump und die Demokratische Partei münden können.
Die Bedingungen für diesen Widerstand sind so klar wie Trumps provozierende Vorschläge. Trump steht nach innen wie nach außen für eine wachsende faschistische Bedrohung, mit der Unterstützung sowohl der rechten Polizeivereinigung Fraternal Order of Police als auch der rechten Grenzschutzvereinigung National Border Patrol Council. Während er eine massive Grenztruppe aufbaut, um Migrant*innen festzuhalten, einzusperren und abzuschieben – und Muslim*innen zu kriminalisieren – hat er zugleich der Polizei freie Hand gegeben um US-amerikanische People-of-Color straflos zu misshandeln.
Die Taktiken und Strategien, die wir entwickeln und anwenden müssen, betreffen beide Seiten dieses reaktionären Angriffs: Es geht darum, ausgehend von den lokalen Gemeinschaften Selbstverteidigungsbewegungen aufzubauen, um Angriffe sowohl der Polizei als auch der Einwanderungsbehörde aufzudecken und ihnen Widerstand zu leisten. Entscheidend ist, dass Nachbar*innen sich als Auge und Ohr von Widerstandsbewegungen organisieren – neue Technologien nutzen, um sich gegenseitig bei Razzien der Einwanderungsbehörde und Polizeischikanen zu alarmieren. Dabei stellen sie Verbindungen zwischen alltäglichen Nachbar*innen und Organizer*innen her. Nur dann können wir darauf hoffen, die Repression zurückzuschlagen, und in der Gegenwart eine Zukunft aufzubauen.